Lumpen, Vagabunden und andere liederliche Gesellen: Johann Nestroys "Possen mit Gesang"

  • Zitat

    Original von oper337
    Leider Nein, es wird jetzt in Wien bedauerlicherweise wenig Nestroy gespielt, und wenn dann vollkommen verfremdet. :yes:


    Lieber Peter,


    wo soll er denn sonst gespielt werden?


    Liebe Grüße Peter


  • Lieber Peter!


    Das denke ich zwar auch, aber jetzt wird alles Mögliche gespielt, nur kein Nestroy, weder in der "Josefstadt" noch in der "Burg",


    manchmal "ringt" sich das Volkstheater durch, aber es entsteht ein vollkommen verzerrter Nestroy - und der geht am Dichter vorüber.


    Du weißt was ich meine. Es geht die Kritik von Nestroy unter, denn auf Zeitgemäßes lässt sie sich nicht so anwenden, zumindest denken es so die Regisseure, alles neu bringen auch die Pointen, das war vor zig-Jahren anders. Sien "Höllenangst" mit Moser, Putz, Horeschovski und der unverwüstlichen Elfriede Ott.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter, schönen Wochenbeginn, wünscht Dir Peter aus Wien. :hello: :hello:


  • Otto Schenk hat den "echten Nestroy" vergewaltigt, mit billigen (und oft peinlichen) Gags angereichert und auf primitive Klamaukebene hinuntergezerrt. Die Gesellschaftskritik von Nestroy hat Schenk entweder nicht verstanden, oder sie hat ihn schlicht nicht interessiert - inszeniert hat er sie jedenfalls nicht einmal ansatzweise.
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina,


    Das sehe ich nicht so. Wenn ich beispielsweise an den "Zerrissenen" denke, dann war das für mich eine Nestroy-Sternstunde. Schließlich hat der selbst seine Kritik oft in scheinbaren, manchmal auch sogar billigen Klamauk verpackt.


    LG


    Waldi


  • Lieber Waldi!


    Das kann ich nur bestätigen, Otto Schenk und Leopold Lindberg brachten eine guten Nestroy und die Aufführungen von "Einen Jux soll er sich machen" im Burgtheater mit Josef Meinrad und Inge Konradi, von Lindtberg, waren Nestoy-Sternstunden.


    Gerade Otto Schenk versteht von Regie - Arbeit, auch bei Nestroy, mehr als zehn, der so genannten, modernen Regisseuren zusammen!!!


    Nur ist heute modern, wenn alles verfremdet wird, und Nestroy dreht sich schon wie ein Ventilator im Grab herum.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter. :hello: :hello:


  • Lieber Waldi,
    ja, da werden wir uns wohl nie treffen, denn für mich war der "Zerrissene" ebenso unerträglich wie der "Talisman" - beides Nestroy auf dem Niveau der Löwingerbühne. Wo ich konservative, aber ausgezeichnete Nestroyaufführungen erlebt habe, war in Reichenau. Dort nimmt man die Dichter und ihre Worte ernst, ohne sie zu verniedlichen und zu vergagisieren, wenn du diese Wortschöpfung gestattest, die Regie entspricht dem Ideal von Theophilus - man bemerkt sie überhaupt nicht - , was mich dort aber nicht stört. Wenn man nach Reichenau fährt, dann tut man das im Bewusstsein, dort ein Theater der Schauspieler und nicht der Regisseure zu erleben, und wenn das auf einem derart hohen Level wie dort erfolgt, kann ich es ebenso genießen wie Kusejs "Höllenangst" an der Burg. In Reichenau wird die Grenze zwischen Komödie und Klamauk nie überschritten, wie das Schenk immer wieder tut. (Ich denke nur an die peinlich alberne Szene im "Talisman", wenn Lohner minutenlang akrobatische Kunststückchen mit einem Sessel aufführt - was hat das bitte mit Nestroy und dem Stück zu tun?????)
    Eine absolute Nestroysternstunde erlebte ich vor vielen Jahren am damals noch von Hans Gratzer geführten Schauspielhaus in der Porzellangasse mit dem "Schützling". Ohne Bühnenbild, ohne Biedermeierkostüme oder sonstigen Schnickschnack, nur der leere Raum, ein Sessel und ein großartiger Toni Böhm in der Titelrolle - nie wieder ist mir Nestroy derart unter die Haut gegangen, habe ich die verblüffende Aktualität vieler seiner Texte deutlicher gespürt als dort. Danach habe ich eine regelrechte Allergie gegen Nestroy à la Schenk entwickelt :no: :no: :no:
    lg Severina :hello:

  • Interessant, wie kontrovers dieser Zerrissene beurteilt wird:



    Zufällig habe ich kürzlich die DVD in der Stadtbibliothek Weinheim entdeckt und gestern angeschaut. Hier meine Eindrücke, wobei ich dazusagen muß, daß ich weder alternative Inszenierungen noch das Stück selbst bislang kenne:


    Der erste Akt: Merkwürdig, diese naturalistische Darstellung, wobei das für mich nicht recht zusammenpaßte mit der grotesken, überdrehten Handlung - etwas klamaukhaft, vor allem Otto Schenk, den ich als Schlosser Gluthammer als streckenweise zu derb und unnatürlich empfand, weiß nicht, ob das von Nestroy so gedacht war. Helmuth Lohner als Herr von Lips: eine Komik, die ich zunächst als zu gewollt-komödiantisch, zu sehr ins Bierenste gehend erlebte, aber im Folgenden beeindruckte mich die große Energie des Schauspielers, besonders in den Couplets (mit Anspielungen auf österreichische Politik der 80er, was ich nicht verstand).


    Es ist ja eine Liveaufführung (Salzburger Festspiele 1984): In den folgenden Akten steigerten sich die Akteure, es war teilweise witzig und beeindruckend (großartig: Fritz Muliar als Krautkopf) und im Ganzen durchaus gelungenes, ansprechendes Theater, lebendig und witzig, aber weder eine "Sternstunde" (Walter Krause) noch "unerträglich" (Severina). Teilweise zu sehr Komödienstadl (z. B. die etwas plakative Komik der drei "Freunde" des Herrn von Lips: Stifler, Sporner und Wixer), teilweise packend (Lips/Lohner zum Ende hin, auch die Eröffnung des Testaments des vermeintlich Ermordeten). "Genial" fand ich die Regie Otto Schenks nicht, eher unentschlossen zwischen historisierendem Naturalismus und (politischen) Aktualisierungsversuchen schwankend, doch mit einer durchaus versierten Personenführung.


    Der Sprachwitz Nestroys, der in dieser Aufführung zu hören war, beeindruckte mich durch manche Rafinesse, die mich an Karl Valentin erinnerte, z. B.: "Armut is ohne Zweifel das Schrecklichste. Mir dürft' einer zehn Millionen herlegen und sagen, ich soll arm sein dafür, ich nehmet s' nicht." (Das könnte selbst unser Blackadder nicht besser...)


    Heute habe ich die Tannhäuser-Parodie Nestroys in der Bibliothek gefunden:



    Mal schaun, was ich damit anfangen kann.

  • Zitat

    Original von oper337
    Lieber Gurnemanz!


    Nestroy war der erste Jupiter in Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" und er hat uns Offenbach nach Wien geholt,


    dafür geührt in schon Dank




    Nur so als Fiktion (vor allem für frankophile Wiener und Franzosen mit Wienbezug - und Peter ist zu diesem theoretischen Ansatz immer gerne gehört) - könntet ihr euch Nestroy als Librettist für Offenbach vorstellen ??


    @ Schauspieler
    Wenn mich meine Erinnerung nich absolut täuscht, habe ich in meiner Jugend/Kindheit (so vor ca. 45 Jahren) den legendären Helmut Qualtinger als Knieriem erlebt. Und seither habe ich mit jdem anderen Interpreten mein Problem.
    Helmut Lohner spielt Nestroy so wunderbar hintergründig (beinahe hätte ich hinterhältig gesagt/geschrieben) dass er in meiner Wahrnehmung ein idealer Interpret ist.
    Otto Schenk achtet als Regisseur meiner Meinung nach vor allem auf die billige Pointe im Text, hinterfragt aber nicht die Historie. Und da hat er in Fritz Muliar einen kongenialen Schuspieler.


    Michael 2

  • Lieber Michael 2!


    Ja, warum denn nicht. Nicht nur Karl Kraus war ein begnadeter Übersetzer von Offenbach - Operetten, später Gustaf Grüngens.


    Nur sind die jetzigen Übersetzungen aus zweiter Hand, also weniger gut.


