Pfitzners Palestrina an der Bayerischen Staatsoper

  • Die Vorgeschichte muss man sich ungefähr so vorstellen:
    Der Bachler Nick, der wo jetzt ganz neu von Wien nach München kommen ist, der hat sich gesagt, also für mein neues Opernhaus, da möcht ich in meinem ersten Jahr gleich so eine richtige Münchner Oper haben, die wo hier zum ersten Mal uraufgeführt worden ist, und die soll mir auch ein richtiger Münchner Regisseur machen, zwengs der Authentizität und so. Und da ist er auf die Palestrina-Oper von dem Pfitzner gekommen, die passt nämlich wunderbar, weil die ist in München uraufgeführt worden und handelt von der Kirche, was in Bayern ganz wichtig ist und außerdem kann man mit dem Palestrina, den wo kein Mensch kennt, zeigen, dass man ein Spezialist ist und nicht nur ein Theater für die Geldigen sondern auch für die anderen Spezialisten macht. Und dann hat der Bachler Nick den Stückl Christ gfragt, der ein ganz berühmter bayerischer Regisseur ist, weil der ist der Chef vom Münchner Volkstheater und hat da einen gefeierten Brandner Kaspar hingelegt und in Salzburg den Jedermann mit vielen Kinderl und so, ob der ihm nicht die Oper inszenieren tät. Und der Stückl Christ hat gsagt, ich kenn die Oper zwar nicht, aber ich schaus mir mal an. Und dann hat sich der Stückl Christ die Oper angehört und obwohl die ihm gar nicht gefallen hat und er sich denkt hat, mei o mei, lauters Kardinäle und Zeug, wen soll denn das interessieren, hat er dem Bachler Nick gesagt, du Nick, ich mach dir die Oper, des wird schon werden. Der Stückl Christ ist dann ganz oft von Oberammergau, wo er daheim ist, nach München in das Opernhaus gefahren und hat sich im Auto auch immer die Palestrinaoper angehört damit er sie lernt und hat dann im Theater immer fleissig mit den Leuten von der Oper gearbeitet, damit, wenn dann eine Aufführung ist, die wissen, wo sie stehen sollen und was sie beim Singen anziehen sollen. Und die ganze Zeit hat er sich immer denkt, mei o mei o mei, was hab ich mir da angfangt. Wie dann die Premiere näher gekommen ist, haben sie dem Stückl Christ gesagt, jetzt ist aber Schluss mit dem Inszenieren, jetzt müssen wir mit dem Orchester und den Sängern richtig proben. Und der Stückl Christ hat sich gedacht, mei o mei, hätt ich doch nur net ja gesagt und wär bei meinem Theater, des wo ich richtig gut kann und des mir so vui Spaß macht, geblieben.
    So war das vermutlich.
    Ich fürchte, diese Oper ist auch mit viel Herzblut nur schwer zu retten. Im Juni wird es in Frankfurt auch Harry Kupfer versuchen. Es wird in diesem Libretto einfach zu viel gequasselt. Im Vergleich mit seinen Zeitgenossen, die im Repertoire der Staatsoper zu sehen sind oder bis vor kurzem waren, etwa Humperdincks Königskindern, Busonis Doktor Faust oder gar Bergs Wozzeck verliert Palestrina deutlich. Vor allem der erste Akt erscheint nur wenig kürzer als endlos; hier muss man, Stückl hat völlig richtig darauf hingewiesen, Sitzfleisch mitbringen.
    In Erinnerung bleiben grandiose Sängerleistungen, etwa Christopher Ventris in der Titelrolle und Christiane Karg als sein Sohn Ighino, vor allem aber John Daszak, Falk Struckmann und Michael Volle als Kirchenmänner.
    Nach einem in jeder Beziehung langen Opernabend hat mich auf dem Heimweg aber vor allem eine Frage beschäftigt: Muss man diese Oper spielen? Gibt es im Repertoire des 20. Jahrhunderts nicht so viel anderes zu entdecken?

    Man kann wirklich sagen, daß ich Mozart sehr, sehr viel verdanke; und wenn man sich ansieht, wie z. B. meine Streichquartette gebaut sind, dann kann man nicht leugnen, daß ich das direkt von Mozart gelernt habe. Und ich bin stolz darauf!
    Schönberg

  • Liaba Davis (hoaßt Du so?),


    dass da Stückl Christ des inszeniert hot und ned ganz glickli bei der gonzn Gschicht woa, hot si scho deshoib glont, wei Du uns no so guat üba des Ganze host berichtn kenna.


    Mercie vuimois!!!


    :hello: Ingrid

  • Muss man diese Oper spielen? Müssen tut man überhaupt nichts :D, aber persönlich war ich ganz glücklich, dass ich diese Oper einmal bereits auf der Bühne erlebt habe, in einer Inszenierung, die abgesehen von einigen Details für mich ganz akzeptabel war.


    Ansonsten habe ich den Eindruck (zumindest nach den Kritiken, die ich bisher zu Inszenierungen dieser Oper gelesen habe), dass "Palestrina", wenn er einmal auf der Bühne zu erleben ist, gewöhnlich selten total schief geht. Das liegt vielleicht daran, dass die Oper doch sehr aufwändig ist und sich vermutlich die meisten Intendanzen daher sehr genau überlegen, ob sie das Werk machen können.


    Allerdings räume ich ein, dass ich mich mit dieser Oper näher beschäftigt habe und sie zu meinen Favoriten gehört. ;)


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Es wird in diesem Libretto einfach zu viel gequasselt. Im Vergleich mit seinen Zeitgenossen, die im Repertoire der Staatsoper zu sehen sind oder bis vor kurzem waren, etwa Humperdincks Königskindern, Busonis Doktor Faust oder gar Bergs Wozzeck verliert Palestrina deutlich. Vor allem der erste Akt erscheint nur wenig kürzer als endlos; hier muss man, Stückl hat völlig richtig darauf hingewiesen, Sitzfleisch mitbringen
    Also Palestrina braucht sich gegenüber den "Königskindern" und Busonis ""Doktor Faust" nicht zu verstecken. Im Gegenteil. Ich würde höchstens den Wozzeck vorziehen, aber das ist sowieso eines der gelungensten Opern überhaupt. (nebenbei: von der musikalischen Substanz ist Palestrina den Strauss-Opern sowieso weit überlegen und was die das "Gequassel" in Libretto angeht, da vermeidet der Palestrina manche Geschwätzigkeiten im Rosenkavalier oder den pseudotiefsinnigen gestelzen Kilschee-Stil des " Frau ohne Schatten"-Librettos. ich bin gerade dabei mir den ersten Akt der Münchner Wiedergabe reinzuziehen. Musikalisch ist diese Oper durchaus gerettet und Youngs Wiedergabe ist bisher wesentlich deutlicher und spannender (z.B. beim Borromeo-Monolog oder in der Meisterszene) als die von Peter Schneider (07.06.99) oder Thielemann (21.07.97 in NYC) Palestrina gehört musikalisch zu den gelungenen opern der Nachwagnerzeit wie z.B. auch die Pelleas, Jenufa, Kleider machen Leute, Königskinder, Doktor Faustus u.a.


    :hello:

  • Was mich beim Presseecho dieser Premiere dann doch überrascht hat, war die Übermacht und Schärfe der abwertenden Urteile über Pfitzners Oper selbst, auch unabhängig von der Münchner Produktion. Holger Noltze bezeichnete in der FAZ die zentrale Problematik der Oper als „eher kurios“, bemängelte „recht unhimmlische Längen“ und wünschte der kommenden Frankfurter Palestrina-Produktion maliziös „Mut und alles Gute“. R.J. Brembeck befand in der Süddeutschen: „Trotz starker Momente ist Palestrina musikalisch zu kontrastarm, zu sehr nur einem Duktus, dem der Trauer, verpflichtet, plump in der Komik, immer eine Spur zu geschwätzig im Libretto und dramaturgisch unausgeglichen. Drastische Striche hätten dem Stück aufhelfen können.“ Auf entsprechend niedrigerem Niveau das Hamburger Abendblatt („Spätestens in der Mitte des zweiten Akts, einer Schilderung des Trienter Konzils von 1563, würde man ein entbehrliches Körperteil für ein Liebesduett geben“…“dieser nicht ganz staubfreie Stoff, in dem es mal mehr, mal weniger leitmotivisch vor sich hin wagnert“) und ganz auf den feuilletonistischen Hund gekommen die Stuttgarter Zeitung (ein „Werk, das oft klingt, als habe es ein Gallenleiden“). Tatsächlich habe ich dank des Internets vielleicht zwanzig Rezensionen gelesen, von denen nur drei oder vier ein gewisses Maß an Empathie für das aufgeführte Werk erkennen ließen.


    Nun muss man die Oper nicht mögen und ihren Komponisten schon gar nicht. Aber der Großteil der Rezensionen liest sich so, als hätten sich ihre Verfasser nur äußerst oberflächlich mit dem Werk beschäftigt – wenn nicht sogar es nur ein- oder zweimal gehört. Das inzwischen bei Wagners Opern halbwegs eingeübte Differenzierungsvermögen, was die Unterscheidung und Wechselwirkung von Autor, Werk und Rezeption anbelangt, scheint Pfitzner nicht zugestanden zu werden. Ich bestreite nicht, dass auch in Palestrina ideologisch problematische Aspekte existieren (die schon von Thomas Mann erkannte Parlamentssatire im zweiten Akt z.B.), dass der Inspirationsmythos des ersten Akts knirscht, auch dass es gewisse Durststrecken gibt (wozu ich allerdings nur den Borromeo-Monolog im ersten und den Novagerio-Borromeo-Dialog im zweiten Akt rechne). Aber trotzdem schätze ich – hier ausnahmsweise ;) einmal mit Amfortas08 übereinstimmend – die Qualität des Librettos als hoch ein und die Qualitäten der Musik als noch höher. Vor allem sollte man sich den faszinierenden Widersprüchen des Werks stellen, das eine musikalische Aktualisierung im Sinne von Pfitzners Futuristengefahr-Manifest vollständig verweigert, das in der Toleranz Palestrinas gegenüber seinem „fortschrittlichen“ Schüler gänzlich unpfitznerisch ist, das in seiner hochgradig durchkonstruierten Form Pfitzners eigener Inspirationsideologie Hohn spricht, das wie so manches Werk von Pfitzner musikalisch „moderner“ ist als es die theoretischen Schriften seines Autors nahelegen. Nicht umsonst hat Pfitzner ideologisch unverdächtige und hochrangige Verteidiger in Person von z.B. Arnold Schönberg, Hans Zender oder Wolfgang Rihm gefunden. (Nicht verschwiegen soll allerdings werden, dass es durchaus einen sich in Leserbriefen etc. artikulierenden Bodensatz der alten und/oder neuen Rechten gibt, der jede Pfitzner-Aufführung als Akt einer angeblichen politischen Anti-Korrektheit bejubelt.) Einen wichtigen Weg wies m.E. auch die Dirigentin der Münchner Produktion, Simone Young, indem sie Pfitzners Musiksprache nicht wie viele deutsche Rezensenten zwanghaft im Kontext der Neuen Wiener Schule bewertet, sondern mit Nennung von Namen wie Delius und Vaughan Williams einen europäischen Vergleichshorizont eröffnet.


    Das insgesamt recht lesenswerte Interview mit Frau Young findet sich hier.


    Jetzt aber zur Münchner Premiere am letzten Montag. Ich habe das von mir sehr geschätzte Stück vor mehreren Jahren schon mal in der Wiener Staatsoper gesehen und gehört, mit dem redlichen Thomas Moser in der Titelrolle, dem soliden Peter Schneider am Pult – und in der leider uninspiriertesten Regie, die ich jemals von Herbert Wernicke gesehen habe. Die Münchner Produktion war da teilweise besser gelungen, wenn auch nicht gerade der große Wurf.


    Folgende Verantwortliche und Mitwirkende sind zu nennen:


    Musikalische Leitung: Simone Young
    Regie: Christian Stückl
    Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier
    Chöre Andrés Máspero/Stellario Fagone


    Papst Pius IV: Peter Rose
    Giovanni Morone: Michael Volle
    Bernardo Novagerio: John Daszak
    Kardinal Christoph Madruscht: Roland Bracht
    Carlo Borromeo: Falk Struckmann
    Kardinal von Lothringen/5. Kapellsänger/9. Erscheinung verstorbener Meister: Steven Humes
    Abdisu/1. Erscheinung verstorbener Meister: Kenneth Roberson
    Anton Brus von Müglitz/5. Erscheinung verstorbener Meister: Christian Rieger
    Graf Luna: Wolfgang Koch
    Der Bischof von Budoja: Ulrich Reß
    Theophilus/4. Kapellsänger/2. Erscheinung verstorbener Meister: Kevin Conners
    Dandini von Grosseto/3. Erscheinung verstorbener Meister: Francesco Petrozzi
    Bischof von Fiesoli/3. Kapellsänger/4. Erscheinung verstorbener Meister: Todd Boyce
    Bischof von Feltre: Rüdiger Trebes
    Ein junger Doktor/3. Engelstimme: Anaïk Morel
    Avosmediano: Alfred Kuhn
    Giovanni Pierluigi Palestrina: Christopher Ventris
    Ighino: Christiane Karg
    Silla: Gabriela Scherer
    Bischof Ercole Severolus/8. Erscheinung verstorbener Meister: Christoph Stephinger
    Ein spanischer Bischof/2. Kapellsänger/6. Erscheinung verstorbener Meister: Christopher Magiera
    1. Kapellsänger/7. Erscheinung verstorbener Meister: Igor Bakan
    Die Erscheinung der Lukrezia: Heike Grötzinger
    1. Engelstimme:Laura Nicorescu
    2. Engelstimme: Elena Tsallagova


    Bayerisches Staatsorchester
    Chor der Bayerischen Staatsoper



    Die – wie man sieht – aufwendige Besetzung der Oper schlug sich durch die Bank sehr gut bis herausragend. So waren die unzähligen Rollen des zweiten Akts nicht nur einzeln vorzüglich besetzt, sondern insbesondere auch vom Stimmtypus perfekt voneinander abgesetzt: der wunderbar große Bögen spannende und kantable Michael Volle als Morone, der heftig deklamierende Falk Struckmann als Borromeo, der agile Wolfgang Koch als Luna, der dunkel timbrierte, gefährlich wirkende Roland Bracht als Madruscht, der karikierende Alfred Kuhn als Avosmediano. Dazu der mephistophelische, auch stimmlich brillante John Daszak als Novagerio und die von Ulrich Reß als köstliche Knallcharge ausgespielte Figur des Bischhofs von Budoja. Bei den Männerstimmen erwähnt werden muss unbedingt noch der balsamische Peter Rose, eine Luxusbesetzung für den kurzen Papstauftritt im dritten Akt.


    Sehr gut Gabriela Scherer als Silla, die aber noch übertroffen wurde von der mir bis dato unbekannten Christiane Karg als Ighino, mit wunderbar aufblühender Stimme, glockenreiner Intonation und perfekt verständlicher Diktion (überhaupt wurde fast durchweg sehr textverständlich gesungen).


    Gewisse Einschränkungen musste man bei den beiden wichtigsten Rollen in Kauf nehmen: Falk Struckmann (als Borromeo) neigte, wie gewohnt, zum Bellen, oder – milder gesagt – zum prononcierten Deklamieren. Ich muss allerdings sagen, dass mich diese Gestaltung in dieser Rolle bis zu einem gewissen Grad überzeugt (was etwa auch für Fischer-Dieskau in der Kubelik-Aufnahme gilt). Die enorme Expansionsfähigkeit der Stimme Struckmanns imponierte jedenfalls und er fand auch stellenweise zu sehr leisen, zurückgenommenen Tönen. Bei Christopher Ventris in der Titelrolle störte mich der leichte amerikanische Akzent weniger als in der Bayreuther Parsifal-Übertragung vom letzten Sommer. Er schlug sich wacker, differenzierte stimmlich, hatte sich hörbar mit der Rolle auseinandergesetzt, vermied allzu larmoyante Töne. Dass er weder über den Schmelz eines Wunderlich noch über die prononcierte Wortausdeutung eines Peter Schreier verfügt, war wohl nicht anders zu erwarten und kann ihm schwerlich vorgeworfen werden. Defizitär allerdings, was am Ende des ersten Akts ins Gewicht fiel, die exponierte Höhe – hier entstanden gelegentlich nur vibratosatte Annäherungswerte, und das hohe c am Schluss muss als Verlegenheitslösung bezeichnet werden.


    Simone Young gelang mit dem gut aufgelegten und in den zahlreichen Holzbläser- und Streicher-Soli brillierenden Staatsorchester eine schöne Realisierung des orchestralen Parts und eine gute Abstimmung mit der Bühne. Im ersten Akt dominierte ein mäßig (nicht übermäßig) langsames Grundtempo, das öfter geschickt zur schnelleren Seite modifiziert wurde. Hier bevorzugte Young einen Mischklang, in dem die einzelnen Stimmen trotzdem zu ihrem Recht kamen. Im zweiten Akt betonte die Dirigentin sehr stark den Scherzo-Charakter, mit schnellen Tempi, scharf artikuliert und mit viel weniger Pedal im Orchester als im ersten Akt. Wirklich berückend dann die abgeblendeten, leisen Parsifal-Klänge des dritten Akts. Misslungen schienen mir nur zwei Passagen im ersten Akt: die beiden gewaltigen Crescendi des sogenannten Glockenmotivs nach Palestrinas Inspiration und ganz am Ende des Akts – hier vernachlässigte Young unverständlicherweise die äußerst bemerkenswerten Dissonanzen in den Bläsern, die von einem wie entfesselt scheppernden Tamtam übertönt wurden.


    Tja, und die Inszenierung? Im allgemeinen Thread über die Oper hatten wir angesichts diverser Interview-Äußerungen Christian Stückls ja schon befürchtet, dass der Regisseur mit der Oper gar nichts anfangen könne. Dies war überhaupt nicht der Fall: Wenn Peter Hagmann in einer Rezension für die Neue Zürcher Zeitung von „gehobenem Handwerk“ spricht, hat er völlig recht. Die Inszenierung ist in beachtlichem Maße auf die Musik abgestimmt, das merkte man z.B. an der genauen inszenatorischen Reaktion auf Leitmotive – manchmal wörtlich bebildert, gelegentlich auch leicht ironisiert oder konterkariert: so betreten zum Anschwellen des Glockenmotivs in den letzten Takten des ersten Akts Borromeos Schergen die Bühne und führen Palestrina ab. Personenregie ist Stückls Stärke: besonders überzeugend und sensibel bei Ighino und Silla, virtuos mit der Vielzahl von Figuren hantierend, genau charakterisierend und deftig karikierend im zweiten Akt. Sehr überzeugend fand ich auch, wie sich Struckmann in seinem Monolog im ersten Akt in religiöse Verzückung hineinsteigerte (Brembeck in der Süddeutschen empfand das allerdings als lächerlich). Nur zur Titelfigur ist Stückl nicht viel eingefallen: Palestrina rauft sich die Haare, hantiert mit einem Messer und zerknüllt ständig Notenblätter, naja. Zumindest im ersten Akt ließ Ventris auch kein sonderliches darstellerisches Talent erkennen.


    Das wenig suggestive Bühnenbild von Stefan Hageneier war relativ einfach gestaltet: ein Tisch und ein Stuhl im Vordergrund (im zweiten Akt vervielfachen sich zum Leidwesen des Grafen Luna die Stühle), Treppenaufgänge im Hintergrund, im ersten und dritten Akt ein triptychonartiger Paravent in der Mitte der Bühne, auf dem zunächst Palestrinas verstorbene Frau, im letzten Akt der gekreuzigte Christus zu sehen war. Lukrezia erschien als eine wandelnde, etwas unförmig aufgeblasene Puppe am Ende des ersten Akts, der Papst ebenso verpuppt hinter dem Bild des Gekreuzigten. Die verstorbenen Meister werden als leicht groteske Zombies aus dem Bühnenboden hochgefahren, die Engel hängen sichtbar an Seilen – ein bisschen „barocke“ Inszenierung.


    Eine wichtige Rolle spielt die Farbigkeit: zunächst nüchternes Schwarzweiß, bei den Engelserscheinungen wird dann alles in Giftgrün getaucht. Im zweiten Akt dominieren Pinktöne – und der dritte Akt vereint Grün und Rosa, wie um die doch noch geglückte Allianz von Kirche und Künstler zu verbildlichen. Die Grünorgie im ersten Akt sollte wohl ansatzweise einen Absinthrausch darstellen, hatte doch Palestrina oft genug an der Flasche genuckelt. Ganz offenbar war es Stückls Absicht, die „schweren“ Szenen „leichter“ zu machen, sie ein wenig (aber nicht zuviel) zu ironisieren. Die Auseinandersetzung mit zentralen Elementen des Stücks, insbesondere mit dem Inspirationsmythos, fiel dadurch aber flach, was mir ziemlich unbefriedigend erschien. Die knallige Farbigkeit, auch diverse karikierende Elemente sonst (Morone fährt in einer gigantischen Pappmaché-Stretch-Limousine vor, die zum Auftritt des Papsters nochmal verlängert erscheint) reichten aber offenbar aus, um konservative Opernbesuchere am Ende zu heftigen Buhrufen zu veranlassen, die sich mit den Bravorufen etwa die Waage hielten. Den Pfitznerianern alten Schlags sei die leichte Veralberung ihres Heiligtums herzlich gegönnt. Als überzeugende Deutung geht das aber nicht durch, zumal auch das Ende des sonst gut gelungenen zweiten Akts – immerhin ein veritables Massaker plus Folterandrohung – verharmlost wurde. Am Ende liegt nur ein Toter auf der Bühne – wenn ich das richtig interpretiert habe, handelte es sich um den hinterrücks vom intriganten Novagerio erledigten Morone.


    Dem dritten Akt verleiht Stückl eine dezidiert pessimistische Note: Palestrina kniet wie der Gegeißelte vor dem Bild des Gekreuzigten, will das ihm von Ighino aufgebügelte Jackett nicht anziehen, erlebt den popanzartigen Auftritt des Papstes, lehnt die Versöhnung mit Borromeo ab, setzt sich zum leise ausklingenden Schluss in eine Ecke – und stirbt.


    Gemischte Eindrücke also, was die szenische Seite betrifft. Aber diese Musik in einer sehr guten Interpretation im Theater zu erleben, war wieder ein großes Erlebnis. Ich freue mich schon auf die Frankfurter Aufführung in einigen Monaten.


    Eine insgesamt sehr ausgewogene Rezension hat der schon erwähnte Peter Hagmann in der Neuen Zürcher Zeitung verfasst.


    Diverse Bilder und Videos zur Produktion kann man sich auf der Website der Bayerischen Staatsoper hier und hier ansehen.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd,


    Deine, wieder so ausgezeichnete Rezension (incl. Links) hat mir jetzt sehr geholfen, dieser Aufführung in gut einer Woche doch positiv gesinnt entgegen zu sehen und wird auch helfen, vieles besser zu verstehen und wahrzunehmen.


    Ganz herzlichen Dank !!!
    Ingrid

  • Ich schließe mich dem Feedback Ingrids zu den Ausführungen Bernds an. Mit einer Ausnahme: Der Borromeo-Monolog iim 1. Akt st alles andere als eine Durststrecke :no: :no: :no: :no:, sondern richtig fetziger und typischer Pfitzner. :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes:


    :hello:

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    Ich würde höchstens den Wozzeck vorziehen, aber das ist sowieso eines der gelungensten Opern überhaupt. :hello:


    Bin ja gespannt, denn ich kann diese beiden, doch sehr schwierigen oder anspruchsvollen Werke, an diesem und dem nächsten WE gut miteinander vergleichen. Wünsche mir selbst für morgen gute Nerven, denn an die soll es bei Wozzeck schon stark gehen. Wollte mir diese Oper aber trotzdem auf keinen Fall entgehen lassen. Bin natürlich auch sehr froh, dass Herr Volle die Hauptrolle singt und gestaltet. Der ist einfach enorm gut.


    :hello: Ingrid

  • also ich wünsche Dir ein bewegendes Wozzeck-Erlebnis, mit gut aufgelegtem Orchester. Wozzeck ist eine der musikalisch volllkommsten + gelungensten Opern überhaupt: Da stimmt einfach alles. Es gibt nur ganz wenige Opern, die dem Wozzeck das Wasser reichen.
    Aber der "Palestrina" ist natürlich auch große Musik.
    Insofern ist beides zu besuchen eine sehr gute Entscheidung. Ich hätte momentan beides auch sehr gerne in Hannover, ums mir "richtig live (also nicht nur Radio) " reinzuziehen.
    Leider halten sich beide Werke nie besonders lange auf dem Spielplan.


    :hello:

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    Ich schließe mich dem Feedback Ingrids zu den Ausführungen Bernds an. Mit einer Ausnahme: Der Borromeo-Monolog iim 1. Akt st alles andere als eine Durststrecke :no: :no: :no: :no:, sondern richtig fetziger und typischer Pfitzner. :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes:


    :hello:


    Ich schließe mich ebenfalls dem Feedback von Ingrid zu wirklich sehr anschaulicher Bernds Beschreibung an, teile aber in Bezug auf den Borromeo-Monolog und auch auf den Dialog Novagerio - Borromeo die Ansicht von Amfortas. Beide Szenen sind keine Durststrecken (ebenso wenig wie zum Beispiel die Gurnemanz-Monologe im "Parsifal" ), allerdings erfordern sie Interpreten, die dem dort vorhandenen Potential gewachsen sind und dieses auch umsetzen können.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • an Hörer die noch keinen Draht zu Pfitzner haben:
    George Alexander Albrecht – langjähriger GMD in Hannover – hat mal in Hannover die Palestrina-Musik mit folgendem Wort bezeichnet: „Altgold“ Das hat mir bis jetzt am besten über Pfitzners Musik gefallen. Der Reiz der Palestrina-Musik (+ der von Pfitzner überhaupt )- vor allem in 1. und 3. Akt ist der des Grüblerischen: Die Musik wirft oft den Blick zurück. Sie ist sehr oft - während sie ertönt - gleichzeitig Remeniszens, Eingedenken; widerstrebt ihren weiteren Verlauf... Und dieses – auch wenn es etwas sehr kitschig + banal klingt - „Herbstliche“ ist eine typische Eigenschaft der Pfitzner-Musik (also auch seine Kammermusik, Orchester etc.) Clemens Nachtmann hatte 2007 (im Zusammenhang mit der Kontroverse über die „Deutsche Seele“ in Berlin) folgendes über die Pfitznermusik geschrieben, das mir auch gefällt: „.. dass ... diese Musik kein veranstalteter Propagandakitsch ist und mit ihr kein Staat gemacht werden kann „
    „ das einer, der es „in Treue fest“ mit den Nazis hielt, von den Nazis so wenig gemocht wurde, dass einer, der so deutsch und volksverbunden fühlte wie Pfitzner, so überaus „volksfremde“ und schwer zugängliche Musik schrieb.. „

    Um mit dem Palestrina-Sound vertraut zu werden, wäre es vielleicht nicht verkehrt, sich einfach mal den Monolog des Ighino („Ich wusste wohl, du würdest also reden..“) oder des Borromeo („.. es drohet nicht von eitlen Dilettanten..“) aus dem 1. Akt reinzuziehen. Oder einfach mal den ganzen 3. Akt ganz ruhig auf sich einwirken zu lassen. Und wie das fetzt !!!
    Interessant auch das aggressive Vorspiel zu 2. Akt (Simone Young: „da muss es richtig krachen“) : es beginnt mit dem „Schnell zum Beschluss“-Motive und mündet in den feierlichen, unheilvollen und düsteren Themenkomplex, der die Konzilswelt beschreibt: Macht + gleichzeitig Ausdruck dieser Gewalt. Die Basis der Konzilswelt ist Gewalt..
    Die Kontraste zwischen Akt1 + 3 einerseits und dem 2. Akt andererseits beeindrucken erneut immer wieder....
    Eine sinnvolle orchestrale Realisierung des Palestrina ist nach meiner Erfahrung schwieriger, als die des z.B. Wozzeck...
    Meine Favoriten sind momentan: Young (19.01.09), Kempe (01.08.55), Heger (16.12.64), Kubelik (1973) und Suitner (1986/88).. ich hoffe da kommen noch viele gute Wiedergaben dazu...


    :hello:

  • Zitat

    Original von Amfortas08


    Um mit dem Palestrina-Sound vertraut zu werden, wäre es vielleicht nicht verkehrt, sich einfach mal den Monolog des Ighino („Ich wusste wohl, du würdest also reden..“) oder des Borromeo („.. es drohet nicht von eitlen Dilettanten..“) aus dem 1. Akt reinzuziehen. Oder einfach mal den ganzen 3. Akt ganz ruhig auf sich einwirken zu lassen. Und wie das fetzt !!!
    :hello:


    Auch Dir herzlichen Dank. Ich werde Deine guten Ratschläge befolgen und zumindest diese Teile mehrmals hören. Der Wiedererkennungswert fördert dann sicher die Freude und Aufmerksamkeit.


    :hello: Ingrid

  • Zitat

    Original von Ingrid


    Bin ja gespannt, denn ich kann diese beiden, doch sehr schwierigen oder anspruchsvollen Werke, an diesem und dem nächsten WE gut miteinander vergleichen. Wünsche mir selbst für morgen gute Nerven, denn an die soll es bei Wozzeck schon stark gehen. Wollte mir diese Oper aber trotzdem auf keinen Fall entgehen lassen. Bin natürlich auch sehr froh, dass Herr Volle die Hauptrolle singt und gestaltet. Der ist einfach enorm gut.


    na, da kommt doch das morgige Musik-Feature auf Bayern 2 wie gerufen: :D



    So., 25.01.2009 - BR 2 - 20.05-21.00 Uhr
    - musikFeature - musikalisches Feuilleton -



    Aufbruch aus dem Zusammenbruch -
    Pfitzners 'Palestrina' und Bergs 'Wozzeck'


    Autor: Robert Jungwirth


    Weitere Infos zur Sendung.



    :hello:
    Johannes

  • Zitat

    Original von Guercoeur
    na, da kommt doch das morgige Musik-Feature auf Bayern 2 wie gerufen: :D
    :hello:
    Johannes


    :no: für Wozzeck leider zu spät, denn in der Zeit sitze ich gerade in dieser Oper. Wie schade, denn das wäre wirklich interessant für mich gewesen, aber danke für den guten Tipp.


    :hello: Ingrid

  • Zitat

    Original von Ingrid
    für Wozzeck leider zu spät, denn in der Zeit sitze ich gerade in dieser Oper. Wie schade, denn das wäre wirklich interessant für mich gewesen, aber danke für den guten Tipp.


    das hatte ich mir auch schon gedacht, aber vielleicht kann Dir die Sendung ja jemand aufzeichnen, so daß Du sie Dir später noch zu Gemüte führen könntest.


    :hello:
    Johannes

  • erstmal vielen Dank für den wichtigen Radiohinweis.. :) :) :) :)
    habe meine Twin (!)-Dreambox prograrmmiert (gleichzeitig gibts Nono vom DR Kultur). wer einen Mitschnitt (MP3) vom Palestrina-Wozzzeck.Feature haben will, einfach mailen
    :hello:

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    Ich schließe mich dem Feedback Ingrids zu den Ausführungen Bernds an. Mit einer Ausnahme: Der Borromeo-Monolog iim 1. Akt st alles andere als eine Durststrecke :no: :no: :no: :no:, sondern richtig fetziger und typischer Pfitzner. :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes:


    Zitat

    Original von Waltrada
    Ich schließe mich ebenfalls dem Feedback von Ingrid zu wirklich sehr anschaulicher Bernds Beschreibung an, teile aber in Bezug auf den Borromeo-Monolog und auch auf den Dialog Novagerio - Borromeo die Ansicht von Amfortas. Beide Szenen sind keine Durststrecken (ebenso wenig wie zum Beispiel die Gurnemanz-Monologe im "Parsifal" ), allerdings erfordern sie Interpreten, die dem dort vorhandenen Potential gewachsen sind und dieses auch umsetzen können.


    Die Empfindung von Durststrecken ist natürlich eine höchst subjektive Angelegenheit ;). Während ich wie Waltrada den großen Gurnemanz-Monolog im ersten Parsifal-Akt keinen Takt zu lang finde, hört man m.E. den beiden genannten Stellen in Palestrina gelegentlich die Mühe an, die großen selbstgeschriebenen Textmengen "wegkomponieren" zu müssen.


    Womit ich nichts gegen die Qualität des Borromeo-Monologs sagen will - "typischer Pfitzner" ist das zweifellos. Trotzdem finde ich die direkt darauffolgende monologische Szene Palestrinas (Szene 4) bis zur Erscheinung der Meister noch faszinierender: das ist wirklich schwärzeste Musik, in der die Motive nur noch fragmentiert erscheinen, mit der einzigartigen Grundierung der geteilten Kontrabässe, mit der Dante'schen Angstvision des im Wald Verirrten. Eine Passage, in der Pfitzners Musik weit über die ideologischen Beschränktheiten ihres Komponisten hinausweist, in der vielleicht sogar Pfitzners Selbstzweifel auskomponiert sind.


    Bei aller von mir geteilten Begeisterung für Palestrina kann ich die problematischen Seiten des Werks nicht ausblenden. Wenn man Palestrina im Kontext von Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen versteht, wird das deutlich. Das in der Oper formulierte Ausspielen der Inspiration gegen die Konstruktion entspricht den ideologischen Fehden, die Pfitzner in unsäglicher Form gegen Busoni und Alban Berg eröffnet hat. Palestrina eignet sich zweifellos in keiner Weise zur Reichsparteitagsoper (im Gegensatz zu den Meistersingern), aber sie enthält mit dem Kaiser-Ferdinand-Motiv (dem textlichen wie dem musikalischen) durchaus wilhelminisches Auftrumpfen. Und die Qualität des Librettos, an dem ich wie Amfortas gerade das Nicht-Gestelzte und Nicht-Verquaste schätze, kippt ausgerechnet und bezeichnenderweise bei der Inspirationsszene ins Gestelzte und Verquaste, bestenfalls Wagnerisierende um (Liebes-Mysterium...Wonnen der Geistesmacht...ewige Liebesmacht).




    Dem kann ich fast vorbehaltlos zustimmen. Ich finde ja, es gibt einen einfachen Weg, um herauszufinden, ob man mit Pfitzner bzw. Palestrina kann oder nicht: man höre sich das Vorspiel zum ersten Akt an. Entweder ist man sofort gefangengenommen - oder eben nicht. Das ist schon eine ungeheuer suggestive Klanglichkeit.


    Auch die beiden anderen Vorspiele sind toll, das zum zweiten Akt hat Amfortas ja beschrieben. Das dritte ist eine ganz eigenständige Rezeption der Klangsphäre des dritten Parsifal-Akts. Eine sehr schöne Einspielung der drei Vorspiele plus einiger anderer Pfitzner-Instrumentalstücke aus Opern hat Wolfgang Sawallisch vorgelegt:





    Als Ohrwurm hat sich übrigens z.Zt. das "Konzilsthema" bei mir festgesetzt, schrecklich-schön. :D



    Viele Grüße


    Bernd