Schostakowitsch: Odna, Op. 26

  • In den letzten Tagen höre ich oft die folgende Aufnahme, die mir meine Erkältungslaune doch deutlich versüßt:



    Ein sehr gute Aufnahme (es klingt alles hervorragend) von sehr schöner und einfallsreicher Musik unterschiedlichster Stimmungen und Instrumentierung inkl. Gesang (Spieldauer: 80 min.). Macht richtig Spaß.


    Es ist noch anzumerken, dass sich obige Aufnahme deutlich unterscheidet (insbesondere was die Zusammenstellung/Anordnung der Stücke angeht) von der folgenden



    (ich nehme an, die CD, die ich aus einer Box habe, ist die gleiche).


    Erstgenannte finde ich deutlich spannender und kurzweiliger.


    maticus

  • Hallo maticus,


    Zitat

    Original von maticus
    Ein sehr gute Aufnahme (es klingt alles hervorragend) von sehr schöner und einfallsreicher Musik unterschiedlichster Stimmungen und Instrumentierung inkl. Gesang (Spieldauer: 80 min.). Macht richtig Spaß.


    vielen Dank für die Eröffnung dieses schönen Threads!
    Leider ist man mithilfe der genannten CD ja nur auf die rein akustische Seite des überaus unorthodoxen filmischen Meisterwerkes angewiesen, das in außergewöhnlichen Einstellungen und schnellen Schnitten das Filmdrama einer jungen Lehrerin schildert, die aus der Großstadt (Leningrad) in das ferne Altai-Gebirge versetzt wird und dort Opfer eines intriganten, korrupten Dorfsowjet wird.


    Glücklicherweise hatte ich im Dezember 2006 das große Vergnügen, den Film mitsamt der musikalischen Live-Begleitung (Singstimmen und Orchester unter Leitung von Mark Fitz-Gerald) im HR-Sendesaal zu Frankfurt a. M. mit der auf der Naxos-CD enthaltenen Besetzung erleben zu dürfen. Vielleicht handelt es sich ja sogar um einen Live-Mitschnitt dieser "Stummfilm plus Orchesterbegleitung"-Veranstaltung.
    Wobei der Begriff 'Stummfilm' in diesem Falle nicht ganz korrekt ist; denn konzipiert wurde der von dem genialen Regie-Duo Grigori Kosinzew / Leonid Trauberg inszenierte Streifen 1929/30 zwar zunächst als Film ohne Ton - 1931 wurde 'Odna' jedoch zu einem Mix aus Stumm- und Tonfilm umgearbeitet, das heißt, es wurden - mithilfe einer Tonspur - in bestimmte Szenen Geräusche aus dem Alltagsleben der pulsierenden Metropole Leningrad sowie eingesprochene Textpassagen mithilfe von Durchsagen über Lautsprecher integriert.


    Damit aber nicht genug: Was mich persönlich an dem Gesamtkunstwerk 'Odna' besonders beeindruckt hat, war die geistreiche Vertonung Schostakowitschs, der in dieser, im Alter von 23 bzw. 24 Jahren geschriebenen Partitur sämtliche Mittel aufbietet, die ihm damals zur Verfügung standen, als da sind:


    3 Gesangssolisten: Sopran, Mezzosopran und Tenor
    1 Obertonsänger, der die ätherische Atmosphäre der entrückten Altai-Begwelt kongenial vermittelt!
    1 gemischter Chor
    1 großes Orchester, das unter anderem mit einer Orgel sowie dem von dem russischen Physikprofessor Leon Theremin (eigentlich Lev Sergejewitsch Termen, 1896-1993) 1919 entwickelten ersten elektronischen Instrument der Musikgeschichte - eben dem "Theremin" - aufwartet!


    Wichtig zu erwähnen, daß - neben Theodore van Houten - der Dirigent der Naxos-Einspielung Mark Fitz-Gerald maßgeblich an der Rekonstruktion der durch die Bombardierung Leningrads im Zweiten Weltkrieg verlorengegangenen "Blattmusik" Schostakowitschs beteiligt war.