    Wenn ich mir da nur die Rothenberger Aufnahmen abnhöre, da merkt man wie mies alles ist, bei "La Vie Parisienne" ganz zu schweigen,


    da hat nur Herbert Prikopa, in den 1980er Jahren eine gute Übersetzung machen lassen, etwas andere Handlung, aber sehr gut, ich glaube es war ein polnisches Paar am Werken.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter. :hello: :hello:

  • Inzwischen genossen:



    "Tannhäuser in 80 Minuten" als Einpersonenstück, grandios: Robert Meyer als Regisseur und Schauspieler, mit den "Neuen Wiener Concert Schrammeln" (Peter Uhler und Valmir Ziu, Violine; Günter Haumer, Chromatische Knopfharmonika; Peter Havlicek, Kontragitarre) als Liveaufnahme (Volksoper Wien, März 2008).


    Eine amüsante Geschichte: 1857, zwei Monate nach der Wiener Erstaufführung des Tannhäuser führte Nestroy diese Parodie auf, die eigentlich von einem Breslauer Arzt namens Wollheim stammt, wobei er einiges bearbeiten mußte, um die Zensur zu umgehen: Er hält sich zwar weitgehend an Wagners Original, doch aus den Pilgern werden Männergesangsvereine und die religiösen Bezüge (Romreise, päpstlicher Fluch) fehlen ganz. Ursprünglich gab es Orchester und Chor, doch diese Fassung ist nicht schlecht. Es gibt zwar ein paar Seitenhiebe auf Wagners "Zukunftsmusik", die die Stimme ruiniere, im Gegenteil zu Taminos-Bildnis-Arie und zum "Freischütz", doch ansonsten beschränkt sich das Stück - so wie ich es hier erlebe - auf ein Durch-den-Kakao-Ziehen. Mir hat's gut gefallen. Auch die Musik, die natürlich viel Wienerisches enthält - von bzw. nach Carl Binder (1816-1860) - und mich hat überrascht, wie authentisch die Tannhäuser-Ouvertüre und der Einzug der Gäste in der Schrammelmusikfassung noch klingen!


    Vielleicht der/die eine Taminoaner/in die Aufführung, die vor einem Jahr an der Volksoper lief, gesehen?

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  • Lieber Gurnemanz!


    Bei Wagner - Parodien bin ich zu haben, es gibt einen "Lohengelb" aus der Wiener Kammeroper, ca.1986, hat es aber nie auf DVD gegeben, den habe ich. Auch von Nestroy. :jubel: :jubel:[Sende mir eine PN, wennst ihn haben willst?]


    Beim "Tannhäuser in 80 Minuten" da war ich dabei, es war eine Gaudi. :jubel: :jubel:


    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :hello: :hello:

  • Zitat

    Original von oper337
    Bei Wagner - Parodien bin ich zu haben, es gibt einen "Lohengelb" aus der Wiener Kammeroper, ca.1986, hat es aber nie auf DVD gegeben, den habe ich. Auch von Nestroy.


    Lieber Peter,


    vielen Dank für das freundliche Angebot, ich komme gern darauf zurück (auch wenn mir Tannhäuser deutlich näher liegt als Lohengrin). Von der Lohengrin-Parodie habe ich noch nie gehört; eine Kurzrecherche bei Wikipedia ergibt (stimmt natürlich auch nicht immer, was dort steht), daß das Libretto der Operette Lohengelb, oder Die Jungfrau von Dragant (Tragant) nicht von Nestroy, sondern von Carl Costa und Moritz Anton Grandjean stammt - was ja nicht gegen die Qualität dieser Parodie sprechen muß (Musik übrigens von Franz von Suppé).

  • Zitat

    Original von Gurnemanz


    Lieber Peter,


    vielen Dank für das freundliche Angebot, ich komme gern darauf zurück (auch wenn mir Tannhäuser deutlich näher liegt als Lohengrin). Von der Lohengrin-Parodie habe ich noch nie gehört; eine Kurzrecherche bei Wikipedia ergibt (stimmt natürlich auch nicht immer, was dort steht), daß das Libretto der Operette Lohengelb, oder Die Jungfrau von Dragant (Tragant) nicht von Nestroy, sondern von Carl Costa und Moritz Anton Grandjean stammt - was ja nicht gegen die Qualität dieser Parodie sprechen muß (Musik übrigens von Franz von Suppé).


    Lieber Gurnemanz!


    der Großteil der Angaben bei Wikipedia sind von mir :yes: :yes:, wenn auch Carl Costa steht, der Urtext ist von Nestroy - und wird auch verwendet. Suppé verwendt Wagner Motive- Gralserzählung u.a.m.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :hello: :hello: