Gluck’s Orpheus im Theater an der Wien „Echt super!“ (-:

  • Christoph Willibald Gluck hat mich immer irgendwie fasziniert, obwohl ich ihm bislang – außer selten im Radio und einer Orpheus-Aufnahme, die ich einmal ganz angehört habe, nicht wirklich näher gekommen bin. Die Idee mit der er an seinen Orpheus ran gegangen ist: Ein Werk zu schaffen, das wirklich Musiktheater ist. Keine eitlen Koleraturen, keine Musik, in der sich der Komponist selber verwirklicht, keinerlei Selbstzweck. Jede Note dient der Gesamtidee, nämlich eine ergreifende Geschichte zu erzählen, jeder Takt dient der Dramaturgie.


    Da musste ich hin, wenn’s schon in einer viel versprechenden Produktion geboten wird – und es hat sich gelohnt!


    Also war ich gestern abends am 19. Oktober 2008 im Theater an der Wien


    Allein das Werk schon hat für mich gehalten, was es versprochen hat: Kompakt, genial und fast spartanisch (es gibt ja nur 3 Solo-Sänger!), zeitlos schöne Musik, die – was man ja aus dem Barock sonst selten kennt – in romantischer Weise zu Herzen geht.


    Musikalisch wurde ein perfekt schöner Abend geboten. Am Pult René Jacobs, der mit dem Freiburger Barockorchester Gluck’s Klänge in feiner, perfekter und doch so lebendiger Form interpretiert.


    Der amerikanische Countertenor Bejun Metha ist ein berührender und stimmlich hervorragender Orpheus. Er singt wunderbar, die Stimme klingt herrlich und hat auch in dramatischen Stellen die nötige Power.


    Die Schwedin Miah Persson gab eine stimmschöne und hübsch anzusehende Eurydike. Die aus Südkorea stammende Sunhae Im brillierte als lebhafter Amor.


    Nicht zu vergessen, der Arnold Schönberg Chor, dessen schöne Stimmen und Bühnenengagement mir schon bei Luisa Fernanda positiv aufgefallen ist.


    Für mich war auch die Regie von Stephen Lawless durchaus stimmig. Er holt das zeitlose Drama in die Gegenwart und es gelingt ihm gerade dadurch das Publikum zu rühren. Eine Initiationsreise eines jungen unreifen Paares, das nach dramatischer Prüfung, wo vor allem ja das gegenseitige Vertrauen hart getestet wird, zu einer gereiften Beziehung findet. Das Bühnenbild ist den Logen des Wiener Musikvereins nachempfunden. Nun Orpheus ist ja Musiker und Sänger. Die Oper ist für Wien komponiert. Also warum nicht.


    Die Ballettmusik im Finale kommt ohne Tänzer aus: Lawless hat mit den Sängern eine Art Pantomime choreographiert, die – so habe ich es verstanden – zeigen soll, dass das Paar nach all den Zweifeln und Schmerzen nicht so auf „Schnipp“ ohne weiteres zusammen findet. Der Weg aus der „Krise“ zu einer gereiften Partnerschaft ist ein weitaus schwierigerer.


    Resumée: Ein perfekter Opernabend. Der Dialog meiner Sitznachbarn am Ende hat es auf den Punkt gebracht: „Na, wie hat’s dir gefallen?“ „Ja, super – echt super!“ :yes:


    PS: Mit Countertenören hab ich bislang null Erfahrung. „Kastriert“ dürfte der Typ ja nicht sein. Wirkt recht männlich und war angeblich früher Bariton. Nun das ist sichtlich eine eigene Gesangstechnik??? Er singt nicht im Falsett und nicht mit Kopfstimme – die Stimme klingt voll und im Forte metallisch. Interessant. Wer kennt sich da aus? Barockfans haben wir unter den Taminos ja glaub ich genug und ich hoffe zu diesem Thema auf Erläuterung.

  • Meine Lieben,


    Gestern war ich ebenfalls im Theater an der Wien, hatte aber zumeist einen recht abweichenden Eindruck (und interessant, meine mir fremde Sitznachbarin links [rechts saß meine Frau] äußerte sich noch weit ablehnender).
    Zuerst das Musikalische: René Jacobs dirigierte korrekt und routiniert, aber ausgesprochen fad. Sp spannungslos und auf die falsche Opera-seria-Art habe ich den "Orfeo" noch nie gehört. Der HIP-Klang des Freiburger Barockorchesters hörte sich stellenweise auch nicht sehr gut an, doch wurde man durch den hervorragenden Arnold-Schönberg-Chor teilweise entschädigt. Der war an diesem Abend wirklich ausgezeichnet - präzis, verständlich, temperamentvoll, soweit man ihn ließ.


