Liebe Taminos,
hier möchte ich gern eine Sängerin vorstellen, die mich derartig fasziniert und begeistert, dass ich unbedingt ein Sängerportrait darüber schreiben muss!
Der Name dieser Ausnahmeerscheinung ist Ljuba Kazarnovskaya.
Geboren 1956 in die typische Familie der russischen Intelligenzija (Mutter - Spezialistin für französische Sprachwissenschaft, Vater - General der sowjetischen Armee), Ljuba sang und tanzte seit ihrer Kindheit für ihr Leben gern. Ihre Begeisterung für das Singen und Schauspielen ging sogar so weit, dass sie nach der Schule die Eintrittsprüfungen nicht an einer philologischen Universität ablegte, wie es die ganze Familie von ihr erwartete, sondern an der Moskauer Gnessin-Universität für Theaterwissenschaften, Fakultät Musiktheater.
Mit 21 hatte Kazarnovskaya ihr Debüt als Tatjana in "Eugene Onegin" am Moskauer Stanislavski-Musiktheater. Wenn sie gefragt wird, ob sie denn nun eine singende Schauspielerin oder eine schauspielende Sängerin sei, antwortet sie, sie ist eher eine singende Schauspielerin, und fügt hinzu "Es ist besser, die Kazarnovskaya Nummer eins zu sein, als die Callas Nummer 25". Die Einzigartigkeit ihrer Talentkombination - Schauspiel uind Gesang - und ihr Selbstbewusstsein, zu der eigenen Einzigartigekeit zu stehen, sind das Lebensmotto von Ljuba Kazarnovskaya.
Der Durchbruch gelang ihr im Jahre 1984, als sie beim UNESCO-Wettbewerb der jungen Talente in Bratislava mit einem Grand-Prix gewonnen hat. Zu dem Zeitpunkt in ihrer Karriere gewann sie zwar einige bedeutende Gesangswettbewerbe in Russland, wie etwa den Glinka-Wettbewerb mit Platz II, doch Bratislava brachte Kazarnovskaya auf die Weltbühne.
1986 - 1989 arbeitete sie am Mariinsky-Theater in St. Petersburg als der führende Sopran in solchen Partien wie Lisa in "Dame Pique", Leonora in "La Forza del Destino", Margarethe in "Faust" Gounods, Violetta und Tatjana unter der Leitung von u.a. Temirkanov und Gergiev.
1989 schlug für Kazarnovskaya ihre Sternstunde - Maestro Karajan lud sie ein, an den Salzburger Festspielen teilzunehmen. Leider verstarb Karajan während der Proben, und Muti übenahm das Dirigat zum "Requiem" von Verdi, wo Kazarnovskaya die Sopranpartie dargeboten hatte. Die begeisterten Kritiken aus der ganzen Welt folgten, genauso wie der Beginn einer steilen Weltkarriere: Covent Garden, Met, Lyric Chicago, San Fransisco Opera, Teatro Colon in Buenos Aires, nur um einige davon zu nennen. 1991 sang Kazarnovskaya in Salzburg und nahm an dem russischen Gastspiel der La Scala teil.
Im Jahre 1995 trat sie an der Met die Rolle ihres Lebens auf - Salome in der gleichnamigen Oper von Strauss. Die New Yorker Zeitungen titelten: "Der Schnee auf den Strassen begann zu schmelzen, als Kazarnovskaya ihre finale Partie einstimmte". "Der erotischste Sopran der Welt", "eine strahlende, wundervoll beherrschte Stimme", "ihre Stimme ist tief und verführerisch einschmeichelnd" so wurde ihre Stimme bezeichnet.
Die Stimme von Ljuba Kazarnovskaya, die in jedem Register sicher ist und ein wunderschönes dunkles Timbre besitzt, zusammen mit guter Diktion und Phrasierung allein ist schon für die dramatischen Rollen prädestiniert. Doch dieses unergründliche Etwas, dieses Katzenhaft-Gefährliche, dieses Erotische in ihrer Stimme und in ihrer Erscheinung sind das, was das Publikum verrückt machte. Der Enkel von Strauss, der ihrer Premiere beiwohnte, soll gesagt haben, sein Grossvater soll diese Besetzung im Kopf gehabt haben, als er die Oper komponierte. Der Tanz der sieben Schleier der Superlative gehörte natürlich auch dazu - da zeigte es sich, welchen Vorteil Ljuba Kazarnovskaya gegenüber allen ihren "nur" singenden Kolleginnen hatte - ihre Mimik, Plastik, Choreographie machte ihren Auftritt zu einer Ausnahmeerscheinung.
1996 debütierte Kazarnovskaya an der Mailänder Scala in der Oper Sergey Prokofieffs "Der Spieler". 1997 sang sie die Salome an der Santa Cecilia in Rom. 1998-2000 singt sie am Bolschoi Theater in Moskau. Verdi, die Veristen und Salome sowie Tatjana sind ihre wichtigsten Partien.
Ljuba Kazarnovskaya macht viel, um die Förderung der jungen Opernsänger in Russland voran zu treiben. Sie ist Vorsitzende einer eigenen Stiftung, die an begabte Kinder und Jugendliche Stipendien vergibt. Auch die Lehrtätigkeit sowohl in Form von Professur an ihrer Alma Mater als auch Meisterklassen liegt ihr am Herzen.
Doch ihr besonderes Engagement gilt dem Propagieren der klassischen Musik sowohl in Russland als auch im Ausland. Kazarnovskaya reist sehr viel über die kleineren russischen Städte und singt keine Programme, die aus schmeichelhaften oder beliebten, doch "abgenudelten" Opern-Arien bestehen. Sie stellt ihre Programme so zusammen, dass eine bestimmte Epoche in der Musikgeschichte oder das Schaffen eines bestimmten Komponisten besonders hervorgehoben werden. So hat sie zum Beispiel die beiden "Manon"-Opern von Puccini und Massenet auf der Bühne vereint, ein Dvorzak-Programm auf die Beine gestellt. Ihr neuestes Programm, wo sie auch in Europa und Deutschland aufgetreten ist, war der Liebe des einmaligen Künstlerpaares gewidmet - Iwan Turgenev und Pauline Viardot (siehe den entsprechenden Thread von Fairy Queen im Opernforum). Als Schauspielrin hatte Kazarnovskaya auch schon mehrere Male auf der Bühne und vor der Kamera gestanden...
Und zum Schluss, liebe Taminos, meine CD-Empfehlung: Kazarnovskaya hat auf Naxos-Label 4 CDs mit den gesamten (!) Liedern von Tchaikovsky veröffentlicht, hier der Cover:
und eine kleine Anekdote über Ljuba Kazarnovskaya: Als sie hochschwanger als Desdemona auftrat, hatte sie ein Kleid an, was so geschnitten war, dass man ihren runden Bauch nicht sehen konnte. Doch in der Finalszene, als Otello sie umbringen sollte, musste die Sängerin in einem dünnen Nachthemd auftreten, was natürlich die nackten Tatsachen für das Publikum sichtbar machte. Das Publikum reagierte belustigt "Na, da wird sie ja zurecht umgebracht! Schau, sie hat es schon geschafft, ein Kind mit dem anderen zu zeugen!".
Alles Liebe,
Eure
Theodora