Das Jahr 1933 wird wohl vor allem mit jenem Datum in Verbindung gebracht, das gemeinhin als „Machtergreifung“ bezeichnet wird. Am 30.01.1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, Anfang Februar wird das Parlament aufgelöst, Ende Februar brennt der Reichstag. Im März erreicht die NSDAP über 40% der Stimmen, im Mai finden überall Bücherverbrennungen statt, die politische Opposition wird verfolgt, das KZ Dachau gebaut, die Weltwirtschaftskrise befindet sich in ihrem 4. Jahr.
In diesem unruhigen Jahr 1933 kommt die Oper „Arabella“ des damals 69-jährigen Komponisten Richard Strauss in Dresden zur Uraufführung. Noch einmal tat sich Richard Strauss mit dem Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal zusammen, um an den Erfolg des 1911, ebenfalls in Dresden, uraufgeführten „Rosenkavalier“ anzuknüpfen.
Die Handlung spielt in Wien des Jahres 1860, beschwört eine Zeit, die längst vergangen ist und die mit der Gegenwart nichts zu tun hat. Was im „Rosenkavalier“ noch eine gewisse Originalität besitzt, wird in der „Arabella“ zum müden Aufguss, zu einer süsslichen Operette, zu einer Parodie des ungleich stärkeren Vorgängerwerkes.
Auch musikalisch hat Strauss nichts neues mehr mitzuteilen. Allzu sentimental, zu einfach gebaut kommt seine Musik daher und wenn die Geigen unisono schmachten, dann ist das wie bei einer leckeren Süssspeise – die ersten Bissen schmecken noch lecker, aber hat man erst alles aufgegessen, ist einem speiübel. Gewiss, auch in der „Arabella“ verbergen sich gut gemachte Stellen, aber diese tragen keine Spieldauer von 2 ½ Stunden. Die „Arabella“ hat sich nie so richtig beim Publikum durchsetzen können, der „Rosenkavalier“ ist ungleich beliebter.
Wenn sich jetzt die „Oper Frankfurt“ an eine Neuinszenierung der „Arabella“ wagt, dann setzt sie mit Sebastian Weigle am Pult und dem Regisseur Christof Loy auf zwei Künstler der jüngeren Generation.
Sebastian Weigle holt enorm viel aus der Partitur heraus, das Orchester klingt nie dick, viele Nebenstimmen sind zu hören, zügig und federnd geht es zu, aber auch lyrisch aufblühend, dem sentimentalen wird Raum gegeben und rhythmisch packend musiziert, so zum Beginn des dritten Aktes. Viel besser kann man diese Musik vielleicht nicht machen, retten tut das Dirigat und das gut aufgelegte Orchester das Stück nicht.
Anne Schwanewilms ist die Arabella – ihre Stimme verfügt über eine breite Ausdruckspalette und vor allem ihre leisen, ihre verhangenen Töne, Töne voller Trauer und Abschied, nehmen für die Sopranistin ein.
Nicht von gleicher Qualität die Zdenka von Barbara Stallmeister, allzu brav, zu eintönig geht die Sängerin ihre Rolle an.
Eher einen schwachen Eindruck hinterliess der Bariton Robert Hayward als Mandryka – mit starrem, nicht immer kontrolliertem Stimmansatz entledigte er sich seiner Aufgabe. Immer wieder waren auch gute Passagen zu hören, die machten aber die Defizite des zweiten Aktes nicht wirklich wett.
Ansprechend mit gut gesetzten Koloraturen die Milli von Susanne Elmark.
Etwas blass der solide Alfred Reiter als Graf Waldner und bei allem Respekt vor den Leistungen der Sopranistin Helena Doese: wenn die Stimme in einem so desolaten Zustand ist, wie man das gestern Abend hören konnte, sollte vielleicht doch auf weitere Auftritte verzichtet werden. Die Gräfin Adelaide der Helena Doese war stimmlich nur noch eine Karrikatur.
Ein Totalausfall der Tenor Richard Cox als Matteo, der sich nicht nur mit einer unattraktiv-meckernden Stimme durch seine Rolle sang, sondern auch völlig ohne Höhe auskommen musste. Die Stimme kippt bei Tönen über dem System weg und wird blass und farblos.
Christof Loy entwickelt eine sehr ruhige Erzählweise für seine „Arabella“-Inszenierung, die eine gewisse Strenge an den Tag legt, die dem Stück nicht schlecht bekommt.
Ein weisser Kasten schliesst die Bühne nach vorne ab, dessen Rückwand verschoben werden kann und die damit unterschiedliche Blicke auf die dahinterliegende Szene gewährt. So sieht man im ersten Akt die doch recht geräumigen Hotelzimmer der Familie Waldner, die allerdings wirklich schon fast alles an Besitz verkaufen mussten. Ganz links den Hotelflur, dann eine Garderobe, das Hauptzimmer und die Schlafräume für die Familienangehörigen. Im dritten Akt wird ganz rechts auch noch ein Stiegenhaus sichtbar werden. Sowohl die Wand, als auch die Räume können verschoben werden, das ist eine wunderbare Bühnenlösung.
Die Geschichte wird ohne Aufregungen, aber mit durchdachter Personenführung gezeigt – beim ersten Aktschluss steht Arabella allein in diesem weissen Kasten, die Dekoration ist komplett herausgefahren worden und im schwarzen Bühnenraum sieht man Zdenka stehen. Diese sehr starke Abstraktion sieht wunderschön aus und lässt den Gedanken aufkommen, ob man „Arabella“ vielleicht auch so, jenseits konkreter Räume, gut inszenieren könnte.
Der zweite Akt zeigt dann – wieder hinter dem Kasten – in der Mitte eine breite Treppe, im Vordergrund einige Ledersitzbänke zum Ausruhen und rechts kann dann ein Waschraum hereingefahren werden. Wieder werden die Personen oft völlig reglos in diesem Raum stehen, die Gesichter gegen die Wände gewandt – das sind sehr suggestive Bildeindrücke, die Loy da gelingen.
Die Milli könnte so, wie hier in Frankfurt, auch in jeder anderen Inszenierung der „Arabella“ auftreten, sie wird aber am Ende des 2. Aktes von Mandryka, der sich von Arabella getäuscht fühlt, ziemlich brutal sexuell bedrängt werden und Mandryka wird Waldner die Milli zum sexuellen Vergnügen anbieten.
Die Gattin Adelaide hat sich derweil mit einem Herren im Waschraum vergnügt...
Auch der dritte Akt bleibt dicht am Stück, es tritt allerdings eine Pause in dem Moment ein, wo Zdenka sich als Frau zu erkennen gibt: langsam zieht die Sängerin ihre Jungs-Klamotten aus – sie trägt darunter ein schlichtes, schwarzes Kleid und sehr anrührend steht sie da mit den Hosen um die Füsse, wenn sie ihre Eltern anspricht. In grosser Ruhe geht das Stück mit dem Schlussduett zwischen Arabella und Mandryka zu Ende, nachdem Mandryka für Matteo und Zdenka den Vater Waldner um das Einwillung in deren Ehe gebeten hat.
Durch diesen weissen Kasten und die verschiebbare Rückwand, werden immer wieder auch private Räume geschaffen, in die sich einzelne Personen der Handlung zurückziehen können, entweder teilweise - oder auch ganz, wenn die Rückwand des Kastens komplett zur dahinterliegenden Szene geschlossen wird.
Christof Loy hat sich redlich um eine gute, szenische Lösung für die „Arabella“ bemüht – die kein grosser – oder gar aufregender – Wurf geworden ist, die aber gut anzusehen ist und die das Stück ernst zu nehmen versucht.
Starker Beifall für alle Beteiligten.
Bleibt die Frage, ob es sich lohnt, die „Arabella“ aufzuführen. Da dürften die Meinungen auseinandergehen.