Claude Debussy: Klavierwerke

  • Weissenberg ist mir etwas zu schnell, das wirkt gerade zu Beginn ein wenig verhetzt.

    Da müssten wir uns aber jetzt ernsthaft mit den verschiedenen Interpretationsansätzen des Stücks beschäftigen, lieber Christian.


    Walter Gieseking war ja nun "der" prägende Debussy-Interpret vor Michelangeli. Seine Auffassung von Pagodes ist völlig entgegengesetzt zu der von Richter. Das ist keine buddhistische Meditationsmusik, sondern unruhiger Expressionismus vom ersten Akkord an. Wenn man Giesekings Aufnahme im Hintergrund wahrnimmt, ist Weissenbergs Interpretationsansatz einer der interessantesten, weil er versucht, Giesekings "Bewegtheit" eine klassische Fassung zu geben. Gleich zu Beginn betont er nämlich den Gegensatz von Ruhe und Bewegung - und das setzt sich fort durch das ganze Stück. Weissenberg arbeitet die Kontraste von Dynamik und lyrischer Versenkung heraus. Das ist eine der wirklich durchdachtesten und auf ihre Art schlüssigsten Interpretationen finde ich. Auch wenn ich selbst diesen Interpretationsansatz nicht verfolgen würde, finde ich das doch einen sehr beachtlichen und bereichernden. :hello:

  • Sind Dir unsere Beobachtungen noch nicht ernsthaft genug, Holger? Ich schreibe hier ausschließlich zum Vergnügen, aber immer so gewissenhaft, wie es meine Zeit und mein Wissen erlaubt. Giesking ist ja eine vielzitierte Größe bei Debussy - für mich allerdings nicht. Ich finde ihn oftmals flüchtig und auch ungenau. Aber Meditationsmusik ist es natürlich nicht, ich habe mich ja schon weiter oben über einseitig pedallastige Aufführungen ausgelassen. Aber warum gerade in Pagodes der Gegensatz von Ruhe und Bewegung dargestellt sein soll, leuchtet mir nicht ein, das ist doch so ein Allgemeinplatz, der auf fast jedes zweite Stück passt. Und nur weil Weissenberg den Ansatz von Gieseking - den ich eben nicht so großartig finde - weiterentwickelt hat, soll seine Aufnahme was Besonderes sein? Dabei finde ich sie alles andere als schlecht! Davon abgesehen sind solche polaren, klassisch zu nennenden Gegensätze für mich nicht das Charakteristische dieser Musik. Es ist übrigens eine Musik, die ich überhaupt nicht interpretieren will. Sie zu beschreiben, etwas über ihr Entstehen und die Zeit, in der sie entstanden ist, zu erfahren, sie einzuordnen, ihre tonalen Besonderheiten zu erfassen (in Pagodes weist Bareboim in seinem Video bspw. auf die Einflüsse hin, und Du hattest ja auf die Gamellanmusik verwiesen!), all das genügt mir völlig, um diese Wunderwerken besser zu verstehen und ihnen näher zu kommen. Jochen Scheytt schreibt auf seiner Debussy-Seite im Internet:
    "Debussy hatte Asien oder Andalusien Zeit seines Lebens nie besucht. Die musikalischen Eindrücke für die Estampes holte er sich bei den Pariser Weltausstellungen von 1889 und 1900, wo sowohl andalusische als auch javanische Ensembles auftraten. Debussy schrieb diesbezüglich in einem Brief an André Messager: "Wenn man nicht das Geld hat, sich Reisen leisten zu können, muss man sie im Geist machen."


    Viele Grüße
    Christian

  • Giesking ist ja eine vielzitierte Größe bei Debussy - für mich allerdings nicht. Ich finde ihn oftmals flüchtig und auch ungenau.

    Glaubst Du, dass Du einem Walter Gieseking damit gerecht wirst? :D Warum Walter Gieseking als Interpret von Debussy und Ravel eine Ausnahmeerscheinung ist, kann man glaube ich schon sehr gut begründen. Man muss deshalb ja nicht mit allem einverstanden sein, was er macht. Pollini z.B. wird Dir sicher widersprechen. Den Einfluss von Gieseking bei ihm kann man ziemlich eindeutig nachweisen. Auch bei Aimard z.B.

