Janusköpfe der Sprache - Wörter und Worte mit Doppelsinn

  • Wenn ich, was mir in gelegentlichen Anfällen überbordender Eitelkeit manchmal unterläuft, meine Postings hier durchlese, fällt mir nicht nur eine extreme Sprunghaftigkeit auf, sondern eine durchgehende Fasziniertheit von der Sprache, mit der ich bekanntlich gerne spiele. Ein Element, das mir dabei immer besondere Freude bereitet, ist das vielleicht bündigste Zeugnis dafür, dass die Sprache ein Erzeugnis einer immensen Zahl von Mitwirkenden ist, nämlich die unterschiedliche Bedeutung mancher Worte, die sich im Laufe der Zeit immer weiter auseinander entwickelt.


    Die Geburtsstunde einer solchen Auseinanderentwicklung haben wir gerade erlebt. Ich denke an das Wort Bank. Bislang galt sie in jeder Bedeutung als Ausdruck von Zuverlässigkeit, als ein Gegenstand, auf dem oder in dem man sich getrost niederlassen konnte, wenn nicht gerade ein Räuber des Weges kam. Eine Bank, sei es die beim Toto, die mit dem Geld oder die zum Sitzen galt immer als ein Ausbund an Zuverlässigkeit.


    Bekanntlich hat sich das spätestens im letzten Jahr drastisch geändert, und man kann mit Spannung beobachten, ob und wie die Aura dieses Wortes davon beeinflusst wird.


    Soche Worte möchte ich von Zeit zu Zeit hier sammeln und kommentieren. Aber natürlich will ich das nicht alleine tun, denn Ihr seid herzlich eingeladen, eigene Fundstellen in diese Sammlung einzubringen.


    Natürlich gilt das nicht nur für Wörter, sondern auch berühmte Worte, die man so wie gemeint oder auch ganz anders verstehen kann. Eines, das mir dabei spontan einfällt, stammt von Emmanuel Chabrier, der nicht nur geistvolle Musik schrieb, sondern auch ein gewitzter Ironiker war, wie sich an diesem Ausspruch zeigt:


    "Es gibt nur drei Arten von Musik: gute, schlechte und die von Ambroise Thomas"


    Man ahnt ja, was er damit sagen will, aber es lässt sich durchaus auch ein ganz anderes Plädoyer daraus lesen.


    Auch Derartiges gehört natürlich hierher.


    Ich wünsche Euch viel Spaß und mir von Euch großen Einfallsreichtum in diesem Thread.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Auf den Thread wurde ich heute durch die Erwähnung eines Werkes in Wulfs neuem Kitschthread gebracht, das berüchtigte "Gebet einer Jungfrau."


    Ich habe mich ihm schon in meinem letzten Adventsrätsel gewidmet, denn mich fasziniert die unterschiedliche Bedeutung, die allein durch eine Betonungsverschiebung erreicht wird. Der offenbare Sinn liegt auf der Hand, wenngleich uns langsam der Sinn für die besondere Bedeutung abhanden kommt, was an einem Gebet Besonderes sein soll, nur weil es von einer Jungfrau gesprochen bzw. gemurmelt *, gesummt oder gesungen wird.


    Es gibt aber auch diesen:


    Gebet einer Jungfrau,
    Was ihr Herz begehrt,
    Wobei man sich erst umschau,
    Damit auch niemand stört.


    Was sicher auch der alten Frage nahe steht, ob man besser gebetet hat oder gebettet ist.


    Aber das ist schon ncht mehr dasselbe Wort, dessen Ursprung spannend ist, hat er doch auch etwas mit Bitten und damit auch betteln zu tun.


    Ganz schlimm muss das ja in den asiatischen Sprachen sein, wo manch endles Wort allein durch eine Verschiebung der Aussprache zur Zote werden kann, aber das würde hier zu weit führen.


    * Murmeln ist auch so ein Wort, merke ich gerade, aber dazu vielleicht ein andermal mehr.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Was mir dazu einfällt:


    Wie verhält es sich hier mit Groß- und Kleinschreibung des zweiten und dritten Worts:


    DER GEFANGENE FLOH ?


    Es gibt drei Möglichkeiten.


  • :D :jubel: :jubel: :jubel:
    (für jede Möglichkeit einen Jubel-Smily)


  • Interessante Variante.


    - Die normale mit dem erwischten und eingesperrten Floh ist klar.


    - Das ein Gefangener Floh heißen kann, ist unwahrscheinlich aber grammatikalisch eindeutig, wenn die Anfangsbuchstaben richtig groß gesetzt sind.


    - Dass ein Gefangener zuweilen flüchtig ist, fiel mir erst nach einiger Verzögerung ein, und selbst dann dauerte es noch eine Weile, bis mir dämmerte, dass das eigentlich die normale Variante ist. :untertauch:


    Köstlich! :jubel::jubel::jubel:


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ein Dankeschön nach Graz und Potsdam!


    Mir waren damals zwei Bedeutungen sofort klar, doch auf Herrn Floh wollte ich partout nicht kommen. Unsere Hirne sind (nicht nur bei Tamino) eben unterschiedlich verschaltet. Gottlob!

  • Solche Wortspiele und Zweideutigkeiten gibt es allerdings auch im Lateinischen: Recht bekannt ist dieses:


    MATER MEA SUS MALA EST :D


    Ziemlich hinterhältig und weniger bekannt ist das folgende:


    PUELLA PARUM NATURA NATURAM VISUM VITIUM


    Allen Lateinkundigen wünsche ich viel Vergnügen beim Übersetzen!
    Die anderen müssen sich leider bis zur Auflösung gedulden.


    :hello:
    Martin


  • Das kannte ich ja noch gar nicht.


    Für die weniger Lateinkundigen und zur Auffrischung, wenn's schon zu lange her ist, hier die Vokabeln:
    hier die Vokabeln aus dem Basislatein:


    Mater = Mutter
    Mea = meine
    Sus = das Schwein, bekannt aus suum quique, das schon seit Jahrhunderten von Lateinschülern scherzhaft als das Quieken der Schweine übersetzt wird
    Mala = bekannt aus der Via mala, die kranke Straße
    est ist ist


    Also Variante 1: Mutter (Komma) mein Schwein ist krank (es pfeift also nicht)


    Variante 2: meine Mutter ist eine kranke Sau ?(


    Für das zweite Rätsel muss ich erst noch einiges über die Natur von Mädchen nachschlagen (nein, nicht da :O )


    :hello: Jack the Riddler

  • Müsste dann für Variante 1 nicht der Vocativ von "mater" da stehen?
    (Ich habe allerdings verdrängt, wie der sich bildet...)


    Gruß,
    Frank.

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  • Liebe Lateinaspiranten!


    Ich löse einmal das erste auf:


    Mater => a) Nom. Sg. von "mater" = Mutter; b) Vokativ Sg. von "mater" = Mutter (die beiden Fälle sind in allen Deklinationsklassen außer o-Dekl. maskulin gleichlautend)
    mea => a) Nom. Sg. Fem. von "meus" = meine; b) Imperativ von "meare" = kommen
    sus => Nom. Sg. von "sus" = Sau
    mala => a) Nom. Sg. Fem. von "malus" = böse, schlecht; b) Akk. Pl. von "malum" = Apfel
    est => a) 3. P. Sg. Ind. Präs. Aktiv von "esse" = sein; b) 3. P. Sg. Ind. Präs. Aktiv von "edere" = essen (unregelmäßige Nebenform!)


    1. Übersetzungsmöglichkeit: Meine Mutter ist eine verdammte Sau!
    2. Übersetzungsmöglichkeit: Mutter, komm! Die Sau frisst die Äpfel!


    :hello:
    Martin


    P.S.: Das zweite funktioniert ähnlich - nicht die einleuchtenden Formen bekannter Vokabel, sondern seltene Formen obskurer Vokabeln werden verwendet - ist aber insofern hinterhältiger, als dass es 1. eigentlich nicht zwei sinnvolle Übersetzungsmöglichkeiten gibt (wenn man es mit den offenkundigen Bedeutungen versucht, scheint es nicht einmal ein Satz zu sein) und 2. sogar die richtige Übersetzung einen etwas surrealistischen Sachverhalt ausdrückt.

  • :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Da habe ich mich ja kräftig blamiert. :untertauch:


    Naja, schlechtes Abitur und nichts dazu gelernt.


    Nicht mal, die Klappe zu halten, wenn's angebracht ist.


    Ich lass es trotzdem als Mahnung an mich selbst stehen.


    :hello: Jacques Trübe anus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Da habe ich mich ja kräftig blamiert. :untertauch:


    Die Variante 2 war ja eigentlich richtig... :yes:


    Liebe und aufmunternde Grüße,
    Martin


  • Den Teufel werd' ich tun, denn ich bin schon von Philhellenes zweitem Rätsel überfordert. :O


    Davon abgesehen, sollte der Thread, so hübsch das für Kenner ist, nicht ganz in ein Lateinseminar privatissime et gratis entgleiten.


    Bieten wir also beides, zum Beispiel ein paar Janusköpfe aus dem Musikleben:


    Ist man ab dem dritten Akt schon ein Maler?


    Sind Leute, die gerne ein Becken schlagen, Sadisten?


    Warum wird ausgerechnet das unhandlichste Instrument als Flügel bezeichnet? Weil er die Flügel des Gesangs erdet?


    In gewisser Weise hat ja auch der Ring mindestens für Opernfreunde eine eigene Bedeutung erlangt, so sehr sie noch vom Original abgeleitet ist.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques,


    Deutsch kann ich auch etwas bieten, was aber vielleicht nicht ganz unbekannt ist.


    Als Willem Zwo einmal durch sein preußisches Reich reiste, überlegte man sich im Norden, wie man den Herrscher geziemend begrüßen und dabei die anderen Länder übertrumpfen könnte. Heraus kam ein gut gemeintes Transparent, das vermutlich nicht ganz den erhofften Erfolg hatte:


    HEIL, KÖNIG, DIR! SO TÖNT'S AUS VORDERPOMMERN.
    DOCH AUS DEM HINTERN SOLL'S NOCH LAUTER DONNERN!


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    In gewisser Weise hat ja auch der Ring mindestens für Opernfreunde eine eigene Bedeutung erlangt, so sehr sie noch vom Original abgeleitet ist.


    Echt? Was hat denn Wagner mit Algebra am Hut gehabt? :untertauch:



    Gruß,
    Frank.

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Nicht ganz den Thread-Regeln entsprechend, aber auch ein alter Studentenwitz:


    CLASSIS ROMANA


    Das ist auch für JRII leichter.


    Caesar ora classis romana ;)


    Davon gibt es sicher dutzende, eines der längsten, was ich noch weiß, geht etwa


    "unus ignis quis vir [bei uns wurde immer noch de/ex fundere angefügt...] multum ab audere, inquit: studium fuga, meum impedire"


    Dafür langt's. Die einfachere Version mit der miesen Sau habe ich auch schnell gewußt, aber das zweite Beispiel ist zu schwierig, mit Lexikon habe ich zwar sogar schon mir bislang unbekannte Zweitbedeutungen gefunden, aber bei der Grammatik hapert's; zu viele Akkusative irgendwie...
    Ist "natura" hier einmal Part Fut.? Ist "visum" PPP oder Akk. von visus= Anblick? usw.


    Im Englischen gibt es für ähnliches den Begriff "garden path sentence". Mir fällt kein englisches, sondern nur ein unrühmliches deutsches Beispiel ein:


    "Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen"


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Garden path sentences sind zwar ähnlich, aber nicht ganz dasselbe, denn darin geht es eher selten um eine Doppelbedeutung eines Wortes als um eine, von der englischen Grammatik erlaubte, Akkumulation von Worten, die ins Sinnlose führen, wenn man nicht die richtige Lesart findet, was schwierig (und im Deutschen dashalb schwer nachvollziehbar) ist, weil man dort kaum Großschreibungen von Substantiven kennt. Ein Klassiker:


    The old man the boat.


    Auf deutsch wäre es einfach: Die Alten bemannen die Boote. Auf englisch aber sucht man entweder ein "und", wie bei "The Old Man and the Sea", oder man hält den Satz für falsch oder Unsinn, weil man in der Regel in dem Wort "old" nur das Adjektiv und nicht das Substantiv sieht und deshalb ein Wort zu fehlen scheint.


    Ähnlich in diesen Beispielen, die ich im Web fand:


    The prime number few.
    The man who hunts ducks out on weekends.
    When Fred eats food gets thrown.
    Mary gave the child the dog bit a bandaid.
    The girl told the story cried.


    Jetzt bin ich mal auf die ersten französischen und ungarischen Beispiele bekannt, polyglott, wie wir hier sind.


    :hello: Jacques Rideamus


  • Wobei ein weiteres zentrales Element die völlig absurde angelsächs. Zeichensetzung ist. Ich sehe mein Beispiel aber eher hier angesiedelt als bei Mehrfachbedeutungen, auch wenn niemals Unsinn herauskommt, sondern zwei unterschiedliche Bedeutungen. Denn es ist eine Eigenschaft der dt. Grammatik, daß das Relativpronomen im Nominativ Pl. dieselbe Form aufweist wie im Akk. Pl. (entsprechend Nom. und Akk. von "Rotfront und Reaktion") und daß bei "erschossen" hier auf eine aktive und passivische Bedeutung geschlossen werden könnte.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Dafür langt's. Die einfachere Version mit der miesen Sau habe ich auch schnell gewußt, aber das zweite Beispiel ist zu schwierig, mit Lexikon habe ich zwar sogar schon mir bislang unbekannte Zweitbedeutungen gefunden, aber bei der Grammatik hapert's; zu viele Akkusative irgendwie...
    Ist "natura" hier einmal Part Fut.? Ist "visum" PPP oder Akk. von visus= Anblick? usw.


    Dann gebe ich doch eine Runde Tipps für JR aus, bevor ich es auflöse...


    "natura" ist einmal Part. Fut., das stimmt. Und Akkusative gibt es nur zwei im ganzen Satz. Außerdem ist Vorsicht bei der Groß/Kleinschreibung angeraten... :D;)


    Ich gebe aber zu, es ist wirklich ein gemeiner Satz, für den aber der Terminus "garden path sentence" sehr zutreffend ist; denn wie schon oben erwähnt: Doppelbedeutung im eigentlichen Sinne gibt es hier keine.


    :hello:
    Martin

  • Vorsichtshalber löse ich auf:


    CLASSIS ROMANA wird der brave Gymnasiast übersetzen als "Die römische Flotte",
    der Weltmann hingegen bevorzugt "Eine flotte Römerin".


    LG


    Waldi

  • Schöne Wortspiele tauchen ja auch auf, wenn man die kleinschreibung konsequent im Deutschen umsetzte:


    Ich habe liebe genossen in ost-berlin...


  • eigentlich schreibt man's ja mit Doppel-n... :rolleyes:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von gruppetto
    In diesen Thread gehört unbedingt Karl Kraus:


    Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit.


    PW



    Vergl. hierzu Tucholsky, Kurt, sarkastische S.637:


    "Die Familie (familia domestica communis, die gemeine Hausfamilie) kommt in Mitteleuropa wild vor und verharrt gewöhnlich in diesem Zustande."



    audiamus



    .

  • manchmal lacht man über einen scheinbaren Schreibfehler, weil man es gewohnt ist, dass Speyerling mit Y geschrieben wird ...





    Findet man seinen "Speyerling" dann allerdings ausnahmsweise mal richtig geschrieben mit i ...





    ... denkt man gleich, dass die da ja einen total wahnsinnigen, doppelsinnigen Druckfehler fabriziert haben und reimt sich schon einen spöttischen Spruch mit dem hier zusammen :kotz:


    ist aber gar kein Januskopf und Grund zur Häme, wie wiki lehrt.



    Mit dutzenden von Handküssen
    tu ich aus Frankfurt grüssen

  • Liebe Taminos !


    Ein kleines Beispiel aus dem alt-österreichischem Fundus :


    Als einer der zahlreichen (dieses Wort ist auch nicht schlecht) Erzherzöge in Begleitung einer unbekannten Komtesse mit der Bahn irgendwo in der Provinz auftauchte, wurde er standesgemäß vom Bürgermeister begrüßt :


    Ein dreifaches Hoch auf unser Kaiserhaus und HURRA :D..........


    Liebe Grüße - vom Operngernhörer :hello:

  • Zitat

    Original von Ulli


    eigentlich schreibt man's ja mit Doppel-n... :rolleyes:


    Den Witz kannte schon Paul Hindemith, als er in seinem "Musikalisches Blumengärtlein und Leyptziger Allerley" einen "Canon (zum Schiessen)" einbaute.


    Sehr schön übrigens auf dieser CD zu hören:


  • Ja - und ich kannte den auch schon, als ich angelehnt ans "Minuetto in canone" ein "Menuetto unter aller Canone" komponierte...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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