Lieblingsstellen aus Briefen

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    [Leipzig, 7. oder 9. October 1767.]


    Hochzeitlied,
    an meinen Freund.


    Im Schlafgemach, fern von dem Feste,
    Sitzt Amor Dir getreu, und wacht,
    Daß nicht die List muhtwill'ger Gäste,
    Das Brautbett dir unsicher macht.
    Er harrt auf dich. Der Fackel Schimmer
    Umglänzt ihn, und ihr flammend Gold
    Treibt Weihrauchdamf der durch das Zimmer
    In wollustvollen Wirbeln rollt.
    Wie schlägt Dein Herz, beym Schlag der Stunde
    Der deiner Gäste Lärm verjagt!
    Wie blickst Du nach dem schönen Munde
    Der Dir nun bald nichts mehr versagt.
    Du gehst, und wünschend geht die Menge;
    Ach wer doch auch so glücklich wär'!
    Die Mutter weint, und ihre Strenge
    Hielt' gern dich ab, und darf nicht mehr.
    Dein ganzes Glück nun zu vollenden,
    Trittst du in's Heiligthum herein;
    Die Flamme in des Amors Händen
    Wird wie ein Nachtlicht still und klein.
    Schnell hilft der Schalck die Braut entkleiden
    Und ist doch nicht so schnell wie du,
    Sieht euch noch einmal an, bescheiden
    Hält er zuletzt die Augen zu.


    Ich schicke dir dieses kleine Gedicht, dessen Verfasser du an der Denckungsart, und an der Versifikation gar leichte erkennen wirst, um deine Meinung darüber zu hören. Mir kommt es noch so ganz artig vor.
    Schreiben Sie mir immer ein Bißgen wenn Sie Zeit haben, und die haben Sie wohl immer jtzo, ob mann gleich beym Auerbachshoflärm schwören sollte es wäre keine unbeschäftigte Seele darinne.
    Zum hällischen Tohre ist noch niemand merckwürdiges hereingekommen.









    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Ernst Wolfgang Behrisch


    [Leipzig, 7. oder 9. October 1767.]


    Wie steht es sonst um Sie?
    Ich käme heute Abend und bäte mich bey ihm zu Gaste, wenn er nicht so früh äße, so aber mag ich nicht. Hr. Born haben heute auf der Universitätsbibliotheck sehr figurirt. Stiefeln und schapobas steht ihm admirable. Der Hr. von Watzdorf paradirten im Sommerkleide. Die beiden Messieurs hatten sich auf das devoteste dahin rangirt wo ihro Churfürstl. Durchl. gleich bey ihnen vorbey mußten. Sie neigten sich auf das beste, und hatten beyde die Gnade von der hohen Landsherrschafft gar nicht bemerckt zu werden, welche Ehre sodann auch der ganzen Ackademie wiederfuhr.
    Meine Kleine läßt ihn grüßen. Meine Nebenbuhler werden sich nächstens vice versa ins Tollhaus bringen. Glück auf die Reise. Krebel ist ein guter Mann, er ist würcklich für dich besorgt. Er meinte heute, ob es denn nicht möglich wäre mitlerweile einen Widder. |: i. e. einen Magister, oder sonst so was :| in die Hecke zu verwickeln, daß wir nur erst das Messer von Isaacs Halse wegwendeten, jener möchte darnach mit dem Felle bezahlen.
    Ich hätte Ihren schon viel gesagt dächt' ich; aber ich wäre doch nicht ganz fertig. Ich war heute bey Ösern. Er will haben ich soll hinauf kommen wenn die Herrschafft kommt. Wann wird das seyn? Solltest du es nicht erfahren können. Er hat seine Säle wie Nürnberger Puppenküchen aufgeputzt.
    Leben Sie wohl! Habe ich heute Abend um halb neune nicht Antwort auf diesen Brandbrief, so bin ich selbst da.




    Liebe Grüße Peter

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    [Leipzig, 13. October 1767.]
    Noch so eine Nacht, wie diese, Behrisch, und ich komme für alle meine Sünden nicht in die Hölle. Du magst ruhig geschlafen haben, aber ein eifersüchtiger Liebhaber, der ebensoviel Champagner getruncken hatte, als er brauchte um sein Blut in eine angenehme Hitze zu setzen und seine Einbildungskraft aufs äuserste zu entzünden! Erst konnt ich nicht schlafen, wältzte mich im Bette, sprang auf, raßte; und dann ward ich müde und schlief ein; aber wie lange, da hatte ich dumme Träume von langen Leuten, Federhüten, Tobackspfeifen, Tours d'adresse, Tours de passe passe, und darüber wachte ich auf, und gab alles zum Teufel. Darnach hatte ich eine ruhige Stunde, hübsche Träume. Die gewöhnlichen Minen, die Wincke an der Tühre, die Küsse im Vorbeyfliegen, und dann auf einmal, Ft. Da hatte sie mich in einen Sack gesteckt. Ein rechter Taschenspielerstreich. Meerschweingen hext man wohl vorm Peters tohre hinein, aber einen Menschen wie mich das ist unerhört. Aber so unwahrscheinlich es mir vorkam, so wahr fühlte ich es. Ich philosophirte im Sacke und jammerte ein duzend Allegorien im Geschmack vom Schäckespear wenn er reimt. Darnach schien mirs als wenn ich weg wäre, weg von ihr aber nicht aus dem Sacke, ich wünschte mich in Freiheit und wachte auf. Der verfluchte Sack lag mir im Kopfe. Da kam mirs auf einmal ein, daß ich dich nicht wiedersehen würde |: denn das hatte ich mir fest vorgenommen und binn es noch halb schlüssig :| und das fühlte ich, in einem Augenblick, da ich dem Teufel nicht 6 Pfennige gegeben hätte meine kleine aus seinen Krallen zu kaufen, in einem Fieberparoxismus da mir der Kopf taumelicht war. Ich riß mein Bett durch einander, verzehrte ein Stückgen Schnupftuch und schlief biß 8 auf den Trümmern meines Bettpallastes. Das hieß recht wie bey einer Henckermahlzeit, der Teufel geseegne es euch. Sonst ist mir alles wohl bekommen, ausser die Dosis Taschenspielerkünste, wofür Sie sich beym Meister in meinem Nahmen abfinden können. Thu es immer Behrisch und räche mich und dich. Ich will weise seyn, das heißt bei einem Liebhaber stille seyn, es ist eine neue Aquisition zur Pistolen Sammlung die ich diese Messe angefangen habe. Denn ein Schmollen ein Lärm würde mich nichts helfen! Sie hat solche maulstopfende Redensarten die du kennst, und da bleibt der Ankläger wie ein benet stehen wenn Sie ihm so was zu geniesen giebt. Sage du ihr immer auch was, alles was du gestern zu mir sagtest, gebe ihr deutlich zu verstehen daß du ihre Liebe zu mir so mittelmäßig glaubest als die Freundschaft zu dir. Sie wird tolle werden, denn sie weiß daß du sehr tonum persuadendi über mich hast. Ja apropos wann willst du hinunter gehen. Ich werde nicht unten seyn, denn eine gewisse Art von Kälte kann auf diesn und die nächsten Tage nicht schaden, und wenn sie sich übermorgen drüber beklagt, so schiebe ich die Schuld auf's Wetter.


    Lebe also wohl und komme im Kohte nicht um. Wolltest du mich vor deiner Abreise noch einmal sehen, so komme um 5. 6. zu mir, aber NB nach der Affaire von unten.


    Da hast du Annetten. Es ist ein verwünschtes Mädgen. Der Sack! Der Sack!




    Liebe Grüße Peter

  • An Cornelie Goethe


    [Leipzig, 12. October 1767. ]
    Meine Schwester,


    Es ist heute schon Montag in der Zahlwoche und ich habe noch keinen Brief an dich angefangen. Das elendeste Octoberwetter das wir diese Messe über gehabt haben, wäre sehr geschickt gewesen, Briefe, Gedichte und andre unglückliche Geburten auszubrüten; hätte uns nicht der Hof immer hübsch auf den Beinen, selbst im größten Kohte, erhalten. Bald läßt er sich etwas auf der Akademiebibliotheck vorlesen, und das muß man doch auch hören, bald besucht er die Mahlerakademie, und da muß man als ein ehrwürdiges Mitglied zugegen seyn, so geht ein Morgen, ein Nachmittag nach dem andern, ohne daß man weiß wohin. Hätte ich nicht die meisten Arbeiten für den lieben Vater vor der Messe performirt, müsste ich auch sehr in der Schuld bleiben. Gewiß Schwester, du verdienst einen recht langen Brief. Ich habe heute frühe alles durchgelesen, was du mir dieses Jahr über geschrieben hast, und finde, daß ich Ursache habe sehr beschämt zu seyn. Ich will auch die heutigen Vorlesungen versäumen, und mich mit dir unterhalten, obgleich Gellert dieses Amt heute mit verrichten wird. Zuförderst muß ich von deinen Ausarbeitungen reden, von denen ich bißher, auf eine etwas unhöfliche Weise sehr stille geschwiegen habe. Ich muß dich nohtwendig loben, und glaube daß du viel Gutes dencken und schreiben würdest, wenn deine Einbildungs Kraft, deine Art eine Geschichte zu betrachten und deine Erzählungs Art in eine andre, aber doch nicht sehr veränderte Richtung gebracht würden. Ich kann mich hierüber nicht deutlicher erklären, ohne äuserst weitläufig zu werden, habe Geduld biß ich zu euch komme, da will ich dir hierinn wie in verschiednen andern Wissenschafften Unterricht geben, die ich nur für dich, und wenige Mädgen gesammelt habe. Dieses nur kann ich dir eistweilen sagen; ich finde daß deine Ideen über die meisten Gegenstände noch sehr brouillirt sind. Du hast zwar feine Empfindungen, wie jedes Frauenzimmer das dir ähnlich ist, aber sie sind zu leicht gefült und zu wenig überlegt. Ferner sagst du manchmal Dinge, die ich mit aller meiner Mädgenkänntniß nicht debrouilliren kann, wie sie ein Mädgen sagen kann. Ferner mercke ich daß verschiedne Lecktüren deinen Geschmack in verschiednen Dingen mercklich verdorben haben, der denn wie der meisten Frauenzimmer Geschmack bigarrirt wie ein Harlekinskleid ist, deßwegen wollte ich dich bitten, das Jahr über das wir noch von einander seyn werden, so wenig als möglich zu lesen, viel zu schreiben; allein nichts als Briefe, und das wenn es seyn könnte, wahre Briefe an mich, die Sprachen immer fort zu treiben und die Haushaltung, wie nicht weniger die Kochkunst zu studiren, auch dich zum Zeitvertreibe auf dem Claviere wohl zu üben, denn dieses sind alles Dinge, die ein Mädgen, die meine Schülerinn werden soll nohtwendig besitzen muß |: die Sprachen ausgenommen, die du als einen besondern Vorzug besitzest :| Ferner verlange ich daß du dich im Tanzen perfecktionirst, die gewöhnlichsten Kartenspiele lernst, und den Putz mit Geschmack wohl verstehest. Diese letzten Erforderniße werden dir von so einem so strengen Moralisten wie ich bin, äuserst seltsam vorkommen zumal da mir alle dreye fehlen; allein sey ohne Sorgen, und lerne sie nur, den Gebrauch und den Nutzen davon sollst du schon erfahren; doch dieses muß ich dir nur gleich sagen, ich verlange nicht nur daß du, |: besonders die beyden ersten :|, im geringsten nicht lieben, sondern vielmehr fliehen sollst, demohngeachtet aber mußt du sie wohl wissen. Wirst du nun dieses alles nach meiner Vorschrifft getahn haben, wenn ich nach Hause komme; so garantire ich meinen Kopf, du sollst in einem kleinen Jahre das vernünftigste, artigste, angenehmste, liebenswürdigste Mädgen, nicht nur in Franckfurt, sondern im ganzen Reiche seyn. Denn unter uns, draussen bei euch residirt die Dummheit ganz feste noch. Ist das nicht ein herrliches Versprechen! Ja, Schwester, und ein Versprechen das ich halten kann und will. Und sage, wenn ich bey meinem hiesigen Aufenthalt auch nichts gelernt hätte, als so ein groses Werck auszuführen, würde ich nicht ein großer Man seyn. Mittlerweile hofmeistre ich hier an meinen Mädgen, und mache allerhand Versuche, manchmal gerähts manchmal nicht. Die Mdll. Breitkopf habe ich fast ganz aufgegeben, sie hat zu viel gelesen und da ist Hopfen und Malz verlohren. Lache nicht über diese närrisch scheinende Philosophie, die Sätze die so paradox scheinen, sind die herrlichsten Wahrheiten, und die Verderbniß der heutigen Welt liegt nur darinne daß man sie nicht achtet. Sie gründen sich auf die verehrungswürdigste Wahrheit: Plus que les moeurs se raffinent, plus les hommes se depravent. Kannst du, wie ich wohl glaube, diese Dinge nicht ganz einsehen, so nimm sie als Wahrheiten an die dir einmal aufgeklärt werden sollen, ich werde mich darüber mit dir in keinen Briefwechsel einlassen, es sind Dinge die sich schweer schreiben. Du wirst dencken ich sey ein eigensinniger Mensch, der sich nicht gerne widersprechen läßt! Das ist wohl war, ich binn es oft, wenn ich dencke recht zu haben. Doch fürn Hencker, wie viel hab ich schon ausgeschweift. Zurück also zu deinen Ausarbeitungen. Ich bin mit der Geschichte des Mr. Ruse lange nicht so zufrieden, als mit dem ersten. Warum? Ja! das weiß ich wohl, weil es eine nackte Erzählung ohne Empfindung ist, die ich, ohngeachtet die Triebfedern sehr deutlich auseinandergesetzt scheinen, dennoch nicht recht begreifen kann. Zuletzt kann ich einen Wunsch nicht verbergen, daß der liebe Vater deine kleine Stücke, die du mir schicken willst, nicht eher zu sehen bekomme biß sie abgeschrieben und bereit sind an mich abzugehen; dann mußt du ihn bitten, dir seine Meinung darüber zu sagen, die du mir in einem Anhange überschicken mußt, mit der Uberschrift Sentimens et corrections de mon cher pere. Denn jetzo kriege ich niemals etwas das ganz von dir wäre, und ich sehe manchmal mit Lachen, wie ein gutes, einfältiges Mädgen Reflecktionen macht, die niemand als ein einsehender erfahrener Mann machen konnte. Dieses wäre also Ein Punckt, etwas weitläufig abgehandelt. Wir wollen diesen Nachmittag zu den übrigen schreiten.








