Britten, Benjamin: Winter Words op. 52

  • Liebe Taminos,


    seit einigen Tagen dreht sich in meiner Anlage immer wieder eine bestimmte CD und von dieser CD in erster Linie der mir bis dahin unbekannte letzte Teil: die “Winter Words” nach Gedichten von Thomas Hardy.



    Wie bei allen Werken Brittens, die ich bisher gehört habe, spricht mich seine Musik auch hier wieder unmittelbar an: eine strenge, schnörkellose, auf mich immer irgendwie introvertiert und doch expressiv wirkende Musiksprache, die sich bei mir stärker festhakt als die jedes anderen Komponisten. Wäre ich auf musikalischem Gebiet stärker beschlagen, könnte ich es besser ausdrücken, aber ihr versteht hoffentlich auch so, was ich meine.


    Britten vertonte in diesem Zyklus acht Gedichte aus Thomas Hardys “Lyrics and Ballads”. Das Thema dieser Lieder ist, soweit ich es nach dem ersten Eindruck interpretiere, die Konfrontation eines Urzustands der Unschuld “before the birth of consciousness, when all went well” (wie es im letzten Lied heißt) mit einigen flüchtigen Momenten der menschlichen Erfahrung.


    Der Zyklus umfasst folgende Lieder:


    1. At day-close in November
    2. Midnight on the Great Western (or The journeying boy)
    3. Wagtail and baby (A satire)
    4. The little old table
    5. The choirmaster’ s burial (or The tenor man’s story)
    6. Proud songsters (Thrushes, finches and nightingales)
    7. At the railway station, upway (or The convict and boy with the violin)
    8. Before life and after


    Ich eröffne diesen Thread zunächst einmal als Baustelle, denn mit Hardys Gedichten habe ich mich, soweit ich mich erinnern kann, zuletzt in meiner Schulzeit etwas näher beschäftigt – and it´s a long time ago! Außerdem stelle ich das, was mich mit meinen Laienohren in musikalischer Hinsicht begeistert, auch gern auf musiktheoretische Füße und möchte mich deshalb auch in der Richtung etwas einlesen. Ich werde mich also auf die Suche nach Literatur zu diesem Thema begeben und hoffe, dass ich dann etwas mehr dazu beitragen kann.


    Über Meinungen, Anregungen, vielleicht auch Vorstellung eurer Favoriten aus diesem Zyklus würde ich mich freuen – und da diese “Winter Words” bei mir sicherlich nicht allein bleiben werden, auch über weitere Tips zu Einspielungen (Anthony Rolfe Johnson wurde mir beispielsweise schon empfohlen).


    Liebe Grüße
    Petra

  • Vielen Dank für diese schöne Einführung in ein mir noch gänzlich unbekanntes Werk - ich bin neugierig geworden.


    Zitat

    Original von petra
    Wie bei allen Werken Brittens, die ich bisher gehört habe, spricht mich seine Musik auch hier wieder unmittelbar an: eine strenge, schnörkellose, auf mich immer irgendwie introvertiert und doch expressiv wirkende Musiksprache, die sich bei mir stärker festhakt als die jedes anderen Komponisten.


    Das ist, finde ich, eine sehr treffende und einfühlsame Charakterisierung, gut gesagt.


    Beim Herumstöbern und Anhören von Schnippseln ist mir gerade diese Aufnahme aufgefallen:



    Philip Langridge, Tenor; Steuart Bedford, Klavier
    Naxos 1996


    Klingt ganz interessant.

  • Lieber Gurnemanz,


    eine ganz gute Aufnahme. Aber darf ich Dein Augenmerk auf:



    diese Aufnahme lenken? Ich halte sie gerade, was die wundervollen Michelangelo-Sonetten und die Winter Words anbelangt für die noch bessere Wahl. Hier gefällt mir die Klavierbegleitung und v.a. das Zusammenspiel zwischem Pianisten und Sänger noch deutlich besser.


