Frankfurt, Städtische Bühnen, "Arabella", Strauss, 25.01.2009

  • Das Jahr 1933 wird wohl vor allem mit jenem Datum in Verbindung gebracht, das gemeinhin als „Machtergreifung“ bezeichnet wird. Am 30.01.1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, Anfang Februar wird das Parlament aufgelöst, Ende Februar brennt der Reichstag. Im März erreicht die NSDAP über 40% der Stimmen, im Mai finden überall Bücherverbrennungen statt, die politische Opposition wird verfolgt, das KZ Dachau gebaut, die Weltwirtschaftskrise befindet sich in ihrem 4. Jahr.


    In diesem unruhigen Jahr 1933 kommt die Oper „Arabella“ des damals 69-jährigen Komponisten Richard Strauss in Dresden zur Uraufführung. Noch einmal tat sich Richard Strauss mit dem Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal zusammen, um an den Erfolg des 1911, ebenfalls in Dresden, uraufgeführten „Rosenkavalier“ anzuknüpfen.


    Die Handlung spielt in Wien des Jahres 1860, beschwört eine Zeit, die längst vergangen ist und die mit der Gegenwart nichts zu tun hat. Was im „Rosenkavalier“ noch eine gewisse Originalität besitzt, wird in der „Arabella“ zum müden Aufguss, zu einer süsslichen Operette, zu einer Parodie des ungleich stärkeren Vorgängerwerkes.


    Auch musikalisch hat Strauss nichts neues mehr mitzuteilen. Allzu sentimental, zu einfach gebaut kommt seine Musik daher und wenn die Geigen unisono schmachten, dann ist das wie bei einer leckeren Süssspeise – die ersten Bissen schmecken noch lecker, aber hat man erst alles aufgegessen, ist einem speiübel. Gewiss, auch in der „Arabella“ verbergen sich gut gemachte Stellen, aber diese tragen keine Spieldauer von 2 ½ Stunden. Die „Arabella“ hat sich nie so richtig beim Publikum durchsetzen können, der „Rosenkavalier“ ist ungleich beliebter.


    Wenn sich jetzt die „Oper Frankfurt“ an eine Neuinszenierung der „Arabella“ wagt, dann setzt sie mit Sebastian Weigle am Pult und dem Regisseur Christof Loy auf zwei Künstler der jüngeren Generation.


    Sebastian Weigle holt enorm viel aus der Partitur heraus, das Orchester klingt nie dick, viele Nebenstimmen sind zu hören, zügig und federnd geht es zu, aber auch lyrisch aufblühend, dem sentimentalen wird Raum gegeben und rhythmisch packend musiziert, so zum Beginn des dritten Aktes. Viel besser kann man diese Musik vielleicht nicht machen, retten tut das Dirigat und das gut aufgelegte Orchester das Stück nicht.


    Anne Schwanewilms ist die Arabella – ihre Stimme verfügt über eine breite Ausdruckspalette und vor allem ihre leisen, ihre verhangenen Töne, Töne voller Trauer und Abschied, nehmen für die Sopranistin ein.


    Nicht von gleicher Qualität die Zdenka von Barbara Stallmeister, allzu brav, zu eintönig geht die Sängerin ihre Rolle an.


    Eher einen schwachen Eindruck hinterliess der Bariton Robert Hayward als Mandryka – mit starrem, nicht immer kontrolliertem Stimmansatz entledigte er sich seiner Aufgabe. Immer wieder waren auch gute Passagen zu hören, die machten aber die Defizite des zweiten Aktes nicht wirklich wett.


    Ansprechend mit gut gesetzten Koloraturen die Milli von Susanne Elmark.


    Etwas blass der solide Alfred Reiter als Graf Waldner und bei allem Respekt vor den Leistungen der Sopranistin Helena Doese: wenn die Stimme in einem so desolaten Zustand ist, wie man das gestern Abend hören konnte, sollte vielleicht doch auf weitere Auftritte verzichtet werden. Die Gräfin Adelaide der Helena Doese war stimmlich nur noch eine Karrikatur.


    Ein Totalausfall der Tenor Richard Cox als Matteo, der sich nicht nur mit einer unattraktiv-meckernden Stimme durch seine Rolle sang, sondern auch völlig ohne Höhe auskommen musste. Die Stimme kippt bei Tönen über dem System weg und wird blass und farblos.


    Christof Loy entwickelt eine sehr ruhige Erzählweise für seine „Arabella“-Inszenierung, die eine gewisse Strenge an den Tag legt, die dem Stück nicht schlecht bekommt.


    Ein weisser Kasten schliesst die Bühne nach vorne ab, dessen Rückwand verschoben werden kann und die damit unterschiedliche Blicke auf die dahinterliegende Szene gewährt. So sieht man im ersten Akt die doch recht geräumigen Hotelzimmer der Familie Waldner, die allerdings wirklich schon fast alles an Besitz verkaufen mussten. Ganz links den Hotelflur, dann eine Garderobe, das Hauptzimmer und die Schlafräume für die Familienangehörigen. Im dritten Akt wird ganz rechts auch noch ein Stiegenhaus sichtbar werden. Sowohl die Wand, als auch die Räume können verschoben werden, das ist eine wunderbare Bühnenlösung.


    Die Geschichte wird ohne Aufregungen, aber mit durchdachter Personenführung gezeigt – beim ersten Aktschluss steht Arabella allein in diesem weissen Kasten, die Dekoration ist komplett herausgefahren worden und im schwarzen Bühnenraum sieht man Zdenka stehen. Diese sehr starke Abstraktion sieht wunderschön aus und lässt den Gedanken aufkommen, ob man „Arabella“ vielleicht auch so, jenseits konkreter Räume, gut inszenieren könnte.


    Der zweite Akt zeigt dann – wieder hinter dem Kasten – in der Mitte eine breite Treppe, im Vordergrund einige Ledersitzbänke zum Ausruhen und rechts kann dann ein Waschraum hereingefahren werden. Wieder werden die Personen oft völlig reglos in diesem Raum stehen, die Gesichter gegen die Wände gewandt – das sind sehr suggestive Bildeindrücke, die Loy da gelingen.


    Die Milli könnte so, wie hier in Frankfurt, auch in jeder anderen Inszenierung der „Arabella“ auftreten, sie wird aber am Ende des 2. Aktes von Mandryka, der sich von Arabella getäuscht fühlt, ziemlich brutal sexuell bedrängt werden und Mandryka wird Waldner die Milli zum sexuellen Vergnügen anbieten.


    Die Gattin Adelaide hat sich derweil mit einem Herren im Waschraum vergnügt...


    Auch der dritte Akt bleibt dicht am Stück, es tritt allerdings eine Pause in dem Moment ein, wo Zdenka sich als Frau zu erkennen gibt: langsam zieht die Sängerin ihre Jungs-Klamotten aus – sie trägt darunter ein schlichtes, schwarzes Kleid und sehr anrührend steht sie da mit den Hosen um die Füsse, wenn sie ihre Eltern anspricht. In grosser Ruhe geht das Stück mit dem Schlussduett zwischen Arabella und Mandryka zu Ende, nachdem Mandryka für Matteo und Zdenka den Vater Waldner um das Einwillung in deren Ehe gebeten hat.


    Durch diesen weissen Kasten und die verschiebbare Rückwand, werden immer wieder auch private Räume geschaffen, in die sich einzelne Personen der Handlung zurückziehen können, entweder teilweise - oder auch ganz, wenn die Rückwand des Kastens komplett zur dahinterliegenden Szene geschlossen wird.


    Christof Loy hat sich redlich um eine gute, szenische Lösung für die „Arabella“ bemüht – die kein grosser – oder gar aufregender – Wurf geworden ist, die aber gut anzusehen ist und die das Stück ernst zu nehmen versucht.


    Starker Beifall für alle Beteiligten.


    Bleibt die Frage, ob es sich lohnt, die „Arabella“ aufzuführen. Da dürften die Meinungen auseinandergehen.

  • Hallo Alviano,


    da findest du ja recht starke Worte zur Qualität von Arabella. Ich selbst kannte die Oper noch nicht, bis ich sie vor rund zwei Wochen in Hamburg gesehen habe. Musikalisch hat mich am meisten die Diskrepanz zwischen dem wagnerisch singenden Mandyka und dem operettennahen Rest gestört. Das ging nicht zusammen, fand ich.


    Die Inszenierung von bzw. nach Sven-Eric Bechtolf, es handelt sich um eine Ko-Produktion mit der Wiener Staatsoper, rechtfertigt den Besuch ebenfalls nicht. Meine Mutter, die ich an diesem Abend begleiten durfte, kommentierte beim Hinausgehen: "Na, immerhin ist keiner gestorben, ist ja auch schon was."


    Bezeichnenderweise wurde hier im Forum ja auch zur (identischen) Wiener Inszenierung geschwiegen.


    Auf der Homepage der Staatsoper Hamburg gibt es drei Bilder und ein kleines Video, aus dem man weitere Eindrücken gewinnen mag - oder auch nicht: "http://www.hamburgische-staatsoper.de/_auffuehrungen/performance.php?event=75177"


    Viele Grüße
    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    Da findest du ja recht starke Worte zur Qualität von Arabella.


    Lieber Thomas,


    ist das wirklich so? Für meine Verhältnisse fand ich meine Anmerkungen noch relativ freundlich. Es kommt natürlich mehreres zusammen: bekanntermassen ist Strauss nicht mein Lieblingskomponist und unter seinen vielen Werken gehört die "Arabella" zu den schwächeren. Jetzt hatte ich direkt am Vorabend den "König Kandaules" von Alexander Zemlinsky in Kaiserslautern gesehen und gehört. Im direkten Vergleich schneidet Strauss mit seiner "Arabella" enorm schlecht ab - da steht Zemlinsky gerade in Fragen der Orchesterbehandlung und der Instrumentation meilenweit über Strauss. Interessanterweise führt auch das ausgezeichnete Dirigat von Sebastian Weigle in Frankfurt dazu, dass man merkt, wo Strauss auch gut arbeitet, z. B. zu Beginn des dritten Aktes, aber auch die "Leerstellen" werden so deutlicher hör- und erfahrbar.


    "Arabella" stellt einen Regisseur vor einge Probleme - eine operettenhafte Bebilderung verstärkt das kitschige des Stückes, eine radikale Neubefragung scheitert an der Dürftigkeit der Handlung. Den Weg, den Loy gegangen ist, finde ich spannend - er zeigt immer wieder sehr verzögerte Aktionen, die "Arabella" wird so zu einem Stück des Abschieds, auch am Ende, wenn Mandryka und Arabella in den schwarzen Bühnenraum gehen, das hat wenig von Verlobungsnacht, da ist auch wieder so eine Ungewissheit, eine Melancholie spürbar, die dem Stück gut bekommt.


    Dass ausgerechnet diese "Arabella" die erste Opernuraufführung Nazi-Deutschlands wurde, ist ein wenig eine Ironie der Geschichte - zur faschistoiden Politik lieferte Strauss ein reaktionäres, schwaches Stück Opernmusik.

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    ... Ich selbst kannte die Oper noch nicht, bis ich sie vor rund zwei Wochen in Hamburg gesehen habe. ...


    Hallo Thomas,


    da ging es Dir ja wie mir. Wir waren wohl in der gleichen Aufführung? Auch ich kannte die Oper nicht und sie hat mir auch nicht gefallen. Ich fand, dass die Musik eine uninspirierte Aneinanderkettung von Eigenplagiaten war. Das hat mich überhaupt nicht angesprochen aber ich bin eh der Meinung, dass Strauss nach den Alpträumen der Klytämnestra irgendwie in die falsche Richtung abgebogen ist. :D Wenngleich die FOS mir doch gut gefällt.


    Allerdings gefiel mir die Stimme von Anja Harteros in der Titelrolle hervorragend. Den Mandryka von Mayer fand ich etwas blass - wie auch schon seinen Wotan.


    LG
    calaf

    Without deviation from the norm, progress is not possible.
    (Frank Zappa)

  • Ich kann mich auch nicht zu einer richtigen Verteidigung der Arabella aufraffen - trotz einiger Versuche (live und aus der Konserve mit Solti/della Casa) habe ich nie einen Zugang finden können. Ich langweile mich beim Hören nicht immer, aber trotz diverser reizvoller Momente (z.B. die Kartenlegeszene am Anfang - Strauss als "der Komponist der ersten 250 Takte") zu oft. Hofmannsthals Textbuch überzeugt mich wenig...


    Ganz so hart wie bei Alviano fällt mein Urteil dann aber doch nicht aus. Die Orientierung am ungeheuer erfolgreichen Rosenkavalier ist unüberhörbar, aber nicht bloß opportunistisch, sondern reflektiert: Pointiert könnte man Arabella als einen Rosenkavalier bezeichnen, der durch die Erfahrungen von Inflation und Weltwirtschaftskrise gegangen ist - so wie das frühere Stück nominell im Rokoko spielt, aber in vielem das Wien um 1900 spiegelt, so verweist Arabella trotz zeitlicher Ansiedlung im Wien von 1860 auf ein Österreich, in dem der Adel bereits Vergangenheit ist. Insofern kann ich den Vorwurf, das Stück habe mit der Gegenwart gar nichts zu tun, nicht vollständig nachvollziehen. Dass Arabella oft wie eine etwas schäbigere Ausgabe des Rosenkavaliers wirkt, textlich wie musikalisch, ist möglicherweise Konzept - "Verhunzung" als Leitmotiv. Dass die Oper 1933 unter dem NS-Regime uraufgeführt wurde, scheint da eher Zufall. Vielleicht kann man dem Stück auch näherkommen, wenn man es als Alternativentwurf zur von Strauss feindlich beäugten Gattung Operette begreift - aber da kenne ich mich zu wenig aus.


    Naja - denken kann man sich viel, hören und sehen mag ich Arabella, wie gesagt, eher nicht allzu häufig. Ob es sich lohnt, das Stück aufzuführen? Ich denke schon, allerdings mit erheblichen Einschränkungen. Es gibt zweifellos eine ganze Reihe deutschsprachiger Opern aus der Zeit der Arabella, die es eher verdienten, mal wieder auf die Bühne zu kommen. Aber selbst wenn man bei Strauss bleibt: warum nicht mal öfter die von Rideamus immer wieder beworbene Schweigsame Frau, die in vielerlei Hinsicht origineller ist? Oder - als interessantes Zeugnis für die problematische Zeitgenossenschaft von Strauss - den Friedenstag?



    Viele Grüße


    Bernd