    Denjenigen, die sich nicht mit der rein akustischen CD-Version begnügen wollen, sei hier die ebenfalls rekonstruierte ARTE-Filmfassung auf DVD mit der Begleitung der 'basel sinfonietta' empfohlen:


    Odna - Allein
    UdSSR 1929-31
    Musik: Dmitri Schostakowitsch
    Regie: Grigori Kosinzew & Leonid Trauberg
    ARTE-Edition, 1 DVD



    :hello:
    Johannes

  • Hallo Johannes,


    ich danke dir für die angemessene Würdigung des Werkes. Ich finde nämlich, das Werk hat einen höheren Bekanntheitsgrad verdient. Solche "Stummfilm plus Orchesterbegleitung"-Veranstaltungen sind natürlich das Nonplusultra. Ob es das nochmal geben wird?


    Auch den Hinweis auf die DVD nehme ich dankend auf. Von der Qualität der Musik motiviert werde ich da wohl zuschlagen, denn die Bilder gehören ja zum Gesamtkunstwerk. Ich finde aber, dass man nicht unbedingt Bilder benötigt, um diese Musik schätzen zu können -- im Gegensatz etwa zu einer Oper. Es sollte sich auch niemand durch das Etikett "Filmmusik" abschrecken lassen. Hier handelt es sich um Musik auf allerhöchstem Niveau, auch im absoluten Sinne. (Womit ich nicht sagen will, dass Filmmusik niedrigeres Niveau bedeuten muss.)


    Du hast Recht mit der Live-Aufnahme. Auf der Naxos-CD steht: "A part studio and part live recording (evening of 1st December) made at the Sendesaal of Hessischer Rundfunk, Frankfurt, from 29th November to 1st December, 2006". Die Klangqualität ist durchweg 1a.


    Ich füge noch einen Satz hinzu: Ich finde es fast unglaublich, welchen Einfallsreichtum und Output der junge Schostakowitsch in dieser Zeit zwischen den Opern "Die Nase" und "Lady Macbeth" zeigte.


    maticus

  • Hallo maticus,


    vielen Dank für Deine Ergänzungen zu den Aufnahmedaten der Naxos-Einspielung. Diese wandert natürlich sofort auf meine Bestellliste. ;)


    Zitat

    Original von maticus
    Solche "Stummfilm plus Orchesterbegleitung"-Veranstaltungen sind natürlich das Nonplusultra. Ob es das nochmal geben wird?


    Ob 'Odna' in den nächsten Jahren nochmal gezeigt wird, kann ich natürlich nicht voraussagen.
    Allerdings haben wir in Frankfurt das große Glück, daß im Hessischen Rundfunk in der Reihe 'Variationen' praktisch einmal im Jahr ein Stummfilm mit Live-Orchesterbegleitung gezeigt wird. Vor etwa einem Monat gab es z. B. den französischen Stummfilmklassiker 'Carmen' von 1926 (Regie: Jacques Feyder) mit der originalen Musik von Ernesto Halffter (Leitung: Mark Fitz-Gerald). Diesmal war ich aber leider nicht zugegen.
    Ich erinnere mich jedoch an viele andere, äußerst bewegende und mitreißende Veranstaltungen dieser Art, vor allem an die im Dezember 2005 von Frank Strobel geleitete Aufführung von Fritz Langs Meisterwerk 'Metropolis' mit der Originalmusik von Gottfried Huppertz. :]


    Zitat

    Original von maticus
    Ich füge noch einen Satz hinzu: Ich finde es fast unglaublich, welchen Einfallsreichtum und Output der junge Schostakowitsch in dieser Zeit zwischen den Opern "Die Nase" und "Lady Macbeth" zeigte.


    Genau dieser Gedanke kam mir, als ich erst vor kurzem 'Die Nase' kennenlernte, in welcher der junge Komponist vor originellen Einfällen nur so übersprudelt! :faint:


    :hello:
    Johannes

  • Hallo Johannes,


    Zitat

    Zitat von Guercoeur
    Genau dieser Gedanke kam mir, als ich erst vor kurzem 'Die Nase' kennenlernte, in welcher der junge Komponist vor originellen Einfällen nur so übersprudelt!


    Ich habe letztes Jahr, 2008, (neben vielen weiteren Stücken) auch "Die Nase" kennengelernt und war sofort begeistert. Ich habe die Oper sogar live in Berlin mit dem Mariinsky-Theater erlebt. Schönes Erlebnis, obschon ich sagen muss, dass ich rein musikalisch die Aufnahme von Roshdestwenskij spannender und frischer finde. Ich kenne leider keine DVD der "Nase". Für einen Hinweis wäre ich da dankbar, falls es etwas gibt.


    In die genannte Schaffensperiode fallen ja auch die Ballette. Zum Beispiel "Das goldene Zeitalter" sprüht ebenfalls über voller Ideen, Witz und Energie. Allerdings so sehr, dass es im Verbund mit der "Leichtigkeit" der Musik mir manchmal des Guten zu viel wird. Ganz anders empfinde ich das bei "Odna". Zwar gibt es auch hier viel "leichte" Musik (zum Beispiel die "Morgenübungen", die ich sehr erfrischend finde), aber es gibt mehr Kontraste, mehr "ernsthafte" Stellen, dazu die unterschiedlichen, sehr schönen Gesänge. -- Aber vielleicht sollte ich das "GZA" nach langer Zeit mal wieder hören...


    maticus

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber maticus und Johannes,


    was Ihr hier über ein mir noch völlig unbekanntes Werk eines allerdings von mir hochgeschätzten Komponisten zusammentragt, finde ich sehr interessant: Nos ist mir schon seit langem bekannt: Wenn sich Odna musikalisch auf ähnlichem Niveau bewegt - und nach den Hörschnippseln der Frankfurter Aufnahme scheint das so zu sein -, wäre das für mich eine faszinierende Entdeckung: Habe mir zumindest mal die Aufnahme vorgemerkt.


    Vielen Dank!

  • Hallo Gurnemanz,


    die Frage nach dem Niveau -- das mögen Musikwissenschaftlicher beurteilen. Vom Stil her unterscheiden sich "Die Nase" und "Odna" doch ziemlich, so extrem frech-avantgardistisch wie "Nos" ist "Odna" nicht, um das klar zu sagen. Die Musik ist aber auf andere Weise sehr mitreißend und hat, wie Johannes eindrucksvoll dargelegt hat, einige Besonderheiten zu bieten. Probier' es aus, ich denke, Du wirst nicht enttäuscht sein. (Die CD ist ja auch preislich ein Schnäppchen.)


    maticus

  • Hallo maticus,


    Zitat

    Original von maticus
    Ich habe letztes Jahr, 2008, (neben vielen weiteren Stücken) auch "Die Nase" kennengelernt und war sofort begeistert. Ich habe die Oper sogar live in Berlin mit dem Mariinsky-Theater erlebt. Schönes Erlebnis, obschon ich sagen muss, dass ich rein musikalisch die Aufnahme von Roshdestwenskij spannender und frischer finde. Ich kenne leider keine DVD der "Nase". Für einen Hinweis wäre ich da dankbar, falls es etwas gibt.


    Ich denke auch, daß die Rozhdestvensky-Einspielung der 'Nase' in ihrer Schärfe und Kompromißlosigkeit von anderen Interpretationen wohl kaum übertroffen werden kann. Eine DVD-Ausgabe ist mir leider nicht bekannt. Auch eine Recherche bei jpc und Amazon hat kein Resultat zutage gefördert.


    Es gibt allerdings die Möglichkeit, in dieser neuen Dokumentation


    Zitat

    Dmitri Schostakowitsch: Dem kühlen Morgen entgegen
    D Dok. 2008 - 1:18:00
    Dokumentarfilm von Oliver Becker und Katharina Bruner
    Infos zur Erstausstrahlung auf 3sat
    So., 04.01.2009 - ZDF Theaterkanal - 14.40-16.00 Uhr (Der Film wird im Theaterkanal im Monat Januar noch achtmal wiederholt)


    zumindest einige wenige Ausschnitte aus den Proben zur 1. Wiederaufführung der 'Nase' im Jahr 1975 zu sehen mit Rozhdestvensky als Dirigent und Schostakowitsch himself. Wirklich äußerst beeindruckend zu sehen, wie exakt der Komponist nach beinahe 50 Jahren (seit der Komposition) seine Partitur (mit genauen Taktangaben) noch im Kopf hatte. Allein wegen dieser Originalfilmaufnahmen mit Schostakowitsch sowie etlicher Interviews mit Gennady Rozhdestvensky, Mstislaw Rostropowitsch, Kurt Sanderling, Galina, Irina und Maxim Schostakowitsch ist der Film sehr zu empfehlen!


    :hello:
    Johannes

  • Hallo Johannes,


    auf youtube.com findet man mit der Suchfunktion schnell mehrere solcher Filme mit Ausschnitten aus dieser Probe. In der Tat hatten mich diese Aufnahmen neugierig auf "Die Nase" gemacht. Ich bin nicht sicher, aber es scheinen Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm "Der Komponist Schostakowitsch" von Yuri Belyankin (1975) zu sein. Es wäre interessant, diesen Dokumentarfilm mit Untertiteln mal zu bekommen. Es handelt sich in der Tat um einzigartige Dokumente.


    Den Dokumentarfilm "Dem kühlen Morgen entgegen" habe ich auch gesehen. Dazu könnte ich viel sagen (pro und contra), aber das wäre mal einen eigenen Thread wert.


    maticus

  • Lieber Johannes,


    nach längerer Zeit möchte ich ergänzend berichten, dass ich mir die von Dir genannte DVD zugelegt habe. Dirigent ist ja, wie bei der Naxos-Einspielung, Mark Fitz-Gerald. Es spielt Basel Sinfonietta. Von daher ist auch nicht überraschend, dass die Musik auf ähnlich hohem Niveau ist wie auf der CD.


    Ich empfinde derartige DVDs als große Bereicherung, und freue mich, dass soetwas produziert wird. Wichtige historische Dokumente sind es allemal. Bedauerlich, dass bei Odna eine der Rollen verschwunden ist und daher kein Bildmaterial dafür existiert, aber dafür kann niemand etwas.


    Empfehlenswert ist auch der Film Das neue Babylon (1929) vom selben Label:



    Die Regisseure und die Hauptdarstellerin sind dieselben wie bei Odna.


    Persönlich finde ich diesen Film noch interessanter, und die Musik oft besser zu den Bildern passend. Viel witzige, erfrischende Musik: Cancans, Marseillaise, auch beides vermengt. Viele Stellen (Fragmente) findet man auch in den Balletts (Das goldene Zeitalter und Der Bolzen) und in der Lady Macbeth wieder.


    Es dirigiert Frank Strobel das SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern.


    Das gute Zusammenpassen von Musik und Film ist wohl der neuen Edition geschuldet. Zitat von John Riley aus dem "Cambridge Companion to Shostakovich" (Fairclough, Fanning eds.), Cambridge University Press 2008:


    Zitat

    New Babylon was a notorious scandal, though in fact Shostakovich's score was positively received by some critics. With only silent prints extant, revivals still rely on a live orchestra, and the exact synchronization of music and action is still a matter of debate.


    Fußnote: The recently published score (New Collected Works, vol. 122, Moscow, DSCH Publishing 2004) resolves many of these issues [...]


    Es ist wohl diese Fassung, die auf der DVD gespielt wird. Weitere Infos bei ARTE:


    [URL=http://www.arte.tv/de/film/stummfilm-auf-arte/Stummfilm-auf-ARTE/698194,CmC=698196.html]Info zu Odna bei ARTE[/URL]


    [URL=http://www.arte.tv/de/film/stummfilm-auf-arte/Stummfilm-auf-ARTE/1356770,CmC=1345688.htm]Info zu Das neue Babylon bei ARTE[/URL]


    :hello: maticus

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose