Der Reiz des Neuen

  • Guten Morgen,
    wir sind zwar vollkommen OT, aber ich erlaube mir trotzdem noch , auf diesen netten Beitrag von M.S. kurz zu antworten:
    Zu Deinem letzten Satz:
    O ja........ aber gottseidank!!!!!!! Ich bin davon auch nicht zur Männerhasserin geworden :D


    Die einzige Sammelleidenschaft, an der ich bei meinem Mann wahrscheinlich etwas auszusetzen hätte, wäre übrigens ein Leporello.



    Und was Venedig angeht: da bist du bei mir genau an der richtigen Adresse. Das ist die einzige Stadt der Welt, in der ich mich nicht verlaufe sondern im Gegenteil Dinge finde, die unter allen logischen Gesetzten der Wahrscheinlichkeit niemals hätten zu mir kommen können.



    Ansonsten: Küsse sammeln-das hat je nach Begabung auch nach 15 Jahren noch den Reiz des Neuen und ist billger als Ebay. :lips:



    F.Q.

  • Ich habe eigentlich immer Pop, Jazz und Klassik gleichzeitig gehört, das eine mal intensiver als das andere, dann mal wieder umgekehrt - man kann in allen drei Bereichen immer wieder Neues entdecken, das einem gut gefällt - Neues um des Neuen willen finde ich auch nicht so spannend, es muß schon konvenieren, sonst ist es Zeitverschwendung.


    Im Pop fällt es mir zur Zeit am schwersten, wirklich Neues zu entdecken, aber Oscar Petersen in allen Facetten ist auch nicht immer neu, selbst Dave Brubeck kann gewisse Längen haben.


    In der Klassik versuche ich mich zur Zeit am Durchhören relevanter Teile der Gitarrenliteratur (vor ein paar Monaten waren es eher die Vokalwerke...), im Jazz ist zur Zeit noch Gary Burton angesagt (mehr und mehr aber Astor Piazolla selbst, und das hat dann doch auch wieder im weiteren Sinne Anklänge in der Gitarrenliteratur), im Pop ist es the one and only King, von dem ich wohl inzwischen fast alle Platten habe, aber auch Stones und Pink Floyd, bei denen es noch unausgeleuchtete Ecken gibt.


    Lieber Gallo-Nero, ich wünsche Dir, daß Du die Suche nach "neuem Neuen" intensiv ausleben kannst, und ich wünsche Dir viel Erfolg. Vermutlich wirst Du ab und zu zur Klassik zurückkehren, wenn Dir das Neue in anderen Bereichen (wenn Du was wirklich Neues willst, versuch es mal mit klassischer indischer Musik, da gibt es für unsere Ohren weder Struktur noch Rhythmus), dann auch nicht mehr so neu vorkommt.

  • das Du inerhalb von 3 Jahen alles durch hast kann ich auch nicht glauben.


    Ich stecke seit 15 ! Jahren in der Barockmusik, erst ab 2005 habe ich angefangen meine Fühler ins 18. Jahrhundert auszustrecken, und ganz wenig das 19. und 20. Jahrhundert.
    Teilweise habe ich bis zu 10 Stunden am Tag intensiv gehört.



    Zitat

    Viele Klassikhörer interessieren sich ja chronologisch gesehen nur bis Mahler oder Strauss Richard. Für die gibt es schon mal keine neuen Kompositionen mehr - „nur“ noch neue Interpretationen. Bedroht dieser Umstand auch den Mark Klassische Musik?



    selbst wenn man Mahler und Strauss als Endpunkte setzt, bleiben über 2000 Jahre Musikgeschichte übrig.
    Und genug Komponisten von weltrang die doch keiner kennt sind auch noch zum entdecken dar, oder wie steht es mit Pietro Antonio Cesti, oder Agostino Steffani, oder Gilles Binchois , Niccolo Jommelli, Johann Adolf Hasse, Antonio Caldara, Antonio Sacchini, Francois Joseph Gossec etc.


    Wenn ich das auf mein Gebiet beziehe, da kennen die meisten maximal Monteverdis Orfeo, etwas Schütz, dann lange gar nichts, dann Bach, Vivaldi und Händel.


    Das ist praktisch nichts.



    Allein was es im Bereich Oper aus der Zeit zu entdecken gibt ist unfassbar.
    Der Stilwandel von den frühen Opern Peris und Monteverdis über Cavalli, Rossi und Cesti bis zu Scarlatti und Caldara ist schon eine Lebensaufgabe.
    Dann kommen die noch die völig anders gestrikten Sonderformen aus Frankreich, Deutschland, England und Spanien hinzu.
    Zusätzlich dazu gibt es dann noch Komponisten die auf Nationalstile, Konventionen pfiffen und Werke schrieben die man gar nicht mehr einordnen kann: Stradella, Steffani oder Charpentier.


    Dann die Oper des 18. Jahrhunderts. Von Händels Rinaldo bis zu Cherubinis Medea ist es ein weiter Weg - was da alles dazwischen passiert ist, kennen die wenigsten und das ist verdammt schade.
    Der ganze Bereich der Opera Seria, von Händel, Porpora, Hasse, Jommelli, Sari usw.
    die frz. Spezialform mit Rameau, Francoeur, später mit Gluck, Piccinni und Sacchini.
    Oder die Mischformen von Traetta und Jommeli (wo auch Mozarts Idomeneo drunter fällt)



    Allein nur den Bereich der "Barockoper" kennenzulernen sind Jahre erforderlich.


    Aber es gibt auch noch Orchestermusik, Suiten & Concerti, Sonaten, Werke für Cembalo, Lauten, Gamben, Flöten, geistliche Musik wie, Motetten, Oratorien, Psalmen, Orgelwerke, Kantaten (auch noch für den weltlichen Rahmen) und und und


    Und dann kommen auch noch Spezialformen dazu aus Russland, Amerika, Afria und Asien.



    Ein unüberschaubares Feld.
    Und wenn man das berücksichtigt, dass fast jede Epoche so umfangreich ist, dann kann man einfach auch nach 150 Jahren nicht alles kennen.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Ein unüberschaubares Feld.
    Und wenn man das berücksichtigt, dass fast jede Epoche so umfangreich ist, dann kann man einfach auch nach 150 Jahren nicht alles kennen.


    Lieber Matthias,


    Dein Gebiet ist jedenfalls größer als das meine. Und ich suche dort nicht 15 Jahre, sondern schon 50 Jahre. Dennoch kenne ich davon so wenig. Jedesmal gibt es wieder was neues zu entdecken.
    150 Jahre sagst Du? Wäre 1500 nicht eine bessere Einschätzung?


    LG, Paul

  • Ein Mitglied der Wiener Philharmoniker sagte einmal in einem Interview es gäbe
    so viel an klassischer Musik das ein Menschenleben garnicht ausreichen würde alles kennenzulernen. Inwieweit hier natürlich Qualitätsmäßig die Grenzlininien gezogen werden könnten, darüber läßt sich natürlich streiten und ist sicher auch subjektiv aber prinzpiell sollte man natürlich ein Werk zum. einmal selber hören um hier ein sicheres Urteil darüber zu fällen.


    Bei deinem Eröffnungsbeitrag lese ich aber mehr eine Art allgemeine mehr oder weniger leichte Übersättigung an Klassik heraus - kann sein das täuscht und ich liege da auch falsch aber du hast seit deinem Entdeckungsjahr 2005 gerade mal 3 Jahre lang "Zeit gehabt" das Klassische Gebiet von der Renaissance bis zur Moderne zu durchforsten, folglich wahrscheinlich innerhalb dieses Zeitraumes eine sehr intensive Beschäftigung. Ich selber habe zwar auch schon seit meiner späten Kindheit (rein aus Zufälligkeit da ich in einer Klassik-Tabuzone aufgewachsen bin) die Klassik entdeckt aber erst seit paar Jahren einer intensiveren Beschäftigung mit dieser Materie begonnen (zuvor kannte ich wohl eher nur die Mainstreamwerke der bekannteren Komponisten) und folglich wohl auch kaum länger wie du bei diesem Prozess des Kennenlernens allermöglicher mir bis dato unbekannter Komponisten und Werke dabei.
    Ich für mich aber habe nicht das Gefühl ich könnte hier nicht mehr Neues entdecken, ganz im Gegenteil - und ich denke es liegt wohl sicherlich daran inwieweit man "Neues" definiert. Neues indem man stilistisch etwas ganz Anderes erwartet das weit über alle bekannten Stilistiken der Klassik hinausgeht oder Neues im Sinne der Komposition selber und ihrer Anordnung, unabhängig von der Stilistik selber. (wenn ich zB ein mir bis dato unbekanntes Werk von Bach höre so weiß ich zwar schon im Vornherein was mich ungefähr stilistisch erwartet aber es ist trotzdem für mich spannend welche Motive, Behandlung und Ausarbeitung der Stimmen er exakt innerhalb dieses Werkes vorgenommen hat - das Neue wenn man so will iegt hier also mehr im Detail)


    Ich kann es aber natürlich auch verstehen und nachvollziehen wenn man eine Faszination zu etwas ganz Neuem entwickelt, ich kenne natürlich auch dieses Gefühl und ich suche sowohl innerhalb als auch außerhalb (obwohl hier nur im Vergleich dazu eher begrenzt) der Klassik an neuen "Aha-Erlebnissen". Diesen "Flash" und da möchte ich dir recht geben hat man natürlich nicht mehr wenn man die bekanntesten Komponisten der Epochen großteils abgegrast hat, aber ich persönlich halte es da so wie manch Andere indem ich vorwiegend Neues suche um einfach mir bis dato unbekannte tolle Werke kennenzulernen und diese dann in gewissen Abständen immer wieder mal geniessen zu können - d.h. das bei mir die Häufigkeit der Wiederholung des selben Werkes eine wichtige Rolle spielt und je mehr ich davon fasziniert bin umso seltener auch hören möchte um einer Übersättigung aus dem Weg zu gehn (viele schaffen sich zwar gerade deswegen die verschiedensten Interpretationen an um wenigstens in diesem Bereich verschiedenste neue Ansätze hören zu können, das wirkt bei mir aber nur bedingt ;) )


    Und ich persönlich sehe noch so viel Potential allein innerhalb der Klassik zum Entdecken und das neben dem schon Entdeckten das fester Bestandteil meiner Musiksammlung geworden ist (ich habe schon ein paar hundert heißgebliebter Werke die ich natürlich auch jeweilig immer wieder mal in gewissen Abständen hören möchte) und das genügt mir bei meiner begrenzten Lebenszeit. :)


    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

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  • Hallo,


    wie interessant, eure Hörbiografien zu lesen und wie schön, dass jede/r ihren / seinen eigenen Weg, Schwerpunkte, Aussetzer und so weiter hat.
    Bei mir gab es zwei Aha-Erlebnisse zur klassischen Musik. Zunächst hat mich mein Vater schon als Kind der klassischen Musik zugeführt und mich besonders mit den großen Werken der Wiener Klassik und der Romantik etwas vertraut gemacht.
    Da ich zu Hause nur Klassik und von älterer Geschwister Seite Jazz hörte, habe ich dann als Jugendliche und junge Erwachsene erstmal meine Rock/Pop-Phase ausleben müssen. Auch in den ersten Berufsjahren war das noch so und später war ich an Soul, Blues und wieder Jazz interessiert. Dann - vor ca. zehn Jahren erwachte von Neuem die ganze Leidenschaft für klassische Musik und hörte seitdem nie auf. Wobei ich mich immer teilen muss: Wenn ich allein Freizeit habe, höre ich in dieser Klassik, wenn wir gemeinsam frei haben, sind es eher Jazz, Blues und Bluesrock.
    Als ich die Klassik wiederentdeckte, war es für mich wieder ein Initialerlebnis, bestimmte Werke, die ich viele Jahre lang nicht mehr gehört hatte, wiederzuentdecken, z.B. das Chopinsche Klavierkonzert 1, das ich mir aus Sammelleidenschaft gekauft hatte und plötzlich darin Motive wiedererkannte, die ich schon als Kind geliebt hatte!
    Seit einigen Jahren bin ich nun, auf der Suche nach neuen Komponisten, dem Barock verfallen, unterstützt von der Vielzahl neuer Einspielungen lange vergessener Komponisten. Und nun wage ich mich weiter zurück und entdecke immer wieder Wunderbares. Daneben erschließe ich mir - soweit ich dazu fähig bin - andere Bereiche - wie die Kammer- und Chormusik.
    Deshalb finde ich, dass man in der klassischen Musik aus der Entdecker- und Faszinationsphse eigentlich kaum herauskommen kann.


    Grüße


    tukan

  • Zitat

    Original von m-mueller
    Lieber Gallo-Nero, ich wünsche Dir, daß Du die Suche nach "neuem Neuen" intensiv ausleben kannst, und ich wünsche Dir viel Erfolg. Vermutlich wirst Du ab und zu zur Klassik zurückkehren, wenn Dir das Neue in anderen Bereichen (wenn Du was wirklich Neues willst, versuch es mal mit klassischer indischer Musik, da gibt es für unsere Ohren weder Struktur noch Rhythmus), dann auch nicht mehr so neu vorkommt.


    Hallo Michal,
    vielen Dank für die Wünsche. Wie man im Jazzkeller feststellen kann lebe ich das Neue in der Tat gerade voll aus. Das blöde ist, ich habe nicht wirklich danach gesucht. Es hat sich mir aufgedrängt.


    Den Lullisten mag ich noch beruhigen. Ich bin ja, wie mehrfach erwähnt, nicht mit der Klassik durch. Sie langweilt mich auch nicht. Bei genauerer Betrachtung ist es eher so, dass ich von einer Art Sucht befreit wurde. âme hat das richitg erkannt. Ich habe mich, zumindes für meine Verhältnisse, sehr intensiv mit dem Thema befasst. Ich hab das nicht getan, weil ich unbedingt mal wieder etwas Neues Ergründen wollte, sondern weil ich durch Zufall auf etwas stieß, dass in mir eine an Sucht grenzende Begeisterung auslöste. Mein neuer Sport, das Laufen, befreite mich quasi von dieser Sucht. Zum Laufen hörte ich Musik, über die ich hier nicht sprechen möchte ;) :P und die Klassik hörte ich nur noch gelegentlich in Ruhe zu Hause. Ich beschäftigte mich aber nicht mehr damit, ich hört "nur noch".


    Ich denke darin liegt auch ein gravierender Unterschied. Ich habe nie aufgehört Klassik zu hören. Aber ich wurde zunächst befreit von dem Trieb ständig darüber zu lesen, hier zu diskutieren und massanhaft CDs zu leihen oder zu kaufen. Sich zur rechten Zeit ein Album aus der Kategorie Basis einzulegen ist doch auch was schönes.


    Der Jazz kam ungewollt - aber heftig.


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Mal was anderes.


    Vielen Beiträgen älterer Taministen entnehme ich, dass die Klassische Musik vor sagen wir 30 Jahren eine wesentlich höhere Popularität genoß, als sie dies heute tut. Könnte dies damit zusammenhängen, dass die jüngeren Generationen immer und immer mehr nach dem Neuen, einem neuen Kick streben. Gewohntes eher mit Langeweile, Schönes eher mit uncool und Tradition mit altbacken in Verbindung gebracht wird.


    Der Jazz lebte (und lebt?) von der Entwicklung immer neuer Stile. Auch in Pop, Rock und anderer "U-Musik" werden wir ständig mit Neuem Konfrontiert. In den 70ern dachte noch keiner an HipHop und Techno...


    Wenn ich nun mal die Behauptung aufstelle, dass neu komponierte Klassische Musik für die Meisten spätestens nach den 50er Jahren aufhörte klassische Musik zu sein, dann bleibt seit dem im Bereich Klassik alles beim alten. Das Neue drängt sich nicht auf man muss danach suchen. Manche gehen dafür bis nach Indien ;)


    Ist dies ein Problem für den Markt Klassische Musik?


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Lieber GalloNero,


    ich wage es mal, das Zitat


    "Die Schweine wechseln, dieTröge bleiben dieselben"


    anzubringen. Also die Tröge der klassischen Musik. Das Problem oder die Frage ist nur, ob heutzutage noch genügend viele neue "Schweine" den Weg an diese Tröge finden.


    Im Ernst: Ich denke, das Problem der klassischen Musik ist nicht, dass sie sich möglicherweise nicht mehr weiterentwickelt. Es gibt genug klassische Musik für ein Leben. Die Musik Bachs, Mozarts oder Beethovens ist heute immer noch dieselbe wie damals, und doch ist sie heute populärer als zu den Lebzeiten der Komponisten. Ein Problem für die klassische Musik könnte nur sein, dass zu wenig junge Menschen auf die klassische Musik zugehen und die Klassikhörer auf diese Weise aussterben. In der Tat scheint der Anteil des jungen Publikums in Konzert- und Opernsälen ziemlich gering zu sein.


    Dass Pop- oder Rockmusik soviel neues zu bieten haben, wage ich mal zu bezweifeln. Das Gedudel im Radio klingt doch meist gleich und nichtssagend. Wo ist denn da der Kick? Aber so ist das wohl heutzutage, die Masse möchte das gleiche und nichtssagende.


    Wo liegt also die "Rettung" der Klassik? In Vanessa M. im nassen T-Shirt und E-Geige? In Kuschelklassik-CDs und -konzerten? In Auftritten des "Geigenvirtuosen" Riö im Stadion vor schunkelndem und mitsummendem Massenpublikum, oder den Drei Tenören? Oder wird die klassische Musik später ihre Daseinsberechtigung allein durch die Vermarktung der 12 eingängigsten Stücke in Pizzawerbung und in der Werbung von Mobilfunkanbietern finden?


    Etwas offtopic, sorry, konnte nicht widerstehen...


    maticus

  • Zitat

    Original von GalloNero
    Vielen Beiträgen älterer Taministen entnehme ich, dass die Klassische Musik vor sagen wir 30 Jahren eine wesentlich höhere Popularität genoß, als sie dies heute tut.


    Auch wenn ich vor 30 Jahren noch ein bißchen zu klein war, halte ich den Unterschied zu heute für graduell, nicht grundsätzlich. Es stimmt vermutlich, und das wurde auch schon zigmal im Forum thematisiert, daß in den 50ern und 60ern (z.B. bei meinen Eltern) ein gewisses Interesse für Theater, Oper und Klassik (wenn auch häufig eher auf Wunschkonzertrepertoire und einige sehr populäre Opern beschränkt) "dazugehörte". Nicht nur bei traditionellen "Bildungbürgern", sondern auch bei vielen, die aus der Arbeiter/Handwerker/kleine-Angestellten-Schicht stammend, in die Mittelschicht aufgestiegen waren.


    Aber z.B. der Anteil der Klassik am Tonträgermarkt ist in den letzten 40 Jahren wohl erstaunlich stabil geblieben. Die Industrie war angeblich Ende der 70er in einer Krise, als sie durch die CD-Einführung und den folgenden CD-Boom (in den wenigstens für die Mittelschicht auch wirtschaftlich recht angenehmen) 80er Jahren gerettet wurde. Leider hat sie genau das falsche getan, nämlich in der Boomzeit Gagen und Ertragserwartungen explodieren lassen, obendrein zu viele mittelprächtige Aufnahmen produziert und sich dann gewundert, daß das nicht ewig so weitergehen konnte (warum wundert mich das bei Wirtschaftsfritzen eigentlich nicht :kotz: )


    Zitat


    Könnte dies damit zusammenhängen, dass die jüngeren Generationen immer und immer mehr nach dem Neuen, einem neuen Kick streben. Gewohntes eher mit Langeweile, Schönes eher mit uncool und Tradition mit altbacken in Verbindung gebracht wird.


    Ja, mit der allgemeinen Verdummung hat das sicher auch was zu tun :D


    Zitat


    Der Jazz lebte (und lebt?) von der Entwicklung immer neuer Stile.


    Jazz war von den 20ern bis in die 60er sozusagen "Popmusik". Seitdem ist er, von einigen populären Ausnahmen, zu einer Nische geworden, die in Deutschland, wenn ich recht sehe, auf dem Tonträgermarkt weniger als halb so viel Umsatz erbringt wie Klassik! Populär sind hier einige Klassiker und poppiges Zeug von hübschen Sängerinnen, abgesehen davon ist das eine deutlich kleinere Nische als Klassik, freilich recht stabil.


    Zitat


    Wenn ich nun mal die Behauptung aufstelle, dass neu komponierte Klassische Musik für die Meisten spätestens nach den 50er Jahren aufhörte klassische Musik zu sein, dann bleibt seit dem im Bereich Klassik alles beim alten. Das Neue drängt sich nicht auf man muss danach suchen. Manche gehen dafür bis nach Indien ;)


    Naja. Zum einen wurden auch nach den 50ern noch einige recht populäre Sachen komponiert; z.B. die späteren Werke Schostakowitschs oder Minimal music. Zum andern gibt es, wie beim Jazz auch für Avantgarde-Musik eine zwar kleine, aber anscheinend relativ stabile Gruppe von Interessenten. Und die anderen graben eben Sachen aus, von denen dann einige sogar ins Repertoire einsickern, z.B. Barockopern usw. Das ist dann ja auch "neu", weil es vorher eben nur wenigen Experten bekannt war und kaum je aufgeführt oder eingespielt wurde.


    Für "die Meisten", so ca. 80-95% der Bevölkerung, ist jegliche Klassik uninteressant. Vermutlich ist für noch wesentlich weniger Leute Lyrik der letzten 50 Jahre interessant. Oder mittelhochdeutsche Versepen. Oder Hegels Phänomenologie des Geistes. Dennoch gibt es bei all diesen Sachen eine stabile Minderheit von Interessenten, so daß es sich lohnt, entsprechende Bücher zu drucken (oft subventioniert, aber vermutlich kaum so massiv wie Repertoire-Klassik).



    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Hallo.


    Zitat

    Original von GalloNero
    ...
    Der Jazz lebte (und lebt?) von der Entwicklung immer neuer Stile. Auch in Pop, Rock und anderer "U-Musik" werden wir ständig mit Neuem Konfrontiert. In den 70ern dachte noch keiner an HipHop und Techno...


    Dann müsste man sich vermutlich darüber unterhalten, was in diesem Zusammenhang "neu" sein soll oder kann.
    Nun bin ich in Sachen Pop vielleicht nicht mehr auf dem aktuellsten Stand (obschon ich nach wie vor regelmäßig die "Spex" lese), aber was hat denn in jenem Beritt zuletzt an wirklich Neuem das Tageslicht erblickt? Mir fällt da ehrlich gesagt nichts ein. Und Techno war vielleicht in den 1970ern nicht vorhersehbar, aber in den 1980ern sehr wohl.
    Es gibt also immer wieder neue Namen und auch neue Kompositionen/Veröffentlichungen, aber der neue Stil tut sich mir nicht auf (in keinem Genre).
    Das demgegenüber die sogenannt klassische Musik seit den 1950ern nur noch vor sich hin dümpelt, kann ich so nicht teilen (und der Hinweis auf die schweigende Mehrheit der Klassikkonsumenten tut da für mein Empfinden auch nichts zur Sache).


    Mein Empfinden ist: Wer Neues sucht, wird es nach wie vor finden - und zwar ganz subjektiv, und das in allen musikalischen Genres.


    :hello:


    Gruß, Ekkehard.

    "Jein".

    Fettes Brot