    Bejun Mehta ist zweifellos ein virtuoser Countertenor (daß ich in dieser Partie weibliche Stimmen vorziehe, lasse ich außer acht), der nur in den tiefen Lagen etwas kämpft, aber umso besser klingt, je höher es hinaufgeht. Er verkörpert aber meiner Meinung nach ein kardinales Grundproblem vieler junger Sänger: technisch brillant, aber letztlich seelenlos. Das "Che farò senza Euridice" blieb trotz aller Kunstfertigkeit blaß. Außerdem bräuchte er dringend jemandem, der ihm ein besseres Italienisch beibringt. "Euridice" sprach er kein einziges Mal richtig aus.


    Mit Miah Persson (Euridice) verhält es sich ähnlich. Die Stimme sitzt, die Sängerin sieht gut aus, aber vom Timbre her ist sie eine Enttäuschung. Das musikalisch geäußerte Gefühl bleibt Floskel (woran der Regisseur klarerweise auch seinen Anteil hat).


    Sunhae Im besitzt eine aparte Bühnenerscheinung, wirkt sympathisch, hat aber außer ein paar schönen Tönen mit ihrer eher kleinen Stimme nicht viel zu bieten; sie wirkte wie ein Schmalspur-Amore.


    Die Inszenierung stammt von Stephen Lawless, einem geborenen Iren, die Bewegungsregie von Lynne Hockney. Wie es ein deutscher Rundfunkritiker schon festgestellt hat, diese Inszenierung greift nicht wirklich: Sie ist zu pseudointellektualistisch. Daß sie die Aktion in einen stilisierten Wiener Musikvereinssaal stellt, läßt einen zunächst an Shakespeare denken ("Die ganze Welt ist Bühne und wir die Spieler"), aber es wird rasch klar, daß es hier um die Musik als solche geht (die tote Eurydike wird in einem Cembalo begraben) - nur der tiefere Sinn gerät nicht schlüssig (und aus dem Interview im Programmheft geht auch hervor, daß das offenbar nur eine oberflächliche Anbiederung an Wien sein sollte). Nicht daß man die Beziehung zwischen Orpheus und Erydike nicht ein wenig als psychologisches Beziehungsdrama (hier beinahe mit ungewissem Ausgang) sehen dürfte, aber der Regisseur überzieht einfach und ignoriert dabei Gluck. Ich halte Lawless zugute, daß er meistens mit dem Atem der Musik mitgeht, leider aber nicht konsequent. Wenn Orpheus' Klage von expressionistischer Spielastik begleitet wird, dann gerät zu dilettantischer Wirkung. Die pantomimischen Aktionen verströmen nichts Zwingendes und wirken oft aufgesetzt. Das Bühnenbild von Benoit Dugardyn ist gar nicht übel (nur die Unterwelt mit dem felsenartigen Haufen von Instrumentenkästen mutet verfehlt und mißglückt an) und verrät durchaus Qualität, aber die Einheit will sich nicht einstellen; es bleibt eine Ansammlung hübscher Einzeleinfälle.


    Der Abend stellte eine interessante Erfahrung dar, hinterließ aber keinen nachhaltigen Eindruck.


    Eine Bemerkung am Rand: Das Theater an der Wien besitzt ein wunderschönes historisch-historistisches Auditorium; ich empfinde es als peinlich, wie wenig viele Besucher sich dem anspruchsvollen Charakter dieser Umgebung in ihrer Kleidung anpassen. Ich weiß, daß das ein Modetrend ist, dem sich viele anschließen, ohne groß nachzudenken. Es beweist aber, wie wenig Bewußtsein für das Gesamtkunstwerk in uns lebt. Ohne das überzubewerten, sei es doch wieder einmal angesprochen. Eigentlich sollten die Besucher Teil des Kunstwerks sein, so deklarieren sie sich als bloße Konsumenten ohne direkten Anteil am schöpferischen Genuß.


    LG


    Waldi

  • Lieber Walter, interessant, wie sehr die Eindrücke abweichen.


    Könnte es vielleicht daran liegen, dass ich - wie schon im ersten Posting geschrieben - bei "Barock, Gluck & Countertenören" keineswegs eine Spezialistin bin. Von Oper und Singen ansich glaube ich aber doch eine Menge zu verstehen und bin auch meist eher die Kritische. Allerdings bin ich halt vorwiegend in der "Romantik" zu Hause, der Gedanke an Barock-Oper hat mir bisher eher ein Gähnen entlockt.


