Muss Musik "schön" sein?

  • Salut,


    um auch mal Tacheles zu reden - häßliche Musik ist für mich beispielsweise das Herumrühren in irgendwelchen ekelhaften Themen, die wir täglich in den Nachrichten und/oder Dokumentarfilmen sehen können. Ich brauche nicht die Musik, um mir präsent zu machen, dass viel Scheiße auf dieser Welt passiert. Musik [und Kunst im Allgemeinen] dient für mich der Entspannung, ggfs. des Besinnens, auch der Erheiterung und als Freundenfest. Ich halte es für unangebracht, ein "Musikstück" über ehelamlige KZ-Lager oder ähnliches zu schreiben und dies zu "thematisieren". Menschlich angemessen fände ich eher ein klangschönes, huldvolles Requiem, dass der gewesenen Unmenschlichkeit dürch seine Schönheit Abbitte tut.


    Da ich ziemlich sicher bin, dass ich zumindest in der jetzigen Form nur einmal lebe, möchte ich mich doch lieber mit den angenehmen, schönen Dinge beschäftigen. Übel aller Arten erfahren wir täglich am eigenen Leibe, das brauche ich mir nicht noch zusätzlich reinziehen.


    Leicht erregte Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Obgleich ich weiß, daß die Fronten hier in dieser Frage hoffnungslos versteinert sind, wie auch in zwei drei anderen Fragen, will ich hier auch mal wieder meine Meinung kund tun.


    Ich verstehe nicht, warum es "unangebracht" sei, Musik über den KZ-Terror zu schreiben. Wir haben Musik über "Dantes Inferno" - warum ist es verboten über die wahre Hölle Musik zu schreiben, die Opfer wird es sicherlich nicht stören, es wird niemand gezwungen, sich das anzuhören.
    Mein Verständnis von Kunst und Literatur ist es, daß Elend und Schlechte der Welt zu fassen, darzustellen und gleichzeitig Hoffnung und einen Ausweg aus dem Elend zu zeigen.
    (Musterbeispiele: Schönberg: Ein Überlebender aus Warschau; Ullmann: Der Kaiser von Atlantis)


    Wer die Musik als blosses Betäubungsmittel gegenüber der bösen Welt sieht, der wird ihr meines erachtens nicht gerecht. Und schon Bachs Kantaten sind voller "scheusslicher" Dinge, die Bibel nicht weniger.


    Wie "schön" jemand Musik findet, die von schrecklichen Dingen handelt und ob er sich das antun will, soll jeder für sich selbst entscheiden - ich lasse mich von der Musik und Kunst und literatur lieber für schreckliche Zustände sensibilisieren, als daß ich mir damit eine schöne heile Welt aufbaue.

  • Auf die Gefahr hin, dass dieser Beitrag als "ping-pong" klassiert wird:


    Ich kann das, was mein Vorredner (ThomasBernhard) geschrieben hat, nur unterstreichen. Sollte es anders sein, würde ich vorschlagen, auch solche Passagen wie einen Großteil des "Agnus Dei" aus Beethovens "Missa solemnis" aus dem Kanon "schöner" Musik zu verbannen....


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Kingsor schrieb:


    Zitat

    hallo, ich sage - leicht zorngerötet - NEIN, muß sie nicht. unabhängig der schwierigen frage, was 'schön' sei .... musik ist KUNST, und die muß WAHR und nicht immer nur SCHÖN sein, denn das beschränkt ihren ausdruckscharakter !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!


    Hallo


    Für leicht zorngerötet sind das aber eine Menge Rufzeichen !!


    Was Du beschreibst ist nicht Kunst im allgemeinen, sondern Kunst wie sie im 20. Jahrhundert definiert wurde. (igitt)


    ALLE Jahrhunderte davor hatten zwar verschiedene Kunstideale und Kriterien, WAHRHAFTIGKEIT war, soweit mir bekannt jedoch nicht darunter.


    Kunst ist nicht dazu da, damit sich der Künstler selbst verwirklicht, sondern, damit sich der (feingeistige) Kunde bestätigt fühlt.


    Joseph Haydn mußte für Esterhazy komponieren, und sich dabei selbstverständlich dem Geschmack des Fürsten anpassen. Aber auch nachher - in "Freiheit" bei seinen Reisen nach London, gab es genaue Kontrakte, was er zu liefern hatte. Bei Mozart war es ebenso - Als er sich vom Dienstherrn Fürsterzbischo Colloredo , und später vom Geschmack seines Publikums entfernte - bekam er Probleme. Er wich aus, indem er Schikaneders Texte zu einer Oper verarbeitete (Schikaneder galt im Gegensatz zu Da Ponte nicht als Meister seines Fachs, auch nicht als Kunstfreund- er war ein "Gestandener Theatermann" der auch vor Drastischem, Kitschigen und Volkstümlichen nicht zurückschreckte - dennoch - die Zauberflöte ist - auf ihre Art- Ein Kunstwerk.
    Der Lullist wird Euch sicher bestätigen, daß all die hervorragenden Komponisten am Hofe Ludwigs XIV. in ein kompositorisches Korsett, gemäß den Vorstellungen des Königs und seines Hofes gepresst waren.-Dennochj schufen sie Kunswerke.
    Bach hatte ein Pensum zu erfüllen - wir kennen die Konflikte.
    Händel, mit seinem Dienstgebe dem König fast befreundet schrieb die Feuerwerksmusik nur widerwillig.- aber doch.


    Kunst ist nicht "ehrlich", nicht "natürlich" nicht "wahrhaftig". Aber sie ist "effektvoll" und "ewig gültig"(oder sollte es zumindest sein)


    Heute spricht man noch bei Manipulationen aller Art von "Kunstkniff" oder von "Kunstgriff"


    War Verdi ein "wahrhaftiger Künstler" oder war er nur ein "Stilbewusster Handwerker" ?? - Wen interessiert das schon ? Die ERGEBNISSE waren beeindruckend, um nicht zu sagen phänomenal.


    Ich gehe soweit zu sagen, Verdi hatte stets "sein Publikum" vor Augen - nicht seine Selbstverwirklichung.


    Ab ca 1900 war alles anders. Gesucht wurde das NEUE - Neue Ausdrucksformen - eine neue Ästäthik, beim der der Wille des Publikums keine nennenswerte Rolle mehr spielte.


    Wenngleich Mahler, Stravinsky uind Schostakowitsch scheinbare Vorreiter der Moderne waren, so ist ihnen eine gewisse Verbundenheit mit althergebrachtem nicht abzusprechen, was ihre derzeitige Präsenz in den Konzertsälen IMO plausibel macht.


    WAHRHARFTIGKEIT in der Kunst, so mein abschließendes Resume, ist eine Forderung, die erst im 20 Jahhundert gestellt wurde.
    Wenn ich kurz Revue passieren lasse, was uns das eingebracht hat, bin ich geneigt diesen Anspruch abzuschmettern und Schönheit und Ebenmaß von der Kunst zu verlangen, ein Anspruch (wir konnten uns noch auf keine Definition einigen) den Kunst, welcher Epoche auch immer zumeist erfüllte - Als Anmerkung: "Das Jüngste Gerischt" von Hieronymus Bosch ist "schaurig schön"


    Aber das ist ein weites Feld, viel zu groß für diesen Thread, man sollte einen eigenen draus machen, eigentlich fielen mir auf Anhieb gleich drei ein....


    Bei aller Divergenz


    Freundliche Grüße


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    auch wenn mir die Zielrichtung deiner Ausführungen garnicht gefällt :D
    sind deine Aussagen zu Haydn, Mozart und Verdi sicherlich zutreffend.


    Warum hast du Beethoven nicht erwähnt :P


    Beethoven war der Prototyp des sich selbstverwirklichenden Künstlers.
    Er ist damit auch auf viel Widerspruch gestoßen, hat sich aber nicht beirren lassen, in der Gewissheit: irgendwann wird mal einer kommen, der meine Komposition verstehen wird.


    Das ist also nicht unbedingt eine Sache des 20.Jahrhunderts.


    Und das Positive an der ganzen Sache: niemand wird gezwungen, sich Musik (oder wie immer man das nennen will) anzuhören, die ihm nicht behagt (außer im Musikunterricht in der Schule, da ist noch ein langer Kampf nötig!).


    Viele Grüße
    Heinz

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  • lieber ulli,
    wenn du der meinung bist, daß kunst per se 'schön' sei, dann kann ich dir vielleicht zustimmen. dann frage ich mich allerdings, was diese diskussion hier soll.
    hässliche kunst würde es ja dann gar nicht geben, und die musik, die du verachtest, wäre ja dann keine, d.h. also lediglich lärm, und ich sage mal bewußt das böse wort 'entartet'.... :stumm:


    und bei deiner auffassung, daß sich in der natur nur das schöne und gute durchsetzte, da fehlen mir tatsächlich ALLE worte 8o 8o 8o


    ich grüße dennoch herzlich und denke, solch eine diskussion im forum ist äußerst schwierig und beruht sicherlich auf vielen mißverständnissen und verkürzungen ... sowas sollte man wohl besser persönlich besprechen...dann sind die ansichten sicherlich näher beieinander und so werde ich hier jetzt schweigen :stumm:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Salut,


    Zitat

    dann frage ich mich allerdings, was diese diskussion hier soll.


    Eine Diskussion ist immer auf den Selbstzweck gerichtet. Bestenfalls gibt es eine Lösung oder eine Annäherung an die Begriffsdeutung. Die Diskussion soll Horizonte öffnen [auch ich habe hier dazugelernt!] und Meinungen akzeptieren lehren [zugegeben: nicht ganz einfach].


    Zitat

    hässliche kunst würde es ja dann gar nicht geben


    Das habe ich genau so ausgedrückt.


    Zitat

    und die musik, die du verachtest, wäre ja dann keine


    Ich verachte keine Musik :P


    Zitat

    und bei deiner auffassung, daß sich in der natur nur das schöne und gute durchsetzte, da fehlen mir tatsächlich ALLE worte


    Jedenfalls ist dies der Stand meiner bisherigen Erlebnisse.


    Ich finde übrigens Alfreds Ausführungen in weiten Teilen treffend und habe diesbezüglich noch etwas nachgelesen mit dem Ergebnis, dass der Kunstbegriff sich offenbar tatsächlich mit Beginn des 19. Jahrhunderts zu ändern begann, was offenbar vordergründig mit der Loslösung der Kunst von der Kirche zu tun hatte. Der Autor in wikipedia [bitte selbst nachlesen] gab sogar an, dass die Kunst als solche ihre Wurzeln in der Epiphanie hat, was sich für mich durchaus nachvollziehen lässt. Die Begriffsdefinition "Kunst" bei wikipedia ist hier nachzulesen.


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • hallo, ulli, nachdem ich eben kurz vorm herzinfarkt stand 8o und mal eben aus dem chat rausmußte :wacky: und der blutdruck 'nur' noch bei 160 zu 110 steht
    und langsam weiter absinkt: ich glaube, (wie ich sooft schon die sprache als der sprache feind betrachte) wir sind uns wohl näher in der auffassung als wir denken (wenn du guernica als schön empfindest ... ist noch nicht alles verloren :D )dann glaub ich, haben wir eine ziemlich breite basis ....
    etwas weißer im gesicht geworden grüß ich ins schöne elsaß :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • nachschlag ... (haha, wie treffend das wort ... :D ) ...
    aber nein, im ernst: das mit der theophanie ist m.e. gültig: kunst ist für mich etwas HEILIGES, inbes. die musik, und deshalb per se vielleicht schön ... aber wer würde sagen, daß gott nur 'schön' und nichts anderes sei.... :jubel: :jubel: :jubel:


    ich wende mich nur gegen die vorstellung : sonntägliches kaffeekränzchen, gepflegte unterhaltung und im hintergrund läuft schöne (vor)klassik, die ist hübsch, tut keinem weh und das wars ... (GRAUSLIG) 8o

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Salut,


    ich verstehe nicht, wieso man wegen ein paar Wortfetzen so in Rage geraten kann. Das war natürlich nicht beabsichtigt! Aber: Weiß werden im Gesicht hate ich für durweg gefährlicher, als rot werden! :D


    Marie von Ebner-Eschenbach meint dazu übrigens:


    Wenn der Kunst kein Tempel mehr offensteht, dann flüchtet sie in die Werkstatt.


    Erst im jetzigen Stadium dieser Diskussion gelingt es mir, dies ohne ungutes Gefühl zu deuten:


    Erst, nachdem die Kunst nicht mehr natürlich [Bezug: Tempel = Epiphanie] sein darf oder kann, wird sie künstlich.


    Q.E.D.


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Lieber Alfred,


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Kingsor schrieb:
    Was Du beschreibst ist nicht Kunst im allgemeinen, sondern Kunst wie sie im 20. Jahrhundert definiert wurde. (igitt)


    ALLE Jahrhunderte davor hatten zwar verschiedene Kunstideale und Kriterien, WAHRHAFTIGKEIT war, soweit mir bekannt jedoch nicht darunter.


    Ich weiss es nicht, aber wenn man in die Kunstgeschichte hineinschaut, wird man sehen, dass sich der Kunstbegriff permanent gewandelt hat, ebenso wie die Kunstideale. Es ist keineswegs so, dass er vom Mittelalter bis 1900 derselbe war, dieselben Ideale hatten, um dann ganz plötzlich anders zu werden. Um es einzuschränken auf die Musikgeschichte: Da empfehle ich gerne Heinemanns "Kleine Geschichte der Musik" bei Reclam, wohlfeil und inhaltsreich, der großen Wert auf diese Differenzierungen legt.


    Es mag, wie Dein "igitt" schliessen lässt, Dir nicht gefallen, aber Du musst Dich wahrscheinlich doch insgeheim damit abfinden, dass Du eben im 20. und 21. Jahrhundert lebst: Kunstideale und Kunstbegriffe von vor 200 Jahren lassen sich da schlecht wieder herstellen, denn dafür müsste man die Zeit insgesamt zurückdrehen (und wir alle wären vermutlich einfaches Volk und hätten im Allgemeinen gar keinen Zugang zur hohen Kunst, die wir heute problemlos haben).


    Zitat


    Kunst ist nicht dazu da, damit sich der Künstler selbst verwirklicht, sondern, damit sich der (feingeistige) Kunde bestätigt fühlt.


    Ich glaube nicht, dass sich so ein Kunstbegriff, der über 500 Jahre durchgehend gegolten haben soll, zusammenfassen lässt - und wenn wir das heute so anwenden wollten, müssten wir wohl mit wesentlich mehr Rieux und Lloyd-Webber leben :stumm:


    Mindestens seit Beethoven, deutlich seit der Romantik (Schumann!) spielt die Selbstverwirklichung des Künstlers eine große Rolle in der Kunst, und interessanterweise hat es im 20. Jahrhundert ja auch wieder Tendenzen gegeben, in denen der Künstler und seine (erkennbare) Absicht wieder ganz hinter das Werk zurücktritt (nur werden solche dann auch abgelehnt). Übrigens, wie mir scheint, auch bei Verdi: Die radikal neue Musiktheaterform, die er ab etwa der mittleren Phase sucht (und an deren Verwirklichung in Werken wie "Stiffelio" oder "Luisa Miller" er beim Publikum in der Tat zunächst eher scheiterte), findet er erst im Spätwerk wirklich.


    Zitat


    Wenngleich Mahler, Stravinsky uind Schostakowitsch scheinbare Vorreiter der Moderne waren, so ist ihnen eine gewisse Verbundenheit mit althergebrachtem nicht abzusprechen, was ihre derzeitige Präsenz in den Konzertsälen IMO plausibel macht.


    Eben eine solche Verbindung zum "althergebrachten", oder sagen wir, zur Tradition im positiven Sinne ist aber auch Schönberg nicht abzusprechen, der sehr deutlich beim späten Brahms anknüpft, oder Nono, oder auch Lachenmann, selbst bei Cage, dessen Ästhetik ja nicht einfach aus dem "nichts" kommt.


    Bei ebensoviel Divergenz,


    freundliche Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Zitat

    Original von klingsor
    hallo, ich sage - leicht zorngerötet :evil: X(- NEIN, muß sie nicht. unabhängig der schwierigen frage, was 'schön' sei .... musik ist KUNST, und die muß WAHR und nicht immer nur SCHÖN sein, denn das beschränkt ihren ausdruckscharakter !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!


    unabhängig davon höre ich natürlich auch am liebsten SCHÖNE und WAHRE und GROSSE und ERGREIFENDE Musik


    es grüßt herzlich an einem schönen vorsommermittag ... :hello:


    Lieber Klingsor,


    ich denke die Mißverständnisse entstehen dort, wo man einen engen Schönheitsbegriff gegen einen weiten ausspielt.


    Denn was meinst Du mit Ausdruckscharakter? Meinst Du, daß es die Aufgabe der Musik sei. Trauer, Verzweiflung, Freude und dergleichen auszudrücken? Was soll das heißen? Soll Musik dann sozusagen ein empathisches Mittel zur Vermittlung von Emotionen sein? Ja gut, aber vielleicht gibt es dafür ja irgendwann noch mal ganz andere Mittel.


    Ehrlich gesagt wüßte ich von Beethovens 5. nur die Emotionen, die sie mir übermittelte, würde mir vielleicht doch irgend etwas fehlen. Was da fehlte, wäre die Musik. Die Schönheit der Musik. Was denn sonst.



    @ Thomas Bernhard


    Musik ist ganz und gar kein Betäubungsmittel. Sie ist aber auch keine Literatur. Literatur hat vielleicht nicht diese Ausdrucksmöglichkeiten, ist aber in ihrer Deskriptivität unbegrenzt.


    Aber Musik hat diese Möglichkeiten nicht, wenn sie versucht, auszudrücken, was außerhalb ihres Bereiches liegt, löst sie sich selber auf. Ich kenne die von Dir angesprochenen Kompositionen von Schönberg und Ullmann nicht. Ich kenne aber die Sinfonien von Schostakowitsch, in denen sich ohne Zweifel der Horror der Stalinära und des 2. Weltkriegs spiegelt. Ich denke die Trauer von Schostakowitsch kommt angesichts dieser Menschheitsverbrechen sicher zum Ausdruck. Trotzdem ist das einfach sehr gute Musik. Und das ist eben das Problem.


    Das Schreckliche, Stumpfsinnige, Erniedrigende, die Banalität des Bösen, all das kann die Musik eben gerade nicht erfassen. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, eine Musik über KZs zu schreiben, aber zum Beispiel gerade diese Banalität des Bösen zu erfassen, stellt doch die Musik vor unlösbare Probleme. Schostakowitschs Musik stellt die Banalität des Bösen sicher dar, aber es ist doch letzlich nur eine Scheinbanalität. Das macht das Schreckliche am Ende noch sehr genießbar - es tut mir leid. Trotzdem ist das noch eine ernsthafterer Versuch, das Entsetzen aufzuarbeiten ( Goreckis 3. Sinfonie dagegen empfinde ich in abscheulicher Weise als unangemessen). Zumal Schostakowitsch die Ängste dieser Epoche ja am eigenen Leibe erfahren hat.


    Das Angemessenste, sich mit dem Schrecklichen auseinanderzusetzen, ist meiner Meinung nach die Auseinandersetzung mit der Realität und eben nicht die Musik.


    Schönheit hin oder her, gute Musik genieße ich ( was immer dort "Genuß" auch heißen mag), schlechte Musik verärgert mich. Deshalb muß Musik durchaus nicht nur ein Betäubungsmittel sein, aber sie muß sich schon ihrer ästhetischen Dilemnas und Grenzen klar sein. Ich denke Musik soll einfach nicht mehr, als sie eben kann. Hunger, Schmutz, Angst, physische Qual - wie soll Musik das ausdrücken? Ich kann mir nur vorstellen, daß gute wie schlechte Musik in gleichem Maße unangemessen ist. Aber vielleicht täusche ich mich ja und Schönberg und Ullmann können diesem Dilemna entgegehen. Ich kann mir das ja mal bei Gelegenheit anhören.


    Gruß Martin

  • hallo, ulli, die große marie ... ich verehre sie schon immer :jubel: und wieder hat sie recht :jubel: :jubel: :jubel: die meinung vertrete ich schon seit 25 jahren :D


    und der bevorstehende herzinfarkt bezog sich natürlich nicht auf die paar geplänkel, sondern weil diese und auch andere diskussionen hier tiefe punkte in mir berühren, mit denen ich mich jahrelang auseinandergesetzt habe und in denen ich von deiner meinung mich langsam und qualvoll zu meiner durchgerungen habe .. naja, bin ja auch ein ganzes stück älter als du .... viel spaß auf dem weg der erkenntnis :D :D :D


    viele grüße, werde mich jetzt wieder m. haydns requiem widmen .... :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Hallo Heinz


    Zitat

    Original von Heinz
    Warum hast du Beethoven nicht erwähnt :P


    Beethoven war der Prototyp des sich selbstverwirklichenden Künstlers.
    Er ist damit auch auf viel Widerspruch gestoßen, hat sich aber nicht beirren lassen, in der Gewissheit: irgendwann wird mal einer kommen, der meine Komposition verstehen wird.


    Das ist also nicht unbedingt eine Sache des 20.Jahrhunderts.


    Letztlich doch.


    Du hast vollkommen richtig darauf hingewiesen, dass Beethoven der Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist. Deshalb kann man die Musikgeschichte ganz einfach in zwei große Abschnitte unterteilen. Musik vor Beethoven und Musik seit Beethoven. Musik verselbständigt sich, seit er auf dem Plan erscheint. Man könnte es fast noch präziser datieren: Mit zwei Es-Dur-Akkorden beginnt eine neue Zeitrechnung in der Musik, es ist der Eintritt in eine neue musikalische Welt. Diese Musik gehorcht nicht mehr bestehenden formalen Regeln und Gesetzen, sondern macht sich ihre eigenen neuen und gehorcht nur mehr sich selbst. Seit Beethoven berherrscht nicht mehr die Konvention das musikalische Geschehen, sondern ausschließlich der neue Souverän - nämlich der Komponist. Damit werden Ansprüche wie "Schönheit" relativiert, denn nach Beethoven ist es nicht mehr primär so, dass der Komponist schöne Musik nach irgendwelchen vorgegebenen Standards komponiert, sondern nur mehr nach seinen eigenen Maßstäben, und die Umwelt muss plötzlich lernen, die Maßstäbe der Komponisten anzunehmen.


    Das ganze 19. Jahrhundert ist musikalisch gesehen eine Auseinandersetzung mit dem Problem Beethoven (am musikdramatischen Sektor beginnt der Wandel etwas später und wird von Wagner ausgelöst). Die längste Zeit wollte man es vermeiden oder umgehen oder auch eine Synthese zwischen alten Werten und Umgang mit neuen, freieren, aufgebrochenen Formen finden. Letztlich gelang es nicht dauerhaft - der Wille zum Sprengen der tonalen und ästhetischen Korsette wurde immer stärker- und spätestens mit den dramatischen geschichtlichen Entwicklungen am Anfang des 20. Jahrhunderts erleben wir auch in der Musik die vollständige Aufgabe aller "traditionellen" Werte.


    Es konnte nur im 20. Jahrhundert der Slogan "Häßlich ist schön" sich auf breiter Front durchsetzen, es ist diesem Jahrhundert vorbehalten, alles zu zertrümmern und in Frage zu stellen, wobei wir noch nicht wissen, inwieweit wir schon in der Phase sind, dass neue verbindliche Werte entstehen, oder ob alles noch viel schlimmer wird. Aber irgendwann wird die Geschichtsschreibung auch diese Frage beantworten können...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ulli


    Soll jetzt kein persönlicher Angriff sein, aber ( auch wenn ich jetzt hier die 2 Threads kombiniere ) so widersprichst du dir doch ein bisschen selbst. Du beschreibst dein Bild von guter bzw. schöner Musik als etwas bei dem du dir sofort die Partitur bzw. Einzelstimmen im Kopf vorstellen kannst, schön und gut, nur ist die Partitur nicht gerade der künstliche Versuch eines Komponisten seine künstlerischen Vorstellungen niederzuschreiben??? Sprich --> Entspricht das herstellen einer Partitur nicht der Arbeit in einer Werkstatt, wäre somit keine Kunst mehr???


    Gerade die Musik der Wr. Klassik, die du ja hingebungsvoll verehrst, arbeitet nach genauen formalen Regeln, die du ja scheinbar lobenswerterweise bis ins kleinste Detail studiert hast. Insofern könnte man ihr vorwerfen künstlich zu arbeiten und nicht künstlerisch.


    Je weiter die Musik voranschritt, umsomehr gingen diese "Regeln" verloren und die Komponisten suchten unreglementierte Wege ihren Empfindungen Ausdruck zu verleihen, müsste man dann nicht eigentlich sagen das die Musik der 2ten Hälfte des 20. Jahrunderts die Kunstvollste Musik wäre??

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  • Salut,


    aus kleinen Widersprüchen mache ich selbstverständlich keinen Hehl - es liegt in der Natur dieser Definitions- und Diskussionsproblematik. Genau das von Dir beschriebene "Handwerkliche" war für mich an Marie von Ebner-Eschenbachs Sinnspruch zunächst anstössig [eigentlich wollte ich das Buch verbrennen]. Nun ist es aber so, dass der Maler malt, der Schriftsteller und der Komponist schreiben, um die Eindrücke [weit gefasst] festzuhalten. Es gibt keine andere [menschliche] Möglichkeit.


    Die Kunst ist vom Handwerk zu unterscheiden. So war es auch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, wobei es natürlich immer fliessende Übergänge vom Handwerk zur Kunst gibt, kein Zweifel.


    Die eigentliche Kunst des Komponierens findet zunächst im Kopf statt und wird eben nur mechanisch - oder wenn Du magst: handwerklich festgehalten. Der Unterschied zum Handwerk besteht darin, dass eben die Kunst im Sinne von menschlichme Können keine Rolle mehr spielt, sondern lediglich z.B. am Pc verschiedene Module aneinandergefügt werden, die "künstlich" wirken. Nein, nein, das ist wirklich keine Kunst. Die Kunst entsteht von alleine im Kopf aus der Vorstellung - und das nichtmal unbedingt bewusst. Deswegen ist das Schaffen Beethovens für mich absolute Kunst - nur eine andere Stilrichtung. Kunst ist laut der wikipedia-Definition [die ich nicht zu beurteilen vermag] eine Form des Wissens, gar der Weisheit und hat nichts mit Würfeln oder Ausprobieren zu tun. Die Instrumentationen des 18. Jahrhunderts beispielsweise beruhen auf Erfahrungswerten, die zwar nicht anders, als durch Ausprobieren erreicht wurden, aber dieses Probieren hat eben feste menschliche Grenzen. Irgendwann ist ein Grad an Kunstfertigkeit erreicht, in dem das Ausprobieren nicht mehr benötigt wird. Dann spätestens wird das Können zur Kunst. Die Partituren gehören mich zu dem Kunstwerk eindeutig dazu, weshalb ich auch immer [obwohl es heute wesentlich einfachere und weniger qualvolle Möglichkeiten gäbe] zunächst eine handschriftliche Partitur verfasse, um sie erst nach der Fertigstellung [oder wenn die Zeit eilt, Etappenweise] in ein Notensatzprogramm übertrage, um eine Aufführung mit den Mitteln der modernen Technik zu vereinfachen, wozu sie ja gedacht sind.


    Kunst ist für mich immer das Menschliche resp. der Mensch, der hinter einem Werk steckt - ein PC kann niemals ein Kunstwerk vollbringen.


    Ich hoffe, ich konnte das etwas Beleuchten...


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Es konnte nur im 20. Jahrhundert der Slogan "Häßlich ist schön" sich auf breiter Front durchsetzen, es ist diesem Jahrhundert vorbehalten, alles zu zertrümmern und in Frage zu stellen


    Hallo Theophilus,


    der Slogan "Häßlich ist schön" stammt wohl von den Konservativen, die sich weigern, sich mit der "musica viva" auseinanderzusetzen.


    Mein Slogan lautet: "Mit Ignoranz kann man die Welt nicht verbessern"
    Man kann natürlich so tun, als ob es eine (von der realen Welt unabhängige) "bessere Welt der Kunst" gäbe, und von der guten alten Zeit träumen, die es nie gab.


    Meine Haltung zum Leben und zur Kunst ist eine andere.
    Häßlich ist nicht schön, häßliche Kunst ist der Protest gegen menschenunwürdige Zustände. Auch wenn der Protest keine unmittelbare Wirkung hat, so wirkt er doch als Mahnung und (hoffentlich) als Sensibilisierung für künftiges Unrecht.


    Gruß
    Heinz

  • Salut, Theophilus,


    meiner Meinung nach hat Beethoven nicht die Kunst selbst, sondern lediglich deren Stilrichtung verändert oder weiterentwickelt. Das Sprengen der dichten Formen gab es bereits bei Kraus 1782 und dies bei Weitem betrachten wesentlich mehr, als bei Beethovens Eroica. Rein formal betrachtet ist Kraus' Oper Proserpin der reinste Horror gegen Beethovens Eroica. Bei Beethoven wage ich zu behaupten, dass vielleicht erst die Neunte die entsprechend neuen Dimensionen eröffnet hat, auf welche Du ansprichst.


    Liebe Grüße
    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Beethoven ist schon mit dem Klaviertrio op.1 Nr.3 schwer angeeckt bei Joseph Haydn (dem die Klaviertrios op.1 gewidmet sind)


    Es ist aus heutiger Sicht garnicht mehr zu ermessen, wie revolutionär Beethovens Werke seinen Zeitgenossen vorgekommen sein müssen.

  • Richtig! und schon bei der uraufführung seiner ersten Symphonie wurde gebuht und (sinngemäß) gerufen : - ich gäbe einen heller (oder gulden,taler?), damit es aufhört - ...


    das sollten sich hier mal so manche bei dieser diskussion durch den kopf gehen lassen, wenn sie über m o d e r n e musik sprechen ....
    abschließende grüße :evil: :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

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  • Zitat

    Original von klingsor
    Richtig! und schon bei der uraufführung seiner ersten Symphonie wurde gebuht und (sinngemäß) gerufen : - ich gäbe einen heller (oder gulden,taler?), damit es aufhört - ...


    das sollten sich hier mal so manche bei dieser diskussion durch den kopf gehen lassen, wenn sie über m o d e r n e musik sprechen ....
    abschließende grüße :evil: :hello:


    Ja, ich weiß nicht,


    ich habe eher den Eindruck, daß man irgendwie zugeschüttet wird mit solchen Geschichten. Beethoven wirkte ultramodern, Brahms Klavierkonzert wurde ausgepfiffen, Wagners neue Musik war zu neu, Bruckners Sinfonien hatten eine zu fortgeschrittene Klangsprache, Le Sacre von Strawinsky war ein Riesenskandal und galt als barbarisch, Hindemith geradezu entartet, Ives war ein Sonderling, Schönberg wurde ausgepriffen.


    Ich könnte noch dutzend andere von solchen Geschichte erzählen, die hier in diesem erlesenen Forum vermutlich wohlbekannt sind.


    Leider sind mir gegenteilige Geschichten nicht bekannt. So gesehen wird man von der Musikgeschichte nicht gerade ermutigt neues abzulehnen. Das macht mich nun allerdings doch irgendwie mißtrauisch.


    Gruß Martin

  • Man muss die "Wahrheit" wohl irgendwo in der Mitte suchen. Diese STücke waren, ohne Frage, revolutionär für ihre Zeit. Glaube nicht das es so extrem war wie es oft dargestellt wird ( Das nur wegen eines Dominantsept-Akkords bei Beethoven 1. gebuht wurde kann ich mir nicht vorstellen ), aber sicher haben sie für einigen Aufruhr gesorgt der halt über die Jahrzehnte (-hunderte ) hin immer mehr aufgebauscht wurde.

  • Zitat

    Je weiter die Musik voranschritt, umsomehr gingen diese "Regeln" verloren und die Komponisten suchten unreglementierte Wege ihren Empfindungen Ausdruck zu verleihen, müsste man dann nicht eigentlich sagen das die Musik der 2ten Hälfte des 20. Jahrunderts die Kunstvollste Musik wäre??


    Nein - allenfalls die "künstlichste" :D



    Zitat

    Richtig! und schon bei der uraufführung seiner ersten Symphonie wurde gebuht und (sinngemäß) gerufen : - ich gäbe einen heller (oder gulden,taler?), damit es aufhört

    - ...


    Ich Zitiere ja sonst ungern wörtlich, aber in diesem Ausnahmefall muß ich es wohl tun:
    Aus dem Harenberg Konzertführer über Beethovens Sinfonie Nr 1


    Zitat

    ...obwohl das Orchester recht miserabel gespielt haben muß war das Konzert ein Erfolg, und die Sinfonie wurde allgemein als originell und gelungen begrüßt.......


    Letzlich noch zu sagen. Beethoven man einige Regeln gebeugt oder gebrochen haben - Dennoch ist seine Musik "klassisch" im guten Sinne des Wortes - Selbst das von vielen verachtete musikalische Schlachtengemälde "Wellingtons Sieg" über das sich heute so viele abfällig äussern (es entsprach einer Mode der Zeit, siehe auch Franz Christoph Neubauer: Sinfonie in D-dur op 11 "la Battaille) ist, bei aller Attacke - schön. Beethoven selbst bezeichnete es angeblich übrigens als "eines seiner besten Werke"
    Überall wo wir bei Beethoben hinsehen (mit Ausnahme einiger Streichquartette vielleicht) paart sich Attacke mit Harmonie. Majestätisch-gigantisch das ist die generelle Richtung bei Beethoven.


    Ein weiteres Fehlurteil möchte ich korrigieren.


    Beethoven war natürlich NICHT ein Künstler der GEGEN das Publikum komponierte. ER hatte Gönner- das ist richtig. Aber die hätten ihn NIE unterstützt, wenn er, wie oft behauptet ALLE Tabus gebrochen hätte.


    Zitat

    Häßlich ist nicht schön, häßliche Kunst ist der Protest gegen menschenunwürdige Zustände

    .


    Kunst als politische Aussage ist mir ein Gräuel.
    Zudem noch - nicht lebensfähig. Diejenigen die angegriffen werden, wollen sie nicht hören und finanzieren sie nicht, - der Rest kann sie sich nicht leisten - Aber selbst wenn sich ein Financier findet: Es werden sich kaum Konsumenten dieser Kunst finden. So erstickt sie an sich selbst


    Die Aussage ist so als würde ein Luxusrestaurant mit Spitzenpreisen, eklich schmeckende Speisen servieren, um gegen den Hunger in der Welt zu protestieren........


    Kunst in jeder Form war und ist IMO eine Beweihräucherung der Auftraggeber. Selbst Kunst "zu Ehre Gottes" war lediglich ein Vorwand von Bischöfen, Kardinälen und Päpsten, eigene Sucht nach Schönheit zu befriedigen und Flagge zu zeigen.


    Hat eigentlich schon mal drüber nachgedacht welche Bedeutung es hat, daß Konzertsäle der Vergangenheit so prunkvoll ausgestatte wurden, wie ein Königsschloß oder eine Kathedrale ???


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo zusammen!



    Ich denke, der Thread ist wirklich ausdiskutiert. Mit diesem Statement von Heinz und der bemerkenswerten Vorlage von Theophil kommen jetzt eine Menge interessanter neuer Threads auf uns zu, wenn man davon ausgehen kann, dass die Musikgeschichte näher zu beleuchten wäre. Ich kann nicht sagen, dass meine Zeit in den nächsten Monaten ausreichen wird. Daher, wenn man von mir nicht mehr viel hören sollte: Ich werde doch immer wieder lesen....


    Beste Grüsse,


    Claus

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Salut, Martin 2,


    ich habe diesbezüglich folgende Beobachtung gemacht: All dieses Gift und diese Anfeindungen bei den Uraufführungen der von Dir aufgezählten Werke haben jeweils nur sehr, sehr kurz durchgehalten. In allen Fällen wurden die Werke nach kurzer Zeit bereits von dem selben Publikum hochgelobt - und das hat sich bis heute gehalten. Bei modernen Werken der heutigen Zeit konnte ich ein solches Procedere allerdings noch nicht feststellen. Was wieder einmal beweist, dass sich nur das Gute und Schöne durchsetzt. [huiuiui...]


    Ganz klein mit Hut
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Hat eigentlich schon mal drüber nachgedacht welche Bedeutung es hat, daß Konzertsäle der Vergangenheit so prunkvoll ausgestatte wurden, wie ein Königsschloß oder eine Kathedrale ???


    Salut, Alfred,


    zunächst einmal stand ja die prunkvolle Ausstattung von Kathedralen und anderen Gott geweihten Gebäuden ganz im Gegensatz zu der propagierten christlichen Bescheidenheit. Das will ich auf gar keinen Fall kritisieren, denn ich liebe Barockkirchen über alles.


    Und eben auch diese Gebäude, Hallen, Konzertsääle und Kirchen gehören eindeutig zur Kunst... wie passend ist doch für ein epochal-klassisches Werk der Rosensaal in Mannheim. Viele dieser Räumlichkeiten wurden dem zeitgeschmack und der Musik entsprechend architektonisch erarbeitet. So gibt mir beispielsweise ein Konzert in der Bonner Beethovenhalle sehr wenig, da der Stil absurd ist. Genauso wie der Brahms-Saal in Karlsruhe... was hat das alles mit Brahms und Beethoven zu tun?


    Also: Ich bitte um die Konstruktion eines zeitgenössischen Stockhausenkonzerthauses und einer Rihm-Halle, wo die Stühle verkehrtherum an der Decke kleben, das Publikum im Regen draussen stehen und frieren muss, Eintritt bittschön nur nackt, damit die Wahrhaftigkeit so richtig durchkommt!


    Nochwas: Ich hatte mich seinerzeit entschlossen, Kompositionsunterricht bei Michael Denhoff [einem soweit ich weiß Bonner Komponisten der Moderne] zu nehmen. Ich brachte absprachegemäß einige meiner aktuellen Kompositionen mit, die er einfach in die Ecke schmiss und meinte "Das ist Mozart..." [welche Ehre für mich!] und mir seine Kompositionsweise aufdrücken wollte. Nach wenigen Takten seiner Musik [ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es wirklich Takte gab] verliess ich das Haus mit den Worten "Sorry, aber ich wollte Komposition lernen...".


    Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Alfred


    Zitat

    Beethoven man einige Regeln gebeugt oder gebrochen haben - Dennoch ist seine Musik "klassisch" im guten Sinne des Wortes


    Natürlich, aber der springende Punkt ist eben, dass er beginnt, Regeln zu brechen und nach eigenen Regeln zu komponieren. Zusammen mit seiner musikalischen Ausbildung - die er nicht über Bord wirft - und seinem Streben nach Erneuerung schafft er Werke von "klassischer" Schönheit.
    Aber er komponiert im Laufe seines Lebens immer weniger auf äußere Schönheit. Seine späten Streichquartette sind weit jenseits allem, was damals irgendwie als musikalisch schön empfunden hätte werden können, ähnliches gilt für die späten Klaviersonaten. Auch heute noch wirst du niemanden finden, der beim 1. Anhören eines späten Streichquartetts dieses als schön empfindet (es sei denn, du findest jemanden, der bei Bartok anfing und sich in der Musikgeschichte nach hinten durcharbeitet ;) ), diese Werke wollen mühsam erarbeitet werden, um sie als schön zu empfinden.



    Zitat

    Beethoven war natürlich NICHT ein Künstler der GEGEN das Publikum komponierte. ER hatte Gönner- das ist richtig. Aber die hätten ihn NIE unterstützt, wenn er, wie oft behauptet ALLE Tabus gebrochen hätte.


    Nein, er hat gegen niemanden komponiert, aber er hat sich in späteren Jahren auch um niemand mehr gekümmert und seinen Gönnern gegenüber auch nur die allernotwendigsten Zugeständnisse gemacht. Aber Beethoven war der Ausgangspunkt der gesamten Entwicklung, mit ihm emanzipiert sich der Künstler von dem Umfeld, in dem Künstler die Jahrhunderte zuvor gewirkt haben und das führt letztlich zu den Ergebnissen, die wir alle kennen.


    Das heißt natürlich auch nicht, dass man dies negativ sehen muss, aber das 20. Jahrhundert wird in späterer Zeit wohl kaum für seine schönen Künste gerühmt werden, sondern eher als schmerzvolle Übergangszeit gesehen werden....

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Hi Leute,


    ich denke, das Problem bei dieser Diskussion ist, daß Musik ja sehr unterschiedliche Stimmungen ausdrücken kann. Es gibt ja nicht nur die Musik des Wohlbefindens/Wohlklangs, sondern auch Musik der Trauer, des Schmerzes, des Hasses, der Verzweiflung, der Zerstörungswut, der Katastrophe. Und für solche Arten von Musik finde ich den Begriff "schön" einfach nicht so geeignet. Musik ist manchmal erschütternd, ergreifend, aggressiv, aufputschend oder niederschmetternd, frech, rücksichtslos, ironisch, sarkastisch. Mit dem Begriff "Schönheit" komme ich dieser "anderen" Musik nicht bei.


    Gruß
    Heinz



    Ich kann dir da nur vollkommen zustimmen!
    Ob ich die Musik "schön" finde, liegt auch immer an meiner Stimmung. Ich kann nicht wirklich Trauermusik "schön" finden, wenn ich bester Laune bin und eigentlich nur solch muntere Musik hören kann...
    Aber vielleicht sollte man es nicht als "schön" finden ausdrücken, sondern es gefällt mir...denn ich denke, dies kann auch Moment abhängig sein. Gefallen an bestimmter Musik habe ich persönlich nicht immer...dennoch kann ich sie "schön" finden.


    Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo,
    das ist mein allererster Beitrag überhaupt. Das Thema interessiert mich als ausgebildeten Komponisten natürlich sehr. Ich bin einer von denen, die eben jene "neue Musik" schreiben, die man eigentlich auch für jeden Komponisten wieder neu definieren muss (vielleicht deshalb dieser Oberbegriff...).
    Ich bin hier über den Satz gestolpert, gute Musik sei immer "avantgardistisch gewesen, ihrer Zeit voraus". Ich halte dies für viel zu pauschal. An Mozart ist nicht so viel avantgardistisches. Falls doch, bitte ich um Beweise. Es geht oft viel mehr um Handwerk, als man denkt.
    Was die zeitgenössische Musik angeht, so habe ich schon bemerkt, dass da vielen von euch die Schönheit zu fehlen scheint. Doch das ist ein Problem der Fixiertheit auf unsere mitteleuropäische Musik, die so stark aus der "deutschen" Neuen Musik" der Schöberg-Nachfolge kommt und durch Adornos Schriften eine ganze Generation elitärer Schönheitsverächter geschaffen hatte. Eine Anekdote: Friedrich Goldmann, Dirigent und Komponist gratulierte einmal Luigi Nono nach einem Konzert zu seinem Stück und sagte, es sei ein sehr schönes Stück gewesen. Darauf war Nono beleidigt.
    Aber so geht es heute nicht mehr zu. Es gibt zu viele Strömungen.
    Letztlich ist die Geschichte der Ästhetik auch sehr komplex. Der Begriff Schönheit muss definiert werden, bevor man überhaupt über ihn reden kann. Ausserdem wäre wichtig, auf welche Aspekte von Musik man das denn nun beziehen will. Wirklich nur auf den Klang?
    Ich werde bald mehr schreiben. Dieses Forum interessiert mich sehr. Ich hoffe, hier nicht nur Öl ins Feuer gekippt zu haben! Seid nachsichtig mit mir als Neuling.


    Herzliche Grüße, Dschuang-tse

  • Zitat

    Ich hoffe, hier nicht nur Öl ins Feuer gekippt zu haben! Seid nachsichtig mit mir als Neuling.


    Salut,


    Öl im Feuer ist immer gut, solange das Thema dadurch interessant bleibt bzw. wird! Und: Nachsichtig sind wir natürlich keinesfalls... ;)


    Zitat

    An Mozart ist nicht so viel avantgardistisches. Falls doch, bitte ich um Beweise.


    Die Beweise kommen - allerdings ist es eines Haydn-Arbeit. Ich werde dies zu gegebenem Zeitpunkt machen.


    Herzlich Willkommen und viel Spaß hier!


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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