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Hallo Holger,
hier äußert sich ein Musiker über die Probleme eines Dirigenten bei der Umsetzung von Musikliteratur in erlebte Musik. Ob ich dem als Hörer folgen muss, ist doch eine ganz andere Sache. Vielleicht ist es ja auch nur eine Momentreflektion eines Musikers , der Probleme mit dieser Umsetzung hat.
Ziel einer Aufführung sollte es doch wohl sein, das die Musik eben nicht heruntergeleiert wird, trotz schwieriger Metronomangaben.
Wenn man solche Aussagen als Gesetz, als Grundlage eines schöpferischen Schaffens nimmt, so ist das doch fast eine Kapitulation vor Vorgaben aus der Musikliteratur.
Darum ist so etwas sehr fragwürdig, ob man solche Aussagen als grundlegende "Gesetze" in der Musik heranziehen sollte, besonder als Hörer.
Beste Grüße Thomas
Lieber Thomas,
eine "Momentaufnahme" ist das sicher nicht! Ich hatte schon Wagners Schrift "Über das Dirigieren" erwähnt. Wagner hat damit einen Dirigierstil gestiftet, der über Gustav Mahler bis hin zu Wilhelm Furtwängler reicht. In Wagners Schrift streitet sich Wagner einmal mehr mit Mendelssohn: Mendelssohn bevorzügt nicht nur zügige Tempi, sondern vor allem ein einheitliches Grundtempo. Dagegen heißt für Wagner "lebendiges" Musizieren "Modifikationen des Tempos". Nach 1945 kommt dann der Bruch mit dieser Wagner-Tradition. Pierre Boulez fordert in seinen Schriften ausdrücklich ein einheitliches Tempo ohne "Modifikationen" für einen ganzen Satz. Schon Toscanini vollzieht diesen Bruch: Das hat mal Ricardo Muti sehr schön an den ersten Takten von Beethovens 5. demonstriert: Bei Furtwängler gibt es in drei Takten schon 10 Tempowechsel, Toscanini dagegen hält das Tempo strikt einheitlich durch. Ich habe eine Aufnahme von Wilhelm Kempff mit Beethovens Klaviersonate op. 7 von 1936. Da gibt es auch auf der ersten Seite jede Menge Tempoverschiebungen. In seinen späteren Studioaufnahmen bei der DGG hat er dann darauf verzichtet. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch Sergui Celibidache: Er lehnte Studioaufnahmen ab, weil für ihn das Tempo an die Aufführung gebunden und nicht reproduzierbar ist.
Schöne Grüße
Holger