    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Cornelie Goethe


    [Leipzig, 12. October 1767. ]


    Um 2 Uhr.


    Ich komme von Tische, und bringe ein Compliment, eine Dancksagung und die Marlimuster für dich, von meiner kleinen Wirtin mit, sie hat sie zum letzen und zum längsten gehabt und einen ansehnlichen Gebrauch davon gemacht. Ich habe ihr insinuirt, sie könnte mir immer zur Danckbaarkeit ein paar Manschetten nehen. Wir wollen sehn was sie tuhn wird. Sie ist ein recht gutes Mädgen, das ich sehr liebe, sie hat die Hauptqualität daß sie ein gutes Herz hat, das durch keine allzugrose Lecktüre verwirrt ist, und läßt sich ziehen. Ich werde Ehre mit ihr einlegen, sie hat schon ganz erträgliche, auch manchmal artige Briefe schreiben lernen, aber mit der Orthographie wills nicht fort. Uberhaupt muß man die beym sächsischen Frauenzimmer nicht suchen. Da lob ich mir meine Schwester. Ich schicke dir also die Muster zurück, mit dem besten Dancke, daß du mir Gelegenheit geben wollen meine Mädgen zu obligieren. Sie bewundern alle die Ordnung deiner Muster.


    Nun von meinen bißher verfertigten Dingen. Das Schäferspiel scheint dich zu interessieren, es freut mich sehr, daß es sowohl dir als meinen Critickern gefallen hat, ob ihr gleich alle die darinn überfließende Fehler bemerckt habt. In dem Briefe vom 26 Juni schreibst du deine Meinung darüber die deiner Empfindung viel Ehre macht. Das Lob das du mir giebst, hält, ohne daß du es wustest, die Critick von dem Hauptfehler des Stücks das ich dir damals sandte. Du sagst indem du von Aminen redest: et en verité mon frere tu la fais trop tendre. Fürtrefflich! Es war der Hauptfehler in dem Charackter der Amine der das ganze Ding verunstaltete. Sie war zu zärtlich, zu gütig, oder es besser auszudrücken, zu einfältig, debonnaire, und machte das Stück schläffrig. Dem habe ich abgeholfen, da ich ihr bey ihren Zärtlichkeit, ein gewisses Feuer, eine Liebe zur Lust gab, die sie interessanter macht, und doch nicht mit Eglens Charackter vermischt, denn zwischen beyden bleibt noch eine merckliche Nüance.


    Ich arbeite nun schon acht Monate daran, aber es will noch nicht pariren, ich lasse mich nicht dauern ganze Situationen zwey, dreymahl zu bearbeiten, weil ich hoffen kann daß es ein gutes Stückgen mit der Zeit werden kann, da es sorgfältig nach der Natur copirt ist, eine Sache die ein dramatischer Schrifftsteller als die erste seiner Pflichten erkennen muß. Es hat in allem neun oder zehen Auftritte und ist noch zweymal so starck geworden, als das Stück das du hattest. Wenn man denckt fertig zu seyn, gehts erst recht an. – Sonst habe ich aber gar nichts dieses halbe Jahr gemacht, eine Ruhe die man allen jungen Dichtern rahten sollte. Einige Kleinigkeiten, einige Oden damit ich dich nicht belästigen will sind alles was ich aufweisen kann. Manchmal mach' ich Madrigals und das sind meistenteils Naivetäten von meinem Mädgen und Freunden. Z. E.



    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Cornelie Goethe


    [Leipzig, 12. October 1767. ]


    Le veritable ami.


    Va te sevrer des baisers de ta belle,
    Me dit un jour l'ami; par son air sedouisant,
    Ses yieux perçans, par son teint eclatant,
    Sa taille mince, son language amusant,
    Elle te pourroit bien deranger la cervelle;
    Fuis de cette beaute le daugereux amour!
    Mais pour te faire voire a quel degré je t'aime,
    Je veux t'oter tout espoir du retour,
    En m'en faisant aimer moi meme.


    Solltest du Brevillieren sehen, so sag ihm doch, er würde mir das größte Vergnügen machen, wenn er mein Schäferspiel ins Feuer schmisse, oder es dir gäbe, da du denn das nehmliche damit machen kannst, er sollte auch dafür sobald mein itziges fertig wäre, eine recht schöne Abschrifft davon bekommen, das könnte er hernach spielen wie er wollte. Einer von den klügsten Streichen den ich gemacht habe war, daß ich so viel als möglich von meinen Dingen die mich jetzt prostituiren würden, mit aus Franckfurt genommen habe. Und doch ist nicht alles weg, die Amine, und die Höllenfahrt, sind zurückgeblieben und haben mir schon manchen Aerger gemacht. Die eine spielen die guten Leute, und machen sich und mich lächerlich, die andere drucken sie mir in eine vermaledeyte Wochenschrifft, und noch dazu mit de J. W. G. Ich hätte mögen Toll darüber werden.


    Ich schickte euch gern die Annette wenn ich nicht befürchten müßte daß ihr mir sie abschreibt. Denn auch sogar das Büchelegen das ich sosehr ausgeputzt und verbessert habe, wollte ich niemanden communicirt haben. Bißhierher hat es zwölf Leser und zwo Leserinnen gehabt, und nun ist mein Publicum aus. Ich liebe gar den Lärm nicht. Belsazer, Isabel, Ruth, Selima, ppppp haben ihre Jugendsünden nicht anders als durch Feuer büsen können. Dahin denn auch Joseph wegen der vielen Gebete die er Zeitlebens getahn hat verdammt worden ist. Ich war lange willens ihn aufs Waysenhaus an Bogatzkyen zu schencken, der hätte ihn herausgeben können. Es ist ein erbauliches Buch, und der Joseph hat nichts zu tuhn als zu beten. Wir haben hier manchmal über die Einfalt des Kindes gelacht das so ein frommes Werk schreiben konnte. Doch ich darf nicht viel von Kind reden, es ist noch nicht vier Jahre daß er zur Welt kam.




    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Cornelie Goethe


    Dienstags um 8 Uhr.
    früh.


    Wenn ich heute so viel schreibe als gestern, so werde ich morgen ziemlich mit dem Briefe nichts mehr zu tuhn haben; aber ich dencke es wird heute so starck nicht gehen. Im Vertrauen zu reden ich bin diesen Morgen sehr lustig, ob gleich Behrisch diesen Abend fortgeht. Er ist endlich seine dumme Stelle loß geworden, und hat sich bey dem regierenden Fürsten von Dessau, als Hofmeister seines natürtichen Sohnes engagirt. Ich wünsche ihm viel Glück dazu.


    Mittewochs frühe.


    Ich will heute diesen Brief zu endigen suchen, ich habe schon viel geschrieben, aber noch nicht so viel als ich mir vorgesetzt hatte. Jetzo will ich dir ein wenig von meiner jtzigen Lebensart Nachricht geben. Sie ist sehr philosophisch, ich habe dem Concerte, der Commödie, dem Reiten und Fahren gänzlich entsagt, und alle Gesellschafften von jungen Leuten verlassen die mich zu einem oder dem andern bringen könnten. Es wird dieses von grosem Nutzen für meinen Beutel seyn. Die Woche gehe ich von Hause zu Tische und von Tische nach Hause, und das wird im Winter und schlechten Wetter so fortgehen. Sonntags gehe ich um 4 Uhr zu Breitkopfs und bleibe biß 8 daselbst. Die ganze Familie sieht mich gern, das weiß ich, und deßwegen komme ich auch, und dann wieder nach Hause und das so in infinitum. Manchmal besuche ich Hermannen, der mich auch ganz lieb hat, so weit es ihm sein Amt zuläßt, und bey guten Wetter laufe ich eine gute Meile von der Stadt auf ein Jagdhauß esse Milch und Brodt und komme noch vor Abends wieder. Dieses ist das ganze Diarium meines Lebens, wie es hoffentlich noch ein ganzes Jahr aussehen soll, denn ich habe mich mit aller Mühe dahingebracht daß meine Umstände von mir abhängen. Meine Gesundheit hängt nicht so sehr von mir ab. Ich lebe sehr diät, das ist wohl eins, aber Docktor Quiet und Docktor Merrymän haben hier eine so starcke Praxin daß ich bißhierher noch nicht unter ihre Cur habe kommen können. Ich binn nur aus Laune heiter wie ein Aprilltag, und kann immer 10 gegen 1 wetten daß morgen ein dummer Abendwind Regenwolcken heraufbringen wird. Die guten Studia die ich studiere machen mich auch manchmal dumm. Die Pandeckten haben mein Gedächtniß dieses halbe Jahr her geplagt und ich habe warrlich nichts sonderlichs behalten. Unser Docente hat's auch sauber gemacht und ist biß ins 21 Buch gekommen. Das ist noch weit: denn ein andrer war an Michael im im 13ten. Das übrige mögen die Herren sehen wo sie es herkriegen. So ist mirs auch mit den Institutionen mit der Historia Juris gegangen, die Narren schwätzen im ersten Buche einem zum Eckel die Ohren voll und die letzten da wissen sie nichts, das macht weil die Herren vorherein ihren Autorem etwas ausgearbeitet haben, aber nicht sonderlich weitgekommen sind. Zum Exempel in der Historia Juris Sind wir biß auf die Zeiten des zweeten Punischen Kriegs gekommen. Da kannst du dir eine Vorstellung von einem Studioso Juris machen, was der vollständiges Wissen kann. Ich lasse mich hängen ich weiß nichts.


    Wenn du auch dieses Stück meines Briefs nicht verstehst, so laß es den Vater lesen, es wird ihm so unangenehm seyn wie mir. Meine zwey Bogen wären nun voll, ich habe dir aber noch manches zu sagen. Vielleicht wenn ich Zeit habe mache ich einen kleinen Appendicem. Leipzig d. 14 Octbr. 1767.






    Liebe Grüße Peter

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig, d. 16 Octbr. 67.


    Gott weiß, ich binn so dumm, so erzdumm, daß ich gar nicht weiß wie dumm ich binn. Meynst du denn, ich könnte mir einbilden daß du fort bist. Das hab ich mir noch gar nicht gesagt. Ich komme zwar nicht mehr in Auerbachshof, wo ich sonst alle Tage lag, und das sollte doch eine merckliche Aenderung in meinen Umständen machen; aber, es kömmt mir so vor als wenn ich eben jtzt nicht wollte, oder du mir nicht Audienz geben könntest; und daß mirs, wenn ich gleich Heute nicht hinauf ginge, doch Morgen nicht versagt wäre hinauf zu gehn; und so vertröst' ich mich von einem Tage zum andern, und geh einmal in's Rosenthal, einmal nach Waren, wo ich gestern Salvavenia beynahe ersoffen wäre. Hernach geh ich einmal zu meiner Kleinen, spiele der Abwechslung wegen einige Scenen aus des Goldonis Verliebten, die Sie zur mehreren Erbauung drüben nachlesen können. Ich habe heute wieder so einen dummen Auftritt gehabt, über einen dummen Zahnstocher, das nicht der Mühe wehrt war; aber heutzutage da's einem um die Situationen so Noht tuht, sieht mann überall wo mann sie herkriegt, und die kriegt ich nun vom Zahnstocher. Es ist eine schöne Sache um's Genie. Darnach versöhnt ich mich wieder um ihr deinen Brief geben zu können. Aber warrlich nur des Briefs wegen, ich hätte mich sonst nie wieder versöhnt. Und da gab ich ihr den Brief, den laß sie, und verstand ihn nicht, da ging's ihr wie mir. Warrlich die Stelle von sittsam seyn und von nie geküsst haben, das ist griechisch für mich. Der einzige Horn, der sonst so duttend ist, der will's verstanden haben, und meynt das wäre eine Liebeserklärung in terminis. Auf alle Fälle will ich mir nicht den Kopf zerbrechen, denn das tuht weh, sagte meine Mutter.


    Ubrigens hielte ich einen kleinen Dialog, mit meinem Mädgen, an der Küchentühre, der sich besonders gut ausnahm. Da sagte sie denn, wenn ich an dich schreibe, so sollte ich dir schreiben, daß Sie am Hinausgehen nicht Schuld gewesen wäre, das wär' das erste, und zweytens, daß Sie dir für die Erspaarung des Abschieds danckte, weil sie gewiß geweint haben würde, weil sie dich lieb hätte, und da drückte sie mir die Hände und hatte die Tränen in den Augen die eigentlich deinem Abschiede bestimmt waren. Und da war sie fertig. Ich meynte aber es stündte noch mehr im Briefe, auf das mann noch mehr antworten könnte; da meynte sie, darauf könnte ich selbst antworten, und du dir zur Noht selbst weil du wohl wüßtest wie sie dächte. Uber die reitzende Creatur hätte sie gelacht, und bedanckte sich recht schöne daß du sie auf die Gedancken gebracht hättest warum sich so viele in sie verliebten. Das hätte sie weg daß du einer von den ansehnlichsten Philosophen seyst die sie je gekannt hätte. Ferner freute sie das Zutrauen daß du ihr die Briefe an deinen Freund so sehen liesest, und hinten drein kam der Refrein: daß sie am dummen Hinausgehen nicht schuld gewesen wäre. Punctum. Was macht denn Mamsell Auguste? die ist mir heute eingefallen, quer hinein, und da dacht ich du mußt fragen wie lebt sie? Kommen hinführo noch Briefe an mich? Hölle! das gute Mädgen haben wir seit guten 4 Wochen ganz vergessen, und wenn je ein Mädgen verdient hat, daß man an Sie denckt, so hat's die verdient. Mercke dir das. Und wenn Sie herkömmt so verlieb ich mich in sie das ist schon ausgemacht, wo ich's nicht schon binn, und da spielen wir einen Roman vice versa, das wird schöne seyn. Gute Nacht ich binn besoffen wie eine Bestie.









