AN DEN VATER
Munic de 8 de 9bre 1780
Mon trés cher Pére!
Glücklich und vergnügt war meine Ankunft! – glücklich, weil uns auf der Reise nichts widriges zugestossen, und vergnügt, weil wir kaum den Augenblick, an ort und Ende zu kommen, wegen der obwohl kurzen doch sehr beschwerlichen Reise; - denn, ich versichere Sie, daß keinem von uns möglich war nur eine Minute die Nacht durch zu schlafen – Dieser Wagen stößt einem doch die Seele heraus! – und die Sitze! – hart wie Stein! […]
So überaus real schildert Mozart seine am 5. November in Salburg begonnene, über Wasserburg führende und am 6. November 1780 endende Reise nach München, wo er die Oper Idomeneo, Ré di Creta fertig stellen und einstudieren wollte. Er nimmt Quartier in der burg gassen bey mr fiat [Fiala]. Am 7. November trifft Mozart Graf Seeau zwecks Besprechung des Textbuches, am Abend besucht er eine Festvorstellung zu Ehren des Erzherzogs Maximilia Franz: Graf Essex, ein Trauerspiel von John Banks [in deutscher Übersetzung] mit einer Balletteinlage von Christian Cannabich.Am 12. und 13. November 1780 folgen weitere Besprechungen mit Seeau, Canabich, dem Bühnenbildner Lorenzo Quaglio und dem Ballettmeister Le Grand, um das Nöthige wegen der Opera zu verabreden. In der Zeit vom 22. bis 25. November 1780 ist Mozart leicht an einem Katarrh erkrankt.
[Anton Raaff als Idomeneo]
Während Mozart sich noch durchaus intensiv mit Kernstücken der Opera beschäftig, wie wir aus nachfolgendem Briefausschnitt erfahren, stirbt am 29. November 1780 Kaiserin Maria Theresia in Wien:
AN DEN VATER
München, 29. November 1780
[…] Die überschickte Arie für Raaff gefällt mir und ihm gar nicht; [gemeint ist der Text der Arie!] von dem era will ich gar nichts sagen, denn das ist bey einer solchen Arie allezeit gefehlt. Metastasio hat esauch bisweilen, aber äußerst selten, und sind auch dieselben Arien nicht seine besten; und was für Nothwendigkeit ist da? – Ueberdies ist sie auch gar nicht so, wie wir sie gewünscht haben, nämlich sie soll nichts als Ruhe und Zufriedenheit zeigen, und das zeigt sie hier nur erst im zweyten Theile: denn das Unglück, welches er alles auszustehen gehabt hat, haben wir die ganze Oper durch genug gesehen, gehört und gefühlt, aber von seinem gegenwärtigen Zustande kann er wohl reden. Wir brauchen auch gar keinen zweyten Theil – desto besser. – In der Oper: Achille in Sciro von Metastasio ist so eine Arie auf diese Art, und nach welcher Art sie Raaff zu haben wünschte:
Or che mio figlio sei,
O sfido il destin nemico
Sento degl’ anni miei
Il Peso a leggierir.
Sagen Sie mir, finden Sie nicht, daß die Rede von der Unterirdischen Stimme zu lang ist? Ueberlegen Sie es recht. – Stellen Sie sich das Theater vor, die Stimme muss schreckbar seyn – sie muss eindringen – man muss glauben, es sey wirklich so – wie kann sie das bewirken, wenn die Rede zu lang ist, durch welche Länge die Zuhörer immer mehr von dessen Nichtigkeit überzeugt werden? – Wäre im Hamlet die Rede des Geistes nicht so lang, sie würde noch von besserer Würkung seyn. – Diese Rede hier ist auch ganz leicht abzukürzen, sie gewinnt mehr dadurch, als sie verliert. Nun brauche ich wegen des Marsches im 2ten Acte, den man von der Ferne hört, solche Sordinen für die Trompeten und Hörner, die man hier nicht hat. Wollten Sie mir wohl mit nächstem Postwagen von jedem Eines schicken, um sie hier nachmachen lassen zu können? […]
Es folgt eine überaus rege Korrespondenz zwischen Vater und Sohn wegen der Feinheiten der Oper bis Mitte Januar 1781.
Am 1. Dezember 1780 findet die erste Opernprobe mit kleinem Orchester statt. Mozart schreibt an den Vater:
[…] mir wird bey meiner Ehre nicht Salzburg – sondern der Fürst – die stolze Noblesse alle tage unerträglicher […]. Trotzdem muß Mozart aushalten, dass die dritte Probe am 23. Dezember 1780 mit ganzem Orchester in Anwesenheit des Kurfürsten Karl Theodor stattfindet. Im Januar 1781 kommen Maria Viktoria Robinig von Rottenfeld sowie deren Töchter Luise und Maria Elisabeth und ihr sohn Georg Sigismund, ferner Dr. Silvester Barisani nebst Gemahlin und der Oboist Joseph Fiala aus Salzburg nach München, um der Premiere der Oper beizuwohnen. Am 26. Januar kommen Nannerl und Leopold Mozart in Müchen an. Die Generalprobe findet am 27. Januar, Mozarts 25. Geburtstag, statt. Die zur Fastenzeit 1781 komponierte Oper IDOMENEO • Ré di Creta, Text von Abbate Giambattista Varesco, wird am 29. Januar 1781 im neuen kurfürstlichen Opernhaus [dem späteren Residenztheater] unter Leitung von Christian Cannabich uraufgeführt.
[Vorankündigung der Premiere]
Die Oper spielt in Kreta, nach dem Trojanischen Krieg.
Atto Imo
In Kreta wird der aus dem Krieg heimkehrende Idomeneo zurückerwartet. Idamante, Sohn des Idomeneo und Liebhaber der Ilia, die ebenso wie Elektra auf der Insel Zuflucht gefunden hat. Idamante will den trojanischen Gefangenen zur Feier der bevorstehenden Rückkunft des Vaters die Freiheit schenken. Arbace bringt die Hiobsbotschaft, dass Idomeneos Schiff gestrandet sei. Idomeneo selbst hat sich jedoch gerettet und gelobt dem Meeresgott Poseidon, ihm den ersten Menschen, dem er begegne, als Opfer darzubieten. Zu seinem Schrecken ist es Idamante. sein Sohn. Idomeneo versucht, den Sohn abzuwehren, was dieser nicht verstehen kann.
Atto IIdo
Um der Rache des in seiner Ehre verletzten Poseidon zu entgehen, beschließt Idomeneo, seinen Sohn mit Elektra nach Argos schicken. Elektra triumphiert über die betrübte Ilia, doch im Hafen braut sich durch Poseidons Macht ein Sturm zusammen. Ein Ungeheuer entsteigt dem Meer; das Schiff kann nicht auslaufen. Idomeneo versteht und bietet sich anstelle des versprochenen Opfers Poseidon an.
Atto IIIzo
Ilia klagt der Natur ihr Leid. Idamante, der die Trennung von Ilia nicht ertragen und das geliebte Vaterland nicht verlassen will, begibt sich in einen Kampf mit dem Meeresungetüm in der Absicht, im Kampf mit dem Ungeheuer den Tod suchen. Es gelingt ihm aber, das Untier zu erlegen. Nun bleibt Idomeneo nichts weiter zu tun, als den Sohn tatsächlich zu opfern. Da erklärt sich Ilia bereit, für den Geliebten zu sterben. Poseidon ist besänftigt. Er verkündet durch den Priester, dass Idomeneo dem Thron entsagen, Idamante krönen und mit Ilia vereinen solle. Mit Tänzen huldigt das Volk dem neuen König.
Mozarts Musik zu Idomeneo ist so umwerfend real komponiert, dass ich manchmal meine, mit in die Fluten gerissen zu werden. Trotz der eher einfältigen, altbekannten Handlung gelingt es Mozart wieder einmal, mich völlig der Realität zu entreissen. Die hingebungsvollen Huldigungschöre ebenso wie die furiosen Chöre und Arien. Die musikalisch "schönsten" Nummern sind für mich die Nr. 1 [Aria der Ilia: "Padre, germani, addio!"], welche in g-moll beginnt mit [natürlich rein zufälligen] Anklängen an das Requiem und für Mozart untypisch in einem Rezitativ endet sowie der Chor "Placido é il mar..." in E-Dur und der G-Dur-Chor "Godiam la pace, trionfi Amore...". Mit spitzen Ohren höre ich in Nr. 4 "Tutte nel cor vi sento" [Elettra] den dramatischen Einsatz der Fagotte und Flöten, die Krönung ist für mich das Quartetto im 3. Akt "Andró ramingo e solo...", das Finale des 3. Aktes hingegen finde ich für ein solch monströses Werk etwas zu flach geraten.
Meine erste Aufnahme auf LP war die oben angezeigte mit
Idomeneo • Luciano Pavarotti
Idamante • Agnes Baltsa
Ilia • Lucia Popp
Elettra • Edita Gruberova
Arbace • Leo Nucci
Gran Sacerdote • Timothy Jenkins
La voce • Nikita Stotojew
Due Cretesi • Gabriele Fontana / Margaretha Hintermeier
Due Troiani • Yoshihisa Yamaji / Nikolaus Hillebrand
Konzertvereinigung Wiener Staatsoper
Wiener Philharmoniker
SIR JOHN PRITCHARD
Danach folgte im Rahmen der Complete Mozart Edition:
Idomeneo • Francisco Araiza
Idamante • Susanne Mentzer
Ilia • Barbara Hendricks
Elettra • Roberta Alexander
Arbace • Uwe Heilmann
Gran Sacerdote • Werner Hollweg
La voce • Harry Peeters
Due Cretesi • Atsuko Suzuki / Gisela Uhlmann
Due Troiani • Anton Rosern / Paul Hansen
Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
SIR COLIN DAVIS
So, nun seid IHR dran…
Cordialement,
Ulli