Papst Kesting

  • Ich gratulierte in meinem Namen und im Auftrag der Gottl0b Frick Gesellschaft Jürgen Kesting mit allen guten Wünschen zum besonderen Geburtstag. Gerne wiederhole ich es im Forum nochmals. Alles Gute zum Geburtstag. Möge vor allem Gesundheit und die ungebrochene Schaffenskraft erhalten bleiben. Danke für Ihr Lebenswerk "Die großen Sänger". Das Standardwerk für Opernfreunde.

    herzlichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich habe noch die alte Version der "großen Sänger" mit dem blauen Einband und liebe das Buch sehr.


    Die Kritik, dass Jürgen Kesting oft sehr schroff urteilt, ist sicherlich berechtigt. Ich empfinde seine Strenge aber als positiv. Er ist ein ausgezeichneter Kritiker, und (fast) jeder Punkt, den er kritisch betrachtet, ist für mich nachvollziehbar. Wenn man übrigens genauer liest, merkt man schnell, dass Kesting gerne auch Lob verteilt.


    Ich kann generell nicht viel mit der inflationären Verteilung von Lob anfangen, die heute offenbar zum guten Ton dazugehört. Ein "Befriedigend" ist eine ordentliche Note, und bei Kesting muss jeder Sänger auch für ein Befriedigend hart arbeiten. Dafür kann man auf ein von Kesting vergebenes Befriedigend ruhigen Gewissens stolz sein.


    "Not everybody can become a Marine. If everybody could become a Marine, there would be no Marines. All we need is a few good men."

  • Ich empfinde seine Strenge aber als positiv.

    Ich kann generell nicht viel mit der inflationären Verteilung von Lob anfangen, die heute offenbar zum guten Ton dazugehört.

    Hallo Tecumseh Valley,


    in meinem Bücherschrank steht die 3-bändige Erstausgabe von Kestings "Die großen Sänger" (claassen, 1986), in rotes Leinen gebunden:

    Die großen Sänger, 3 Bände.


    Ich stimme mit Deinen Zitaten total überein, auch wenn ich mit Kestings Urteilen nicht immer einverstanden bin (Beispiel: Seine negative Einstellung zu Fi-Di).


    Doch in den meisten Fällen kann ich ihm nur zustimmen, zumal er seine Urteile ausreichend, und vor allem auch für Laien, verständlich begründet. Ich möchte diese Bücher auf keinen Fall missen - ich ziehe sie immer wieder zu Rate.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Zitat von nemorino

    (Beispiel: Seine negative Einstellung zu Fi-Di).

    Dafür gebürt ihm ein dickes Lob, denn er hat absolut Recht! Seine Liebe zu Cecilia Bartoli! Ist auch ganz auf meiner Wellenlänge!

    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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  • Doch in den meisten Fällen kann ich ihm nur zustimmen, zumal er seine Urteile ausreichend, und vor allem auch für Laien, verständlich begründet. Ich möchte diese Bücher auf keinen Fall missen - ich ziehe sie immer wieder zu Rate.

    Die Ansicht vieler Leute, gemäß der Kesting "gnadenlos" sein, kann ich bei bestem Willen nicht nachvollziehen. In seinem Buch setzt er sich vielmehr sehr differenziert mit allen Aspekten der jeweiligen Sänger auseinander. Wenn Du ein wenig zwischen den Zeilen liest, siehst Du, dass er bei aller Objektivität eigentlich sehr wohlwollend ist und gerne Lob verteilt.


    Weniger qualifizierte Kritiker schreiben häufig nicht von "guten" oder "schlechten" Sängern, sondern von Sängern, die ihnen gefallen bzw. nicht gefallen. Bei Kesting mag ich gerade, dass er selten etwas von seinen persönlichen Vorlieben preisgibt, sondern immer bestrebt ist, einen objektiven Maßstab bei der Beurteilung anzulegen. Natürlich widerstrebt das oft dem persönlichen Empfinden vieler Musikkonsumenten, ist aber eigentlich die Aufgabe des Kritikers.


    Bei einigen Sängern schreibt er Worte, die ich persönlich schon vor der Lektüre ähnlich gedacht, aber nie laut auszusprechen gewagt habe - vor allem wegen des Prestiges und des Erfolgs der jeweiligen Sänger. Bestes Beispiel ist wohl der Mr- Olympia-Otello von Mario del Monaco, der von vielen heute noch als Referenz eingestuft wird. Ich empfand ihn schon beim ersten Hören als aggressiv, wenig subtil, macho und (bitte verzeihe mir das Wort) "mackerhaft". Kestings Urteil über ihn fällt verheerend aus, ist aber absolut nachvollziehbar.


    Ein anderes Beispiel: Wolfgang Windgassens Kunst habe ich immer geliebt, habe aber trotzdem seine Schwächen gesehen. Kesting setzt sich auch mit ihm sehr detailliert auseinander und weist vollkommen objektiv und ohne bösen Willen auf seine Defizite hin, insbesondere bei den superschweren Tenorrollen. Dennoch kannst Du zwischen den Zeilen lesen, dass Kesting ihn schätzt und seine Bedeutung nicht in Zweifel zieht.


    Ähnlich schreibt er über Jon Vickers: Du erkennst hier, dass Kesting sich bewusst ist, dass es schönere Stimmen gibt, dass aber Vickers mit seiner Musikalität und Intelligenz seine Defizite kompensieren kann.


    Im Übrrigen geizt er bei den wirklich guten Sängern nicht mit Lob und vergibt gerne auch mal ein "sehr gut". Ich denke da an Leute wie Caruso, Melchior, Schorr oder später an Kurt Moll.

  • Mario del Monaco, der von vielen heute noch als Referenz eingestuft wird. Ich empfand ihn schon beim ersten Hören als aggressiv, wenig subtil, macho und (bitte verzeihe mir das Wort) "mackerhaft". Kestings Urteil über ihn fällt verheerend aus, ist aber absolut nachvollziehbar.

    Der Satz könnte glatt von mir sein! Und weil wir gerade dabei sind, füge ich gleich noch als absoluten Brüller Franco Corelli hinzu, der ebenfalls meinte, durch Lautstärke seine Dominanz betonen zu müssen. Man höre nur den Radamès von del Monaco (Erede, DECCA) oder Corelli (Mehta, EMI). Beide scheinen zu glauben, ein Feldherr müsse möglichst laut brüllen, um seine Autorität zu unterstreichen. Vielleicht haben sie solche Erfahrungen während ihrer Soldatenzeit auf dem Exerzierplatz gemacht.


    Ich habe die Aufnahmen mit diesen beiden Tenören möglichst weiträumig umfahren, doch in manchen Fällen war das schwierig, weil ich entweder den Dirigenten oder die Partner dieser Tenöre so hoch schätzte, daß ich mir die Aufnahme trotz meiner grundsätzlichen Vorbehalte beschafft habe. Von seiner "Paraderolle", dem Othello, einmal abgesehen, der ja immerhin einige Meriten hat (ich ziehe allerdings Jon Vickers mit weitem Abstand vor), sind für mich die krassesten Fehlleistungen de Monacos sein Herzog in Rigoletto (unter Erede, DECCA), wo er seiner zarten Gilda (Hilde Gueden) quasi singend die Unschuld nimmt, oder sein im Fortissimo schwelgender Cavaradossi (Molinari-Pradelli, DECCA), der mit seinem Dauergebrüll protzen will, aber dennoch seiner wunderbaren Partnerin Renata Tebaldi die Schau nicht stehlen kann.

    Ähnliches widerfährt der sanften Santuzza von Victoria de los Angeles, die von ihrem Turiddu Franco Corelli (Santini, EMI) so machohaft angebrüllt wird, daß man eigentlich froh sein kann, daß er sein Duell mit Alfio nicht überlebt. Diese Ehe wäre wahrscheinlich die Hölle geworden!


    Lange bevor ich überhaupt den Namen Jürgen Kesting kannte, hatte ich mir über diese beiden berühmten Tenöre schon meine Meinung gebildet und war überrascht, als ich Kestings Einwände in den 1980er Jahren zu lesen bekam. Mit diesen Platten, die mir damals, als ich noch wenig eigenes Urteil hatte, empfohlen wurden, habe ich diese Sänger seinerzeit erstmals gehört:

    MARIO DEL MONACO - Opera Arias


    Beide LPs haben sich nicht lange in meiner Sammlung befunden, nachdem ich u.a. Carlo Bergonzi, Nicolai Gedda und Jussi Björling gehört hatte!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Der Satz könnte glatt von mir sein! Und weil wir gerade dabei sind, füge ich gleich noch als absoluten Brüller Franco Corelli hinzu, der ebenfalls meinte, durch Lautstärke seine Dominanz betonen zu müssen. Man höre nur den Radamès von del Monaco (Erede, DECCA) oder Corelli (Mehta, EMI). Beide scheinen zu glauben, ein Feldherr müsse möglichst laut brüllen, um seine Autorität zu unterstreichen. Vielleicht haben sie solche Erfahrungen während ihrer Soldatenzeit auf dem Exerzierplatz gemacht.


    Ich habe die Aufnahmen mit diesen beiden Tenören möglichst weiträumig umfahren, doch in manchen Fällen war das schwierig, weil ich entweder den Dirigenten oder die Partner dieser Tenöre so hoch schätzte, daß ich mir die Aufnahme trotz meiner grundsätzlichen Vorbehalte beschafft habe. Von seiner "Paraderolle", dem Othello, einmal abgesehen, der ja immerhin einige Meriten hat (ich ziehe allerdings Jon Vickers mit weitem Abstand vor), sind für mich die krassesten Fehlleistungen de Monacos sein Herzog in Rigoletto (unter Erede, DECCA), wo er seiner zarten Gilda (Hilde Gueden) quasi singend die Unschuld nimmt, oder sein im Fortissimo schwelgender Cavaradossi (Molinari-Pradelli, DECCA), der mit seinem Dauergebrüll protzen will, aber dennoch seiner wunderbaren Partnerin Renata Tebaldi die Schau nicht stehlen kann.

    Ähnliches widerfährt der sanften Santuzza von Victoria de los Angeles, die von ihrem Turiddu Franco Corelli (Santini, EMI) so machohaft angebrüllt wird, daß man eigentlich froh sein kann, daß er sein Duell mit Alfio nicht überlebt. Diese Ehe wäre wahrscheinlich die Hölle geworden!

    Irgendwie empfinde ich den Fall Mario del Monaco auch als ein wenig tragisch. Er hatte die idealen Voraussetzungen, um ein ganz großer Tenor zu werden. Wir können nicht in Abrede stellen, dass seine Stimme gewaltig, voluminös und auch sehr klangschön war. Ich weiß nicht, wie er als Mensch war, aber ich habe bei ihm immer das Gefühl, dass er Gefangener seines eigenen schwierigen und vielleicht auch narzisstischen Charakters war. Er klingt so, als würde er die Kompositionen Verdis nicht wirklich schätzen, sondern eher als Abschussrampe für seine XXL-Stimmkanone sehen. Er sah offenbar eine Produktion nicht als Gruppenleistung, sondern betrachtete sich als den Mittelpunkt, mit vielen Nebendarstellern um ihn herum, denen er gar nicht zuhören wollte. Leider ist er nicht der einzige Sänger oder Musiker, der in diese Falle getappt ist. Insbesondere viele sehr versierte Rock- und Jazz-Musiker neigen dazu, sich allzu sehr in den Mittelpunkt zu stellen und mit ihrer Virtuosität Dinge zu zerreden, anstatt sie beim Namen zu nennen.


    Anmerken muss ich aber, dass ich mich mit mehreren Leuten unterhalten konnte, die del Monaco noch live als Otello erleben konnten. Alle sagten, dass er dort deutlich besser wegkam als auf den Studio-Aufnahmen. Wobei natürlich nicht vergessen werden darf, dass er ein sehr schöner Mann mit schauspielerischer Begabung und mit viel italienischem Temperament war.


    Es ist genau die Demut, die del Monaco nicht hatte, die ich bei Wolfgang Windgassen schätze und die auch Kesting als positiv hervorhebt. Wenn ich ihn höre, höre ich einen intelligenten Mann und einen echten Teamplayer. Wahrscheinlich war er gerade deswegen bei den Wagner-Brüdern und auch beim Publikum so geschätzt. Die Kritik, die Kesting bei ihm anbringt, ist und bleibt aber trotzdem gerechtfertigt: er merkt z.B. zu Recht an, dass Windgassen oft rhythmische Schwankungen hatte. Höre Dir hierzu den (natürlich großartigen) Parsifal von 1951 unter Knappertsbusch an. Dort "eiert" er sehr häufig, vor allem im dritten Akt. Im Bayreuther Ring von 1956 (auch unter Kna) fällt er als Siegmund leider mehrere Male völig aus dem Rhythmus.


    Zu Corelli kann ich Dir leider nicht so viel sagen, da ich bei Opern eher das deutsche Repertoire mag. Sein Calaf unter Molinari-Pradelli gefällt mir sehr gut, wobei natürlich dazugehört, dass es wohl eine Unmöglichkeit darstellt, eine Birgit Nilsson stimmlich zu übertrumpfen. Insgesamt eine großartige Einspielung. Obwohl ich Puccini eigentlich nicht mag, höre ich sie regelmäßig sehr gerne.

  • Ich entsinne mich gerade an irgendeinen Spielfilm aus den 1960er Jahren (fragt mich nicht, welchen), wo eine Schallplatte aufgelegt wird und die weibliche Hauptdarstellerin plötzlich meint: "Ist das Corelli oder Di Stefano?" Da dachte ich mir schon damals, dass das eigentlich ziemlich offenkundig ist. ^^ (Wer es dann wirklich war, ist mir leider auch entfallen.)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Er hatte die idealen Voraussetzungen, um ein ganz großer Tenor zu werden. Wir können nicht in Abrede stellen, dass seine Stimme gewaltig, voluminös und auch sehr klangschön war.

    Ich glaube, ich bin ein wenig mißverstanden worden. Keineswegs war es meine Absicht, den Sänger in Bausch und Bogen zu verdammen. Er besaß ein selten großes, gewaltiges Stimmaterial, das kann und will wohl kaum jemand bestreiten. Leider hat er dieses Material nicht klug eingesetzt, sondern ganz einfach überfordert, worunter vor allem seine späten Aufnahmen gelitten haben. Die Stimme war vorzeitig brüchig geworden, und von einer "Interpretation" der Rollen, die er darstellte, war kaum eine Rede, weil er praktisch alles, ob ein Gebet oder ein Ruf zum Kampf, mit seinem Dauerforte einebnete.

    Er sah offenbar eine Produktion nicht als Gruppenleistung, sondern betrachtete sich als den Mittelpunkt, mit vielen Nebendarstellern um ihn herum, denen er gar nicht zuhören wollte.

    Genau diesen Eindruck hinterließ er in den meisten Fällen. Ich kenne längst nicht alle seine Aufnahmen, aber außer seinem Othello, mit dem er ja seinen eigentlichen Weltruhm begründet hat, und mit dem er auch stimmlich weitgehend überzeugte, ist mir positiv einzig sein Don Alvaro in "Die Macht des Schicksals" unter Molinari-Pradelli (DECCA) in Erinnerung. Da wußte er besser zu differenzieren als beispielsweise in der AIDA oder im TROVATORE.

    Daß er eine beeindruckende Bühnenwirkung hinterlassen hat, steht außer Frage. Er war eine imposante Erscheinung, aber das wußte er auch sehr gut und versuchte sich stets in den Vordergrund zu spielen. So wird es jedenfalls von vielen Kritikern und Opernfreunden berichtet.

    Sein Calaf unter Molinari-Pradelli gefällt mir sehr gut, wobei natürlich dazugehört, dass es wohl eine Unmöglichkeit darstellt, eine Birgit Nilsson stimmlich zu übertrumpfen. Insgesamt eine großartige Einspielung.

    Diese Aufnahme aus dem Jahr 1965 habe ich mir nicht angeschafft, im wesentlichen aus zwei Gründen:


    Ich besitze die TURANDOT nur zweimal, weil mir persönlich die früheren Werke Puccinis insgesamt besser gefallen, einmal mit meinem Lieblingssänger Jussi Björling in dieser Ausgabe:

    Living Stereo - Turandot

    mit einer echten Traumbesetzung (Nilsson singt auch hier die Titelrolle) und Erich Leinsdorf als Dirigent (RCA, 1959). Außerdem steht noch die alte Serafin-Ausgabe mit Maria Callas (EMI) in meinem Regal.

    Die von Dir bevorzugte Aufnahme wurde in einem Vergleich von 1996, nachdem sie auf CD erschienen war, so beschrieben: ".... als ein Fest muskelgestählter Stimmbandathleten wurde die Aufnahme von Molinari-Pradelli zum Klassiker. Birgit Nilsson und Franco Corelli 'krakeelen' hier buchstäblich um die Wette."

    Da ich differenziertes Singen liebe und mir an stimmlichen Wettkämpfen nichts gelegen ist, habe ich von der Aufnahme die Finger gelassen.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Die Ansicht vieler Leute, gemäß der Kesting "gnadenlos" sein, kann ich bei bestem Willen nicht nachvollziehen.

    Es wird wohl kaum jemand bestreiten, dass Kesting etwas von Stimmen versteht, aber ich habe mir nur diesen 1156-seitigen Wälzer gekauft und dann auf weitere Anschaffungen von Verlautbarungen dieses Autors dankend verzichtet.

    Was da seit 1993 geschrieben steht, beleidigt nicht nur den Sänger Hermann Prey - dessen Todestag heute ist, er starb 1998 - sondern auch das Publikum, das seine Darbietungen stets schätzte.


    Auf Seite 648 in DIE GROSSEN SÄNGER findet man zu Hermann Prey folgendes:


    »... daß der von seinen natürlichen stimmlichen Anlagen her reich Begabte den singenden Naturburschen herauskehrte. Anders als schlicht und scheinbar natürlich singende Künstler wie Gerhard Hüsch oder Karl Schmitt-Walter bedient sich Hermann Prey längst vernutzter biederer, sentimentaler, selbst schlagerhafter Effekte, die - weil längst verbraucht - nicht einmal manieriert sind, sondern auf Anbiederung hinauslaufen, auf ein Verkaufsgespräch mit dem Publikum, dem stereotype Gefühlsgesten als Kunst angeboten werden, obwohl sie längst das Moment des Schlager- und Schnulzenhaften bergen. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in einer Formung des Klanges, die vom Kunstlied nur noch den Abguß für die Fernsehunterhaltung übrigläßt«.


    Irgendwie empfinde ich den Fall Mario del Monaco auch als ein wenig tragisch. Er hatte die idealen Voraussetzungen, um ein ganz großer Tenor zu werden. Wir können nicht in Abrede stellen, dass seine Stimme gewaltig, voluminös und auch sehr klangschön war.

    Zu Mario del Monaco nur eine kurze Bemerkung:

    Diesen Sänger hörte ich zweimal live - einmal in seiner Paraderolle als Othello mit Leonie Rysanek und dann noch in einem Konzert, bei dem er zwei Opernarien sang. Man mag seine Schallplatteneinspielungen kritisieren, aber live war es mit ihm ein eindrucksvolles Erlebnis.

  • Auf Seite 648 in DIE GROSSEN SÄNGER findet man zu Hermann Prey folgendes:


    »... daß der von seinen natürlichen stimmlichen Anlagen her reich Begabte den singenden Naturburschen herauskehrte. Anders als schlicht und scheinbar natürlich singende Künstler wie Gerhard Hüsch oder Karl Schmitt-Walter bedient sich Hermann Prey längst vernutzter biederer, sentimentaler, selbst schlagerhafter Effekte, die - weil längst verbraucht - nicht einmal manieriert sind, sondern auf Anbiederung hinauslaufen, auf ein Verkaufsgespräch mit dem Publikum, dem stereotype Gefühlsgesten als Kunst angeboten werden, obwohl sie längst das Moment des Schlager- und Schnulzenhaften bergen. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in einer Formung des Klanges, die vom Kunstlied nur noch den Abguß für die Fernsehunterhaltung übrigläßt«.

    Wahrlich diffamierend. Ich gelangte vor einiger Zeit an einen späten "Meistersinger"-Mitschnitt aus der Met, wo Prey den Beckmesser unter Levine gab. Und welch eine prachtvolle Darbietung selbst noch 1993, aus eben jenem Jahr, aus dem das Kesting-Zitat stammt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Sicher sind del Monaco und Corelli nicht jedermanns Sache, aber das stimmt doch genauso bei Bergonzi oder Kraus, bei Pavarotti oder Domingo. Jeder hat seine Lieblinge, und daß Monaco oder Corelli ein lautes Organ hatten und es auch einsetzten, das kann man ihnen doch nicht zum Vorwurf machen. Als Othello oder Andre Chenier schadet es meines Erachtens nicht, wenn der Sänger auch in der letzten Reihe noch zu hören ist.

    Live habe ich keinen der Genannten erlebt, aber was singt denn Corelli schlecht, laut oder brüllend in dieser Arie:

    Franco Corelli; "A te, o cara"; I PURITANI; Vincenzo Bellini - YouTube

    Ich gestehe, mir läuft es dabei kalt den Rücken herunter. Irgendwer hat einmal zu mir gesagt, er mag Corelli nicht, weil der lispeln würde. Verstehe ich auch nicht, und wenn, dann wäre es mir egal. Mich begeistert seine Stimme, die Höhensicherheit, der Glanz, und eine gewisse optische Wirkung wird ihm auch nicht abgesprochen. Vielleicht gefallen mir einige Arien mit ihm auch nicht, aber ich beurteile mangels fachlicher Kenntnis ohne Beachtung irgendwelcher Kestingregeln und auch mangels fehlender Liveerlebnisse viele Sänger nur nach Tonaufnahmen. Und da schneidet Corelli und auch Monaco häufig sogar besser ab als Rosvaenge, als dessen Fan ich mich eindeutig bekenne. Lieber Helge, bitte verzeihe mir diesen eigentlich unpassenden Vergleich - Du warst der beste Manrico, den ich je live erlebt habe! Obwohl Du damals schon 60 Jahre gewesen bist und ich erst 15!

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich glaube, ich bin ein wenig mißverstanden worden. Keineswegs war es meine Absicht, den Sänger in Bausch und Bogen zu verdammen.

    Dann sind wir uns einig. Eine Verdammung habe ich Deinen Zeilen auch nicht entnommen, vielleicht habe ich mich in meiner Antwort ein wenig missverständlich ausgedrückt. :)


    Molinari-Pradellis Turandot solltest Du Dir bei Gelegenheit vielleicht doch anhören. Die Kritik, die Du zitiert hast, kann ich nicht teilen. Der Gesamteindruck der Aufnahme ist für mich sehr positiv, vor allem vielleicht wegen des großartigen Molinari-Pradelli (ein meiner Ansicht nach sehr unterbewerteter Dirigent).


    Was da seit 1993 geschrieben steht, beleidigt nicht nur den Sänger Hermann Prey - dessen Todestag heute ist, er starb 1998 - sondern auch das Publikum, das seine Darbietungen stets schätzte.


    Auf Seite 648 in DIE GROSSEN SÄNGER findet man zu Hermann Prey folgendes:


    »... daß der von seinen natürlichen stimmlichen Anlagen her reich Begabte den singenden Naturburschen herauskehrte. Anders als schlicht und scheinbar natürlich singende Künstler wie Gerhard Hüsch oder Karl Schmitt-Walter bedient sich Hermann Prey längst vernutzter biederer, sentimentaler, selbst schlagerhafter Effekte, die - weil längst verbraucht - nicht einmal manieriert sind, sondern auf Anbiederung hinauslaufen, auf ein Verkaufsgespräch mit dem Publikum, dem stereotype Gefühlsgesten als Kunst angeboten werden, obwohl sie längst das Moment des Schlager- und Schnulzenhaften bergen. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in einer Formung des Klanges, die vom Kunstlied nur noch den Abguß für die Fernsehunterhaltung übrigläßt«.

    Ich weiß, dass Hermann Prey bis heute sehr beliebt ist und viele Fans hat (zu denen Du offenbar auch gehörst).


    Ich muss Dir Recht geben, dass Kestings Formulierungen für einige Leser etwas arrogant klingen. So etwas siehst Du oft bei sehr gebildeten und klugen Menschen. Wahrscheinlich empfand das Publikum deswegen z.B. Helmut Schmidt oder Karl Lagerfeld manchmal als arrogant. Vielleicht ist es bei mir aber gerade diese Arroganz, die ich an Kesting mag.


    Zu Prey: ohne Dich als Fan persönlich verletzen zu wollen, möchte ich sagen, dass ich die Worte Kestings hier unterschreiben kann. Auf mich wirkte Prey im Vergleich zu dem weltmännisch singenden Fischer-Dieskau auch immer ein wenig provinziell und allzu direkt. Wie der Junge von nebenan. Für mich war er (wie z.B. Rudolf Schock auch) nicht unbedingt der Sänger der Musikkenner, und er wirkte oft volkstümlich. Der Vergleich mit Hüsch passt hier sehr gut. Vergleiche hier z.B. einmal den (m.E. unerreichten) Papageno von Hüsch unter Sir Thomas Beecham mit Prey.


    Ich kann nachvollziehen, dass die Zeilen von Kesting für Dich als Fan drastisch oder vielleicht sogar - wie Du geschrieben hast - beleidigend klingen. Ich empfinde es nicht so. Beleidigen kann man einen Menschen nur aufgrund persönlicher Eigenschaften, hier geht es um die Kunst Hermann Preys. Über Prey als Menschen hat Kesting nichts gesagt. Mir war er als Mensch übrigens immer ausgesprochen sympathisch. :)

  • der von seinen natürlichen stimmlichen Anlagen her reich Begabte

    Diese Zitat, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, wurde von "hart" in seinem Beitrag #131 von Jürgen Kesting übernommen. Es stammt übrigens, lieber Joseph II., nicht von 1993, denn es steht so wörtlich bereits in der Erstauflage von 1986.


    Zunächst einmal will ich, trotz der harschen Worte, die Kesting über Prey sagt, doch ein wenig widersprechen. Denn seine Aussage "der von seinen natürlichen stimmlichen Anlage her reich Begabte" trifft nicht nur die Wahrheit, sondern es ist ja auch ein Lob, das der Autor allerdings mit seinen weiteren Ausführungen erheblich relativiert.

    Aber: trotz meiner Wertschätzung für Hermann Prey kommt Kestings Kritik ja nicht ganz von ungefähr. Prey trat in den Anfangsjahren des Fernsehens häufig, allzu häufig in diesem Medium auf, und was er dort dem breiten Publikum bot, war zum Teil, wenn nicht gar überwiegend, auch für eine breite, weitgehend unbedarfte Zuhörerschaft bestimmt. So weit, so gut. Aber Hermann Prey tat genau das, was man, um Leute an klassische Musik heranzuführen, eben nicht tun sollte. Er wollte volkstümlich sein, aber seine "Tümlichkeit" war aufgesetzt und anbiedernd. Er sang Schubert so, wie zu dieser Zeit Vicky Leandros, Jürgen Drews oder Roy Black die unsäglichen Schlager eines Jack White vortrugen. Eben volkstümlich, und das Kunstlied blieb auf der Strecke! Mir ist Schuberts "Am Brunnen vor dem Tore" aus der Winterreise erinnerlich, das Prey einmal im Fernsehen so gräßlich sentimentalisierte, daß von diesem wunderbaren Stück nur noch Trümmer übrigblieben. Gut gemeint, es bewahrheitet sich immer wieder, ist meist das Gegenteil von Kunst.


    Ich weiß gar nicht, ob es viel Sinn macht, auf diese Weise die Menschen zur Klassik zu "bekehren", und deshalb rechne ich es Fischer-Dieskau hoch an, daß er dieses erst gar nicht versucht hat, ebensowenig wie Elisabeth Schwarzkopf oder Christa Ludwig, die sich nicht, wie Anneliese Rothenberger, im TV "die Ehre gaben", sondern bei ihrem Leisten blieben. Von den zu meinen Lebzeiten regelmäßig im Fernsehen auftretenden Künstlern hat m.E. allein Fritz Wunderlich den Spagat geschafft, Kunstlieder, Opernarien und (echte) Volksmusik in einer Weise darzubieten, die auch anspruchsvolle Hörer zufrieden stellen konnte. Das mag man als meine persönliche Meinung abtun, soll auch gar nicht mehr sein, aber Preys und Rothenbergers (von Rudolf Schock will ich erst gar nicht reden) TV-Auftritte waren oftmals mehr peinlich als unterhaltend, lehrreich oder gar beglückend. Für mich waren sie meist eine Aufforderung, frühzeitig schlafen zu gehen. Mit wahrem Kunstgenuß hatte das wenig zu tun.


    Wie schon eingangs gesagt, zähle ich noch heute zu den Verehrern von Hermann Prey. Er hat viele großartige Aufnahmen auf LP hinterlassen. Nirgends war er überzeugender als auf dem Gebiet der deutschen Spieloper (Flotow, Lortzing, Nicolai etc.), und sein Papageno war, trotz Hüschs legendärer Gestaltung von 1938 unter Beecham, jedes Mal ein reines Vergnügen, nicht nur darstellerisch, sondern auch gesanglich.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • was singt denn Corelli schlecht, laut oder brüllend in dieser Arie:

    Franco Corelli; "A te, o cara"; I PURITANI; Vincenzo Bellini

    Lieber La Roche,


    von "schlecht" singen habe ich gar nicht gesprochen, aber höre Dir zum Vergleich einmal Alfredo Kraus mit dieser Arie an, dann bemerkst Du den Unterschied:

    Alfredo Kraus: Opera Arias


    Dieser ist ein Feingeist, der andere ein (wenn auch großartiger, überrumpelnder) Rampentenor!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Er wollte volkstümlich sein, aber seine "Tümlichkeit" war aufgesetzt und anbiedernd.

    Danke für Deinen großartigen Beitrag! Du hast genau das in Worte gefasst, was ich gedacht habe, aber nicht so schön formulieren konnte.


    Das gleiche Problem sehe ich mutatis mutandis übrigens auch bei Beniamino Gigli, mit dessen Kunst Kesting ja auch sehr kritisch umgeht. Ich selbst spreche kein italienisch und kann es deswegen nicht so gut beurteilen, aber eine gute Freundin von mir, die perfekt italienisch kann und eine große Opernliebhaberin ist, beschreibt seinen Gesangsstil als ordinär und sogar als vulgär. Wobei er - und da sind sich wohl die meisten Opernfreunde einig - eine Stimme wie Gold hatte, vielleicht die schönste italienische Tenorstimme überhaupt.


    Ganz schlimm wird es, wenn Ihr Euch die gruseligen, geschmacklosen Kompositionen aus der Zeit von B.M. anhört. Das er die G....ezza, also das italienische Pendant zum Horst-Ihr-Wisst-Schon-Wer-Lied eingesungen hat, ist der Gipfel von allem. Aber auch unterhalb des Gipfels schlummern grauenhafte Aufnahmen in Giglis Diskografie. Kesting lässt hier auf seine typisch subtile Art zwischen den Zeilen erkennen, was er von Giglis Rolle im damaligen System hält.

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  • Ich weiß, dass Hermann Prey bis heute sehr beliebt ist und viele Fans hat (zu denen Du offenbar auch gehörst).

    Also der Begriff »Fan« passt eigentlich nicht so recht, der gehört wohl eher in gewisse Kurven von Fußballstadien.


    Vielleicht müsste ich mir eingestehen, dass ich eben von der ganzen Sache keine Ahnung habe, aber dann ist es für mich doch etwas verwunderlich, dass Hermann Prey nicht nur seit 1957 für viele Jahre an der Staatsoper in München sang, sondern auch drei Jahrzehnte in Wien; an der Mailänder Scala und an der Metropolitan Opera in New York, den Festspielen in Bayreuth und Salzburg ... man muss ja nun hier nicht jeden Auftrittsort nennen ...


    Und da könnte man nun eine erkleckliche Anzahl berühmter und zum Teil sehr kritischer Dirigenten aufmarschieren lassen, die alle mit dem Sänger Hermann Prey arbeiteten und die in Sachen Musikverstand etwas mehr mitbringen als unsereiner. Was mir hier besonders am Herzen liegt: ich vermisse den Respekt vor einer künstlerischen Leistung!

  • ich vermisse den Respekt vor einer künstlerischen Leistung!

    So sehe ich es nicht. Keiner hat ja behauptet, Prey sei ein schlechter Sänger, wir haben nur über seine Meriten und auch über diejenigen Punkte gesprochen, die uns persönlich nicht so gut gefallen. Ich finde, dass man gerade dann am meisten über Kunst lernt, wenn man sich mit Meinungen anderer Menschen auseinandersetzt. Man muss einfach nur die Grenze zwischen berechtigter Kritik und Diskussion einerseits und ungerechtfertigter Schmähkritik und Bashing andererseits klar sehen. Ich wollte überhaupt nicht "respektlos" sein, weder Dir gegenüber noch gegenüber Hermann Prey.


    Es gibt sehr viele Sänger, von denen ich ein Fan bin (ich denke, dass dieses Wort in einem Forum durchaus in Ordnung ist, wir verfassen ja keine Habilitationsschrift) und mit denen Kesting hart ins Gericht geht. Mit Fallen da z.B. Hans Hotter oder Ramon Vinay ein.

  • Kesting hat eben, wie wohl jeder Sängerliebhaber, so seine Lieblinge und solche, mit denen er wenig anfangen kann. Mir liegt das Werk nicht vor, aber hier im Forum wurde er mal bzgl. des von mir verehrten Bariton Wilhelm Rode zitiert, dieser agiere "pompös" und "provinziell". Das könnte man jetzt aber auch als zeittypischen, für heutige Ohren manierierten und pathosgetränkten Gesangsstil bezeichnen, was gleich weniger abwertend klänge.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Kesting hat eben, wie wohl jeder Sängerliebhaber, so seine Lieblinge und solche, mit denen er wenig anfangen kann. Mir liegt das Werk nicht vor, aber hier im Forum wurde er mal bzgl. des von mir verehrten Bariton Wilhelm Rode zitiert, dieser agiere "pompös" und "provinziell". Das könnte man jetzt aber auch als zeittypischen, für heutige Ohren manierierten und pathosgetränkten Gesangsstil bezeichnen, was gleich weniger abwertend klänge.

    Ich schätze Deine Meinung sehr, und deswegen überrascht mich Deine Begeisterung für Rode immer wieder. Dieser von Kesting kritisierte und als pompös und provinziell bezeichnete Gesangsstil war schon typisch für die deutschen Sänger in dieser Zeit (ich formuliere hier bewusst sehr diplomatisch, ich nehme an, dass Dir der Status von Rode in der damaligen Zeit bekannt ist). Selbst der deutlich besser singende Bockelmann war nicht frei von diesem kleinbürgerlichen, falschen Pathos.


    Findest Du nicht, dass der weltmännisch singende Friedrich Schorr (dem Kesting sehr respektvolle Worte widmet), Hans Hermann Nissen oder in der leichteren Gewichtsklasse auch Herbert Janssen von einem anderen Format waren als Rode und Bockelmann?

  • Und da könnte man nun eine erkleckliche Anzahl berühmter und zum Teil sehr kritischer Dirigenten aufmarschieren lassen, die alle mit dem Sänger Hermann Prey arbeiteten und die in Sachen Musikverstand etwas mehr mitbringen als unsereiner.

    Niemand hat das in Abrede stellen wollen. Es geht nicht um die internationale Bedeutung dieses Sängers, sondern eben um sein öffentliches Erscheinungsbild, das man durchaus kritisch betrachten kann. Einerseits war Prey ein (zu Recht) berühmter Sänger, der über viele Jahre auf den großen Bühnen der Welt zu Hause war. Und es gibt zahlreiche Aufnahmen, die diese Präsenz auch rechtfertigen.


    Auf der anderen Seite gibt es eben auch Kritik an seinem Auftreten und an seinem Bedürfnis, um jeden Preis nicht nur der Klassikwelt, sondern auch der breiten Masse, die mit Klassik nichts am Hut hat, zu gefallen. Sein Gesangstil ist es, der Kesting gestört hat. Er hat ja ausdrücklich die stimmlichen Qualitäten des Sängers herausgestellt, konnte aber sein Bedauern nicht unterdrücken, daß Prey um den Preis der Volkstümlichkeit seinem Ansehen Schaden zugefügt hat. Es ist ja keine Schande, im Fernsehen aufzutreten, aber sich dem Geschmack der breiten Masse anzubiedern auf Kosten der künstlerischen Substanz, das wird man wohl kritisieren können und dürfen. Ob Kesting in seiner Wortwahl immer ganz glücklich war, steht auf einem anderen Blatt.


    Auch ein Karajan war sich nicht zu schade, sich und seine Kunst im TV zu präsentieren, aber er hat es immer fein säuberlich vermieden, sich dem Niveau von Lieschen Müller anzupassen.


    Man hat Fischer-Dieskau immer seine angebliche Überheblichkeit angekreidet, doch er kannte seinen Wert und seine Reputation, die er um keinen Preis aufs Spiel setzen wollte. Mit anderen Worten: Er vermied es fein säuberlich, "Perlen vor die Säue" zu werfen, hätte das aber natürlich wesentlich vornehmer ausgedrückt:).


    Übrigens ist Fi-Di bei Kesting auch nicht viel besser weggekommen wie Prey, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Der "Stimmenpapst" hatte eben, wie wir alle, seine persönlichen Vorlieben und seine Antipathien, die natürlich auch in seine Beurteilungen eingeflossen sind. Wie heißt es so schön: Eine völlig objektive Meinung ist eigentlich gar keine Meinung.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Bei Kesting tut man aber auch immer gut daran, beide Ausgaben seines Sängerbuchs heranzuzoehen. Etliche Urteile hat er später dpch merklich modigiziert, vielleicht auch eine gewisse Altersmilde entwickelt. Er attestiert in der zweiten Ausgabe Prey eine lyrische Baritonstimme von exzeptioneller Qualitöt, verweist auch darauf, daß er nicht ständig an große Häuser berufen worden wäre, hätte er nicht bedeitende Leistungen erbracht. Aber er beharrt auf seiner Kritik am Stilisten Prey.

  • Ich schätze Deine Meinung sehr, und deswegen überrascht mich Deine Begeisterung für Rode immer wieder. Dieser von Kesting kritisierte und als pompös und provinziell bezeichnete Gesangsstil war schon typisch für die deutschen Sänger in dieser Zeit (ich formuliere hier bewusst sehr diplomatisch, ich nehme an, dass Dir der Status von Rode in der damaligen Zeit bekannt ist). Selbst der deutlich besser singende Bockelmann war nicht frei von diesem kleinbürgerlichen, falschen Pathos.


    Findest Du nicht, dass der weltmännisch singende Friedrich Schorr (dem Kesting sehr respektvolle Worte widmet), Hans Hermann Nissen oder in der leichteren Gewichtsklasse auch Herbert Janssen von einem anderen Format waren als Rode und Bockelmann?

    Zunächst mein Dank für diese nette Bemerkung, die ich nur erwidern kann. Ich will nicht verhehlen, geschätzter Tecumseh Valley, dass mir durchaus bewusst ist, dass Rode eine sehr umstrittene Figur ist, was zuvörderst außermusikalische Gründe hat, auf die ich nun aber, da sie Dir gewiss ohnehin geläufig sind, nicht weiter eingehen will (dies geschah ja auch bereits im Rahmen eines dem Sänger gewidmeten Threads ausführlich). Mein persönlicher Eindruck, den ich über die Jahre gewonnen habe, ist ja, dass viele (und damit meine ich bestimmt nicht Dich) Rode von vornherein ablehnen, ohne sich näher mit ihm beschäftigt zu haben. Dies steht selbstredend jedermann frei. Allerdings ist es für eine künstlerische Bewertung nicht eben hilfreich. Es gibt auch Argumente, die man gegen Rodes Gesang anführen kann, ganz unbenommen. Ich weiß auch gar nicht, was es genau ist, was mich an der Stimme und seinem Vortrag besonders fasziniert. Vielleicht lasse ich daher Berufenere zu Wort kommen:


    "In ihm glänzte die Inspiration des Genies." (Marcel Prawy)


    "Der singende Werner Krauß." (Alfred Kerr)


    "Rodes Hans Sachs ist die Meistergestalt geblieben, die wir so lange schon kennen und bewundern: ungeheuer überlegen, treuherzig-schlicht, und doch in Humor und Güte von einer stillen, verhaltenen Art, die verjährtes Leid ahnen läßt." (Alexander Berrsche)


    Dies alles zitiert nach Siegfried Augustin, Wilhelm Rode ("Stimmen, die um die Welt gingen ...", Heft Nr. 12, Juni 1986).


    Ich schätze alle der von Dir Genannten, habe aber doch die größte Schwäche für Rode, der mich insbesondere im 3. Akt "Meistersinger" sowie im 2. und 3. Akt "Walküre" vom Reichssender Königsberg unter Wolfgang Brückner (1938) schon sehr überzeugt. Ich finde, es gibt da immer wieder Stellen, wo eine ungemeine Menschlichkeit spürbar wird. Die Szene mit Eva und auch diejenige mit Brünnhilde haben mich richtig berührt, wie ich das so selten empfunden habe. Es schwingt auch ein leiser erotischer Unterton mit, wie man das bei Rode wohl kaum vermutet hätte. Das Pathos, das er in den Schlussmonologen entfacht, finde ich gar nicht aufgesetzt, sondern ehrlich empfunden, wenn das Bedauern Wotans angesichts des unvermeidlichen Schicksals Brünnhildes und die Sorge Sachsens um den Fortbestand der Kunst am Ende im Mittelpunkt stehen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich weiß auch gar nicht, was es genau ist, was mich an der Stimme und seinem Vortrag besonders fasziniert.

    Ich habe nun die Zeit gefunden, um mir die Aufnahmen aus 1938 aufmerksam anzuhören. Eins vorweg: natürlich war Rode ein sehr guter Sänger, der sein Handwerk beherrschte und mit viel Herz sang. Ich denke, dass wir beide in die Oper rennen würden, wenn es heute einen vergleichbaren Sachs oder Wotan gäbe.


    Ich kann ganz gut nachvollziehen, was Dir an Rode gefällt. Insbesondere seinen Sachs höre ich nun mit etwas anderen Ohren. Im Vergleich zu Schorr (der für mich wohl für immer die Referenz bleibt) klingt Rode etwas derber und (im positiven Sinne) plebejischer. Schorr trat ja als Sachs immer sehr vornehm und großbürgerlich auf - vielleicht nicht unbedingt so, wie man sich einen Mann vorstellt, der den ganzen Tag in der Werkstatt ist. Rode klingt nahbarer. Ich sage es mal so: bei Schorr sehe ich einen Poeten, den die Realität dazu zwingt, sich sein Brot mit der Schuhmacherei zu verdienen, der aber eigentlich Künstler ist. Rode hingegen ist der Schuster, dessen Hobby die Kunst ist. Ein Hobby, dass er mit großer Begeisterung pflegt.


    Aber noch einmal: die Konkurrenz war damals einfach unfassbar stark: Schorr, Bockelmann, Nissen und noch viele andere unfassbar gute Sänger, zwischen denen man wählen konnte. Es ist ungefähr so, als würden wir uns darüber streiten, ob wir den Ferrari wollen, den Bugatti oder doch lieber den Lambo. Und dabei fahren wir heute bestenfalls BMW.

  • Schorr, Bockelmann, Nissen und noch viele andere unfassbar gute Sänger

    .... nicht zu vergessen der überragende Alexander Kipnis, der leider von den Nazis zur Emigration gezwungen wurde!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ich habe nun die Zeit gefunden, um mir die Aufnahmen aus 1938 aufmerksam anzuhören. Eins vorweg: natürlich war Rode ein sehr guter Sänger, der sein Handwerk beherrschte und mit viel Herz sang. Ich denke, dass wir beide in die Oper rennen würden, wenn es heute einen vergleichbaren Sachs oder Wotan gäbe.


    Ich kann ganz gut nachvollziehen, was Dir an Rode gefällt. Insbesondere seinen Sachs höre ich nun mit etwas anderen Ohren. Im Vergleich zu Schorr (der für mich wohl für immer die Referenz bleibt) klingt Rode etwas derber und (im positiven Sinne) plebejischer. Schorr trat ja als Sachs immer sehr vornehm und großbürgerlich auf - vielleicht nicht unbedingt so, wie man sich einen Mann vorstellt, der den ganzen Tag in der Werkstatt ist. Rode klingt nahbarer. Ich sage es mal so: bei Schorr sehe ich einen Poeten, den die Realität dazu zwingt, sich sein Brot mit der Schuhmacherei zu verdienen, der aber eigentlich Künstler ist. Rode hingegen ist der Schuster, dessen Hobby die Kunst ist. Ein Hobby, dass er mit großer Begeisterung pflegt.


    Aber noch einmal: die Konkurrenz war damals einfach unfassbar stark: Schorr, Bockelmann, Nissen und noch viele andere unfassbar gute Sänger, zwischen denen man wählen konnte. Es ist ungefähr so, als würden wir uns darüber streiten, ob wir den Ferrari wollen, den Bugatti oder doch lieber den Lambo. Und dabei fahren wir heute bestenfalls BMW.

    Es freut mich außerordentlich, dass Du Dir tatsächlich die Zeit genommen hast, um Deine Höreindrücke bezüglich Wilhelm Rode noch einmal zu überprüfen, lieber Tecumseh Valley. Deiner profunden Charakterisierung kann ich mich vorbehaltlos anschließen, sie trifft den Nagel auf en Kopf. Es gibt in der Tat mehrere legitime Ansätze beim Sachs, die alle überzeugen können, wenn der Sänger es versteht, ein plastisches Rollenportrait zu kreieren. Es besteht auch kein Dissens, alle genannten Namen (plus der von nemorino angeführte Kipnis) gehörten zur Crème de la crème unter den Sachs-Sängern. Rode hat, weit mehr noch als Bockelmann, bei vielen heutzutage eine schlechte Presse, was auf außermusikalischen Gründen beruht. Ob man ihn deswegen von vornherein ablehnt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Kesting scheint ja auch kein großer Anhänger Rodes zu sein. Damit kann ich allerdings gut leben, da er für mich kein unfehlbarer Papst mit Ex-cathedra-Entscheidungen ist. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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