    Aber Meditationsmusik ist es natürlich auch nicht, ich habe mich ja schon weiter oben über einseitig pedallastige Aufführungen ausgelassen.

    Das war etwas salopp ausgedrückt. Bei einem Titel wie Pagode denken wir (ich natürlich auch :D ) an Tempel, Stille, Besinnung. Das ist die erste Assoziation. Das Stück hat aber auch dynamisch-dramatische Züge. Gerade Gieseking spielt nun nicht einfach pedallastig. (Anders als manche jungen Interpreten von heute spielt Gieseking z.B. die spätromantischen Debussy-Stücke nicht romantisierend, sondern deutlich mehr "modern"!) Die Frage ist, wieso ein solch erfahrener Debussy-Interpret, von dem Zeitgenossen berichten, dass sein Spiel mit dem von Debussy selbst sehr viel Ähnlichkeit aufwies, zu einer solchen Sicht kommt. Könnte es z.B. daran liegen, dass Gamelan-Musik solche dynamischen Züge hat?

    Aber warum gerade in Pagodes der Gegensatz von Ruhe und Bewegung dargestellt sein soll, leuchtet mir nicht ein, das ist doch so ein Allgemeinplatz, der auf fast jedes zweite Stück passt.

    Jetzt bist Du aber sehr allgemein und ungenau. Es gibt die Interpreten, die ähnlich wie Geiseking ein flüssiges Tempo bevorzugen von Casadesus angefangen über Francois bis hin zu Blechacz. Ich finde da erst einmal keinen, der so deutlich den Kontrast als Charaktergegensatz zwischen diesen Elementen betont.

    Und nur weil Weissenberg den Ansatz von Gieseking - den ich eben nicht so großartig finde - weiterentwickelt hat, soll seine Aufnahme was Besonderes sein?

    Das Besondere daran ist, dass das Resultat eben gelungen ist und ungewöhnlich, sehr eigen. Ich unterscheide zwischen meiner Sicht, was mein Interpretationsansatz wäre und der Qualität einer Interpretation, auch wenn ich eine andere Sicht habe.

    Es ist übrigens eine Musik, die ich überhaupt nicht interpretieren will.

    Das mag ja sein. Aber Interpreten - das sagt schon der Name - müssen nun mal interpretieren und sich über Interpretationsfragen Gedanken machen. Wenn man - sie in dem was sie tun Ernst nehmend - mit ihnen in einen (imaginären) Dialog treten will, kommt man um solche Fragen einfach nicht herum. Das ist letztlich natürlich eine Frage des Interesses, wie tief man in die Materie eindringen will. Krystian Zimerman z.B. , das sagt er selbst, studiert sämtliche Interpretationen eines Stückes, bevor er es in sein Repertoire aufnimmt. Man entdeckt doch beim Hören die Dinge neu, wenn man darüber nachdenkt, warum das dann so ist und andere Sichtweisen kennenlernt, die vielleicht von der gewohnten und liebgewonnenen eigenen abweichen. Wenn ich heute das Stück noch einmal spiele, dann bestimmt nicht mehr so naiv wie vor 20 Jahren, wo ich einfach Richter im Ohr drauflosgespielt habe. Das genügt mir heute nicht mehr - die Erfahrungen des Intepretationsvergleichs kann ich nicht vergessen, selbst wenn ich es wollte. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die Debussy-Seite von Jochen Scheytt ist interessant, so schreibt er bspw. über Pagodes:


    "Aus Java waren Gamelanorchester nach Paris gekommen, die typischen Ensembles dieser Region. Sie brachten in Europa bisher ungehörte Instrumente, Klänge und Strukturen zu Gehör, die Debussy in Pagodes nachahmt. Gamelanorchester bestehen typischerweise aus verschiedenen Gong- und Metallplattenspielen, helleren Stabplattenspielen, Gongs und Trommeln. Sie spielen mit Tonsystemen, bei denen im Gegensatz zu unserem europäischen System die Oktave nicht in acht, sondern in fünf Intervalle eingeteilt ist. Es werden hauptsächlich zwei verschiedene Skalen, Slendro und Pelog, verwendet, die sich das europäische Ohr als pentatonische Skala oder Ganztonleiter zurechthört.


