Hallo zusammen,
ein oberflächlicher Blick in unsere Archive offenbart, dass Richter kein eigener Thread gewidmet ist. Muss geändert werden
Sviatoslav Teofilovic Richter wurde 20. März 1915 im ukrainischen Z(S)hitomir geboren und verstarb am 1. August 1997 im Moskau. Dazwischen lag ein der eindrucksvollsten Karrieren der des letzten Jahrhunderts, die man in verschiedene Phasen unterteilen kann:
1920 (1937) bis 1945: Ausbildungsphase
Richter war zunächst weitesgehend ein Autodidakt und hat oft nachgespielt, was er selbst gehört hat. Sein Vater war zwar Lehrer am Konservatorium in Odessa, ob der junge Sviatoslav dort selbst unterrichtet wurde, ist mir allerdings nicht bekannt. Immerhin wirkte er in den frühen 30-er Jahren als Korrepititor am dortigen Opernhaus - und hatte sogar eine Karriere als Dirigent im Sinn. Den entscheidenden Impuls zur Änderung seiner Karriereplanung bekam Richter am 19. Februar 1934, als er in Odessa sein erstes Solokonzert als Pianist gab. Drei Jahre später, mit 22 (einem Alter in dem heutzutage schon manch Pianist verschlissen ist) begann Richters eigentliche Ausbildung am Moskauer Konservatorium unter Heinrich Neuhaus. Noch während seiner Studienzeit, im Jahre 1940, gab Richter in Moskau sein Konzertdebut (u. a. mit 6. Sonate von Prokofiev). Der Komponist war derart angetan, dass er Richter mit der Weltpremiere der 7. Sonate 1943 beauftragte. Als Schlusspunkt dieser ersten Phase kann der "All-sowjetische Künstler Wettbwerb" von 1945 in Moskau bezeichnet werden. Richter bekam den ersten Preis verliehen, von einer Jury, der Shostakovich vorstand und in der auch Gilels Einsitz nahm
1946 bis 1960: Karriere im Heimatland und im (befreundeten) Ausland
Im Gegensatz zu vielen anderen erstrangigen Konservatoriumsstudenten hat Richter nie selbst eine Lehrtätigkeit ausgeübt, sondern sich - im eigentlich schon betagten Alter von 30 Jahren - ausschließlich seiner Karriere als Konzertpianist gewidmet. Dabei hat er sowohl konzertanten Repertoire als auch Kammermusik und natürlich umfangreiche Soloklavierliteratur gespielt. Zunächst konzentrierte sich diese Karriere jedoch auf den sowjetischen Einflussbereich. Lediglich Reisen in die CSSR, Bulgarien, Polen etc. sind bekannt. Als Emil Gilels 1955 bereits in den USA gefeiert wurde (und bescheiden auf Richter hinwies), durfte Sviatoslav immerhin die ersten Aufnahmen für westliche Plattenfirmen machen: Die von der Deutschen Grammophon publizierten Schumann-Aufnahmen ließen Richter über Nacht berühmt werden. Weitere Konzertreisen folgten, darunter auch der mittlerweile legendäre Auftritt in Sofia am 24. Februar 1958, bei dem SR die "Bilder einer Ausstellung" zum Besten (im wahrsten Sinne des Wortes) gab.
1960 bis 1980: Blütezeit der Karriere
Das Ende dieser Periode ist artifiziell gesetzt, da es eigenlich keinen Termin gab, zu dem Richter seine Karriere drastisch änderte. Deshalb wähle ich einfach unser reguläres "Renteneintrittsalter" als Endpunkt. Dafür ist der Startpunkt umso leichter zu wählen: Der 10. Mai 1960. An diesem Tag gab Richter in finnischen Helsinke sein erstes Konzert im nicht-kommunistischen Ausland. Auf dem Programm standen Beethoven-Sonaten sowie Zugaben von Schumann, Schubert und Rachmaninoff. Nach einer kurzfristigen Rückkehr in die UdSSR kam dann am 15. Oktober 1960 der erste Auftritt in den USA. Er spielte Brahms' 2. Konzert in Chicago, am Pult stand Erich Leinsdorf. Bis zum Jahresende folgte eine ausgedehnte USA-Tournee, die diverse Plattenaufnahmen für RCA und Columbia beinhaltete und Richter gleich sieben Mal in die New Yorker Carnegie Hall führte. In den folgenden Jahren trat Richter in vielen europäischen Ländern (Großbritannien, Frankreich, Italien, Schweiz, Österreich, Belgien etc.) auf, war viel gesehener und gehörter Festivalgast (vor allem bei kleinen Festivals). Der erste Auftritt in der damaligen Bundesrepublik fand erst Ende Juli 1970 in München statt. Zuvor war er nur zu Plattenaufnahmen (Brahms Triplekonzert in Berlin vorstellig geworden). Die verschiedenen im Internet zugänglichen Quellen sind allerdings nicht unbedingt aussagekräftig, er kann durchaus schon früher hier aufgetreten sein.
1981 bis 1995
So selten Richter in den ersten Jahren seiner Blütezeit in der BRD auftrat, so häufig tat er im Spätherbst seiner Karriere. Seine letzten beiden Konzerte überhaupt fanden am 28. März 1995 in Bremen und am 30. März 1905 in Lübeck statt (Privatkonzert). Richter hatte übrigens in diesen Jahren bei einem Konzert einen Totalausfall. Spielte er bis zu diesem Zeitpunkt oftmals ohne Partitur oder las nur kursorisch, so spielte er in den letzten Jahren fast nur vom Papier - gleichzeitig waren die Bühne und Saal bis auf ein kleines Licht auf Richters Flügel vollkommen dunkel. Zu bedenken ist auch, dass Richter nach eigenen Angaben in den letzten Jahren zunehmen schlechter hörte. Dennoch wagte er sich Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre häufig ins Tonstudio und die so genannten "Autorisierten Aufnahmen" für das Label Philips aufzunehmen. 21 CDs, die fast seine gesamte Bandbreite abdecken, ergänzt mit ein paar Aufnahmen, die schon in den Jahrzehnten zuvor entstanden sind.
In den folgenden Tagen werde ich die Plattenaufnahmen Richters vorstellen. Wäre schön, wenn sich auch andere daran beiteiligen könnten.