Hallo, liebes Forum,
was bedeutet Euch die Pauke im Orchester? Um es gleich direkt zu sagen: Für mich ist sie das wichtigste Einzelinstrument und ich möchte hier versuchen, meine Begeisterung in Beispiele zu fassen und sie aus dem Schattendasein herauszuführen, wo alle anderen Instrumente von dem Ruhm großer Solisten leben können.
Das fing schon an mit dem frühesten Musikunterricht: Haydns Sinfonie mit dem Paukenschlag, Britten „The Young Person’s Guide to the Orcestra“, Prokofjew „Peter und der Wolf“ und Ravels „Bolero“, alles Stücke, die in den 60er Jahre sehr viel häufiger zu hören waren und die ich heute eher zuhause als im Konzertsaal höre.
Die heutige Kesselpauke wurde im 17. Jahrhundert eingeführt. Die Vienna Symphonic Library schreibt:
Als lautestes aller Orchesterinstrumente verlangt sie den SpielerInnen absolutes Fingerspitzengefühl ab. Ebenso verhält es sich mit der Tonhöhe: Die Pauke ist das einzige Fellinstrument (Membranophon) im Orchester mit bestimmter Tonhöhe . Das Finden der richtigen Tonhöhe erfordert von den Spielern ein extrem feines Gehör – das sprichwörtliche Paukistengehör.
Lautstärke und Tonhöhe sind bei der Pauke viel stärker als bei anderen Instrumenten vom jeweiligen Raum und vom Klima abhängig. Deswegen wird die Ausführung der Paukenstimme im Orchester in der Regel ausgebildeten PaukistInnen anvertraut. Die Unterscheidung zwischen Paukisten und Schlagzeugern, welche die übrigen Schlaginstrumente bedienen, hat mit der Intensität der Aufgaben des Paukisten zu tun, die eine Spezialisierung unbedingt erfordert. Die Pauken werden also immer von PaukistInnen gespielt, selten dürfen SchlagzeugspielerInnen „auf die Pauke hauen“.
In romantischen und modernen Werken sind meist 4 Pauken besetzt, in der klassischen Epoche wurde standardmäßig ein Paukenpaar vorgeschrieben.
Im Orchester steht sie dem Dirigenten gegenüber und bringt aus dem Hintergrund den Boden in die jeweils richtige Schwingung, auf der sich die Musik entfalten kann. Die meisten Dirigenten scheinen allerdings Angst zu haben, die Pauke könnte alles überdröhnen und die angemessene Feinheit der Stimmung stören und drängen sie für meinen Geschmack zu sehr an die Seite.
Vielleicht liegt das auch daran, dass die ursprüngliche Kraft der Pauke mit der Zivilisation verdrängt wurde. Sie setzt sich daher außerhalb und gegen die Kunst durch in den Massenaufmärschen der totalitären System bzw. der Dauerbeschallung mit Musik aus der Retorte und ihren computer-erzeugten Rhythmus-Maschinen.
Wehe, die Pauke ist einmal nicht hellwach. Während der Dirigent mit dem Rücken zum Publikum steht, zeigt die Intensität und der ganze körperliche Ausdruck des Paukisten stellvertretend, mit welcher Leidenschaft das Orchester spielt. Das ist leider nur selten zu erleben. Ich denke etwa ein Konzert der St. Petersburger Philharmoniker mit Temirkanow in Salzburg. Was da die Pauke in Resphighis „Pini die Roma“ geleistet hat, vom Stadtgekreisch bis zum alles niederwalzenden Triumphzug auf der Via Appia, und wie das ganze Orchester mitgerissen wurde!
Hier eine vorläufige Liste mir wichtiger Stellen.
Bach, Ouvertüre zur 3. Suite, Knappertsbusch mit den Wiener Philharmonikern 1944. Für mich nach wie vor der beste Auftakt für das Zusammenspiel von Pauke, tiefen Streichern und Trompeten.
Mozart, Prager Sinfonie, Einleitung des ersten Satzes. Über Jahrzehnte war für mich Markevitsch mit den Berliner Philharmonikern gültig, bis ich Mackerras mit dem Prager Kammerorchester hörte. So kann eine Kesseltrommel klingen.
Beethoven, Violinkonzert, die ersten Takte. Ernest Bour spielte 1987 mit Thomas Zehetmaier und dem ensemble modern eine sehr rasche Fassung, die im ersten Satz in einer Kadenz gipfelt, wo das Schlagzeug mit der Violine in Dialog tritt.
Beethoven, 9. Sinfonie, 2. Satz. In einem Buch zum Schlagzeug las ich, welcher Schlagzeuger es sich nehmen lässt, hier unentfesselt aufzuspielen, hat seinen Beruf verfehlt. Referenz ist für mich bis heute Charles Münch mit dem Boston SO.
Und noch einmal Charles Münch. Was die Pauke am Anfang von Brahms’ 1. Sinfonie bedeutet, ist klar. Was aber der Paukist des Orchestre de Paris im 4. Satz leistet, setzt sich weit ab von allen anderen mir bekannten Einspielungen.
Bruckner, 3. Sinfonie, 2. Satz. Skrowaczewski und das Saarbrücken RSO bauen das Adagio in aller Ruhe auf, bis es in einem Schlag kulminiert, der einfach sitzt. (Über die Vielfalt des Schlagzeugs in der 8. und 9. Sinfonie wäre ein eigener Beitrag notwendig ...)
Mahler, 1. Sinfonie, 3. Satz. Das Gewebe der unterschiedlichsten Schlagzeugstimmen scheint mir am besten Markevitch mit dem Orchestre National de France gelungen.
Mahler, 6. Sinfonie, letzter Satz. Trotz Scherchen, Barbirolli, Szell, Gielen, Welser-Möst habe ich noch keine Aufnahme gehört, die dem entspricht, was ich unter Hammerschlägen erwarte, eine der größten Lücken in meiner Musiksammlung.
Mahler, 7. Sinfonie, 2. und 5. Satz. Das Kuhgeläut. Je realistischer der Klang, desto intensiver das Gefühl von Seinsverlassenheit. Das ist Scherchen hervorragend gelungen mit den Wiener Sinfonikern. Das höllische Inferno am Ende der Sinfonie ist zu spüren in den Live-Aufnahmen 1999 mit Abbado und dem Gustav-Mahler Jugend-Orchester. Ich habe es in München im Herkules-Saal erlebt. Da bebte eine ganze Rückwand von Schlaginstrumenten hinter dem Orchester.
Strawinsky „Le sacre du printemps“, kein Kommentar. Stattdessen möchte ich schließen mit dem letzten Satz aus Bartoks Konzert für Orchester. Wie hier in den ersten Takten der Paukist des New York Philharmonic unter Boulez bei rasendem Tempo jedem Schlag eine eigene Betonung gibt, aus dem Rhythmus herauszuspringen droht und ihn gerade dadurch antreibt, scheint mir ein würdiger Abschluss dieses kleinen Querschnitts.
Ich bin gespannt auf weitere Anregungen,
Viele Grüße,
Walter