    Typisch ist auch die Struktur dieser Musik. Vereinfacht kann man sagen, dass die tiefen Instrumente lange Töne spielen und somit eine Art Fundament legen, die mittleren Instrumente mäßig bewegte Figuren spielen, während die hellen, hohen Instrumente die schnellsten Bewegungen ausüben.


    Wie überträgt Debussy die Gamelanmusik auf das Klavier?


    Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass Debussy die Mehrschichtigkeit und die charakteristischen Bewegungsformen der Gamelanmusik übernimmt. Pagodes besitzt minimal eine und maximal vier gleichzeitig ablaufende Schichten, in den meisten Takten sind es allerdings drei..."


    Im weiteren geht er dann noch genauer auf diese Schichten ein, das ist sehr lesenswert und erschließt die Besonderheit dieser Komposition:


    "http://www.jochenscheytt.de/debussy/debussywerke/pagodes.html"


    Gieseking werde ich auch noch einmal hören, da war ich jetzt bewusst ein bisschen provokant. Aber gerade bei Debussy ist halt der Klang mitentscheidend - und der ist bei Gieseking historisch bedingt grenzwertig. Ansonsten interessieren mich unterschiedliche Interpreationen vor allem deshalb, weil sie unterschiedliche Facetten dieser Musik freilegen.


    Viele Grüße
    Christian

  • Die Quelle hatte ich oben selbst auch zitiert, lieber Christian. Ich hatte zudem ein Beispiel für Gamelan-Musik verlinkt bei Youtube. Da macht ein Gamelan-Orchester durchaus ganz unfeierlich und unruhig "Lärm", der dem Klangeindruck bei Gieseking irgendwie doch näher ist als dem, was Richter uns präsentiert. :D


    Hier also nochmals das Gamelan-Orchester:



    Schöne Grüße
    Holger

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  • Den Hinweis auf Scheytt hatte ich bei Dir übersehen, das irre Video mit der Gamellan-Musik natürlich nicht! Hatte ich ja auch oben erwähnt.
    Zu gerne wüsste ich, was Debussy da auf den Weltausstellungen gehört hat!?
    Das war - gewiss nicht nur in meiner Vorstellung - eine herrliche, künstlerisch sehr fruchtbare Zeit in Paris. Ein Marcel Proust flanierte ja auch dort und hatte gerade "Les plaisirs et les jours" veröffentlicht...


  • Aber gerade bei Debussy ist halt der Klang mitentscheidend - und der ist bei Gieseking historisch bedingt grenzwertig.

    Dem muss ich doch deutlich widersprechen. Die EMI-Monoaufnahmen sind klanglich wirklich gut genug, um die außergerwöhnlichen Qualitäten von Giesekings Spiel wiederzugeben. Es gibt zudem etliche Rundfunkaufnahmen, die klanglich sehr gut sind.



    Schöne Grüße
    Holger

  • Ist die identisch mit dieser hier? - deutlich billiger für 14 Euro!



    Für solche Mono-Aufnahmen habe ich meine kristallklar klingende AVM-Anlage und höre wirklich alles! :)


    Ich sehe gerade, die Ausgabe von Christian ist SACD-Hybrid!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Mit grossem Interesse verfolge ich euere Diskussion. Ich fühle mich beim Lesen wohl.


    Es ist schon merkwürdig mit den Gamelan Orchestern. Wenn ich mal nur beim Hören bleibe - und nichts bis wenig über diese Musik weiss - wundert es mich, dass das gelegentliche (oder häufigere ?) Lärmige der Musik nahezu regelmässig neben feinsten Klang- und Dynamikdifferenzierungen durch Lautstärke und Instrumentenwahl auftritt... Ich meine, dass Debussy die Musik nur als Anregung betrachtet hat für einige eigene Kompositionen.


    Man kann Gieseking ab und zu schludern hören, z.B. auf der EMI- LP der Schumann - / Grieg`schen Klavierkonzerte (leider ist diese LP noch in einer Umzugskiste). Natürlich wird er für mich immer zu den ersten gehören, er kann eben auch federleicht und sehr genau spielen wie wenige. Ich neige schon länger dazu, ihm "zu verzeihen"... :S

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  • Es ist schon merkwürdig mit den Gamelan Orchestern. Wenn ich mal nur beim Hören bleibe - und nichts bis wenig über diese Musik weiss - wundert es mich, dass das gelegentliche (oder häufigere ?) Lärmige der Musik nahezu regelmässig neben feinsten Klang- und Dynamikdifferenzierungen durch Lautstärke und Instrumentenwahl auftritt... Ich meine, dass Debussy die Musik nur als Anregung betrachtet hat für einige eigene Kompositionen.

    Ja, finde ich auch, lieber Damiro. Bei Debussy ist es ganz sicher der Versuch, "frei" zu werden von den Dogmen und Zwängen des westeuropäischen Tonalitätssystems.

    Man kann Gieseking ab und zu schludern hören, z.B. auf der EMI- LP der Schumann - / Grieg`schen Klavierkonzerte (leider ist diese LP noch in einer Umzugskiste). Natürlich wird er für mich immer zu den ersten gehören, er kann eben auch federleicht und sehr genau spielen wie wenige. Ich neige schon länger dazu, ihm "zu verzeihen"...

    Das ist ebenfalls sehr treffend gesagt, lieber Damiro. Gieseking kann hypergenau sein aber eben auch ein Expressionist, dem die Sterilität von Studio-Perfektion fremd ist. Dann wird auch schon mal schneller gespielt, als es eigentlich geht. (Das gilt für Arthur Schnabel natürlich auch!) :D Gieseking ist eine absolute Ausnahmeerscheinung, der allein pianistisch wohl beste Pianist, den Deutschland jemals hatte.


    Was auffällt ist, dass die beiden ältesten Aufnahmen - Gieseking und Robert Casadesus - ein eher flüssiges Tempo haben. Schade, dass es keine Aufnahme von Ricardo Vines gibt (dem Ravel "Le Gibet" aus "Gespard de la nuit" gewidmet hat, der wirklich ein großer Interpret der Musik von Debussy und Ravel war) - von ihm gibt es nur "Soiree dans Grenade" aber nicht "Pagodes".


    Wenn man die Interpretationsprobleme und - spielräume entdecken will, muss man finde ich in die Analyse einsteigen. Es gibt in diesem Stück zwei Arten von Bewegungen:


    1. die durch die Pendelfigur am Anfang vorgezeichnete ziellose Bewegung, die hin- und herschwingt
    2. eine zielgerichtete Bewegung der großräumigen Dynamik des Sich-Aufstauens- und Sich-Entladens von Bewegungsenergie.


    Man kann - besonders bei einem langsameren Tempo - das Stück nun so spielen, dass die beiden Bewegungscharaktere in bestimmten Abschnitten dominieren. Bei Interpreten, die das flüssiger nehmen und ein annähernd einheitliches Grundtempo wählen, wird Bewegungsart 2. zur übergeordneten Dramaturgie. Das ist bei Gieseking ganz besonders der Fall, da ist diese Spannung der permanenten, allmählichen Aufladung mit Energie ständig, von der ersten Note an, da.


    Ein weiterer Aspekt bei Debussy (und auch Ravel) ist die Rückbesinnung auf klassische und vorklassische Gestaltungsmuster. Titel wie "Hommage a Rameau" und "Le Tombeau de Couperin" sind kein Zufall. Wenn Weissenberg da zu Beginn ein klassisches Kontrastprinzip (Ruhe - auflebende Bewegung) entdeckt (so muss man das ja nicht lesen), dann hat das auch damit zu tun. Auch das ist dann eine Frage der Interpretation: Betont man eher die "expressionistische" Bewegungsdramaturgie oder die klassische Formanlage? :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Gieseking meistert PAGODES mit Leichtigkeit, aber es ist genau diese Leichtigkeit, die mich bei ihm selten ganz überzeugt. Faszinierend ist sein klarer und dennoch weicher Klang, ich meine, dass man bei ihm auch vom 'Fingerpedal' spricht. Das ist schon toll - trotz der bescheidenen Klangqualität auch der neu remasterten Aufnahmen (das Remastering der oben gezeigeten neuen Veröffentlichungen ist identisch).
    Problematisch erscheint mir bei Gieseking in Sachen Debussy - wenn man überhaupt davon sprechen mag -, dass er auch hier dazu neigt, in Richtung ff schneller zu werden. Bei Schumann vermag er dadurch einen soghaften Klangrausch erzeugen, aber zu dem reflektieretern Debussy passt das nicht so gut. So auch in Pagodes, aber es sind nur Nuancen. Für meinen persönlichen Geschmack spielt er das Stück - trotz der absoluten Souveränitat, die sein Spiel ausstrahlt - einfach etwas zu schnell.