    Lieber Petra,


    streng und schnörkellos triffts doch ganz gut. Die Winter Words sind im Vergleich zu den früheren Liedzyklen auch - wie so typisch für Brittens Spätwerk - hörbar karger. Ausdrucksintensivierung durch Reduzierung der Mittel, in dem Punkt IMO Beethoven und Debussy nicht unähnlich.


    :hello:
    Wulf

  • Hallo Petra,


    auch von mir ein "Dankeschön" für diesen Thread!
    Ich habe den Zyklus Anfang diesen Jahres im Diplomkonzert eines befreundeten Tenors gehört, und das Werk hat mir gleich beim ersten Anhören gut gefallen.
    Trotzdem geriet dann die weitere Beschäftigung mit dem Werk, z.B. durch den Kauf einer CD, in den Hintergrund.
    Jetzt wurde mein Interesse durch Deinen Beitrag wieder geweckt...


    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Lieber Wulf,

    Zitat

    Die Winter Words sind im Vergleich zu den früheren Liedzyklen auch - wie so typisch für Brittens Spätwerk - hörbar karger.


    Prinzipiell richtig, nur um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Ein echtes "Spätwerk" ist "Winter Words" nicht. Britten war gerade einmal 41 als er es schrieb.


    ***


    Seltsam, daß die "Winter Words" so gut gefallen, das ist, sieht man von den "Songs and Proverbs by William Blake" ab, wohl Brittens kargster Zyklus - allerdings auch einer der schönsten. Britten gewinnt aus - scheinbar - illustrativen Elementen wie dem Klang einer Dampfschiffsirene oder dem einer Sologeige ungeheure Stimmungsdichte, und die Begräbnis-Szene ist dem letzten Vere-Monologe des "Billy Budd" ebenbürtig. Grandios auch das letzte Lied mit der Melodie in der rechten Hand in Oktaven und in der linken Hand immer nur Dreiklänge in Grundstellung (das verlorene Paradies...).


    Was die Aufnahmen betrifft: Ich neige sehr zu Pears/Britten und Johnson/Johnson, obwohl Langridge/Bedford auch ihre Meriten hat: Sie ist näher an Britten dran, und Langridge singt seinen Part einfach wunderbar lyrisch.


    :hello:

    ...

  • Vielen Dank für alle Rückmeldungen und Tips zu weiteren Aufnahmen. Je häufiger ich diesen Zyklus höre, desto lieber mag ich ihn und ich freue mich darüber, dass ich mit meinem Interesse hier nicht allein bin.


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner:


    Seltsam, daß die "Winter Words" so gut gefallen, das ist, sieht man von den "Songs and Proverbs by William Blake" ab, wohl Brittens kargster Zyklus - allerdings auch einer der schönsten.


    Ich finde das gar nicht so seltsam. „Ausdrucksintensivierung durch Reduzierung der Mittel“, wie Wulf es so treffend benannt hat, ist ein Prinzip, das mir in der Kunst eigentlich immer zusagt, sei es in der Musik oder auch in der Literatur. Und Britten war, soweit ich es hören kann, ein Meister darin, mit wenigen Strichen eine Stimmung hervorzurufen.
    Und gerade in diesem Zyklus finde ich die Kargheit besonders gut zu dem "kunstvoll einfachen" Stil Hardys passend.


    Allerdings höre ich auch seine etwas üppiger gesetzten "Michelangelo Sonnets" sehr gern, während sich die kargeren „Songs and Proverbs by William Blake“, von Fischer-Dieskau gesungen, bei mir noch nicht verfangen haben, obwohl ich den FiDi sonst gern höre.
    Und ich fürchte, das liegt an meiner ausgeprägten Vorliebe für Peter Pears. Ich mag dessen Stimme und Singen so gern, dass wohl gerade für meine Begegnungen mit dem Werk Brittens die „Gefahr“ besteht, das ich seine Aufnahmen für das Nonplusultra halte. Daher bin ich gerade hier auch für Tips zu anderen Interpreten sehr dankbar, um nicht auf eine Interpretationshaltung festgelegt zu werden..


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner:


    Britten gewinnt aus - scheinbar - illustrativen Elementen wie dem Klang einer Dampfschiffsirene oder dem einer Sologeige ungeheure Stimmungsdichte ...


    Hier interessiert mich besonders das Wort „scheinbar“, denn das Lautmalerische, Illustrative ist mir schon beim ersten Hören besonders stark aufgefallen und ich habe mich auch gefragt, ob es eigentlich „nur“ illustrativ ist, oder ob diese lautmalerischen Klänge hier nicht ein Eigenleben entwickeln. Aber in diesem Punkt würde ich gern bei den einzelnen Liedern noch einmal nachhaken.


    Das letzte Lied ist für mich eines der schönsten Kunstlieder, die ich bisher gehört habe, besonders der schmerzlich-schöne Beginn, in dem der paradiesische Urzustand beschrieben wird.


    Als Nächstes werde ich morgen aber erst einmal die Texte einstellen.


    :hello: Petra

  • Liebe Petra, danke!
    Hier zeigt sich wieder einmal, was ich Alles noch nicht kenne!
    Das klingt sehr sehr vielversprechend- allein schon der Titel "Winter words" beschwört in mir sofort eine ganze ImaginationsWelt herauf. Alles, was ich bisher von Britten kenne, hat mir serh gefallen, also rechne ich auc hier wieder mit einem wunderbaren Kunsterlebnis.


    F.Q.

  • Den warmen Empfehlungen für diesen kalten Zyklus kann ich mich nur anschließen. Ich hatte noch nie von den Winter Words gehört, als ich im Sommer 2007 in einem Konzert der Kölner Musikhochschule das wunderbar anrührende Lied The Choirmaster's Burial kennenlernte - gesungen von einem Studenten (seinen Namen habe ich mir leider nicht gemerkt) der Klasse von Christoph Prégardien. Während ich mich an den Rest des Liederabends (darunter Highlights von Schubert und Wolf) kaum noch erinnere, wird mir das erstmalige Anhören des Britten-Lieds immer im Gedächtnis bleiben.


    Ich hab mir dann den Zyklus auf CD besorgt, erst mit Langridge/Bedford, dann noch mit den beiden Johnsons. Beide Aufnahmen sind ausgezeichnet, wobei für mich Johnson/Johnson die Nase vorn haben, vor allem wegen des Klavierparts. Die Erzählung des alten Tenors vom Begräbnis des Chorleiters bleibt für mich das Herz des Zyklus, aber auch die anderen Lieder mag ich ausnahmslos sehr gern.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Liebe Fairy,


    auch bei Thomas Hardy gibt es einen Gedichtband mit dem suggestiven Titel “Winter Words in Various Moods and Metres”, der postum im Jahr seines Todes 1928 publiziert wurde. Britten hat daraus nur ein Gedicht, die “Proud Songsters” vertont; die restlichen 7 seiner “Winter Words” stammen aus anderen Gedichtsammlungen Hardys.


    Von Brittens Zyklus habe ich auch erst in diesem Jahr erfahren. Dagegen sind mir auch als Werktitel neben seinen Opern z.B. die “Serenade” oder die “Michelangelo-Sonnets”, das “War Requiem” oder die “Songs and Proverbs” nach William Blake schon früher begegnet; die “Winter Words” scheinen im allgemeinen weniger bekannt zu sein.



    Lieber Bernd,


    die Betrachtung des Liedes “The Choirmaster’s Burial” als Herzstück des Ganzen finde ich sehr interessant, denn ich habe mich schon gefragt, unter welchen Gesichtspunkten die Reihenfolge der Anordnung erfolgt ist. Der allgemeine thematische Zusammenhalt in Brittens Zyklus ist ja sehr stark von dem triadischen Modell “Paradiesischer Urzustand – Irritation durch den Menschen, Verlust der Unschuld – ungewisse Zukunft” bestimmt, aber die “Feinabstimmung” innerhalb des Zyklus ist für mich noch eine offene Frage.