    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. 17 Octbr. 67.
    Es ist noch ebensoviel Zeit, daß ich dir noch einen Brief mit der heutigen Post schicken kann.
    Gestern binn ich sehr närrisch gewesen, das sehe ich aus meinem Briefe, sollte ich wohl heute gescheuter seyn? Ich weiß nicht. Du hättest immer schweigen können, daß du drüben zu früh angekommen bist, es hilft uns nichts und ärgert uns nur; besonders den Horn, dem es unaufhörlich im Kopfe liegt daß du nicht noch hinunter gegangen bist. Apropos von wegen unten. Der Hr. Langer ist der Mutter und Tochter ums Tohr begegnet, mit dem Grafen, an dem sie ihn gleich kannten, Hr. Langen soll sie scharf angesehen, und sich etlichemal nach meinem Mädgen umgesehen haben, woraus die Alte nach ihrer Weltkänntniß schließen will, ere sey von verliebter Complexion, die Tochter, zerbricht sich den Kopf nicht drüber, und schreibt es auf Rechnung ihres Reitzes, von dem Sie seit deinem Briefe eine hohe Idee gekriegt hat. Sie mag aber haben was für einen Begriff sie will von ihrer Schönheit |: das ist das wahre von der Construcktion :| so weiß sie alle Reitzungen so gegen mich zu gebrauchen die kleine Zauberinn, daß sie mich mehr als jemals festhält. Es scheint als wenn sie sich gewisse Zeitpunkte zu nutze machte, sich immer tiefer in mein Herz zu graben. Aber höre wie stehts um deins? Erkläre dich deutlicher, wenn ich mir nicht den Kopf zerbrechen soll. Ich will deinen Brief niemanden zeigen ich will ihn zerreißen, ob ich gleich noch nicht das geringste Billiet von dir zerrissen habe, sage mir nur was heißt das? Allen kann es vielleicht verständlich scheinen, nur ich, der ich dich kenne, oder wenigstens zu kennen glaube, kann mir keine Auslegung darüber machen. Ich habe mir wircklich den Kopf zerbrochen, und habe nichts herausgebracht als daß du sie liebst. Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich. Laß es seyn! Du hast es halb und halb getroffen. Bedauert habe ich dich nicht, denn dazu weiß ich nicht genug, gelacht habe ich nicht, dazu fehlt mir eine Dosis Schadenfreude, das mercke ich aber daß ich dich und sie deßwegen mehr liebe, unendlich mehr liebe, aus Zärtlichkeit und aus Stolz, kanns auch erklären wie's zugeht, wie's aber mit dir zugeht das kann ich nicht erklären.


    Ich binn bey Oesern gewesen, habe in deinem Nahmen Abschied genommen, und Langern empfohlen. Er fragte mich ob ich noch zum Grafen ginge, da ich's verneinte, bat er mich, ich möcht's doch ja thun. Da sagt ich ihm, es wären einige Umstände in der Haußkronick die es ausdrücklich verböten, weiter mit dieser Familie in Gemeinschafft zu leben; das meynte er, verstünde er nicht, und ich vertröstete ihn auf einen abermaligen Besuch, da ich ihn mit der Sache bekandter zu machen versprach. Zu Börnern will ich morgen gehn, und will ihn wegen des Schnupftuches um Raht fragen, und dein Geschäfte ausrichten.


    Auf den Montag sagen die guten Studia mit Macht an, ich habe jetzo eben soviel Dummheit im Kopfe als ich brauche um fleisig zu seyn. Doch mein Schäferspiel soll nicht vergessen werden, du sollst's bald kriegen, du wirst's nicht mehr kennen es ist ganz geändert. Ich habe einen Plan zu einem neuen Romeo gemacht weil mir Weissens seiner beym Durchlesen gar nicht gefallen hat; Gott bewahre einen für der Idee ihn auszuführen.


    Un si penible ouvrage
    Jamais d'un ecolier ne fut l'aprentissage.


    und ich binn dem Himmel sey Danck noch ecolier per omnes casus. Adieu. Gott seegne sie. Ich habe viel geschrieben; aber warlich nicht viel.








    Liebe Grüße Peter

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipz. d 24. Octbr. 67.


    Gestern einen Brief von dir, und hier die Antwort. Ich hätte aber doch geschrieben wenn ich auch keinen gekriegt hätte; daß du es nur weißt, alle Sonnabends um 7 geht ein Brief an dich ab, wornach du dich zu richten hast.


    Dein Brief ist gut, denn er ist lang, meiner wird nach diesem Maasstabe nicht gut werden. Ich habe heut keine Schreiblaune.


    Ich verstehe jetzo ziemlich alles, was ich mit meinem eingeschränckten Verstande schwerlich würde errahten haben, wegen des lieben und verlieben. Es ist aber eine dumme Division und ich könnte nicht eben sagen, daß es mir das angenehmste wäre wenn mein Mädgen diese hohe Liebe für einen Dritten fühlen sollte, doch sagt ein großer Dichter:


    Ein Herz das Einen liebt, kann keinen Menschen hassen.


    Was dencken Sie von diesen Sentiment, ist würcklich was wahres drinne; aber NB. im Specialfalle, daß es Amine sagt, die diesen Schluß von sich gemacht hat.


    Ich habe durch mein undeutliches Schreiben den Mißverstand verursacht, daß du Roman für Romeo gelesen hast. Ja, mein wehrter Critikus, ich binn so frey gewesen einen neuen Plan zu Romeo und Julie zu machen, der mir besser scheint als Weissens seiner, doch das in parenthesi, unter uns. Es wäre ein verfluchter Stolz wenn ich's laut sagte.


    Dencke nur Richter, der auf der Mahler Akademie, hat gestern aus Grille angefangen mich Miniatur zu mahlen. Er hat mich in der Anlage recht hübsch getroffen, wenn er's nur nicht wieder verdirbt. Wir wollen um das Ding artiger zu machen, ihm etwas historisches geben, und zwar soll es Herzog Micheln bey dem:


    Ey ja du kämst mir eben.


    Vorstellen. Es ist hernach eine Fleurette wenn ich es meinem Mädgen schencke. Wie meynst du, könnte man nicht, wenn er reüßirte, so was mit Annetten wagen? Apropos, weil ich doch den Nahmen genannt habe und ich mercke daß er viel Stoff zu unsern Briefen geben wird; so muß ich varia supplementa ad hanc paragraphum anfügen: Hr. R. hat das Glück von ihr auf die Dauer geschoren zu werden weil er es nun mercken läßt daß er sich unter ihre Liebhaber rechent. Sie hat darinne eine närrische Manier, sie ist dem Leutenant, auch selbst diesem ganz günstig gewesen, biß sie sich verliebt stellten, hernach wars aus, und es scheint, als obs ihre Freude wäre, ihnen die Köpfe herumzudrehen. Mir selbst macht sie's nicht besser, nur daß sie mir ihre Macht auf eine andre Facon fühlen läßt.


    Auguste, ja das wäre gut, daß ich mich nicht in sie verlieben würde. Aber Teufel ich liebe sie doch recht sehr. Ihr dummer Zettel: Verzeihen Sie die Freiheit einer Ihnen gänzlich unbekandten Person, liegt so gut, als eins der besten Vigliettis in meinem Prachtkasten. Wüste es mein Mädgen. Ventresaintgris! Das würde mir den Kopf voll lärmen.


    Ich bin heute auf der Akademie gewesen, Hr. Graf nebst Hrn. Langer kamen auch. Sie scheinen sehr gut zusammen zu stehen. Ich war schlimmen Humors, und redete nichts, dafür redete der Professor und Langer desto mehr. Er will anfangen zu zeichnen. Er machte mir ein Compliment, eine Fleurette und noch was, ich weiß nicht was auf einmal; aber wie gesagt, ich konnte ohnmöglich viel antworten.


    Der Professor sagte heute zu mir, da ich über einige Schwürigkeiten verdrüßlich war: Seyn sie immer mit ihrem Zeichnen zufrieden, es wird nicht jedem so leicht wie ihnen, es wird schon werden. Das war groses Lob, worüber ich mich sehr freute. Ich will diesen Winter noch manches studieren, und hernach mit dem Märzen etwas nach Dreßden, und etwas an dich schicken. Gute Nacht. Auf den Sonnabend mehr.











    Liebe Grüße Peter

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  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. 2 Nov. 67.
    Daß du vom Sonnabend keinen Brief empfingst, wird dich gewundert haben, ohne wichtige Ursachen unterlasse ich es gewiss nie; aber es war auch eine wichtige Ursache, eine mit der wichtigsten, dem Halsbrechen so verwandte, kurz ich binn vom Pferde gestürzt, oder eigentlicher, ich habe mich vom Pferde gestürzt, da es mit mir, einem sehr ungeschickten Reuter durchging, um es nicht etwa zu einem Schleifen, oder sonstigem Stürzen kommen zu lassen. Das ist ein Paragraf in dem die Figur meines Gehirns modelirt ist, verwirrt, und unzusammenhängend. Es ist eine betäubende Sache um ein großes unverhoftes Glück. Dieses, daß ich nicht den Hals gebrochen habe hat mich glaub ich so im Kopfe schwindelnd gemacht. Aber, Gott sey Danck, ich habe mir keinen Schaden gethan, denn du kannst wohl rahten, das ich ein aufgestoßnes Kinn, eine zerschlagne Lippe, und ein geschellertes Auge nicht unter die großen Schäden rechne. So lange sich mein Mädgen nicht über die Verunzierung dieses Gesichts beschweert, so lang hats gute Weege. Wenn du diese Geschichte auf eine lächerliche Weisse erzält haben willst so laß sie dir von Hornen erzälen. Was aber das allercomischte ist, ist, daß er im Anfang der erschrockenste und beängstigste war.


    Das ist ein trauriger Brief, ein rechter ängstlicher Ton gegen meine launischen, närrischen Briefe. So ist's. Eine Wetterfahne die sich dreht, immer dreht, und seit einiger Zeit da der Wind meist aus Norden kömmt sich weniger dreht, aber doch immer so, daß gerne die Welt aus der Jahrszeit hinaus seyn möchte – Aber Gott versteht mich.


    Meine Liebe laßt dich grüssen, ich liebe sie immer wie steets, sie mich? Ich glaub's einsweilen. Ich lebe nach deiner Vorschrifft so diät, als ein ängstlicher Junger Mensch auf Befehl seines Docktors bey gewissen Vorfallenheiten. Seit dem verfluchten Abend, da wir Schnupftuchsdeserts hatten, habe ich keinen bei ihr zugebracht.


    So leb ich, fast ohne Mädgen, fast ohne Freund, halb elend; noch einen Schritt und ich binns ganz.


    Liebe ist Jammer, aber ieder Jammer wird Wollust, wenn wir seine klemmende, stechende Empfindung die unser Herz ängstigt durch Klagen lindern, und zu einem sanften Kützel verwandlen; ach da geht keine Wollust über den Jammer der Liebe, wenn ein Freund unser Elend hört unsre Tränen sieht, und das was wir davon zu viel haben, gottgleich wegnimmt, und durch Mittleid unsere Wunde heilt; es ist auch Wollust das Jücken einer erst zugeheilten Wunde. Aber kein Krancker kann durch eines unempfindlichen Artztes grausames: es hat nicht viel zu sagen, mehr geängstigt werden, als ein Seelenkrancker durch einen gefühllosen Freund. Ein zurücktretendes Ubel ist das gefährlichste, und es muß zurücktreten, für Schrecken zurücktreten; wenn der Krancke eine warme, sanfte Hand zu fassen hofft und eine kalte, kalte zu fassen kriegt. O das sind Allegorien. Die Einbildungskraft gefällt sich in dem weiten geheimnißvollen Felde der Bilder herumzuschweifen, und da Ausdrücke zu suchen, wenn Wahrheit den nächsten Weg nicht gehen darf oder nicht gerne gehen möchte. Du verstehst mich. Noch einige Sentenzen und du wirst mich ganz verstehn. Treue ist nicht das einzige Erforderniß zu einem Freude. Warum wären Freunde so selten? Einen treuen Freund gefunden haben, heißt einen ehrlichen Mann gefunden haben, und die giebts, sage der Misantrope was er will. Aber Empfindung, ist kein Werck groser, guter Grundsätze, herbey hat sie keiner philosphiert, hinweg die meisten. Sie ist keine Würckung eines guten Herzens, ein Herz kann rechtschaffen fühlen, und doch kalt seyn. Wer einem kalten Herzen warmes Elend vertraut, ist ein Tohr, wie ein Liebhaber, der am Bache ins Schilf klagt, das ihn, statt ihn zu bedauern auszischt.


    Siehst du das meyn' ich, und wollte Auerbachshof wäre nicht leer. Sonst war er ein Zufluchtsort, itzt muß ich in die Feuerkugel fliehen, und, das weißt du, da war ich nie recht zu Hause.





    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Ernst Wolfgang Behrisch


    d. 3 Nov. Morgends.


    Ich hoffe heute auf einen Brief von dir, und da hab ich ihn. Es ist gut daß du wohl bist, und so nah am Himmel. Aber mir ist angst, vor dem Blute des Knaben, es giebt angebohrene Härten, die keine Erziehung keine Güte erweicht; doch so eine Frau könnte einen Teufel zum Engel umschmelzen, von ihr unterstürtzt kannst du alles hoffen. Ich möchte nicht Fürst seyn; er muß sich doch manchmal schämen wenn er seine Gemahlinn bedächtig ansieht, und sich ein paar Jahre zurückerinnert. »O möchte ich doch nie aus deinen Armen gerissen werden, möchte ich doch mein eigner Herr seyn, um jener schröcklichen Verbindung entsagen zu können die durch Interesse und nicht durch Liebe geknüpft ward. O wie hasse ich meine zukünftige Gemahlin, muß mein Herz nicht alles hassen, was mich von Dir entfernt. Sie mag gut seyn, man mag ihr Eigenschafften zuschreiben welche man will, aber sie ist nicht du und in dir nur ist meine Glückseeligkeit. Ich will sie heurahten, ich muß, aber mein Herz soll sie nicht haben, dir soll nichts dieses Herz entreissen, niemand und wenn es ein Engel wäre«. So redete der Fürst noch vor wenigen Jahren, in den Armen seiner Geliebten – hat er nicht so geredet; so nenne mich einen elenden, nichts verstehenden Schulknaben, und hat er das gesagt, so mag ich nicht er seyn um alles. So was, von so einer Frau gesagt zu haben, würde mich toll machen, ich würde mich des Paradieses und meiner Eva unwürdig halten, und mich an den ersten Baum hängen und wenn es der Baum des Lebens wäre.


    So was von Claviere fiel mir neulich schon ein, als du schreibst, du könntest keins kriegen, ich wills überlegen. Morgen geh ich zu Breitkopfs, die verschicken immer Claviere, da will ich fragen was so ein Kasten kostet, und wo man ihn am besten machen lässt, und wie manns am besten transportiert. Es gehen doch wohl oft Fuhrleute dahinüber.


    Mein zerschmissenes Gesicht hält mich zu Hause, sonst kriegtest du so keinen langen Brief. Ich habe dir noch viel zu sagen, wenn sich's nur nicht so langsam schriebe.


    Hr. Langer zeichnet mit auf der Ackademie, es mag ein guter Mann seyn, denn du glaubt's, und hast ihn lieb. Ich weiß nicht ob meine Seele jetzt aller neuen Verbindung geschlossen ist, oder wie's ist, genug er wäre mein Freund nicht. Er hat mir nichts getahn und ich kann ihn nicht leiden. Warum? frage die kleine Fritze, die will ihm auch keine Hand geben, sie weiß so wenig warum als ich. Rahten kann ichs, man liebt den Nachfolger niemals wenn man den Vorfahren geliebt hat; Platzfolge ist immer eine Art von Vertreibung.


    Du wirst über meinen Brief lachen, er ist sehr sententiös. Ich kann mir nicht helfen, ich habe viele gute Gedancken, und kann sie nirgends brauchen als gegen dich. Wäre ich Autor, da würde ich sparsamer seyn, um sie ans Publicum dermaleinst verschwenden zu können.


    Annette und Horn lassen dich grüssen, sie erwarten beyde Briefe, wer mit mehrerem Rechte, das magst du entscheiden. Erwarte auf den Sonnabend wieder einen von mir, denn dieser ist für den vergangnen. Du wirst mir nicht immer so exackt antworten, ich will dirs verzeihen, bist du einmal mehr eingerichtet; kannst du auch etwas gewisses deßwegen einrichten. Hübschmann der jetzige Tertius der Nickelsschule, schickt dir seinen Seegen nach, und bedauert, daß er dir ihn nicht mitgeben können.







    Liebe Grüße Peter

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. 7. Nov. 67.
    Es ist schon sechs, und um 7 geht die Post, aber ich muß dir schreiben. Liebster, es ist Sonnabend und wenn ich nicht schriebe, könntest du dencken mein Fall wäre gefährlicher gewesen als er ist. Ich binn ganz wiederhergestellt, und ich hoffe nicht daß es etwa heimliche Folgen möge gehabt haben. Eine Uhr steht oft nicht gleich stille, trenn wir sie fallen lassen, nach einem halben Jahre bemercken wir manchmal Unrichtigkeiten deren Grund wir nicht einzusehen wissen und – Das sind traurige Betrachtungen, die ich nie, und am wenigsten jetzt machen sollte, da ich komme das größte Glück gehabt zu haben, daß sich ein Mensch von meiner, von Unsrer Empfindung wünschen kann. Ja Behrisch ich habe meine Jetty eine Halbestunde ruhig, ohne Zeugen unterhalten, ein Glück daß ich jetzt manchmal genieße, sonst nie genoß. Diese Hand die jetzt das Papier berührt um dir zu schreiben, diese glückliche Hand drückte sie an meine Brust. O Behrisch es ist Gift in denen Küssen! Warum müssen sie so süse seyn! Sieh' diese Seeligkeit habe ich dir zu dancken. Dir! Deinem Raht, deinen Anschlägen. So eine Stunde! Was sind tausend von den runzlichten, todten, mürrischen Abenden gegen sie? Und diese Stunde bin ich dir schuldig, ich wüßte niemanden dem ich sie lieber schuldig wäre als dir. Gott seegne dich! Ich bete oft für dich wenn ich im Himmel binn, dort binn ich, wenn sie mich in ihren Armen hält. Ich sage mir oft: wenn sie nun deine wäre, und niemand als der Tod dir sie streitig machen, dir ihre Umarmung verwehren könnte? Sage dir was ich da fühle, was ich alles herumdencke – und wenn ich am Ende bin; so bitte ich Gott, sie mir nicht zu geben. Ist je ein Gebet erhört worden, so wirds dieses, und die Erfüllung brauchte – pfuy das ist ein häßlicher gotteslästerlicher Gedancke, ein Gedancke, der das Gebet zu verdrängen gerichtet ist. So geht's im Glück, so lange das mit uns hält, so lange halten wir selten mit unserm Herregott.


    Sieht wie ich ernsthaft geworden binn. Das arrivirt mir oft. Ich habe dir viel über meinen Seelen Zustand zu schreiben, nur jetzt nicht, die Zeit ist zu kurz. Ad varia. Hr. Avenarius hat sich in einem Briefe deiner erinnert und läßt dir es vermelden. Ich bin bey Fritzgen gewesen, die ganz eingezogen geworden ist. So sittsam, so tugendhaft. Ich wette sie verliebt sich in mich, wenn ich noch etlichemal herauskomme faute de quelque chose de mieux. Sie ist abscheulich erber, erber im eigentlichen Verstande. Kein nackend Hälsgen mehr, nicht mehr ohne Schnürbrust, daß es mir ordentlich lächerlich tuht. Sie ist manchmal Sontags alleine zu Hause. Vierzehn Tage Vorbereitung und so ein Sontag sollten die Erberkeit von dem Schlosse wegjagen, und wenn zehen solche Injenieurs zehen solche Halbejahre an der Befestigung gearbeitet hätten. Würcklich Avenarius hat sie etwas besser gemacht das muß ich ihm nachsagen. Könnte ich's aber nur ungestraft tuhn und stünden im Brühle nicht manche Nägel und Stricke parat, wann man so was erführe, so würde ich die affaire des Teufels übernehmen, und das gute Werck zu nichte machen. Kennst du mich in diesem Tone Behrisch? Es ist der Ton eines siegenden iungen Herrn. Und der Ton, und ich zusammen! Es ist komisch. Aber ohne zu schwören ich unterstehe mich schon ein Mädgen zu verf – wie Teufel soll ich's nennen. Genug Monsieur, alles was sie von dem gelehrichsten und fleißigsten ihrer Schüler erwarten können.


    Ich finde bey der Durchlesung den Schluß meines Briefes sehr toll. Ich habe nicht Zeit noch ein Blatt zu nehmen. Gute Nacht.

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Dienstags d. 10 Nov. 67.
    Es ist gut daß ich heute einen Brief von dir gekriegt habe. Sieh ich antworte auch gleich, ob du gleich dieses Blat erst Sonnabends kriegen sollst.


    Abends um 7 Uhr.
    Ha Behrisch das ist einer von den Augenblicken! Du bist weg, und das Papier ist nur eine kalte Zuflucht, gegen deine Arme. O Gott, Gott. – Laß mich nur erst wieder zu mir kommen. Behrisch, verflucht sey die Liebe. O sähst du mich, sähst du den elenden wie er raßt, der nicht weiß gegen wen er raßen soll, du würdest jammern. Freund, Freund! Warum hab ich nur Einen?

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Ernst Wolfgang Behrisch


    Dienstags d. 10 Nov. 67.


    um 8 Uhr.
    Mein Blut läuft stiller, ich werde ruhiger mit dir reden können. Ob vernünftig? das weiß Gott. Nein, nicht vernünftig. Wie könnte ein Toller vernünftig reden. Das bin ich. Ketten an diese Hände, da wüßte ich doch worein ich beissen sollte. Du hast viel mit mir ausgestanden, stehe noch das aus. Das Geschwätze, und wenn dir's Angst wird, dann bete, ich will Amen sagen, selbst kann ich nicht beten. Meine – Ha! Siehst du! Die ist's schon wieder. Könnte ich nur zu einer Ordnung kommen, oder käme Ordnung nur zu mir. Lieber, lieber.


    Horn war da, ich hatte ihn herbestellt mir etwas vorzulesen, ich habe ihn abweisen lassen, er glaubt ich liege im Bette. Der muß mich nicht stören wenn ich mit dir rede. Er ist ein guter Junge, aber wenn's auf's stören ankömmt, da ist er ein Meister drinne. – Tausend Sachen, und nicht die rechte. – O Behrisch. Behrisch! Mein Kopf.


    Ich habe mir eine Feder geschnitten um mich zu erholen. Laß sehen ob wir fortkommen. Meine Geliebte! Ab sie wird's ewig seyn. Sieh Behrisch in dem Augenblicke da sie mich rasen macht fühl ich's. Gott, Gott warum muß ich sie so lieben. Noch einmal angefangen. Annette macht – nein nicht macht. Stille, stille, ich will dir alles in der Ordnung erzählen.


    Am Sonntage, ging ich nach Tische zu Docktor Hermann, und kehrte um drey zu Schönkopfs zurück. Sie war zu Obermanns gegangen ich wünschte mich zum erstenmale in meinem Leben hinüber, wußte aber kein Mittel, und entschloß mich zu Breitkopfs zu gehen. Ich ging, und hatte oben keine Ruhe. Kaum war ich eine Viertelstunde da, so sagt' ich der Mamsell, ob sie nichts an Obermanns wegen der Minna zu bestellen hätte. Sie sagte nein. Ich insistirte. Sie meynte, ich könnte da bleiben, und ich, daß ich gehen wollte. Endlich, von meinen Bitten erzürnt schreib sie ein Billiet an Mamf. Obermann gab mir's und ich flog hinunter. Wie vergnügt hoffte ich zu seyn. Weh ihr! Sie verdarb mir diese Lust. Ich kam. Mams. Obermann erbrach das Billiet, es enthielt folgendes: »Was sind die Manspersonen für seltsame Geschöpfe. Veränderlich, ohne zu wissen warum. Kaum ist Hr. Goethe hier so giebt er mir schon zu verstehen daß ihm Ihre Gesellschafft lieber ist als die meinige. Er zwingt mich ihn etwas aufzutragen und wenn es auch nichts wäre. So böse ich auch auf ihn deßwegen binn, so weiß ich ihm doch Danck, daß er mir Gelegenheit giebt Ihnen zu sagen, dass ich beständig sey
    Die Ihrige.«


    Mamsell Obermann nach dem sie den Brief gelesen hatte versicherte mir daß sie ihn nicht verstünde, mein Mädgen laß ihn und anstatt daß sie mich für mein Kommen belohnen, mir für meine Zärtlichkeit dancken sollte, begegnete sie mir mit solchem Kaltsinn daß es der Obermann so wohl, als ihrem Bruder mercklich werden mußte. Diese Aufführung die sie den ganzen Abend, und den ganzen Montag fortsetzte verursachte mir solches Aergerniß, daß ich Montags Abends in ein Fieber verfiel, das mich diese Nacht mit Frost und Hitze entsetzlich peinigte, und diesen ganzen Tag zu Hause bleiben hieß – Nun! O Behrisch, verlange nicht daß ich es mit kalten Blute erzähle. Gott. – diesen Abend schicke ich hinunter, um mir etwas holen zu lassen. Meine Magd kommt und bringt mir die Nachricht, daß Sie mit Ihrer Mutter in der Commödie sey. Eben hatte das Fieber mich mit seinem Froste geschüttelt, und bey dieser Nachricht wird mein ganzes Blut zu Feuer! Ha! In der Comoedie! Zu der Zeit da sie weiß daß ihr Geliebter kranck ist. Gott. Das war arg; aber ich verzieh's ihr. Ich wußte nicht, welch Stück es war. Wie? sollte sie mit denen in der Comödie seyn. Mit denen! Das schüttelte mich! Ich muß es wissen. – Ich kleide mich an und renne wie ein toller nach der Comödie. Ich nehme ein Billiet auf die Gallerie. Ich bin oben. Ha! ein neuer Streich. Meine Augen sind schwach, und reichen nicht biß in die Logen. Ich dachte rasend zu werden, wollte nach Hause laufen, mein Glas zu holen. Ein schlechter Kerl, der neben mir stand riß mich aus der Verwirrung, ich sah daß er zwey hatte, ich bat ihn auf das höflichste, mir in's zu borgen, er taht's. Ich sah hinunter, und fand ihre Loge – Oh Behrisch –


    Ich fand ihre Loge. Sie saß an der Ecke, neben ihr ein kleines Mädgen, Gott weiß wer, dann Peter, dann die Mutter. – Nun aber! Hinter ihrem Stuhl Hr. Ryden, in einer sehr zärtlichen Stellung. Ha! Dencke mich! Dencke mich! auf der Gallerie! mit einem Fernglaß – das sehend! Verflucht! Oh Behrisch, ich dachte mein Kopf spränge mir für Wuht. Mann spielte Miss Sara. Die Schulzen machte die Miss, aber ich konnte nichts sehen, nichts hören. meine Augen waren in der Loge, und mein Herz tanzte. Er lehnte sich bald hervor, daß das kleine Mädgen das neben ihr saß nichts sehen konnte. Bald trat er zurück, bald lehnte er sich über den Stuhl und sagte ihr was, ich knirschte die Zähne und sah zu. Es kamen mir Tränen in die Augen, aber sie waren vom scharfen Sehen, ich habe diesen ganzen Abend noch nicht weinen können. – Hernach dacht ich an dich, ich schwöre es dir, an dich, und wollte nach Hause gehen, und dir schreiben, und da hielt mich der Anblick wieder, und ich blieb. Gott, Gott! Warum mußte ich sie in diesem Augenblicke entschuldigen. Ja das taht ich. Ich sah wie sie ihm ganz kalt begegnete, wie sie sich von ihm wegwendete, wie sie ihm kaum antwortete, wie sie von ihm importunirt schien, das alles glaubte ich zu sehen. Ah mein Glas schmeichelte mir nicht so wie meine Seele, ich wünschte es zu sehen! O Gott und wenn ich's würcklich gesehen hätte, wäre Liebe zu mir nicht die letzte Ursache, der ich dieses zuschreiben sollte.


    Es schlägt neune, nun wird sie aus seyn die verdammte Comoedie. Flucht auf sie. Weiter in meiner Erzählung. So saß ich eine Viertelstunde und sah nichts als was ich in den ersten fünf Minuten gesehen hatte. Auf einmal faßte mich das Fieber mit seiner ganzen Stärcke, und ich dachte in dem Augenblicke zu sterben; ich gab mein Glaß an meinen Nachbaar, und lief, ging nicht aus den Hause – und binn seit zwey Stunden bey dir. Kennst du einen unglücklicheren Menschen, bey solchem Vermögen, bey solchen Aussichten, bei solchen Vorzügen, als mich, so nenne mir ihn und ich will schweigen. Ich habe den ganzen Abend vergebens zuweinen gesucht, meine Zähne schlagen an einander, und wenn man knirscht, kann man nicht weinen.


    Wieder eine neue Feder. Wieder einige Augenblicke Ruhe. O mein Freund. Schon das dritte Blat. Ich könnte dir tausend schreiben, ohne müde zu werden. Ohne fertig zu werden. Welcher Elender hat sich je satt geklagt.


    Aber ich liebe sie. Ich glaube ich träncke Gift von ihrer Hand. Verzeih mir Freund. Ich schreibe warlich im Fieber, warrlich im Paroxismus. Doch laß mich schreiben. Besser ich lasse hier meine Wuht aus, als daß ich mich mit dem Kopf wider die Wand renne.


    Ich habe eine Viertelstunde auf meinem Stuhle geschlafen. Ich binn würcklich sehr matt. Aber das Blatt muß diesen Abend noch voll werden. Ich habe noch viel zu sagen. Wie werde ich diese Nacht zu bringen? dafür graut's mir. Was werde ich morgen tuhn? das weiß ich. Ich werde ruhig seyn biß ich ins Hauß trete. Und da wird mein Herz zu pochen anfangen, und wenn ich sie gehen oder reden höre, wird es stärcker pochen, und nach tische wird' ich gehen. Seh ich sie etwa, da werden mir die Tränen in die Augen kommen, und werde dencken: Gott verzeih dir wie ich dir verzeihe, und schencke dir alle die Jahre, die du meinem Leben raubst; das werde ich dencken, sie ansehen, mich freuen daß ich halb und halb glauben kann daß sie mich liebt, und wieder gehen. So wird`s seyn morgen, übermorgen, und immer fort.


    Sieh Behrisch, die Sara sah ich einmal mit ihr. Wie unterschieden von heute. Es waren ebendieselben Scenen, eben die Acteurs, und ich konnte sie heute nicht ausstehn. Ha! alles Vergnügen liegt in uns. Wir sind unsre eigne Teufel, wir vertreiben uns aus unserm Paradiese.


    Ich habe wieder geschlafen, ich binn sehr matt. Wie wird's morgen seyn. Mein armer Kopf dreht sich. Morgen, will ich ausgehen, und sie sehn. Vielleicht hat ihre ungerechte Kälte gegen mich nachgelassen. Hat sie's nicht so binn ich gewiss, einen gedoppelten Anfall von Fieber morgen abend zu kriegen. Es sey! Ich binn nicht mehr Herr über mich. Was taht ich neulich als ich von meinem unbändigen Pferde weggerissen ward? Ich konnte es nicht einhalten, ich sah meinen Todt, wenigstens einen schröcklichen Fall vor Augen. Ich wagt' es, und stürzte mich herunter. Da hatte ich Herz. Ich binn vielleicht nicht der herzhafteste, binn nur gebohren in Gefahr herzhaft zu werden. Aber ich binn jetzt in Gefahr, und doch nicht herzhaft. Gott! Freund! weißt du was ich meyne? Gute Nacht. Mein Gehirn ist in Unordnung. O wäre die Sonne wieder da! Unzufriedenheit! Ich weiß warrlich nicht mehr was ich schreibe.

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Ernst Wolfgang Behrisch


    Dienstags d. 10 Nov. 67.


    Mittwochs früh.


    Ich habe eine schröckliche Nacht gehabt. Es träumte mir von der Sara. O Behrisch, ich bin etwas ruhiger, aber nicht viel. Ich werde sie heute sehen. Wir probieren unsre Minna bey Obermanns und sie wird drüben seyn. Ha, wenn sie fortführe sich kalt gegen mich zu stellen! Ich könnte sie strafen. Die schröcklichste Eifersucht sollte sie quälen. Doch nein, nein, das kann ich nicht.


    Abends um 8.


    Gestern um diese Zeit, wie war das anders als jetzt. Ich habe meinen Brief wieder durchgelesen und würde ihn gewiß zerreissen, wenn ich mich schämen dürfte, vor dir in meiner eigentlichen Gestalt zu erscheinen. Dieses heftige Begehren, und dieses eben so heftige Verabscheun, dieses Rasen und diese Wollust werden dir den Jüngling kentlich machen, und du wirst ihn bedauern.


    Gestern machte das mir die Welt zur Hölle, was sie mir heute zum Himmel macht – und wird so lange machen, biß es mir sie zu keinem von beyden mehr machen kann.


    Sie war bey Obermanns und wir waren eine viertelstunde allein. Mehr braucht es nicht um uns auszusöhnen. Umsonst sagt Schäckespear Schwachheit dein Nahme ist Weib, eh würde man sie unter dem Bilde des Jünglings kennen. Sie sah ihr Unrecht ein, meine Kranckheit rührte sie und sie fiel mir um den Hals, und bat mich um Vergebung, ich vergab ihr alles. Was hätte ich zu vergeben, in Vergleich des was ich ihr in diesem Augenblicke vergeben haben würde.


    Ich hatte Stärcke genug ihr meine Narrheit mit der Comödie zu verbergen. Siehst du, sagte sie, wir waren gestern in der Comödie, du mußt darüber nicht böse seyn. Ich hatte mich ganz in die Ecke der Loge gerückt, und Lottchen neben mich gesetzt, daß er ja nicht neben mich kommen sollte. Er stand immer hinter meinem Stuhle, aber ich vermied so viel ich konnte mit ihm zu reden, ich plauderte mit meiner Nachbarinn in der nächsten Loge, und wäre gern bey ihr drüben gewesen. – O Behrisch, das alles, hatte ich mir gestern überredet, daß ich es gesehn hätte und nun sagte sie es mir. Sie! Um meinen Hals gehangen. Ein Augenblick Vergnügen ersetzt tausende voll Quaal, wer möchte sonst leben, mein Verdruß war vorbey, ein vergangenes Ubel ist ein Gut. Die Erinnerung überstandener Schmerzen, ist Vergnügen. Und so ersetzt! mein ganzes Glück in meinen Armen. Die schöne Schaam, die sie ohngeachtet unsrer Vertraulichkeit so oft ergreift, daß die mächtige Liebe, sie wider das Geheiß der Vernunft in meine Arme wirst; die Augen die sich zu drücken, so oft sich ihr Mund auf den meinigen drückt; das süße Lächeln in den kleinen Pausen unsrer Liebkosungen, die Röhte, die Schaam, Liebe, Wollust, Furcht, auf die Wangen treiben, dies zitternde Bemühen sich aus meinen Armen zu winden, das mir durch seine Schwäche zeigt, daß nichts als Furcht sie je herausreissen würde. Behrisch, das ist eine Seeligkeit, um die man gern ein Fegfeuer aussteht. Gute Nacht, mein Kopf schwindelt mir wie gestern, nur von was anders. Mein Fieber ist heute ausgeblieben, so lang es so gutes Wetter bleibt wird es wohl nicht wieder kommen. Gute Nacht.


    Freytags um 11. Nachts.


    Mein Brief hat eine hübsche Anlage zu einem Werckgen, ich habe ihn wieder durchgelesen, und erschröcke vor mir selbst. Ich weiß nicht warum ich jetzt schreibe. Gute Nacht. Es war nur um dir gute Nacht zu sagen.


    Sonnabends.


    Ich hoffe daß dieses das letzte Blat seyn wird. Noch einige Punckte, auf deinen Brief.


    Von Augusten ist noch kein Brief da. Das gute Mädgen. Wäre sie hier, ich wollte sie trösten. Trösten, im eigentlichen Verstande. Sieh, ich habe sie lieb, ob ich gleich ihr zu Liebe nicht das Fieber kriege. Guter Junge, ich will sie noch sehen. Sie wird wohl so gut seyn und warten biß ich nach Dreßden komme, und geht sie nach Eulenburg; so geb ich mich für einen Stud. Theol. aus und besuche den Papa. Ach ich bin sehr närrisch.


    Ich will dir wohl das Clavier geben, doch ich tuh's hinter meinem Vater, und da ists gefährlich. Wegen des Preises, weist du schon wie ich dencke, ist eine Sache mein, und mein Mädgen oder mein Freund feilscht drum so ist sie gewiß um den wohlfeilsten Anschlag zu haben. Unsre Väter dencken anders. Sie lassen sich für die Sprichwörter totschlagen, Handel leidet keine Freundschaft! Das dumme Ding hat gewiß ein Mäckler erfunden, oder ein Jude erfunden. Du siehst also was ich da tuhn kann, wenn ich etwas verkaufe das nicht mein gehört. Wenn ich dir's noch gebe, wie ich hoffe, so ist dein Gebot gut, und mit dem Zahlungs Termin hat's auch keine Eile.


    Hr. Steiger ist sehr böse auf dich, und auf alles was dich liebt, er giebt dich von ganzem Herzen zum Teufel, weil du so unfreundschaftlich handeln, und weggehen können, ohne dich freundschaftlich, in seinen freundschaftlichen Armen, seiner Freundschaft zu empfehlen.


    Annette grüßt dich. Ich dencke, nun hörte ich auf, Zwey Bögen. Lieber Gott was für ein Geschreibe. Ich hab's wieder durchgelesen, und glaube, daß es dich von jedem Fremden divertiren würde, allein deinen Freund wirst du bedauern. Es ist wahr ich bin ein großer Narr, aber auch in guter Junge, Annette meynts, meynst du es nicht auch.

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. 20 Nov. 1767.


    Einen launischen Abend Behrisch! Sollte ich ihn nicht anwenden an dich etwas zu schreiben. Morgen ist Brieftag. Ich bin heute schon Zwölf Stunden dumm. Dein Brief ist ein guter Brief, ich habe Hornen einige Nutzanwendungen daraus vorgelesen, und er meynt, wenn ich immer dem was du gesagt, gefolgt hätte, und immer dem was du schreibest folgte; so könnte ich einer von den glücklichsten Menschen werden. Ich fühle der Junge redet wahr und doch kann ich weder dir noch ihm folgen. Mittlerweile etwas zur Geschichte des Herzens. Wir haben oft geredet, warum sie mich lieben möchte? Wir haben viel Stolz in ihren Bewegursachen zu finden geglaubt, was meynst du daß folgende Bemerckung bewieße. Seit einiger Zeit da ich sie des Abends nicht sehen konnte hat sie mir zwar alle Zärtlichkeit bezeigt, ist unruhig gewesen wenn ich einmal des Nachmittags nicht kam; allein sie plagte mich mit gar keiner Eifersucht, mit keinem Zweifel, das hieß, die Heftigkeit der Liebe hatte gegen sonst viel nachgelassen. Seit 4 Wochen, da sich die Geschichte mit der Minna angesponnen hat, da ich öftrer zu Obermanns zu Breitkopfs komme, ist das Feuer wieder mit aller Heftigkeit ausgebrochen. Eine Eifersucht die oft biß zur Wuht geht, ein Argwohn, ein Neid der biß dahin geht daß sie nicht erfahren darf daß ich eine Hand geküßt habe, macht sie und mich elend. Es ist wahr sie ist seit etlichen Tagen unendlich elend, und das Mitleiden das ich mit ihr habe macht daß ich soviel Geduld habe. Was meynst du Behrisch sollte es nicht bloser Stolz seyn, daß sie mich liebt. Es vergnügt sie einen stolzen Menschen wie ich bin an ihrem Fusschemel angekettet zu sehen. Sie hat weiter nicht auf ihn acht so lang er ruhig liegt, will er sich aber loßreisen, dann fällt er ihr erst wieder ein, ihre Liebe erwacht wieder mit der Aufmercksamkeit.

  • Zitat

    Original von pbrixius
    An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. 20 Nov. 1767.


    Sonnabends.


    Der Brief muß heute fort und ich habe nicht grosen Trieb zum Schreiben. Apropos wenn du mein Schäferspiel sehen solltest, du würdest es nicht mehr kennen, es sind nicht hundert Verse stehen geblieben, alles umgeschmolzen. Bald wird es ganz performirt seyn. Ich habe ein neues Lustspiel angefangen, der Tugendspiegel betittelt, in einem Ackt in Prosa.


    Minna von Barnhelm ist zweymal auf dem Kochischen Theater seit ehe vorgestern aufgeführet worden, und hat sich fürtrefflich ausgenommen. Ich habe einen Brief von meiner Schwester gekriegt davon ich dir nächstens ein excerptum schicken will, er enthält wieder ganz sonderbaare Dinge.


    Mein Mädgen ist mit der Breitkopfen bekannt geworden, und haben einander sehr lieb gewonnen. Das närrischte ist die Art womit mir die Breitkopf erklärte daß sie Annetten gut wäre. Ich will dir sie erzälen. An einem Abende da ich bey Breitkopfs war schien sie mir etwas zu sagen zu haben, woran sie die Gegenwart der Brüder hinderte, ich schaffte sie fort, und sie fing mit etwas Verwirrung an: »Ich habe bemerckt, daß Sie immer schlimm and niemals gut von Frauenzimmern geredet haben«. Ich verteidigte mich mit launischen Einfällen, doch sie fuhr fort: »Das hat mich auf die Gedancken gebracht daß Sie gar kein gutes Mädgen kennten; allein ich binn überzeugt daß Sie welche kennen«. Ich fuhr in meinem ersten Tone fort, und wir wurden unterbrochen. Beym Abschied kriegte sie mich bey der Hand und zog mich bey Seite. »Ich habe Ihnen einen Auftrag zu geben«, sagte sie »wollen Sie ihn ausrichten« – »Recht gerne – nun so sagen Sie Mdll. Schönkopf daß ich sie recht herzlich liebe, und daß ich recht böß auf Sie binn, daß Sie mir nie ein Wort gesagt haben was für ein liebenswürdiges Frauenzimmer sie ist –«


    Ich ging. Adieu. Was denckst du hiervon. O ich hätte dir noch viel zu sagen.

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. 27 Novemb. 67.


    So viel ich jetzo wegen der morgenden Aufführung der Minna zu tuhn habe, will ich doch ein Blätgen an dich ausarbeiten.

    Im Frieden werden die Zeitungen kleiner, wie nach der Messe die Tohrzettel, und wie meine Briefe nach einer ruhigen Woche. Wir haben würcklich diese Woche in einem dummen Frieden gelebt. Hinfüro wirst du immer wünschen kurze Briefe zu empfangen.


    Annette wird morgen Bey der Vorstellung seyn, binn ich darum gebessert? Die nächste Woche erwarte ich ein ewiges Genecke; denn die Obermann wird Hannchen und ich Micheln zum Nachspiele machen. Doch ich will nach deinen Nutzanweisungen bey der Sache verfahren. Um von was andern, aber doch nicht ganz unterschiedenen zu reden schicke ich dir eine Scene aus dem Tugendspiegel.


    Erster Auftritt.


    Melly. Dodo, am Fuße eines
    Baums sitzend. Nacht.


    M. Schweig von ihr!
    D. Dir einen rechten Possen zu spielen, möcht' ich fast. Topp, laß es uns versuchen, und wenn wir nicht gleich schlafen wenn wir von ihr schweigen, so will ich in meinem Leben kein Auge wieder zutuhn.
    M. Eben als wenn in der Welt sonst nichts zu reden wäre.
    D. Zu reden wohl, nur nicht für uns. Nelly ist seit einem Jahre deine Hauptleidenschafft und unser Hauptgespräch, alles andre was uns in Sinn kommen konnte, ware wie kleine Bächelgen die am Ende doch in den großen Fluß liefen.
    Als Kaufleute redeten wir zwar oft von unserm Handel, das war wohl eins.
    M. Und von unsern Waaren, zwey.
    D. In meinem Lande gehören die Waaren zum Handel. Du schienst sie nicht dazu zu rechnen, man sahs aus deinem Verschencken aus deiner Wirthschaft.
    M. Leider.
    D. Aber Wahrheit behauptet ihr Recht. Es ist kein Handel ohne Waaren, dein Unglück –
    M. Freund rede von deinem! Meins wäre mir erträglich hätte ich nicht deins hinzugehäuft. deine Edelmuht für mich gutzusagen –
    D. Reut mich nicht,
    M. Da sie dich doch ins Verderben riß, da sie dich mit mir zu fliehen Zwang, dich nötigte mein Elend zu teilen,
    D. Und mich auf diese Art glücklich machte.
    M. Edler Freund.
    D. Nicht so edel wie du denckst. Was brauchte es Uberwindung mich mit dir zu Verbannen, da ich entfernt von dir Mitten in meiner Vaterstadt verbannt gewesen wäre.
    M. Du suchst mich zu entschuldigen, um mir verzeihen zu können. Du kannst's aber nie werde ich der vergeben, die Schuld an unserm Elende war.
    D. Meynst du Nelly? Da ist sie wieder, sagt ich's nicht. und Nelly war an deinem Unglücke nicht Schuld. Diese Feste die du gabst, diese Bälle die du anstelltest –
    M. Stellte ich sie nicht für Sie an, gab ich sie nicht für Sie. Ich erschöpfte mich weil ich sie liebte.
    D. Sage närrisch liebte, und du wirst recht haben. Nelly liebte das Vergnügen und dich. Diese letzte Neigung steets zu unterhalten glaubest du es nohtwendig, der ersten beständige Nahrung zugeben. Darinne war's versehn, du rouinirtest dich ohne Nutzen. Wie oft habe ich sie beobachtet, wenn du von liebe Truncken, Sie nicht beobachten konntest. Sie hatte ein gutes Herz. Der Gedancke dich zu verderben, vergiftete ihr oft den Genuß des Aufwands den du machtest.
    M. Warum litt sie ihn.
    D. Anfangs aus Leichtsinn, Wollust und Stolz, Hernach aus Gefälligkeit, und zuletzt aus Gewohnheit. Weniger glänzende Vergnügen würden länger gedauert, sie zufriedner und dich glücklicher gemacht haben.
    M. Du irrst Lärmende Freude war ihr unentbehrlich.
    D. Nachdem du sie unentbehrlich gemacht hattest. Ein Liebhaber sollte gegen seine Geliebte so spaarsam mit Geschencken seyn, als sie gegen ihn mit Gunstbezeugungen seyn soll. Man erweitert sich den Magen vom vielen Essen.
    |: Die Fortsetzung nächstens :|

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. 4. Dec. 1767.


    Hören Sie nur Mosier Behrisch wenn Sie hinführo mich solange warten lassen, und mir hernach so ein miserables Briefgen schicken; so werde ich mich revangieren, und meine sonnabendliche Postreuter, besonders bey jetzigem Schneegestöbere spaarsamer ausschicken. Ich schreibe da eine Scene, |: wenigstens ein Stück davon :| mit vieler Mühe ab, und zu allem Dancke vergleicht sie der Herr mit dem Medon. Nun wahrhaftig du sollst weder das übrige von dieser Scene noch das ganze Stück zu sehen kriegen, wenns fertig ist. Hätte ich Kinder, und einer sagte mir: sie sehen diesem oder jenem ähnlich, ich setze sie aus wenn's wahr wäre, und wär es nicht wahr so sperrte ich sie ein; alle meine Scenen will ich verbrennen wenn sie dem Medon ähnlich sehen. Hiermit wär's also alle und ich behalte meine Comödie für mich.


    Ehe ich aus Leipzig gehe mache ich ein Legat, daß Medon alle Jahre auf meinen Geburtstag umsonst gespielt werden soll.


    Hier schicke ich dir mein letztes Gedicht. Ich halte es für gut, und es soll in den zweyten Teil meiner Wercke kommen. Höre, ich will dir mit dem Claviere ein Reißzeug schicken, schreibe mir doch die Oden an dich und das kleine Hochzeitgedicht und dieses auf die Lagen ab, die du noch drüben hast. Hübsch, aber ohne Vignetten, nur mit bloßen Strichelgen. Der Kasten zum Claviere soll 1: 8 gr. kosten. Du sagtest mir ja einmal was von Fuhrleuten die du kenntest, schreibe mir, was du weißt.


    Ich habe seit deiner Abreiße sonst gar nichts gemacht. Mein Schäferspiel liegt gar, ob es gleich ziemlich fertig ist, und mir an einigen Stellen selbst gefällt.


    Was macht Auguste? Ich binn willens ihr den zweyten Teil zu dediciren, und ihn nach ihrem Nahmen zu nennen, ich liebe das Mädgen recht sehr.


    Hr. Langer, der mich heute früh auf der Academie peremtorie invitirt hat ihn zu Anfang der andern Woche zu besuchen, lässt dir sagen: er werde dir den nächsten Posttag schreiben, weil es Zeit erfordre deinen Auftrag auszurichten.


    Von Zerbster Bier weiß man auf dem Rahtskeller gar nichts, so wenig als man darauf von gutem Biere weiß. Ubrigens kriegt man es jetzo in Leipzig höchstens nur par rencontre, und für diesesmal kann ich keinen ausfündig machen der es hätte


    Schreibe mir doch etwas wie es in Dessau dir geht. Ich schreibe dir immer so viel von mir, und du schreibst mir gar nichts von dir. Ich glaube gar du bist in Dessau vornehm geworden. Es ist wahrscheinlich. Wenigstens lässest du mich gar keinem Anteil an deinem Schicksaal nehmen, und mich muhtmasen daß du eben so wenig, an meinem nimmst. Wenn ich alle deine Briefe an mich durchsehe; so finde ich wenig, oder nichts von deinem Zustande das du nicht eben so gut jedem Fremden hättest schreiben können. Freylich mag dein Briefwechsel mit Langern interessanter seyn. Er hütet sich zwar sehr mir was davon zusagen, aber Ein Wort, Zwey Worte und ich habe genug eine ganze Reihe zu rahten. Es ist gut wenn man zwey Freunde in einer Stadt hat, wo es manchmal was zu bestellen giebt, der eine besorgt die wichtigen Angelegenheiten und der andre das Zerbster Bier; und so hat jeder in seinem Departement seine Aufträge. Sie richten sich nun natürlicher Weise nach der Fähigkeit der Personen, Und nicht etwa pp.


    Noch so einen ganzen Bogen würde ich voll schreiben wenn ich an mein Mädgen schriebe; aber gegen dich will ich barmherziger seyn. Daß ich böse binn, kannst du aus dem was ich geschrieben habe schon sehen; warum ich böse binn wirst du auch sehen, und halb auch nicht, denn halb weiß ich es selbst nicht. Ich binn nun in einer übeln, sehr übeln Laune. Jeden andern Tag würde ich vielleicht anders geschrieben haben. Auch gut so. Was geschrieben ist ist geschrieben. Lebe wohl und liebe mich.

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  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. 15. Dec. 1767.


    Das war nun doch einmal ein vernünftiger Brief, und der erste gescheute den ich von dir gekriegt habe, ich will dir auch antworten weil ich in guter Laune binn, und das Wetter ist jetzt recht sehr veränderlich. Daß dir's wohl geht ist mir lieb, es könnte zwar besser seyn, aber bey wem könnte es nicht besser seyn


    Ich binn bey Langern gewesen, es mag ein guter Mann seyn, und den Unterschied zwischen deinem und seinem Charackter zu fühlen, darf man nur die Art sehn wie er deine Stube meublirt hat. Ubrigens ist seine Wirthschafft recht gut eingerichtet. Es ist bald sechse ich habe den Brief zu lange liegen lassen nun muß ich eilen.


    Du brauchst mir nun so balde nicht zu antworten, wenn du Zeit haben wirst, wird es gut seyn. Hättest du nur immer einige Erinnerungen über das Gedichte geschrieben, du weißt ja daß sie mir immer lieb sind.


    Aber die Apostrophe F**. muß stehen bleiben da kann ich dir nicht helfen. Es ist auch eine übertriebne Delicatesse von dir daß du sie ausstreichen willst. Den weiteren Verlauf der Scene sollst du bald haben.


    Der Kasten zum Claviere ist fertig und kostet 1. 8 gr. weiter ist es nicht nötig es einzuballiren sagt Breitkopf, schicke nun her wann du willst.
    Adieu es ist Nacht. Künftige Woche mehr.

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. [ 22.?] Decemb. 67.
    Du kriegst heute wieder einen kleinen Brief, doch besser einen kleinen als gar keinen. Der zweyte Feyertag wird durch die zweytmalige Vorstellung der Minna verkläret werden, darauf wird Ball seyn, und das alles bey Obermanns Ich wünschte dich herüber, es ist doch immer drollig genug. Hr. Langer hat mich um ein Billet eventualiter gebeten, ich kann ihm aber keins schaffen, denn es ist nicht darauf angelegt. Es werden viele Zuschauer daseyn, und unsers Tellheims letzter Tag ist angebrochen; er ist sterblich in seine Minna verliebt, Gott helf ihm aus dieser Noht.


    Das Clavier steht mir im Wege, lass es bald wegschaffen. Ehstens sollst du den Tugendspiegel und vielleicht noch ein andres Lustspiel kriegen. Gott seegne dich.

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    Leipzig d. Merz 1768.


    Wenn dir an einem Briefe von mir etwas gelegen war, so tahtest du wohl zu schreiben, denn du hättest gewiss lange warten sollen. Doch du hast lange gewartet; aber Kind, weisst du denn warum? Ein schönes Compliment vom Docktor deinem Bruder und vom Prinzen dem kleinen. Nicht wahr das hättest du nie vermuhtet, ich binn in Dreßden gewesen, auf zwölf Tage, die Gallerie zu sehen, die habe ich gesehen, was man gesehen heisst. Deine Brüder sind wohl, und haben mich wohl bewirthet. Dresden ist ein Ort, der herrlich ist, und wenn mirs erlaubt wäre ein kleines Supplement daran zufügen, so wünschte ich mich nie heraus.


    Viel Mühe und Jammer kostete es mich Augusten auszufragen, und nach vieler Mühe erfuhr ich daß sie fort war, das war dumm.


    Könnte man nicht erfahren wer das alberne Heurahtsprojekt ausgedacht hat, und was das für ein jämmerlicher Ton ist in dem du mit Augusten stehst.


    Was macht Annette? Ey, ey! Giebts eine Annette in der Welt? Weisst du's auch noch? ich dächte du hättest es längst vergessen, wenigstens hast du in 3 guten Monaten nichts nach ihr gefragt, und ich binn auch so höflich gewesen dir nichts von ihr zu schreiben.


    Gut wenn du es wissen willst wie es mit uns steht, so wisse. Wir lieben einander mehr als jemals ob wir einander gleich seltner sehen. Ich habe den Sieg über mich erhalten sie nicht zu sehen, und nun dacht ich gewonnen zu haben, aber ich bin elender als vorher, ich fühle daß die Liebe sich selbst in der Abwesenheit erhalten wird. Ich kann leben ohne sie zu sehen, nie, ohne sie zu lieben. Allen Verdruß den wir zusammen haben mache ich. Sie ist ein Engel, und ich binn ein Narr.


    Höre Behrisch, ich kann ich will das Mädgen nie verlassen, und doch muss ich fort, doch will ich fort; Aber sie soll nicht unglücklich seyn. Wenn sie meiner wehrt bleibt, wie sie's jetzt ist! Behrisch! Sie soll glücklich seyn. Und doch werd' ich so grausam seyn, und ihr alle Hoffnung benehmen. Das muss ich. Denn wer einem Mädgen Hoffnung macht, der verspricht. Kann sie einen rechtschaffnen Mann kriegen, kann sie ohne mich glücklich leben, wie fröhlich will ich seyn. Ich weiß was ich ihr schuldig binn, meine Hand und mein Vermögen gehört ihr, sie soll alles haben was ich ihr geben kann. Fluch sey auf dem, der sich versorgt eh das Mädgen versorgt ist, das er elend gemacht hat. Sie soll nie die Schmerzen fühlen, mich in den Armen einer andern zu sehen, biß ich die Schmerzen gefühlt habe, sie in den Armen eines andern zusehen, und vielleicht will ich sie auch da mit dieser schröcklichen Empfindung verschonen. Es ist sehr verworren was ich geschrieben habe, aber du magst dich heraus dencken. Du kennst mich.
    Schicke mir doch mein Büchlein Annette mit der nächsten Post. Du brauchst es doch nicht, und ich habe wieder an den Gedichten geändert und neue gemacht. Streiche in dem Gedichte Der wahre Genuß das strittige Wort aus, und setze Freund dafür.
    Mein Schäferspiel hat schröckliche Correckturen gelitten, und ist seiner Endigung nah. Du sollsts auch haben. Wenn du geschickt bist sollst du bald wieder einen Brief kriegen. Adieu.

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    d. 26 Apr. 1768.
    Lange nicht geschrieben Behrisch, lange nicht, und doch immer ebenderselbe wie ich war. Siehe ich habe dich noch so lieb als ich dich hatte und Netten noch so lieb als ich sie hatte, mehr noch beyde wenn ich die Wahrheit sagen soll, denn stärcker ist eine Leidenschafft wenn sie ruhiger ist, und so ist meine. O Behrisch ich habe angefangen zu leben! Daß ich dir alles erzählen könnte! Ich kann nicht, es würde mich zu viel kosten. Genug sey Dirs, Nette, ich, wir haben uns getrennt, wir sind glücklich. Es war Arbeit, aber nun sitz ich wie Herkules, der alles getahn hat, und betrachte die glorreiche Beute umher. Es war ein schröcklicher Zeitpunckt biß zur Erklärung, aber sie kam die Erklärung und nun – nun kenn ich erst das Leben. Sie ist das beste, liebenswürdigste Mädgen, nun kann ich dir schwören, daß ich nie nie aufhören werde das für sie zu fühlen was das Glück meines Lebens macht, das zu dencken was ich dir neulich geschrieben habe, und das zu wollen. Behrisch, wir leben in dem angenehmsten freundschafftlichsten Umgange, wie du und sie; keine Vertraulichkeit mehr, nicht ein Wort von Liebe mehr, und so vergnügt, so glücklich, Behrisch sie ist ein Engel. Es sind heute zwey Jahre daß ich ihr zum erstenmal sagte, daß ich sie liebte, Zwey Jahre Behrisch und noch. Wir haben mit der Liebe angefangen und hören mit der Freundschafft auf. Doch nicht ich. Ich liebe sie noch, so sehr, Gott so sehr. O daß du hier wärest, daß du mich trösten, daß du mich lieben könntest. Ich käme gern zu dir, recht gerne; aber deine Umstände, sie sind nicht vortheilhaft für Freunde die dich besuchen wollen. Da hast du eine Landschaft, das erste Denckmal meines Nahmens, und der erste Versuch in dieser Kunst. Bessere nachfolgende werden es rechtfertigen, ich hoffe weiter zu kommen.
    Da hast du das Lustspiel, du wirst es kaum mehr kennen. Horn will, ich soll nichts mehr dran korrigiren aus Furcht es zu verderben, und er hat fast recht. Es mag gut seyn, es fehlt nur noch ein Auftritt daran, der siebente der nicht fertig ist. Schreibe bald deine Gedancken. Höre noch was. Behalte das Geld was ich noch kriegen sollte, biß Michael, mit der Bedingung daß du mir den Reukauf erlaubest, wenn mein Vater die Grille kriegen sollte es nach Frankfurt zu haben. Adieu.

  • An Ernst Wolfgang Behrisch


    [Leipzig, Mai 1768.]
    Da hast du die Lieder, ich konnte dir sie ohnmöglich eher schicken. Hiermit benachrichtige ich dich zugleich daß du das Clavier behalten kannst, möge es sich wohl halten, und dir manchesmal eine Erinnerung meiner seyn.
    Ferner sende ich dir 3 meiner neusten Lieder, wenn du mit ihnen zufrieden bist, so lass sie von deinem grosen Meister componiren, et sublimi feriam sidera vertice. Ein Compliment von Netten. Horn wird täglich unsinniger. Und ich gehe nun täglich mehr Bergunter. 3 Monate noch Behrisch, und darnach ist's aus. Gute Nacht ich mag davon nichts wissen.

  • An Anna Katharina Schönkopf


    [Frankfurt, September 1768.]


    Mademoiselle,


    Hr. Goethe dem bekanndt ist, daß Scheere, Messer, und Pantoffeln, diejenigen Mobilien sind die am meisten bey Ihnen auszustehen haben, schicket Ihnen hiermit, eine mittelmäsige Scheere, ein in gutes Messer, und Leder zu zwey Paar Pantoffeln. Sie sind alle von gutem Stoffe, dauerhafft, und mein Herr hat ihnen noch überdieß die möglichste Geduld anbefohlen, doch aber glaubt ich nicht daß Klingen und Leder solange bey Ihnen aushalten werden als Er. Nehmen Sie mir's nicht übel, ich sage wie ich's dencke, drittehalbjahre das können Sie weder von einem Pantoffel noch von einem Messer, noch von – das lass ich dahin gestellt seyn – verlangen, denn grausam gehen Sie mit allem um was sich unter Ihre Herrschafft begiebt oder begeben muß. Zerreise und zerbrechen sie alles, biß Ostern, da steht Ihnen neue Warre zu diensten, und erinnern Sie Sich manchmal, bey diesen Kleinigkeiten, daß mein Herr noch beständig wie sonst Ihnen ergeben ist. Selbst hat er nicht an Sie schreiben wollen, um sein Gelübde, nie vor dem ersten eines Monats Ihnen einen Brief zu schicken, nicht zu brechen. Mittlerweile, das ist, zwischen heut und dem ersten October, empfielt er sich durch mich ganz ergebenst, und ich nehme diese Gelegenheit, mich Ihnen gleichfalls zu empfelen.


    Michel, sonst Herzog genannt,
    nach Verlust seines Herzogtums
    aber, wohlbestellter Pachter auf
    des gnädigen Herren
    hochadelichen Rittergütern.

  • An Christian Gottlob Schönkopf


    d 1. Octb. 1768.


    Ihr Diener Hr. Schönkopf, wie befinden Sie sich Madame, Guten Abend Mamsell, Petergen guten Abend.


    NB. Sie müssen sich vorstellen daß ich zur kleinen Stubentühre hereinkomme. Sie Hr. Schönkopf sitzen auf dem Canapee am warmen Ofen, Madame in Ihrem Eckgen hinterm Schreibetisch, Peter liegt unterm Ofen, und wenn Käthgen auf meinem Platze am Fenster sitzt; so mag sie nur aufstehen, und dem Fremden Platz machen. Nun fange ich an zu discouriren.


    Ich binn lange Aussengeblieben, nicht wahr? fünf ganze Wochen, und drüber dass ich Sie nicht gesehen, daß ich Sie nicht gesprochen habe, ein Fall der in drittehalbjahren nicht ein einzigmal passirt ist, und hinführo leider offt passiren wird. Wie ich gelebt habe, das mögten Sie gerne wissen. Eh das kann ich Ihnen wohl erzählen, mittelmäsig sehr mittelmäsig.


    Apropos, daß ich nicht Abschied genommen habe werden Sie mir doch vergeben haben. In der Nachbarschafft war ich, ich war schon unten an der Türe, ich sah die Laterne brennen, und ging biß an die Treppe, aber ich hatte das Herz nicht hinaufzusteigen. Zum letztenmal, wie wäre ich wieder herunter gekommen.


    Ich tuhe also jetzt was ich damals hätte tuhn sollen, ich dancke Ihnen für alle Liebe und Freundschafft, die Sie mir so beständig erwiesen haben, und der ich nie vergessen werde. Ich brauche Sie nicht zu bitten Sich meiner zu erinnern, tausend Gelegenheiten werden kommen, bey denen Sie an einen Menschen gedencken müssen, der drittehalb Jahre ein Stück Ihrer Famielie ausmachte, der Ihnen wohl offt Gelegenheit zum Unwillen gab, aber doch immer ein guter Junge war, und den sie hoffentlich manchmal vermissen werden. Wenigstens ich vermisse Sie offt – Darüber will ich weggehen, denn das ist immer für mich ein trauriges Capitel. Meine Reise ging glücklich, und mittelmäsig, alles habe ich hier gesund angetroffen ausser meinen Großvater der zwar wieder an der, durch den Schlag gelähmten Seite ziemlich hergestellt ist, aber doch mit der Sprache noch nicht fortkann. Ich befinde mich so gut als ein Mensch der in Zweifel steht ob er die Lungensucht hat oder nicht, sich befinden kann; doch geht es etwas besser, ich nehme an Backen wieder zu, und da ich hier weder Mädgen noch Nahrungssorgen habe die mich plagen könnten, so hoffe ich von Tag zu Tage weiter zu kommen.


    Hören Sie Mamsell hat Ihnen mein Verwalter neulich die geringen Kleinigkeiten zugestellt die ich Ihnen auf Abschlag schickte, und wie haben Sie sie aufgenommen, die übrigen Commissionen sind alle nicht vergessen, wenn sie gleich nicht alle ausgerichtet sind. Das Halstuch ist mit dem größten Gusto fertig, und wird mit ehster Gelegenheit folgen, Verlangen Sie eins von inliegender Farbe, so dürfen Sie nur befehlen, und auch was für eine Farbe sie drauf haben wollen. Der Fächer ist in der Arbeit, er wird fleischfarb der Grund, mit lebendigen Blumen. Halten die Schue noch? Machen Sie mit Ihrem Schuster aus ob er sie, wenn sie recht fest gemahlt sind, so in acht nehmen will daß er sie nicht verdirbt, wenn er sie macht, und dann schicken Sie mir Ihr Schuemuster und da will ich Ihnen mahlen so viel sie wollen, und von was Farben Sie wollen, denn es geht geschwind. Was andre Dinge mehr sind wird die Zeit fügen. Schreiben Sie mir wann Sie wollen nur noch vorm ersten November, denn da schreibe ich wieder an Sie und mehr, ich weiß doch Lieber Hr. Schönkopf daß sie nicht selbst schreiben, aber treiben Sie Käthgen ein Bißgen, daß ich bald Nachricht von euch kriege. Nicht wahr Madam das wäre unbillig wenn ich nicht wenigstens alle Monate einen Brief aus dem Hause bekäme, wo ich bißher alle Tage drinne war. Und schreibt ihr mir nicht; so tuhts nichts den ersten November schreib ich wieder.


    Empfelungen, an Mad. Obermann Hrn. Obermann Madslle. Obermann ganz besonders, Hrn. Reich, Hrn. Junius, ferner Madslle. Weidmann die Sie um Vergebung bitten müssen daß ich nicht Abschied genommen habe. Adieu alle zusammen. Käthgen, wenn Sie mir nicht schreiben so sollen Sie sehen.


    fortgeschickt d 3ten Octbr.




    Liebe Grüße Peter

  • An Anna Katharina Schönkopf


    Franckfurt am 1. Nov. 68.


    Meine geliebteste Freundin,


    Noch immer so munter, noch immer so boshafft. So geschickt das gute von einer falschen Seite zu zeigen, so unbarmhertzig einen Leidenden auszulachen, einen Klagenden zu verspotten, alle diese liebenswürdige Grausamkeiten, enthält Ihr Brief; und konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben.


    Ich dancke Ihnen für eine so unerwartete schnelle Antwort, und bitte Sie auch inskünftige, in angenehmen muntern Stunden an mich zu dencken, und wenn es seyn kann an mich zu schreiben; Ihre Lebhafftigkeit, Ihre Munterkeit, Ihren Witz zu sehen, ist mir eine der grössten Freuden, er mag so leichtfertig, so bitter seyn als er will.


    Was ich für eine Figur gespielt habe, das weiss ich am besten, und was meine Briefe für eine spielen, das kann ich mir vorstellen. Wenn man sich erinnert, wie's andern gegangen ist, so kann man ohne Wahrsager Geist rahten, wie's Einem gehn wird; Ich binn's zufrieden, es ist das gewöhnliche Schicksaal der Verstorbenen, dass Überbliebene und Nachkommende auf ihrem Grabe tanzen.


    Was macht denn unser Principal, unser Direckteur, unser Hofmeister, unser Freund Schoenkopf?


    Gedenckt er noch manchmal an seinen ersten Ackteur, der doch diese Zeit her, in allen Lust und Trauerspielen, die schweeren und beschweerlichen Rollen, eines Verliebten und Betrübten, so gut, und so natürlich als möglich, vorgestellt hat. Hat sich noch niemand gefunden, der meine Stelle wieder begleiten mögte, ganz mögte sie wohl nicht wieder besetzt werden; zum Herzog Michel finden Sie eher zehen Ackteurs, als zum Don Sassafras einen einzigen. Verstehen Sie mich?


    Unsre gute Mama hat mich an Starckens Handbuch erinnern lassen, ich werde es nicht vergessen. Sie haben mich an Gleimen erinnern lassen; ich werde nichts vergessen. Ich dencke in Abwesenheit so gut als gegenwärtig, dem Verlangen derer die ich liebe genüge zu tuhn. Ihre Bibliotheck fällt mir sehr offt ein, ehstens soll sie vermehrt werden, verlassen Sie Sich drauf. Halte ich gleich nicht immer was ich verspreche, so tue ich doch offt mehr als ich verspreche.


    Sie haben Recht, meine Freundinn, dass ich jetzt für das gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt zu habe, mein hiesiger Aufenthalt, ist so unangenehm, als mein Leipziger angenehm hätte seyn können, wenn gewissen Leuten gelegen gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen. Wenn Sie mich schelten wollen, so müssen Sie billig seyn, Sie wissen was mich unzufrieden, launisch, und verdrüsslich machte, das Dach war gut, aber die Betten hätten besser seyn können, sagt Franziska.


    Apropos was macht unsre Franziska, verträgt sie sich bald mit Justen? Ich dencke's. So lang der Wachtmeister noch da war, nun da dachte sie an ihr Versprechen, jetzt da er nach Persien ist, eh nun, aus den Augen aus dem Sinn, da nimmt sie lieber einen Diener, den sie sonst nicht mochte, als gar keinen. Grüssen Sie mir das gute Mädgen. Sie formalisiren Sich über das ganz besondere Compliment an Ihre Nachbarinn. Was für Sie übrig bleibt? Was da für eine Frage ist. Sie haben meine ganze Liebe, meine ganze Freundschafft, und das allerbesonderste Compliment, ist doch noch lange nicht der tausendste Teil davon, das wissen Sie auch, ob Sie gleich zur Plage, oder Unterhaltung, Ihres Freundes |: denn beydes heisst bey Ihnen einerley :| tuhn als ob Sie es nicht wüssten, wie Sie es in mehr Stellen Ihres Briefes getahn haben, Z. E. in der Stelle vom Abschied pp. das ich übergehe.


    Zeigen Sie diesen Brief, und wenn ich bitten darf alle meine Briefe, Ihren Eltern, und wenn Sie wollen, Ihren besten Freunde, aber niemand weiter; Ich schreibe, wie ich geredet habe, aufrichtig, und dabey wünschte ich, dass es niemand, wer es falsch auslegen könnte zu sehen kriege. Ich binn wie immer, unaufhörlich
    ganz der Ihrige


    JWGoethe.

  • An Friederike Oeser


    Franckfurt am 6. Nov. 1768.


    Mamsell,


    So launisch, wie ein Kind das zahnt;
    Bald schüchtern, wie ein Kaufmann den man mahnt,
    Bald still, wie ein Hypochondrist,
    Und sittig, wie ein Mennonist,
    Und folgsam, wie ein gutes Lamm;
    Bald lustig, wie ein Bräutigam,
    Leb' ich, und binn halb kranck und halb gesund,
    Am ganzen Liebe wohl, nur in dem Halse wund;
    Sehr missvergnügt, dass meine Lunge
    Nicht so viel Ahtem reicht, als meine Zunge
    Zu machen Zeiten braucht, wenn sie mit Stolz erzählt,
    Was ich bey Euch gehabt, und was mir jetzt hier fehlt.


    Da sucht man nun mit Macht mir neues Leben,
    Und neuen Muht und neue Krafft zu geben;
    Drum reichet mir mein Docktor Medicinä
    Extrackte aus der Cortex Chinä,
    Die junger Herrn erschlaffte Nerven
    An Augen, Fus und Hand,
    Auf's neue stärcken, den Verstand,
    Und das Gedächtniss schärfen.
    Besonders ist er drauf bedacht,
    Durch Ordnung wieder einzubringen,
    Was Unordnung so schlimm gemacht,
    Und heisst mich meinen Willen zwingen.


    »Bey Tag, und sonderlich bey Nacht,
    Nur an nichts reitzendes gedacht!«
    Welch ein Befehl für einen Zeichnergeist,
    Den jeder Reitz bis zum Entzücken reisst,
    Des Bouchers Mädgen nimmt er mir
    Aus meiner Stube, hängt dafür
    Mir eine abgelebte Frau,
    Mit riesigem Gesicht, mit halbzerbrochnem Zahne,
    Vom fleissig kalten Gerhard Dow
    An meine Wand, langweilige Tisane
    Setzt er mir statt des Weins dazu.


    O sage Du,
    Kann man was traurigers erfahren?
    Am Körper alt, und jung an Jahren,
    Halb siech, und halb gesund zu seyn?
    Das giebt so melanchol'sche Laune,
    Und ihre Pein
    Würd' ich nicht los, und hätt' ich sechs Alraune.
    Was nützte mir der ganzen Erde Geld?
    Kein krancker Mensch geniesst die Welt.


    Und dennoch wollt' ich gar nicht klagen,
    Denn ich binn schon im Leiden sehr geübt;
    Hätt' ich nur das, was uns die Plagen,
    Die Last der Kranckheit zu ertragen,
    Mehr Krafft als selbst die Tugend giebt;
    Verkürzung grauer Regenstunden,
    Balsam'sches Pflaster aller Wunden,
    Gesellschafftsgeister die man liebt.


    Zwar hab ich hier an meiner Seite
    Beständig rechte gute Leute,
    Die mit mir leiden, wenn ich leide,
    Sie sorgen mir für manche Freude,
    Es fehlt mir nur an mir, um recht beglückt zu seyn.
    Und dennoch kenn' ich niemand, der die Pein
    Des Schmerzens, so behende still, die Ruh
    Mit Einem Blick der Seele schenckt, wie Du.


    Ich kam zu Dir, ein Todter aus dem Grabe,
    Den bald ein zweyter Todt zum zweytenmal begräbt;
    Und wem er nur einmal recht nah um 's Haupt geschwebt,
    Der bebt
    Bey der Erinnerung, gewiss so lang er lebt.
    Ich weiss wie ich gezittert habe;
    Doch machtest Du mit Deiner süssen Gabe,
    Ein Blumenbeet mir aus dem Grabe;
    Erzähltest mir wie schön, wie kummerfrey,
    Wie gut, wie süss Dein sellig Leben sey,
    Mit einem Ton von solcher Schmeicheley,
    Dass ich, was mir das Elend jemals raubte,
    Weil Du's besas'st selbst zu besitzen glaubte.
    Zufrieden reisst ich fort, und was noch mehr ist, froh,
    Und ganz war meine Reise so.


    Ich kam hierher, und fand das Frauenzimmer
    Ein bissgen – ja man sagt's nicht gern – wie immer,
    Gnug bis hierher hat keine mich gerührt.
    Zwar sag ich nicht was einst Herr Schübler
    Von Hamburgs Schönen prädicirt,
    Doch binn ich auch ein starcker Grübler,
    Seitdem Ihr Mädgen mich verführt,
    Die ich wohl schweerlich je vergesse;
    Und da begreiffst Du wohl, daß jede leicht verliert,
    Die ich nach Eurem Maasstab messe.
    Du lieber Gott! an Munterkeit ist hie
    An Einsicht, und an Witz Dir kein einz'ge gleich,
    Und Deiner Stimme Harmonie
    Wie käme die heraus in's Reich.


    So ein Gespräch, wie unsers war, im Garten,
    Und in der Loge noch, mit diesem seltnen Zug,
    So aufgeweckt, und doch so klug,
    Ja, darauf kann ich warten.


    Binn ich bey Mädgen launisch froh;
    So sehn sie sittenrichtrisch sträflich,
    Da heisst's: der Herr ist wohl aus Bergamo?
    Sie sagen's nicht einmal so höflich.
    Zeigt man Verstand, so ist auch das nicht recht.
    Denn will sich einer nicht bequemen
    Des Grandisons ergebner Knecht
    Zu seyn, und alles blindlings anzunehmen
    Was der Dicktator spricht,
    Den lacht man aus, den hört man nicht.


    Wie seyd Ihr nicht so gut, so Euch zu bessern willig,
    Auf eigne Fehler streng, und gegen fremde billig,
    Und zum Gefallen ohnbemüht,
    Ist niemand den Ihr nicht gewönnet.
    Ah, man ist Euer Freund, so wenig man Euch kennet,
    Man liebt Euch, eh man's sich versieht;
    Mit einem Mädgen hier zu Lande,
    Ist's aber ein langweilig Spiel,
    Zur Freundschafft fehlt's ihr am Verstande,
    Zur Liebe fehlt's ihr am Gefühl.


    Drauf ging ich ganz gewiss, hätt ich nicht soviel Laune,
    Bräch' ich mir nicht gar manche Lust vom Zaune,
    Lacht ich nicht da wo keine Seele lacht.
    Und dächt ich nicht, dass Ihr schon offt an mich gedacht.


    Ja, dencken müsst Ihr offt an mich, das sage
    Ich Euch, besonders an dem Tage
    Wenn Ihr auf Euerm Landgut seyd,
    Dem Ort der mir so manche Plage
    Gemacht, dem Ort der mich so sehn erfreut.


    Doch Du verstehst mich nicht, ich will es Dir erklären,
    Ich weiss doch Du verzeihst es mir.
    Die Lieder die ich Dir gegeben, die gehören
    Als wahres Eigentuhm dem schönen Ort und Dir.


    Wenn mich mein böses Mädgen plagte,
    Wenn der Verdruss mich aus den Mauern jagte,
    War ich verwegen gnug, und wagte
    Dich aufzusuchen eh es tagte,
    Auf Deinen Feldern die Du liebst,
    Die Du mir offt so schön beschreibst.


    Da ging ich nun in Deinem Paradiese,
    In jedem Holz, auf jeder Wiese,
    Am Fluss, am Bach, das hoffende Gesicht
    Vom Morgenstrahl geschminckt, und sucht' und fand Dich nicht.


    Dann schlug ich, angereitzt von launischem Verdrusse,
    Den armen Frosch, am sonnbestrahlten Flusse,
    Dann jagt' ich ringsumher, und fing
    Bald einen Rein bald einen Schmetterling.


    Und mancher Reim, und mancher Schmetterling
    Entging
    Der ausgestreckten Hand, die mitten
    In ihrem Haschen stille stand,
    Wenn aus dem Wald, von Stimmen ober Tritten
    Den Schall, mein lauschend Ohr empfand.


    Am Tage sang ich diese Lieder,
    Am Abend ging ich wieder heim,
    Nahm meine Feder, schrieb sie nieder
    Den guten und den schlechten Reim.
    Offt kehrt ich noch mit immer schlechterm Glücke
    Auf die fatale Flur zurücke,
    Biss mir zuletzt das günstige Geschicke
    Noch einen Tag den ich nicht hoffte gab.
    Doch ich genoss sie kaum die süssen letzten Stunden,
    Sie waren gar zu nah am Grab.
    Ich sage nicht, was ich empfunden,
    Denn mein prosaisches Gedicht
    Stimmt diesesmal sehr zur Empfindung nicht.


    Du hast die Lieder nun, und zur Belohnung
    Für alles was ich für Dich litt,
    Besuchst Du Deine seelge Wohnung;
    So nimm sie mit;
    Und sing sie manchmal an den Orten
    Mit Lust wo ich aus Schmerz sie sang,
    Dann denck an mich, und sage: dorten
    Am Flusse wartete er lang,
    Der Arme der so offt mit ungewognem Glücke
    Die schönen Felder fühllos sah!
    Käm er in diesem Augenblicke,
    Eh nun, jetzt wär' ich da.


    Jetzt, dächt ich nun, wär's hohe Zeit zum Schliessen,
    Denn wenn man so zwey Bogen Reime schreibt,
    Da wollen sie zuletzt nicht fliessen.
    Doch warte nur wenn mich die Laune treibt,
    Und Deine Gunst mir sonst versichert bleibt,
    So schreib ich Dir noch manchen Brief wie diesen.


    Willst Du mir die Geschwister grüssen,
    So schliesse Richtern auch mit ein.
    Leb wohl! Und wird das Glück Dein Freund beständig seyn
    Wie ich; so wirst Du steets des schönsten Glücks geniessen.



    Goethe.

  • An Adam Friedrich Oeser


    Franckfurt, am 9. Nov. 1768.


    Hochgeehrtester Herr Professor,


    Das Aussenbleiben Ihres Junges, hat diesen Brief, den ich so balde zu schreiben schuldig war, um einen Monat und drüber verzögert. Mit ihm hoffte ich ein Paquet Briefe, und ein Paquet Kleinigkeiten nach Leipzig zu schicken, die nun auf eine andre Gelegenheit warten mögen.


    Wenn Sie nicht mehr Nachricht von ihm haben als ich; so werden Sie unruhiger seyn als ich; denn ich dencke immer, er hat entweder an Sie geschrieben, oder ist durch einen andern Weeg zu Ihnen zurückgekehrt. Bald hoffe ich's zu erfahren; ein guter Freund hat es auf sich genommen, sich in Grehweiler zu erkundigen wie es mit ihm und seinen Sachen steht.


    Meine Gesundheit fängt an, wieder etwas zu steigen, und doch ist sie noch nicht viel übers Schlimme. Inliegender Brief, den ich mich unterstanden habe an Ihre Mademoiselle Tochter zu schreiben, sagt mehr von diesem Punckte, und mehr von meinen übrigen Leben.


    Die Kunst, ist, wie sonst, fast jetzt meine Hauptbeschäfftigung, ob ich gleich mehr drüber lese, und decke, als selbst zeichne, denn jetzt da ich so allein lauffen soll, fühle ich erst meine Schwäche; es will gar nicht mit mir fort Herr Professor, und ich weiss vor der Hand nichts anders, als das Lineal zu ergreifen, und zu sehen, wie weit ich mit dieser Stütze in der Baukunst und in der Perspecktiv kommen kann.


    Was binn ich Ihnen nicht schuldig, Theuerster Herr Professor, dass Sie mir den Weeg zum Wahren und Schönen gezeigt haben, dass Sie mein Herz gegen den Reitz fühlbaar gemacht haben. Ich binn Ihnen mehr schuldig, als dass ich Ihnen dancken könnte. Den Geschmack den ich am Schönen habe, meine Kentnisse, meine Einsichten, habe ich die nicht alle durch Sie? Wie gewiss, wie leuchtend wahr, ist mir der seltsame, fast unbegreifliche Satz geworden, dass die Werckstatt des grossen Künstlers mehr den keimenden Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des Weltweisen und des Kritickers. Lehre tuht viel, aber Aufmunterung tuht alles. Wer unter allen meinen Lehrern hat mich jemals würdig geachtet mich aufzumuntern, als Sie. Entweder ganz getadelt, oder ganz gelobt, und nichts kann Fähigkeiten so sehr niederreissen. Aufmunterung nach dem Tadel, ist Sonne nach dem Reegen, fruchtbaares Gedeyen. Ja Herr Professor wenn Sie meiner Liebe zu den Musen nicht aufgeholfen hätten ich wäre verzweifelt. Sie wissen was ich war da ich zu ihnen kam, und was ich war da ich von Ihnen ging, der Unterschied ist Ihr Werck. Ich weiss wohl, es war mir wie Prinz Biribinckern nach dem Flammenbaade, ich sah ganz anders, ich sah mehr als sonst; und was über alles geht, ich sah was ich noch zu tuhn habe, wenn ich was seyn will.


    Sie haben mich gelehrt demütig ohne Niedergeschlagenheit, und stolz ohne Präsumtion zu seyn.


    Ich würde kein Ende finden, zu sagen was Sie mich gelehrt haben; verzeihen Sie meinem danckbaaren Herzen diese Apostrophe, diese Sentenzen; das habe ich mit allen tragischen Helden gemein, dass meine Leidenschafft sich sehr gerne in Tiraden ergiesst, und wehe dem der meiner Lava in den Weeg kömmt.


    Die Gesellschafft der Musen, und eine fortgesetzte schrifftliche Unterredung mit meinen Freunden, wird mir diesen Winter ein kränckliches einsames Leben angenehm machen, das ohne sie für einen Menschen von zwanzig Jahren eine ziemliche Folter seyn möchte.


    Mein Freund Seekatz ist einige Wochen vor meiner Ankunft gestorben. Meine Liebe für die Kunst, meine Danckbarkeit gegen die Künstler, werden Ihnen das Maas meines Schmerzens angeben. Sollte Hr. Creisteuereinnehmer Weisse die Gefälligkeit für mich haben wollen, einige Nachrichten von seinem Leben und seiner Kunst in die Bibtiotheck einzurücken: so wollte ich sie Ihnen zusenden. Haben Sie die Gütigkeit, ihn bey Gelegenheit darum zu ersuchen. Idris habe ich eben gelesen, meine Gedancken hiervon ein andermal. Meine Eltern grüssen Sie und Ihre Famielie, mit der Liebe und Danckbaarkeit, die sie einem Manne schuldig sind, dem ihr Sohn soviel schuldig ist. Leben Sie wohl. Ich binn


    Theuerster Hr. Professor


    Der Ihrige
    Goethe.

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