    Viele Grüße
    Christian

  • Problematisch erscheint mir bei Gieseking in Sachen Debussy - wenn man überhaupt davon sprechen mag -, dass er auch hier dazu neigt, in Richtung ff schneller zu werden. Bei Schumann vermag er dadurch einen soghaften Klangrausch erzeugen, aber zu dem reflektieretern Debussy passt das nicht so gut. So auch in Pagodes, aber es sind nur Nuancen. Für meinen persönlichen Geschmack spielt er das Stück - trotz der absoluten Souveränitat, die sein Spiel ausstrahlt - einfach etwas zu schnell.

    Mir, lieber Christian, ist er in "Pagodes" schlicht zu dynamisch. Er spielt - dramatisierend - das Stück so, als wäre es nicht von Debussy, sondern eigentlich von Ravel. Bei Ravel gibt es ja diese dynamische Seite, in Daphnis et Chloe, La Valse, auch in Jeux d´eau. Bei Debussy dagegen ist dessen Anti-Wagnerianismus prägend, also eine betont anti-dramatische Anlage, die Betonung von reiner, in sich ruhender "Schönheit". Von daher sollte der vorherrschende Grundzug des Stücks - so wie ich es auch heute in der Art von Richter interpretieren würde - eigentlich die Statik sein, eine innere Ruhe ausstrahlende Pendelbewegung - auch wenn man von Gieseking lernen kann, die dynamischen Züge nicht zu unterschlagen. Das ist die Parallele zu Images Heft II Nr. 1. Giesekings Spiel ist eher intuitionistisch, ja, aber meist trifft seine Intuition auch das Richtige. :) :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Mir, lieber Christian, ist er in "Pagodes" schlicht zu dynamisch. Er spielt - dramatisierend - das Stück so, als wäre es nicht von Debussy, sondern eigentlich von Ravel. Bei Ravel gibt es ja diese dynamische Seite, in Daphnis et Chloe, La Valse, auch in Jeux d´eau. Bei Debussy dagegen ist dessen Anti-Wagnerianismus prägend, also eine betont anti-dramatische Anlage, die Betonung von reiner, in sich ruhender "Schönheit". Von daher sollte der vorherrschende Grundzug des Stücks - so wie ich es auch heute in der Art von Richter interpretieren würde - eigentlich die Statik sein, eine innere Ruhe ausstrahlende Pendelbewegung - auch wenn man von Gieseking lernen kann, die dynamischen Züge nicht zu unterschlagen. Das ist die Parallele zu Images Heft II Nr. 1. Giesekings Spiel ist eher intuitionistisch, ja, aber meist trifft seine Intuition auch das Richtige. :) :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

    Du bringst es auf den Punkt, Holger: Gieseking dramatisiert und verfehlt damit trotz aller Vorzüge seines Spiels die in sich ruhende Anlage von PAGODES, genauer kann man das nicht formulieren. Das meinte ich u.a. mit dem Hinweis auf seine Tempoverschärfungen im Forte. Bin gespannt auf den Mitschnitt von Argerich!


    Viele Grüße
    Christian

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  • Wenn wir den Begriff intuitionistisch benutzen wollen - und nun ist er eingeführt -, dann spielt Argerich sehr intuitionistisch. Es gefällt mir aber, was sie spielt. Wie das meiste von ihr.


    Auch Gieseking ist int...., ich wiederhole Holger ! Aber: es gibt mindestens zwei Aufnahmen, wo er die Pagodes recht verschieden spielt, 1953 und 1955, und vorher...). Einmal, wo es nämlich zu den tiefen "Gongs" geht (Ende des ersten Abschnitts on Pagodes ?) macht er ein langes Creszendo, dabei steigert er mächtig das Tempo. Warum nur ?
    In der anderen Interpretation (s.u.) ist es eine leichte Temposteigerung, viel passender. Ich bin der angreifbaren Meinung, dass die Tempowahl und die Dynamik in gewissen Grenzen bei den Impressionisten (mit Ausnahmen, z.B. la Mer, Bolero u.v.a.) eher nicht sehr massgebliche Prinzipien sind. Selten gibt es die dramatische, lange Linie.


    Gerade bei "Pagodes" finde ich Gieseking nicht so toll, weil etwas beliebig. Das meine ich nicht als Schimpfwort. Sv. Richter gefällt mir dagegen von den gehörten Files am besten. Warum ? Wenn ich es wüsste... Seine Version liegt mir wohl näher als die anderen, die Diktion ist vertrauter, er hat mehr "Struktur" drin. Ich ahne, dass mich das viele Hören von Musik der (deutschen) Romantik insoweit geprägt hat. Auf Youtube sind mindestens 12 Estampes- Versionen. Leider nicht der Weissenberg, den ich noch gerne gehört hätte.


    (Nachtrag: meine Bezugs- CD "Walter Gieseking" enthält ausser G.d.l.nuit und Miroirs von Ravel noch einiges von Debussy Preludes 1, Estampes und l`Ile joyeuse. Gieseking spielt das etwas langsamere Tempo in Pagodes (s.o.), leider hat die CD keinerlei Aufnahmedaten, obwohl von der Rückseite der CD aufs Booklet hingewiesen wird ! Die Vertriebsfirma oder CD- Reihe heisst PEARL, unter Firmennamen und Nr. Pavilion Records Ltd. Nr. GEMM CD 9449. Text ist von Alan Vicat 1990. Er schreibt auch etwas darüber, wie bei G. Fingerhaltung und Pedaltechnik waren. Sehr häufig habe er eben nicht mit den Fingerspitzen gespielt, sondern mit den Fingerendgliedern....


    Gruss vom
    D.

  • Aber: es gibt mindestens zwei Aufnahmen, wo er die Pagodes recht verschieden spielt, 1953 und 1955, und vorher...). Einmal, wo es nämlich zu den tiefen "Gongs" geht (Ende des ersten Abschnitts on Pagodes ?) macht er ein langes Creszendo, dabei steigert er mächtig das Tempo. Warum nur ?

    Im Notentext, lieber Damiro, sind die Tempowechsel sehr differenziert notiert. Ich melde mich dazu heute Nachmittag - und versuche auch herauszufinden, welche Gieseking-Aufnahmen Du hast. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Gerade eben ist die 10 CD- Box "Monique Haas" - Milestones of a legend - angekommen. Die CDs ( und nur diese tragen einen Hinweis auf den Hersteller oder Vertreiber namens MCPS !?) haben offenbar die genauen Aufnahmedaten. Booklet Fehlanzeige. Will darüber berichten, sobald ich mich damit befasst habe.


    An Noten besitze ich von Debussy einige wenige, z.B. la Cath. engl., Clair d.L., Ch. corner Suite (die waren in den 60er Jahren katastrophal teuer in Deutschland).
    Holger, vielen Dank für den Fleiss mit den Details !
    Haben alle oder die meisten Werke reichhaltige oder minutiöse Spielanweisungen - soweit du das überblicken kannst ?


    Freundlichst
    D.

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  • Hast du die Library mal benutzt und wie geh ich da vor ?

    man kann die ISMLP ohne Registrierung benutzen, muß dann allerdings bei jedem Download 15 sec. warten. Mit Anmeldung und Zahlung von 22 EUR/Jahr entfällt die Wartezeit.


    am besten gleich bei "Komponisten" einsteigen:


    http://imslp.org/wiki/Category:Composers


    dann zum Kompositen durchklicken auf die Seite mit dem Verzeichnis der Werke, von da aus zum Werk. Oft werden vor den Noten Aufnahmen angeboten. Findet man im Werkverzeichnis nicht das gewünschte, kann der Button "Collections" manchmal weiterhelfen, dort gibt es Sammelbände, die mehrere Werke enthalten. Bei den einzelnen Noten darauf achten, daß man z.B. an Klavierauszüge und Bearbeitungen über eigene buttons kommt. Die einzelne Note liegt als pdf vor, und man kann ein Download machen. Bei neueren Werken kann es vorkommen, daß man einen Disclaimer bestätigen muß, in dem man sich zur Einhaltung der Urheberrechte verpflichtet.

  • Die CDs ( und nur diese tragen einen Hinweis auf den Hersteller oder Vertreiber namens MCPS !?) haben offenbar die genauen Aufnahmedaten. Booklet Fehlanzeige. Will darüber berichten, sobald ich mich damit befasst habe.

    Du meinst diese CD, lieber Damiro - eine besser lesbare Abbildung gibt es nicht und sie ist leider vergriffen. Ich habe eine andere aus der Serie:




    An Noten besitze ich von Debussy einige wenige, z.B. la Cath. engl., Clair d.L., Ch. corner Suite (die waren in den 60er Jahren katastrophal teuer in Deutschland).

    Von den originalen Durand-Ausgaben habe ich auch etliche. "Childrens Corner" ist besonders schön - mit dem von Debussy selbst entworfenen Titelblatt.

    Einmal, wo es nämlich zu den tiefen "Gongs" geht (Ende des ersten Abschnitts on Pagodes ?) macht er ein langes Creszendo, dabei steigert er mächtig das Tempo. Warum nur ?

    Die EMI-Aufnahme habe ich mir angehört. Debussy schreibt die Tempobeschleunigungen mehrfach vor und wieder zu Tempo 1 zurückzukehren. Vor der zweiten Fortissimo-Stelle steht "Animez un peu" - sie selbst spielt Gieseking exakt im Takt, also ohne Beschleunigung. Gieseking hält sich daran im Prinzip, verlängert aber das Accelerando, indem es vorher einen auf die Tempobeschleunigung hindrängenden Impuls gibt, so, als hätte er Mühe und Not, das Tempo zu halten und "platze" gleich. Er also bringt ganz sachte das ruhige Tempo aus dem Gleichgewicht und erzeugt einen Vorwärtsdrang, was natürlich äußerst subtil und gekonnt gemacht ist. So bekommt dann das ganze Stück den Ausdruck, als ob es auf den Fortissimo-Ausbruch hinsteuert. Das zeigt die Qualität seiner Intepretation. Debussys Tempowechsel werden nicht einfach übergangen, sondern es kommt eine Dynamisierung und Dramatisierung hinzu.


    Die Qualität von Gieseking spürt man, wenn man zum Vergleich Paul Crossley hört:



    Das ist zu Beginn nicht nur langsam, sondern langweilig. Statik heißt ja nun nicht, dass man den Bewegungscharakter und die Bewegungsform nicht musikalisch ausformuliert. Um die Langeweile zu vertreiben, gibt es dann bei ihm ziemlich unmotivierte, belebende Tempobeschleunigungen. Debussys sehr genau notierte Tempo-Dramaturgie ist schlicht nicht mehr erkennbar. Er beschleunigt z.B. die Stelle mit den Quarten-Triolen. Debussy hatte aber vorher die Beschleunigung markiert und bei den Triolen soll man zu Tempo 1 zurückkehren. Da fehlt eine interpretatorische Linie. Auch die Coda ist ziemlich undifferenziert. Dabei ist das Instrument interessant - ein eigentlich sehr schön klingender Bösendorfer. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Danke Holger.


    Es ist die Gieseking- CD, die du oben im Post abgebildet hast.


    Wer die Noten hat, ist hier natürlich im Vorteil. Ich habe sie nicht und dachte noch nicht daran, sie mir zu besorgen. Ich folge natürlich sehr gerne deinen Ausführungen.
    Die gestern angekommene Monique Haas 10 CD- Kassette enthält zu meiner Überraschung nicht die Estampes. Ich denke, sie sind aber in der DG Kassette enthalten, die ich nun nicht jetzt gleich auch haben muss. In meiner neuen Milestones of a Legend- Kassette ist neben einigen Mozart- Konzerten eniges von Schumann drin, von Mihalovici, Rameau, Roussel, Bartok und Haydn. Und schliesslich alle D.- Preludes und Etudes.


    Ich sollte jetzt mal hören, wir haben ja noch das ganze Jahr 2018 Zeit. :D

  • Die gestern angekommene Monique Haas 10 CD- Kassette enthält zu meiner Überraschung nicht die Estampes. Ich denke, sie sind aber in der DG Kassette enthalten, die ich nun nicht jetzt gleich auch haben muss.

    Lieber Damiro,


    die Estampes sind in der Erato-Box mit den Aufnahmen des Klavierwerks von Debussy und Ravel. Ansonsten sind die Aufnahmen dieser preiswerten Box genau die der DGG-Box (8 CDs), die sie wie es aussieht auf 10 CDs verteilt haben. Ich sehe jedenfalls nichts, was in der DGG-Originalbox nicht drin ist!


    Bezahlbar ist die Erato-Box im Moment aber nur noch als MP3-Download für 25 Euro komplett oder die einzelnen Stücke jeweils - die CDs kosten über 400 Euro (Box ist leider vergriffen):



    :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Neben dem klanglich sehr schlechten Mitschnitt aus Spoleto - über den wir uns im Pollini-thread ausgetauscht haben -, gibt es von Richter noch eine zweite Aufnahme der Preludes II, die ich mir auch noch anhören werde:


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  • Neben dem klanglich sehr schlechten Mitschnitt aus Spoleto - über den wir uns im Pollini-thread ausgetauscht haben -, gibt es von Richter noch eine zweite Aufnahme der Preludes II, die ich mir auch noch anhören werde:

    Die CD ist aber leider nicht mehr zu haben, lieber Christian. In ordentlicher Aufnahmetechnik wäre das was - und vielleicht aus einer anderen Zeit?


    Gehört hatte ich zwischenzeitlich die Preludes Heft II auch mit Samson Francois:



    Das ist zwar exzentrisch und eigenwillig, aber man erlebt auch wirklich interessante Überraschungen. Francois bewegt sich völlig abseits jeglichen Mainstreams der Interpretation. Aber der "Rhetoriker" Francois entdeckt manchmal einfach Dinge, indem er den Notentext gegen den Strich bürstet.


    Gerade ist die neue CD von Menahem Pressler erschienen, die ich im hiesigen CD-Shop stehen sah. Da war ich doch überrascht über das unorthodoxe Debussy-Spiel, dass ich aber - den Hörschnipseln nach zu urteilen - spontan spannend und irgendwie erhellend fand - Debussy mal ganz anders. Er hat 1946 einen Debussy-Wettbewerb gewonnen, ist also nicht ganz unbedarft in Sachen Debussy. Ich überlege mir noch, ob ich mir die CD tatsächlich kaufe...



    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo!


    Animiert von der vierteiligen Musikstunde bei SWR2 zu Leben und Werk von Claude Debussy (kann man noch nachhören) habe ich diese beiden CDs im Regal wieder entdeckt:




    Die zweite Doppel-CD von Werner Haas mit den Klavierwerken von Claude Debussy habe ich eben bestellt.


    Werner Haas, der leider zu früh verstorben ist, erhielt Auszeichnungen für seine Debussy- und Ravel-Aufnahmen. Laut Wikipedia hatte er dadurch in Frankreich höhere Bekanntheit als hierzulande.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Samson Francois finde ich großartig, Holger! Eigentlich ist er der Einzige, der völlig frei zu gestalten vermag, die meisten kleben am Notentext. Eine faszinierende Aufnahme. Viele Grüße, Christian


    PS: Pressler ist mir zu holperig

  • Samson Francois finde ich großartig, Holger! Eigentlich ist er der Einzige, der völlig frei zu gestalten vermag, die meisten kleben am Notentext. Eine faszinierende Aufnahme. Viele Grüße, Christian


    PS: Pressler ist mir zu holperig

    Lieber Christian,


    Sanson Francois ist natürlich nicht immer schlüssig, aber er fördert eben auch ansonsten ungehörte Dinge zu Tage. Besonders interessant sind die Etüden. Das wäre jetzt aber ein eigenes Thema!


    Bei Pressler fasziniert mich der Vortragsstil, so hat man das einfach nie gehört. Sehr eigen, aber ungemein musikalisch und "logisch". So was erlebt man finde ich selten. Auch die Platte mit Beetzoven und Schubert D 960 hat was! Das Hörabenteuer - was mich zum Nachdenken bringt über das Klavierspiel und seinen Stil überhaupt - werde ich mir deshalb wohl doch gönnen!


    Einen wunderschönen Ostersonntag wünscht
    Holger

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