Eröffnung der Scala-Saison mit Verdis "Don Carlo"

  • Hallo,
    mein Schwerpunkt, Oper zu genießen, liegt im Hören.
    Durch Radio und Schallplatte bin ich zur Oper gekommen.
    Dies hat einen Vorteil: die Kulissen, die Atmosphäre, dies alles spielt sich im Kopf ab.
    Ich weiß, die Oper lebt als Theater und ist als solches konzipiert, aber - bitte nur dann, wenn es auch nachvollziehbar ist.
    Was nutzt eine Bühnentiefe, die keine Ausprägung hat ?
    Was nutzt einer locker hingestellter Stuhl in der linken Ecke in dem ein, „sich an den Kopf fassender“ König Philipp seine große Arie lamentiert ?
    Hier vermisse ich, altmodisch, einen massiven Eichenschreibtisch,
    der Größe symbolisiert. Durch die Stimme des Sängers wird die Verzweiflung seiner Lage transparent – nicht aber durch die Leere eines Raumes ohne Mobiliar.
    Ein Monarch der am Ende ist, wie auch immer, bleibt nicht auf einem Stuhl sitzen – er nimmt Gift oder ähnliches – aber im Glanz seines Umfeldes.
    Der Sänger des König Philipp muss der beste Sänger der Welt sein, der Sänger des Großinquisitors muss noch besser sein – das wäre die optimale Vorgabe, um die Interpretation des „Don Carlos“ zu verdeutlichen - eine Verdeutlichung der Macht der Kirche.
    Aber, was war das hier ? Es kam nichts an Größe rüber.
    Die Kostüme waren toll aber wirkten in diesem Bühnenumfeld wie „Perlen für die Sä..“ – sorry, war so.


    Ich möchte die Sänger nicht kritisieren, singen ist nicht einfach. Schwieriger wird es eben dann, wenn auch Regie und Bühnenbild nicht das vermitteln oder atmosphärisch vorgeben, was man als Interpret gerne nach außen tragen möchte.
    Warum lassen sich die Sänger auf solche Bühnenoptik ein ?
    Warum hat man immer noch nicht dazu gelernt, will man mit aller Gewalt „modern“ sein ? Hier die tollen Kostüme, da ein nicht vorhandenes Bühnenbild, wo der Normalbürger erst dann zum Opernfan aufsteigt, wenn er sein Denken ausschaltet.


    LG rugero

    Die Stimme, das wohl vollkommenste Instrument.

  • Da ich erst spät nach Hause kam, platzte ich mitten in die Aufführung hinein, das heißt nicht gerade "mitten", sondern ganz konkret zum Beginn von "O don fatale". Ich wusste so ad hoc natürlich gar nicht, wer da singt, nur dass ich diese Paradenummer selten so bar jeden Temperaments erlebt/gehört habe. Nun ist es natürlich schwierig, eine Vorstellung zu beurteilen, die man nicht von Anfang an gesehen hat, aber es gab keine einzige Passage, die mich aus meiner Lethargie gerissen hätte. Der Tenor klang am Ende nicht so übel, was natürlich nicht heißt, dass ich ihn toll fand, und schauspielerische Finessen hätte ihm wohl das größte Regiegenie nicht abringen können. ;) Am besten gefiel mir trotzdem Dolora Zaijick, Furlaneto hatte wirklich nicht seinen besten Tag, Dalibor Jenis sah zwar fesch aus, aber das alleine ist etwas wenig für einen Posa (Sehnsüchtige Gedanken an Keenlyside und Hampson in seinen guten Zeiten...), Kotscherga hat mich schon an der WSO selten überzeugt, egal in welcher Partie.
    Auch von Gatti, den ich an sich mag, war ich enttäuscht.
    Dass hier jemand für Regie Geld kassiert hat, empfinde ich schlicht und einfach als Witz, denn dieses lustlose Herumstehen wäre den Sängern auch ohne Regisseur eingefallen. So blieb für mich als einziges Plus das Bühnenbild, allerdings kenne ich eben nur das letzte. Die Kostüme passten natürlich überhaupt nicht dazu, aber bitte.....
    Nun muss ich allerdings sagen, dass ich von der Scala keine Produktion kenne, die mich szenisch überzeugen würde. Scala-DVDs kaufe ich mir nur, wenn mich eine bestimmte Besetzung förmlich dazu zwingt, weil es die beispielsweise auf CD nicht gibt.
    Was den Vergleich mit der WSO betrifft: Der unsägliche Pizzi-Carlo ist um nichts spannender als der von der Scala, allerdings haben wir meistens eine bessere Besetzung und im Glücksfall Sänger, die auch ohne Regieanweisungen diese Tragödie halbwegs glaubhaft umsetzen können.
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina,
    ich möchte sagen, daß die DVD Produktionen aus der Scala unter Muti von den Sängern und von der Regie und Ausstattung her zu den wenigen Aufnahmen gehören, die mich zufriedenstellen. Der Don Carlo vom 7.12. hat leider nichts mehr mit dem Niveau der Produktionen der70er oder 80er Jahre gemeinsam.


    :hello:

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Liebe Severina,
    ich möchte sagen, daß die DVD Produktionen aus der Scala unter Muti von den Sängern und von der Regie und Ausstattung her zu den wenigen Aufnahmen gehören, die mich zufriedenstellen. Der Don Carlo vom 7.12. hat leider nichts mehr mit dem Niveau der Produktionen der70er oder 80er Jahre gemeinsam.


    :hello:


    Lieber Herbert,
    Des einen Freud, des andern Leid! :D Dass wir unterschiedliche Ansprüche an eine für uns gelungene Opernproduktion stellen, wissen wir beide - das macht aber auch nichts! Ich respektiere und verstehe deinen Standpunkt, mich hingegen langweilt einfach diese Stehpartien in opulenten Bühnenbildern, mich stören diese mit "historischem Krempel" (Jetzt darfst du mich prügeln :D :D ) voll geräumten Bühnen, was sich am besten darin äußert, dass ich mich einfach nie auf DVD-Länge konzentrieren kann, ich muss dazwischen immer kurz dieses oder jenes machen, während ich bei einer mich überzeugenden Inszenierung 3 Stunden gebannt am Bildschirm klebe. Außerdem stört mich bei den Scala-DVDs die wirklich stümperhafte Kameraführung, die sich leider seit den 70er-Jahren, wo man technisch wahrscheinlich noch nicht weiter war, überhaupt nicht geändert hat.
    lg Severina :hello:
    PS: Aber da sind wir (zumindest ich) jetzt ziemlich OT, also belassen wir e in diesem Thread dabei ;)


  • Also an dem Abend, den ich gesehen habe (27.6.), war Hampson gewohnt großartig in der Rolle....für mich ist er eh der Posa schlechthin und ich würde mal behaupten, dass er selbst lustlos noch besser singt als Dalibor Jenis an dem Abend in Mailand.
    Und sollte Isis die selbe Produktion gesehen haben wie, dann bezweifle ich, dass die Inszenierung spannender war als die in Mailand (außer, die Sänger haben es geschafft, trotz der schlichtweg nicht vorhandenen Inszenierung Spannung zu erzeugen). Damals lähmte die Inszenierung selbst solche Sängerdarsteller wie Pape und Fantini, die ich in Berlin in einer weitaus spannenderen Inszenierung als großartige Interpreten der jeweiligen Rolle erlebt habe.


    Und wer wird denn gleich so empfindlich sein, wenn man mal was gegen Wien sagt......War ja nur ein Vergleich, weil dies eben die letzte Don Carlos Vorstellung war, die ich gesehen habe.
    Ich bin überzeugt davon, dass man dort großartige Opernabende verleben kann. Allerdings gibt es auch anderswo wunderbare Repertoirevorstellungen - diese dann aber auch zu einem günstigeren Preis als in Wien :baeh01:


    Zitat

    Original von severina


    Was den Vergleich mit der WSO betrifft: Der unsägliche Pizzi-Carlo ist um nichts spannender als der von der Scala, allerdings haben wir meistens eine bessere Besetzung und im Glücksfall Sänger, die auch ohne Regieanweisungen diese Tragödie halbwegs glaubhaft umsetzen können.
    lg Severina :hello:


    Da scheine ich ja mit meiner Meinung nicht alleine zu sein...... :lips:


    LG
    Rosenkavalier
    (die zugegebenermaßen von Berlin ganz schön verwöhnt ist....)

  • Gestern Abend gab's diese Produktion als Aufzeichnung in 3sat. Ich hatte den Rekorder eingeschaltet und freute mich auf einen netten Opernabend.


    Spätestens nachdem das wandelnde Bierfass Stuart Neill erschien, wusste ich: "Das guckst du dir keine drei Stunden mehr an!" und stoppte die Aufnahme.


    Nach dem Krimi im ZDF führte ich mir dann aber doch noch den Rest der Aufführung zu Gemüte. Selten so einen inszenatorischen Murks gesehen. Kostüme bestätigen jedes Klischee, das man haben kann, keine Personenführung vorhanden, Bühne ganz ok.
    Aber dann Gatti...


    Jeder Buhruf am Ende war berechtigt, außer vielleicht für Furlanetto. Die Damen waren auch ganz ordentlich.
    Beim Buhkonzert für Gatti musste ich grinsen. So muss ein Publikum sein :yes:!


    Normalerweise wird ja jede größere Premiere an einem renommierten Opernhaus auf DVD veröffentlicht, aber hier scheinen die Verantwortlichen noch zu hadern. Und das ist auch gut so.

  • [quote]Original von Basti
    Gestern Abend gab's diese Produktion als Aufzeichnung in 3sat. Ich hatte den Rekorder eingeschaltet und freute mich auf einen netten Opernabend.


    Spätestens nachdem das wandelnde Bierfass Stuart Neill erschien, wusste ich: "Das guckst du dir keine drei Stunden mehr an!" und stoppte die Aufnahme.


    quote]


    Hallo Basti,


    das hätte ich Dir gleich sagen können, denn mir ging es bei der Erstausstrahlung genauso. Nichts gegen etwas beleibtere Sänger, aber Stuart Neill kann man wirklich nur noch als unförmig bezeichnen und man kann ihn beim besten Willen nicht mit dem jungen Don Carlo assoziieren.


    Auch ansonsten hat mich damals nichts wirklich angesprochen.


    LG
    :hello:
    Jolanthe

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Die Inszenierung war sehr statisch, aber ich könnte mir vorstellen, dass das auf geometrische Formen und Wirkung der Farben ausgelegte Bühnenbild im Theater einen recht guten Eindruck macht. Die Kostüme waren phantastisch. Man kann sich also doch noch hin und wieder an derartigem Aufwand erfreuen. Man muss allerdings den historischen Anspruch etwas relativieren, so bunt ist es damals am spanischen Hof nicht zugegangen (allerdings stimmte König Philips dunkles Gewand fast völlig mit jenem von einem historischen Gemälde überein).


    :hello:


    Teils, teils theophilus. Farbenpracht gab es schon auch am spanischen Hof. Kennst Du die Karajan-Inszenierung aus Salzburg? Die orientiert sich sehr an alten Gemälden. Ich war angenehm überrascht, dass jetzt in Mailand einigermaßen historisch korrekte Kostüme geschneidert wurden. Auch die Idee mit den Rückblenden in Gestalt der Kinder hat mir gut gefallen. Vor drei Jahren wäre eine solche Inszenieung noch undenkbar gewesen. Sollte doch das Ende des Regietheaters in Sicht sein? Mich erinnerte die Inszenierung an die Übergangszeit zum Regietheater Ende der 80er.

  • Ich wollte nur zur Scala sagen: das Haus leidet unter argem Druck: die Regierung hat die Mittel drastisch gekürzt, die Mitglieder streiken oft, Randalos von berufs wegen buhen von den Rängen oben auf die Bühne herab, und dergleichen mehr.
    Ex Chef Riccardo Muti tritt unter diesen Bedingungen nicht mehr auf, und die Premiere von letzten Dezember war teils mit überalterten Sängern besetzt, aber dies stört die Schickeria weiter nicht und gefeiert wird trotzdem.
    Die mangelhafte Kamera - Regie, für ein Filmland wie Italien, ist eine Schande, wohl aus Protest gegen Rom, Filanoti hat man kurz vor der Vorstellung hinausgeekelt, und der Dirigent Gatti wollte musikalischer Leiter des Hauses werden, was er nicht geworden ist.
    Alles ein wenig daneben.:no:

  • Hallo - ich kam von der Arbeit grade pünktlich zum Tata vor dem Philipp-Monolog und habs, auch wegen dem anschließenden Großinquisitor und dem Quintett, laufen lassen.
    Während ich den Schiller, tut mir leid, wegen all der Kolportage um Carlos und Eboli, kaum ertrage, liebe ich die Oper auch für die Intelligenz und Stringenz des Librettos. Meine Lieblings-Carloi sind übrigens von Santini, und die 54er Aufnahme mit Christoff beschert mit Gobbi al Posa die unerreicht bestmögliche Todesszene des Marquis. - Daß ohne Optik das Vater-Sohn-Verhältnis zwischen König und Vertrautem hier etwas leichter fällt, steht auf einem andren Blatt (als Lanze für den Mailänder Bub, der mit seinen langen Haaren doch immerhin etwas Flandrischen Mädchencharme hatte :pfeif: )


    An Christoff durfte man bei Furlanetto nicht denken - trotzdem war es immerhin ein Rollenprorträt. Das ausgesungene Zwiegepräch nach "Che! Confessar l´osate a me!" ist mir immer peinlich; der übliche Strich bis zu "adultera consorte!" ist eines der genialsten Zeugnisse für die Notwendigkeit des Lektors, um die Musik nicht um die eigene Wirkung zu bringen.


    Die Inszenierung erschien auch mir blaß; die Figuren hatten keine Beziehung zueinander (auch rein optisch); nicht mal die Choraufftritte machten ein Tableau. Den Großinquisitor würde ich nie in seinem Ornat zeigen (selbst wenn es zehnmal richtig wäre). Er muß viel älter und gebrechlicher sein als Philipp, und trotzdem die wahre Macht in Händen halten. Seine erschütternde Würde ist das Unheimlichste an ihm. - Überhaupt - wo waren zeitgemäße Veranschaulichungen der Polizeistaatatmosphäre des Dramas? - Zwischen Fidelio und Tosca ist der Don Carlos ja auch eine finstere Oper der politisch mißbrauchten Macht (in der Abfolge "Ella giammai m´amo" und "La natura e l ´amor tacer potranno in me?" liegt es offen zutage). Das darf kein Bilderbogen bleiben.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

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