    ***




    Hier kommen zunächst einmal die ersten beiden Texte, zitiert nach: The Complete Poetical Works of Thomas Hardy, hrsg. v. Samuel Hynes, Oxford 1982-1985.



    At Day-Close in November


    The ten hours’ light is abating,
    And a late bird wings across,
    Where the pines, like waltzers waiting,
    Give their black heads a toss.


    Beech leaves, that yellow the noon-time,
    Float past like specks in the eye;
    I set every tree in my June time,
    And now they obscure the sky.


    And the children who ramble through here
    Conceive that there never has been
    A time when no tall trees grew here,
    That none will in time be seen.


    aus: Satires of Circumstance, Lyrics and Reveries with Miscellaneous Pieces, erschienen 1914.
    (The Complete Poetical Works Volume II, S. 43/44.)




    Midnight on the Great Western


    In the third-class seat sat the journeying boy,
    And the roof-lamp’s oily flame
    Played down on his listless form and face,
    Bewrapt past knowing to what he was going,
    Or whence he came.


    In the band of his hat the journeying boy
    Had a ticket stuck; and a string
    Around his neck bore the key of his box,
    That twinkled gleams of the lamp’s sad beams
    Like a living thing.


    What past can be yours, O journeying boy
    Towards a world unknown,
    Who calmly, as if incurious quite
    On all at stake, can undertake
    This plunge alone?


    Knows your soul a sphere, O journeying boy,
    Our rude realms far above,
    Whence with spacious vision you mark and mete
    This region of sin that you find you in,
    But are nor of?


    aus: Moments of Vision, erschienen 1917.
    (Volume II, S. 262.)


    In meinem Booklet zu den “Winter Words” ist kursiv der Untertitel (or The journeying boy) hinzugefügt, ebenso sind die Verszeilen anders umbrochen, so dass jede Strophe statt aus 5 aus 8 Versen besteht. Ich vermute, dass diese Umformung auf Britten zurückgeht (?).




    Liebe Grüße
    Petra

  • Liebe Petra,
    in meinem Booklet (Collins-Originalpressung) sind die Zeilen so umbrochen wie bei Hardy, also 5-zeilig. Die Strophenlänge scheint also nicht auf Britten zurückzugehen.


    Britten hat bis zu den "Lullabies" ungefähr gleichgewichtige Lieder zu Zyklen zusammengefaßt. Ab den "Winter Words" gibt es innerhalb der Zyklen eine Art Dramaturgie: Zwei oder drei "großen Brocken" von hoher Intensität werden einige quasi-Divertissements zugesellt. In den "Songs and Proverbs" ist das noch stärker, aber die Idee manifestiert sich bereits in den "Winter Words". Außerdem entfernt sich Britten immer mehr vom herkömmlichen Lied, wie er es in den Donne-Sonetten so großartig abgehandelt hat, und wendet sich monologisierender Gestik zu mit relativ starken rezitativischen Anteilen. Ich bin ziemlich sicher, dass er dabei die "Canticles" auf das Lied überträgt - eventuell sogar den Liederzyklus als eine Sonderform des "Canticle" auffasst.


    :hello:

    ...

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  • Lieber Edwin,


    danke fürs Nachschauen (dann kann ich die Ausgabe der Hardy-Gedichte ja weiterhin als Basis nehmen) und für Deine Erläuterungen zu Brittens Entwicklung als Liedkomponist. Wenn mir etwas so gut gefällt wie dieser Zyklus hier, so möchte ich gern auch wissen, was es ist, das mich daran so begeistert. Und vielleicht ist es gerade diese Hinwendung zu neuen Ausdrucksformen im Lied.


    Hardys Gedichte verbinden ja oft eine auf den ersten Blick recht karg und bewusst “kunstlos” wirkende Sprache mit ungewöhnlichen Wendungen und Bildern, so dass das Ganze manchmal ein wenig „in sich versponnen” wirkt. Und das wird hier meiner Meinung nach von Britten so suggestiv ausgeformt, dass ich z. B. die düstere November-Szenerie mit ihrer Verbindung aus Flüchtigem und Statischem oder den Jungen im Zug wirklich bildlich vor mir sehe.


    ***


    Ich habe mir die Noten bestellt, um bei dem, was da so plastisch und (scheinbar) illustrativ in Szene gesetzt ist, auch die technische Seite besser mitverfolgen (und vielleicht auch hier ein wenig erläutern) zu können. Bis dahin werde ich erst einmal die Texte einstellen.


    Als „große Brocken” können in diesem Zyklus sicherlich “Midnight on the Great Western”, “The Choirmaster’s Burial” und “Before Life and After” betrachtet werden. Hier kommen die Texte der nächsten beiden Lieder, eher kleinere Momentaufnahmen, von denen die erste das Thema der „Störung” der Natur durch den Menschen auf sarkastische Weise behandelt, wogegen die zweite eher leise, resignative Züge trägt:



    Wagtail and Baby
    ( A satire)


    A baby watched a ford, whereto
    A wagtail came for drinking;
    A blaring bull went wading through,
    The wagtail showed no shrinking.


    A stallion splashed his way across,
    The birdie nearly sinking;
    He gave his plumes a twitch and toss,
    And held his own unblinking.


    Next saw the baby round the spot
    A mongrel slowly slinking;
    The wagtail gazed, but faltered not
    In dip and sip and prinking.


    A perfect gentleman then neared;
    The wagtail, in a winking,
    With terror rose and disappeared;
    The baby fell a-thinking.


    (aus: Time’s Laughingstocks, erschienen 1909, in: The Complete Works Volume I, S. 357.)





    The Little Old Table


    Creak, little wood thing, creak,
    When I touch you with elbow or knee;
    That is the way you speak
    Of one who gave you to me!


    You, little table, she brought –
    Brought me with her own hand,
    As she looked at me with a thought
    That I did not understand.


    – Whoever owns it anon,
    And hears it, will never know
    What a history hangs upon
    This creak from long ago.



    (aus: Late Lyrics and Earlier, erschienen 1922, in: The Complete Works Vol. II, S. 425.)



    Liebe Grüße
    Petra

  • Liebe Taminos,


    nachdem ich in den letzten Wochen leider wenig Zeit hatte, Musik zu hören, geschweige denn über sie zu schreiben, möchte ich jetzt mit den “Winter Words” weitermachen und meine Eindrücke zu Lied Nr. 5 schildern.

    The Choirmaster’ s Burial
    (or The tenor man’s story)

    He often would ask us
    That, when he died,
    After playing so many
    To their last rest,
    If out of us any
    Should here abide,
    And it would not task us,
    We would with our lutes
    Play over him
    By his grave-brim
    The psalm he liked best–
    The one whose sense suits
    ‘Mount Ephraim’–
    And perhaps we should seem
    To him, in Death’s dream,
    Like the seraphim.

    As soon as I knew
    That his spirit was gone
    I thought this his due,
    And spoke thereupon.
    ‘I think’, said the vicar,
    ‘A read service quicker
    Than viols out-of-doors
    In these frost and hoars.
    That old-fashioned way
    Requires a fine day,
    And it seems to me
    It had better not be.’


    Hence, that afternoon,
    Though never knew he
    That his wish could not be,
    To get through it faster
    They buried the master
    Without any tune.

    But ’twas said that, when
    At the dead of next night
    The vicar looked out,
    There struck on his ken
    Thronged roundabout,
    Where the frost was graying
    The headstoned grass,
    A band all in white
    Like the saints in church-glass,
    Singing and playing
    The ancient stave
    By the choimaster’s grave.

    Such the tenor man told
    When he had grown old.

    (aus: Moments of Vision and Miscellaneous Verses, erschienen 1917; in: The Complete Poetical Works, Volume II, S. 284/85.)


    In textlicher Hinsicht sind hier zwei Ebenen deutlich gegenüber gestellt: die des Chorleiters und des tenor manauf der einen und die des Pfarrers auf der anderen Seite.


    Verdeutlicht wird dies zunächst auch durch die Musik: Das Stück beginnt (bis “died”) mit unbegleitetem Gesang, die Vortragsbezeichnung ist “simply”; erst am Ende des zweiten Taktes setzt im pianissimo die Begleitung ein. Leise beginnt die Erzählung von einem Chorleiter, der sich seines Wertes für die Gemeinde durchaus bewusst war, der seine Bitte jedoch höflich und bescheiden vorgebracht hat. Der Eindruck des betont Schlichten wird jedoch durch die Musik in meinen Ohren schon dadurch gebrochen, dass durch die Betonung von “us” statt “ask” und die Betonung bei “aný” auf der zweiten Silbe des Wortes gegen die Prosodie akzentuiert wird. Besonderer Nachdruck wird in diesem Teil auf die Erwähnung des Liedes “Mount Ephraim” gelegt (durch zweimaliges crescendo in der Singstimme eingeleitet).


    Dann erklingen 13 Noten auf der ersten Silbe des Wortes “seraphim”, und dieses Melisma unterstreicht die Bedeutung, die der Gesang und das Spiel am Grab für den Chorleiter haben würde. Sehr schön finde ich die im pianissimo gesungene Wiederholung der Phrase “the seraphim”- als kleiner Nachhall und in Kontrast zu der liturgisch anmutenden Melismatik jetzt syllabisch und nachdenklich, mit fast “tonloser” Stimme gesungen. Eine Stelle, auf die ich in diesem Lied immer „warte” und die vielleicht in ihrem “fragenden”, offenen Ende (sie endet nicht auf dem Grundton) schon eine Überleitung zum zweiten Teil darstellt.


    ---

    Der Taktwechsel (von 3/2 auf 2/2) und die Vortragsbezeichnung “quicker” markieren insofern einen Wendepunkt, als von dem Tod des Chorleiters erzählt wird und der “tenor man” als “Erzähler in der Erzählung” von seinem Gespräch mit dem Pfarrer berichtet. Statt der ruhigen, akkordischen Klavierbegleitung im ersten Teil steht hier nun die Vortragsbezeichnung “heavily”, statt der leisen Akkorde erklingen kräftige, aufsteigende Tonfolgen, verstärkt durch Pedaleinsatz.


    Die Rede des Pfarrers klingt schroff und bestimmt: Er spielt seine Autorität aus und erklärt seine Ansicht, dass eine derartige Begräbniszeremonie an frostigen Wintertagen nicht angebracht sei. Diese Bestimmtheit, die hier wohl als Karikatur eines autoritären Geistlichen daherkommt, weicht jedoch bei den Worten “And it seems to me, it had better not be” einem leiser werdenden, nachdenklichen, fast fragenden Ton, der zu der aufgesetzten Attitüde am Anfang der Rede nicht recht passen will – fast so, als habe der Pfarrer hier bei der ganzen aufgesetzten Pragmatik doch kein gutes Gefühl. Diese Passage, die auch in musikalischer Hinsicht wieder ein “offenes Ende” hat, kann man vielleicht wieder als Überleitung zum dritten Teil hin sehen?


    ---


    Dieser dritte Teil ist ohne crescendo zunächst im pianissimo, dann im piano gehalten. So lange der Text sich noch mit dem verstorbenen Tenor befasst (“Though never knew he that his wish could not be”), herrscht ein gebundenes Singen vor. Dagegen wird die Eile, mit der das Begräbnis vollzogen wird, durch eine staccatohaft wirkende Singstimme und einen ebensolchen Klavierpart verdeutlicht: ein bewusst “gehuschtes” Singen und Spielen, das außer der Eile für mein Empfinden auch so etwas wie ein Unbehagen der Teilnehmer an dem Begräbnis verdeutlicht, nach dem Motto: “Wir wissen, dass es nicht richtig ist, was wir hier machen, deshalb lasst es uns schnell hinter uns bringen.”


    ---


    Der vierte Teil nimmt musikalisch Motive des ersten wieder auf, und die Erzählung bekommt durch die fast flüsternd im pianissimo vorgetragene Einleitung “But ’twas said, that, when ... At the dead of next night“ und die im ppp notierte Begleitung bei ”A band all in white ...“ eine geheimnisvolle, unwirkliche Atmosphäre.


    In diesem Teil ist, soweit ich in einer Biographie über Britten gelesen habe, auch das Lied „Mount Ephraim“ in die Musik mit eingewoben. Da ich dieses Musikstück jedoch nicht kenne, kann ich leider nicht erkennen, wo, wie und inwieweit dies geschehen ist. Es handelt sich dabei wohl um ein Lied aus dem 19. Jh.., dessen erste Strophen wie folgt lauten:


    For all thy saints, o Lord,
    our grateful hymn receive,
    who followed thee, obeyed, adored,
    and strove in thee to live.


    For all thy saints, o Lord,
    accept our thankful cry,
    who counted thee their great reward,
    who strove in thee to die.


    “Like the saints in church-glass” erscheint auch die gespenstische Gruppe, die am Grab des Chormeisters jetzt dessen Lieblingslied singt und spielt. Ein fortlaufendes crescendo auf “singing and playing” läutet den Höhepunkt des Liedes ein; die Melismatik auf der ersten Silbe des Wortes “ancient” und auf der ersten Silbe des Wortes “choirmaster’s” stellen eine Verbindung mit dem ersten Teil her, die umso enger ist, als bei “choir” dieselbe Tonfolge erklingt wie auf der ersten Silbe von “seraphim” im ersten Teil. Der Kreis ist geschlossen, könnte man meinen und die Gerechtigkeit wiederhergestellt, da die Bitte des verdienten Chorsängers schließlich im Metaphysischen doch erfüllt wurde. Wäre da nicht der Nachsatz, der dieses trostreiche Ende der Geschichte dadurch relativiert, dass er ihm den Anschein der Authentizität nimmt, indem er es ausdrücklich als Erzählung aus der Erinnerung heraus deklariert - und die Erinnerung kann bekanntlich trügen oder verklären.


    Eine Andeutung der Famahaftigkeit dieser Geschichte wird ja schon in der Erzählung selbst durch die Formel ” ’twas said” erreicht, hier am Ende jedoch durch die Hervorhebung des Charakters einer Erzählung noch stärker verdeutlicht. Und dieser Nachsatz ist auch musikalisch dadurch von dem Erzählten abgehoben, dass er ohne Begleitung gesungen wird.


    “The Choirmaster’s Burial” ist ein Lied, das auch für mich insbesondere in seinen zarten Passagen sehr anrührend klingt und das dadurch eine besondere musikalische Spannung erhält, dass die Eindrücke, die in einem bestimmten Teil vorherrschend sind, zugleich auch immer wieder etwas relativiert werden.


    Liebe Grüße
    Petra

  • Hallo !


    Die "Winter Words" von Britten gibt es in einer neuen Einspielung die ich unbedingt hier empfehlen möchte :



    Auf der CD befinden sich auch noch :


    The Holy Sonnets of John Donne op. 35;
    Henry Purcell-Realizations;
    Folksong-Arrangements


    Gesungen werden sie von Mark Padmore der am Klavier begleitet wird von Roger Vignoles.


    :hello:


    Gruss
    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms