Gestern war die erste Premiere der neuen Münchner Opernsaison, zugleich die erste unter dem neuen Intendanten Nikolaus (ex: Klaus) Bachler, bisher Intendant des Wiener Burgtheaters. Bachler hat für Verdis Macbeth als Regisseur seinen österreichischen Landsmann Martin Kusej verpflichtet, der zwar schon häufig an deutschen Opernbühnen, aber noch nie in München inszeniert hatte. Das ging nicht ganz konfliktfrei ab.
Im allgemeinen Thread über die Bayerische Staatsoper hat Muxacel bereits einen Bericht über die Generalprobe eingestellt, den ich hier rüberkopiere:
ZitatAlles anzeigenOriginal von mucaxel
Hier nun meine Eindrücke von der Generalprobe.
Ich war sehr enttäuscht vor allem von der Regie vom
Kusej da hatte ich mir echt mehr erwartet. Ich fand
es einfach nur langweilig und keinesfalls einen Aufreger seitens der
Regie.
Der Chor (sang toll!!!) stand aber ohne Regieaufgaben herrum. Die Sänger fand ich alle provinziell "Macbeth"
sollte eigentlich ein Knaller sein. Dachte ich....
Das hab ich überhaupt nicht gemerkt.
Auch den Bewegungschor und den Hauschor nun in jeder
Inszenierung in Trikotunterwäsche zu sehen kann und will ich nicht mehr!!!
Nervig!!!
Das ein Suchhund auf die Bühne kam, um einen Totenschädel erfolgreich zu suchen na Bitte der Hund bekam Applaus,
auch gestern bei der Premiere. (hab Teile im BR 4 Klassik gehört).
Warum Lady Macbeth Ihre Haare mit einem Doch schneiden muß, auf einem Luster herum schwingend fliegt bleibt mir genauso
unerklärlich wie die ca. 30 (!!!!!!) Damen und Herren die ihr kleines Geschäft auf der Bühne verrichten.
Naja klingt alles Schlimmer als es war Ratlosigkeit macht sich breit nicht nur bei mir!
Ach ja Frau Michael ließ sich wegen Erkältung in der GP vom
Nikolaus Bachler entschuldigen und markierte den 2.teil. Im Radio gestern auch naja...
Ermüdent auch das Licht erinnerte an Probenlicht zum entschlafen
geeignet.
Wozu ein auf neu Deutsch gesagt ein LIGHT DESIGNER gebraucht wird?
Mir unverständlich!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Das Bühnenbild ein kleines Miiltärzelt und ein Plastikhorizont.
Übrigens gestern Abend live zu hören ein Buuuuuhgetöse für das Regieteam.
Mal wieder viel Aufregung um nichts...
Erstmal ein paar Informationen: Gespielt wurde – wie fast immer – die Pariser Fassung von 1865 (ohne Ballett im dritten Akt und ohne jeden Zusatz aus der ersten Fassung). Die Verantwortlichen bzw. Mitwirkenden waren folgende:
Dirigent: Nicola Luisotti
Regie: Martin Kusej
Bühne: Martin Zehetgruber
Kostüme: Werner Fritz
Chöre: Andrés Máspero
Macbeth: Zeljko Lucic
Banco: Roberto Scandiuzzi
Lady Macbeth: Nadja Michael
Dama di Lady Macbeth: Lana Kos
Macduff: Dimitri Pittas
Malcolm: Fabrizio Mercurio
Arzt: Steven Humes
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Anders als Muxacel bin ich der Ansicht, dass Martin Kusej ziemlich nah an Text und Musik inszeniert hat. Abgesehen davon, dass Macbeth das gewalttätigste und schwärzeste Stück Verdis ist, das noch viel weniger Anlass zum Abspulen von schönen Arien und Ensembles bietet als seine Schwesterwerke: Die Oper wurde nicht „dekonstruiert“, sie wurde noch nicht einmal „aktualisiert“ (bis auf die zum größten Teil zeitgenössischen Kostüme). Zudem kommt es kaum zu Konflikten zwischen Regie und Musik – erstere nimmt sich immer wieder mal zurück, um den Gesang wirken zu lassen, z.B. in der zentralen Schlafwandelszene der Lady. Die (angeblichen) Exzesse in puncto Gewalt und Obszönität waren den Passagen vorbehalten, die dafür nun wahrlich prädestiniert sind – also in erster Linie den Hexen- und Mordszenen. Zu dem, was ich bei der Rückfahrt aus dem oktoberfestlichen München am Hauptbahnhof erleben durfte (auch die Ausscheidung diverser Exkremente betreffend), passten Kusejs Bilder von einer Welt in Auflösung gar nicht schlecht.
Wenn jemand auf Skandal aus war, dann nicht Bachler oder Kusej, sondern ein Teil des Münchner Publikums, der sich durch rege Buh- und Brüllaktivitäten auch während der Musik hervortat. Aber das war wohl kaum anders zu erwarten.
Bühnenbildner Martin Zehetgruber hat den Spielraum variabel gestaltet: der gesamte mittlere und hintere Teil der Bühne ist mit hunderten (tausenden?) von Totenköpfen übersät. Von diesem Raum der Öffentlichkeit, in dem sich Chor und Statisterie aufhalten, wird vorne bei Bedarf mit herabhängenden Plastikfolien ein ziemlich begrenzter Raum der Privatheit für die intimeren Szenen abgegrenzt. Die feststehenden Requisiten beschränken sich in diesem vorderen Teil auf einen Kronleuchter und ein schwarzes (Feldherren-)Zelt. Aus diesem Zelt zieht Macbeth während des Vorspiels nicht nur die Hexen, sondern auch seine Ehefrau hinaus – was im übrigen der musikalischen Semantik des Vorspiels entspricht, kombiniert dieses doch Elemente der Hexenmusik mit Klängen aus der Schlafwandelszene der Lady. Die Hexen sind Kinder. Mit diesem dramaturgisch gut begründbaren Einfall geht natürlich auch eine nicht unproblematische Trennung von spielenden Statisten und singendem Chor einher. Mit den Kinderhexen erzielt Kusej gespenstische Wirkungen, etwa wenn sie im Finale des zweiten Akts als Miniatur-Banquos auftauchen. Angeblich nimmt Kusej mit den Kindern Bezug auf den Film Village of the Damned, den ich aber nicht kenne. Da ist mir wohl eine Pointe entgangen. Insgesamt empfand ich die Hexenszenen nicht durchgehend als gelungen.
Bei der Personenregie versucht Kusej immer wieder, äquivalente Körperbewegungen zur Musiksprache zu entwickeln: Die im Hintergrund während der Hexenszenen zwischen den Totenschädeln aufgestellten Statisten vollführen zu den rasend schnellen, aufgeheizten musikalischen Stereotypen zwanghafte Handlungen (Kratzen, mit den Händen durch die Haare fahren, Insekten vertreiben). Großartig gelingt die Einheit von Musik und Körper bei Nadja Michael, die eine überragende darstellerische Leistung zeigt: wie eine Getriebene schert sie sich in der Briefszene des ersten Akts die Haare, rennt atemlos hin und her, klettert zu Beginn des zweiten Akts im sich steigernden Machtrausch mit verblüffender Akrobatik auf dem Kronleuchter herum, sucht leidenschaftlich den sexuellen Kontakt zu ihrem Mann, taumelt im Finale des zweiten Akts während ihres Trinklieds leicht beschwipst herum. Wunderbar ist sie in der Schlafwandelszene: mit einer Zigarette im Mund, gänzlich verstört, mit leiser, intensiver Gestik. Zelijko Lucic, kein übermäßig begnadeter Darsteller, lässt mehr Überreste konventioneller Operngestik erkennen, hat aber auch sehr intensive Momente. Suggestiv gelingt Kusej und den beiden Sängern eine Szene im ersten Akt: Während zur Banda-Musik hinter den halbtransparenten Plastikfolien König Duncan vorbeizieht, haschen Macbeth und die Lady mit kindlicher Ausgelassenheit nach einem Schmetterling. Als Macbeth die flatternde Glücksverheißung erwischt, zerquetscht er sie gleichzeitig…
Macbeth erscheint im ersten Akt fast als Marionette seiner Frau: sie drückt ihm den Dolch für den Mord an Duncan in die Hand; als der schon totgeglaubte König noch einmal blutüberströmt aus dem schwarzen Zelt hervorkriecht, erledigt sie ihn mit gezielten Stichen. Das Zelt ist ein undurchschaubarer Ort des Grauens: nicht nur der Platz der Hexen und das tödliche Nachtlager des Königs – auch Macduff wird vor seiner Szene im vierten Akt von Macbeth an einem Strick aus dem Zelt hervorgezerrt. Ganz am Ende holt Macduff mit äußerster Vorsicht die Krone aus dem Zelt, schließlich zerrt Malcolm die Plane weg: der Spuk ist vorbei, es bleibt nur noch das nackte Gestänge übrig. Später wird – analog zur dramaturgischen Anlage des Librettos – Macbeth immer stärker, die Lady immer verwirrter und schwächer. In ihrer Schlafwandelszene ist sie ganz weich und leidend, während Macbeth seine letzte Arie geradezu selbstbewusst und herrisch darbietet – übrigens am Leichnam seiner Frau: eine Umdeutung des Librettos, in dem Macbeth die Nachricht vom Tod der Lady ja ganz gleichgültig aufnimmt. Hier ergibt er sich am Schluss willentlich in sein Schicksal und bietet sich waffenlos Macduff dar, der ihn dann auch von hinten ersticht.
Drei m.E. sehr gelungene Tableaus mit Chor sind zu erwähnen: beim bombastischen Ausbruch, nachdem Banquo den Tod des Königs verkündet hat, eine fesselnde, nicht unkomische Szene geheuchelter Trauer mit schwarzen Schleiern, Haareraufen und von der Lady gestreuten Blumen. Das Finale des zweiten Akts – anfangs eine grelle Party, bei der der Chor in übergeworfenen historischen Kostümen die Sektkorken knallen lässt, um am gespenstischen Ende lemurengleich den verzweifelten Macbeth zu bedrängen. Und der Chor des Volks am Anfang des vierten Akts: eine beklemmende Höllenlandschaft mit kopfüber Aufgehängten, Verstümmelten, Verzweifelten und Wahnsinnigen zwischen den Totenschädeln, adäquat zu diesem besonders kühn komponierten Stück.
Dass es auch hier einzelne Buhrufe in diese leise Trauermusik gab, war symptomatisch für die aufgeladene Stimmung im Publikum. Die ersten lautstarken Proteste kamen beim Mord an Banquo, dessen Leiche kopfüber aufgehängt und blutüberströmt erschien. Ein wüster, weit über eine Minute währender und die Musik übertönender Buhsturm brach am Anfang der Hexenszene des dritten Akts aus, als die Statisten auf der Bühne ein Massenpinkeln veranstalteten. Über die dramaturgische Evidenz dieses Einfalls kann man sich streiten, obwohl der Zusammenhang mit der Zubereitung eines Höllentranks ja nicht abwegig ist. Aber für Teile des Münchner Publikums war das eindeutig zuviel. Nach diesem Eklat blieb es im Zuschauerrraum unruhig, man lieferte sich Wortduelle. Als dann bei der ersten Geistererscheinung Banquos Kopf auf die Bühne herabfiel und von einem gut dressierten Hund apportiert wurde, erhob sich ironischer Szenenbeifall. Ebenso beim Auftritt der Luftgeister, hier barbusige Frauen mit rosafarbenen Perücken, die Macbeth in der Luft schweben lassen. Man sieht, die komisch-drastischen Seiten der Oper kamen auch zu ihrem Recht. Ich fand das einschließlich der komisch erregten Zuschauerreaktionen recht unterhaltsam. Insgesamt ist Kusejs Inszenierung vielleicht kein „großer Wurf“, aber sie bewegt und unterhält, bietet starke Bilder und packende Szenen. Und sie kapituliert nicht vor der Radikalität des Werks. Das ist sehr viel, auch wenn das Regieteam beim Schlussapplaus einen Buhsturm über sich ergehen lassen musste (es gab auch viele Bravi, die aber nicht laut genug waren, die Buhs zu übertönen).
Einige Buhrufe hatte überraschenderweise auch Dirigent Nicola Luisotti zu verkraften, als er nach der Pause wieder in den Orchestergraben kam. Allerdings spendete ihm als Reaktion darauf ein Großteil des Publikums begeisterten Beifall. Durchaus zu Recht: Auch wenn die Koordination mit dem Chor nicht immer hundertprozentig klappte – der Orchesterpart war enorm differenziert ausgearbeitet, mit einer sehr großen und in vielen Zwischenstufen dargebotenen dynamischen Spannweite, mit schöner Verlebendigung der stereotypen Begleitfloskeln, mit schnellen, gehetzten Tempi in den Hexenszenen. Auch im Detail war der Klang geschärft, mit ungewohnten Akzenten in den Motiven und Melodielinien (schon beim Einleitungsmotiv der Holzbläser).
Zelijko Lucic sang seine Partie fabelhaft: sehr oft im Piano (bei den Monologen), aber auch zu großer dynamischer Expansion fähig (Wahnsinnsausbrüche im Finale des zweiten Akts), mit Kantabilität und Stimmschönheit z. B. in seiner letzten Arie. Um Charakterisierung bemühte er sich, teils mit Erfolg – trotzdem fehlte da etwas an Individualität. Nadja Michael war vor der Aufführung von Bachler als erkältet angesagt worden. Sie zeigte sich, wie zu erwarten, in ihrer ersten Arie + Cabaletta von ihrer schwachen Seite: mit grellen, verrutschten Spitzentönen und verschmierten Koloraturen. Ansonsten liegt die Tessitura der Partie ja nicht so hoch: und hier bietet Frau Michael Vorzügliches, mit der verinnerlicht gesungenen Schlafwandelszene als Höhepunkt. Als Gesamtheit von gesanglicher und darstellerischer Leistung großartig! Roberto Scandiuzzi als Banquo war mal ein vorzüglicher Bass, sang gestern aber wenig fokussiert und rhythmisch ziemlich schwammig. Ausgezeichnet Dimitri Pittas als Macduff, auch in den kleinen Rollen gute Leistungen.
Es zeichnet sich auch in den ersten Presserezensionen ab, dass die Meinungen über diese Produktion sehr, sehr weit auseinandergehen.
Viele Grüße
Bernd