    Wie kommt es nun, dass gestern gerade mich "Nicht-Barock-Profi" sowie viele andere im Saal (der Applaus war alles andere als zurückhaltend) der Abend sehr angesprochen hat?


    War ich, waren wir - "dumme Laien" - die Zielgruppe diese Produktion?? Vielleicht ist es so.


    Liebe Grüsse von Eva

  • Liebe Brangäne,


    Nein, so einfach liegen die Dinge sicher nicht. Bei einem beträchtlichen Teil des Publikums (die anderen riefen nicht "buh", sondern schwiegen bzw. applaudierten nur zurückhaltend) war der Enthusiasmus sicher echt und gewissermaßen für mich auch begreiflich. Da waren die Jacobs-Anhänger, und viele, denen die technische Brillanz schon als Erlebnis genügte. Die Protagonisten waren immerhin sehr engagiert, hatten sich also dafür einen Applaus verdient (den ich ihnen nicht vorenthalten habe, aber ich gehörte zu den zurückhaltenden Klatschern).
    Aber ich bilde mir nicht ein, die Wahrheit gepachtet zu haben - was ich hier eingestellt habe, war mein ganz persönlicher Eindruck. Aber zum Beispiel: Mit uns war auch eine Bekannte, die nachher gesagt hat, es hätte ihr gut gefallen (sie kannte das Werk vorher kaum); trotzdem haben wir beim Diskutieren manche Übereinstimmung gefunden. Es ist subjektiv sehr verschieden, wie man die Schwachpunkte bewertet - ob man sie als nicht so wesentlich einstuft, oder wie ich als schwerwiegend. Ich verberge hoffentlich nicht, daß mir Phänomene wie Gesamtkunstwerk, Stimmkultur nicht nur in Hinsicht auf geläufige Gurgeln, Einheit von Ausdruck und Vorgabe wichtiger sind als anderen Leuten. Ich kam gestern eigentlich auch mit nicht geringen Erwartungen, denn die Fotos, die von der Inszenierung gesehen hatte, waren appetitanregend. Tja, für mich sind sie noch jetzt das Beste.


    Es wäre jetzt fruchtbar, wenn noch andere Taminos die Aufführung erlebt hätten bzw. könnten wir an geeigneter Stelle über Glucks Oper weiter diskutieren, wenn Du einmal verschiedene Vergleiche angehört hast.
    Man muß vielleicht in Erwägung ziehen: Diese Inszenierung wurde nicht für längeren Gebrauch geschaffen, sondern für nur wenige Aufführungen. Daß man das unter Umständen dann - bewußt oder unwillkürlich - etwas oberflächlicher angeht, kann ich bei einem Regisseur sogar irgendwie verstehen, wenn auch nicht unbedingt gutheißen.


    LG


    Waldi


    NB für die Moderation: Könnte man diesen Thread nicht mit dem über "Gestern in der Oper: Glucks "Orfeo ed Euridice" zusammenlegen?

  • Nun morgen und am 23. sind ja noch Aufführungen, vielleicht geht ja noch jemand hin und postet! Wär wirklich interessant.


    Bei mir bleibt das positive Erlebnis jedenfalls ungetrübt - und klarerweise hab auch ich schlicht und einfach meinen persönlichen Eindruck gepostet, der von jenem anderer schon reichlich oft abgewichen ist. Und das in beide Richtungen.


    Darüberhinaus ist für mich persönlich der gestrige Abend natürlich Anstoß, mich in andere Interpretationen und Aufnahmen des Orpheus sehr hingebungsvoll einzuhören sowie, wann immer sich die Möglichkeit bietet, die anderen Gluck-Opern (die ich ebenfalls nur ausschnittsweise kenne) anzusehen und anzuhören.


    ... und freu mich später dann drauf, lieber Walter, an geeigneter Stelle, über das Erlebte weiterzudiskutieren. ;)


    GLG Eva

  • Zitat

    Original von Walter Krause


    Bejun Mehta ist zweifellos ein virtuoser Countertenor (daß ich in dieser Partie weibliche Stimmen vorziehe, lasse ich außer acht), der nur in den tiefen Lagen etwas kämpft, aber umso besser klingt, je höher es hinaufgeht. Er verkörpert aber meiner Meinung nach ein kardinales Grundproblem vieler junger Sänger: technisch brillant, aber letztlich seelenlos. Das "Che farò senza Euridice" blieb trotz aller Kunstfertigkeit blaß. Außerdem bräuchte er dringend jemandem, der ihm ein besseres Italienisch beibringt. "Euridice" sprach er kein einziges Mal richtig aus.
    ......


    Waldi,


    ich fürchte, ich muß Dir widersprechen. Bei der Aufführung am 23. Oktober hat Mehta den Namen immer korrekt als E-uridice gesungen/ausgesprochen, was nun mal im Italienischen korrekt ist und nicht übereinstimmt mit unserem Euridice. Drum eben gibt es auch in Italien keinen Euro, sondern einen E-uro...


    Ansonsten fand ich die Aufführung sehr gut, insbesondere Mehta und auch Sunhae Im, die mir allerdings manchmal etwas zu viel grimmassierte und aufspielte - das passte besser zur Zerlina, die sie letztes Jahr in Innsbruck gesungen hat. Zustimmen würde ich Deinem Urteil über die Inszenierung, von der sich vor allem in der Schluss-Pantomime erwies, dass sie weder schlüssig war noch aufging. Orchester, Chor und Dirigat dagegen fand ich sehr gut, doch ich geb zu, dass ich ein großer Freund der Freiburger bin.


    Der Beifall am 23. war übrigens alles andere als verhalten, eher schon "nie enden wollend....", wobei ich allerdings den Maßstab für das Wiener Publikum nicht kenne.



    Talenti

  • Lieber Talenti,


    Das "E-u" war auch nicht zu bemängeln, aber das "-dice" kam jedesmal falsch. Und das war doppelt peinlich, weil alle anderen Mitwirkenden es richtig machten. Der Chor hat Mehta das "diitsche" richtig ins Ohr geschallt, es hat aber nichts genützt.
    Wenn Du sagst, Du kennst nicht den Beifalls-Maßstab des Wiener Publikums, dann werde ich Dir nicht widersprechen. Wer aufmerksam war, konnte sehen und hören, daß ein Teil des Publikums enthusiastisch applaudierte, während ein anderer Teil sich in unterschiedlicher Weise zurückhielt oder überhaupt nicht klatschte. Unter "nie enden wollend" verstehe ich in Wien anderes...


    LG


    Waldi

  • Ich war in der Aufführung am 21. Oktober - und mein Eindruck war doch zwiespältig.


    Nicht wirklich begeistert hat mich die Regie, die mir teilweise zu sehr von oberflächlicher Symbolik gelebt hat. Dass die Szene den großen Saal im Musikverein darstellen soll, lasse ich mir ja einreden - schließlich ist Orpheus ein Musiker. Und auch die nicht mehr benötigten Instrumente als Teil der Unterwelt - soll sein (warum aber mitten im "Goldenen Saal" ?). Dass ein Cembalo aber als Sarg mißbraucht wird, war mir dann doch zu viel an drastischer Bildsprache. Und auch der stimmlich ausgezeichnete Arnold-Schönberg-Chor ist mir etwas zu viel herumgehupft (da hat mir die Tanzfassung von Pina Pausch in Paris mit Chor im Orchestergraben doch deutlich beser gefallen, wenngleich der Regisseur und die Choreographin deutliche Anleihen genommen haben - aber wie viele Besucher kennen trotz Übertragung in ARTE die Produktion aus Paris ?)


    Von den Solisten hat mir Bejun Mehta am wenigsten gefallen - nicht, weil ich Countertenöre ablehne (ich erinnere mich mit Vergnügen an den Orpheus des damals noch jungen Jochen Kowalski anlässlich eines Gastspieles der Komischen Oper in Wien), sondern weil er sich mehr als einmal über Phrasierungen drübergeschummelt hat und offensichtlich technisch nicht wirklich auf der Höhe sein dürfte. Sowohl vom Typ wie von der stimmlichen Leistung fand ich Miah Persson als Euridice mehr als überzeugend; Sunhae Im wäre für mich ein idealer Amor, müßte sie in dieser Inszenierung nicht so unruhig und quirrlig spielen (ich habe sie in Paris als Amor und als Euridice erlebt und finde sie als Amor deutlich rollengerechter besetzt).


    Zwiespältig blieb auch mein Orchestereindruck und das Dirigat von René Jacobs. Das klang mir manchmal zu ruppig, zu wenig aus einem Guss. Ich will ja nicht schon wieder Paris zum Vergleich heranziehen, aber das Balthasar-Neumann Ensemble und Thomas Hengelbrock klangen doch runder.


    Auch wenn meine Eindrücke vielleicht nicht ganz so positiv klingen mögen, in Summe fand ich die Aufführung durchaus gelungen und als eine echte Bereicherung für das Opernleben Wiens.


    Michael 2