Beiträge von Barbirolli

    Tja, was nun?


    Lese ich dieses Interview mit Tilman Knabe schwarz auf weiß, so kann ich nahezu jedem Satz beipflichten. Die Haltung Knabes verstehe ich und finde sie angemessen und nahezu lebensnotwendig für das Überleben der Oper. Nun habe ich aber auch die Erfahrungsberichte Michael Schlechtriems und Azucenas im Ohr und finde auch diese unbedingt beachtenswert. Dazu nehme ich noch folgenden Kommentar von Edwin:


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich frage mich etwa die ganze Zeit, ob es den identischen Protest auch dann gäbe, wenn Knabe menschlich just so wäre, wie er ist, "Samson und Dalila" aber in grauer Vorzeit ansiedeln und betuliches Herumstehtheater inszenieren würde. Wetten, es gäbe, außer den Plaudereien unter Kollegen, daß das A...loch wieder einmal blank an Ideen sei, kein Gerede...?
    :hello:


    Noch einmal: Was nun? Man könnte mehreres daraus ableiten.


    Erstens:
    Knabe ist ein ambitionierter und geschätzter Regisseur, der mit seinen Ideen bereits erfolgreich war, diesmal aber den Bogen der Belastbarkeit so sehr überspannt hat, dass ihm die Leute zusammenklappen. Das halte ich für unwahrscheinlich. Viele mögen extreme Belastungen aus ihrem Berufsalltag kennen. Wenn man aber überzeugt und vom Vorgesetzten verantwortungsvoll "mitgenommen" wird, so ist vieles möglich, auch das Überschreiten bislang nicht gekannter Grenzen.


    Zweitens:
    Knabe ist in seinen Umgangsformen eine mittelschwere Katastrophe, unabhängig davon, ob er in Pappkulissen inszeniert oder den Gaza-Streifen zeigen will. Überschritte er menschlich jegliche Grenzen, so wäre es auch mir egal, ob ich ein Maschinengewehr oder einen Nachttopf zu bedienen hätte (Edwin, ich habe aufgepasst... ;)). Ein Idiot bleibt ein Idiot, sei er "Staubi" oder "Regilie"... Wieso aber haben dann nicht die Ensemblemitglieder in Hannover oder Essen opponiert?


    Drittens:
    Knabes Israel-Palästina-Lesart ist vielen Teilnehmenden so heikel, dass sie analog zum Karikaturenstreit kalte Füße bekommen und abspringen. Das würde zum mehrfach erlebten vorauseilenden Gehorsam in dieser heiklen politischen Lage passen. Allerdings unter anderen Vorzeichen, wenn die Hauptdarstellerin das Ganze als anti-israelisch empfunden hat.


    Wer weiß, vielleicht gibt es noch ganz andere Gründe - Peter erwähnte sie. Bei aller Aufregung bin ich über eines froh: Nämlich darüber, dass dieser Eklat zeigt, wie kontrovers und aufregend die Kunstform Oper heute noch sein kann. Sie scheint zumindest in Köln höchst gegenwärtig zu sein...


    LG
    B.

    Lieber Achim,


    ich freue mich ebenfalls über diese Thread-Idee und hoffe, dass ihre Existenz-Berechtigung akzeptiert wird. Das sollte im verr(a)uchten Jazz-Keller Taminos aber hoffentlich möglich sein...


    Mein Abend steht im Zeichen der isländischen Band Sigur Ros. Erwiesen sie sich bislang als Spezialisten im melancholischen, zeitlupenhaften Klangflächensound, in dem die dunkle, karge Weite Islands förmlich in die Ohen kroch, so beweist die Gruppe auf ihrer neuesten CD, dass das Leben dort oben auch mit viel Lebensfreude verbunden ist.



    Sigur Ros
    Hvarf / Heim

    1995-2007



    Sigur Ros
    Med Sud I Eyrum Vid Spilum Endalaust

    2008


    LG
    B.

    Zitat

    Original von miguel54
    Andy Bey von http://www.myspace.com/andybey - was für ein toller Sänger!!! :jubel: :faint:


    Lieber Miguel,


    erstmal herzlichen Glückwunsch für die Erbringung des Beweises, dass Elric6666 kein Cover-und-Fremdkritiken-Posting-Roboter ist, sondern ein echter Mensch! :stumm:


    Zu Andy Bey:
    Ich war vor einigen Jahren auf einem seiner Konzerte, dem ich aufgrund zweier CDs durchaus freudig entgegen gegangen war. Und dann passierte folgendes: Ich bin zum ersten und bislang einzigen Mal bei einem Konzert eingeschlafen! Drei Stunden Balladen im ewig selben Tempo, mit dem immer identischen Ablauf, gesungen mit dem stets gleichen Timbre, begleitet von einem - dezent ausgedrückt - zurückhaltenden Trio - das machte mir den Garaus. (Und nicht nur mir!). Sehr enttäuschend, zumal ich aufgrund meiner Sympathie für Beys Stimme, seinen späten zweiten Frühling hinsichtlich der erfolgreichen öffentlichen Wahrnehmung und seiner CDs wirklich Vorfreude auf das Konzert hatte. Hast du andere Live-Eindrücke sammeln können?


    LG
    B.

    Zitat

    Original von Wulf


    Gar nicht grässlich genug geht es in den vom christlichen Fundamentalismus verblendeten Filmen Mel Gibsons zu: das ist pure Gewaltverherrlichung als Rechtfertigung für Antisemitismus. Aber das meintest Du sicher nicht, als Du sagtest, Du wärest gegen Verharmlosung.


    Richtig, das meinte ich nicht. Mel Gibsons Passionsfilm ist in meinen Augen ein übler Dreck, dessen brutale Folterszenen nicht im mindesten meinen Erkenntniswert der Passionsgeschichte erweitern und dessen naturalistische Pseudo-Dokumentarität und die aramäische Vertonung die antisemitische Tendenz nur noch perfider machen.


    Kurz zu James Ryan: Ja, die Folgehandlung und der Pathos, die den ersten geschätzten 25 Minuten folgen, konterkarieren leider den Ansatz, Krieg als ein für jeden Beteiligten individuelles Grauen abzubilden. Ein Grauen, das im Auge des Sturms keine Ideologien, kein Gut und Böse mehr kennt, sondern nur noch den blanken Horror für jeden Einzelnen bedeutet.


    Welchen Erkenntniswert nun aber die Inszenierung Knabes bringen soll, kann ich ja gar nicht beurteilen. Sollte er auf billige Schauwerte setzen und die Gewalt als Selbstzweck darstellen, so würde ich sein Projekt als gescheitert, vielleicht als geschmacklos und verfehlt betrachten. Allein: Noch weiß ich nichts darüber. Ich gebe aber durchaus zu, Zweifel ob des Gelingens zu hegen, gerade weil ich finde, dass der Umgang mit expliziter Gewalt in der Kunst ein ganz schmaler Grat ist. Die meisten scheitern daran. Wie übrigens auch daran, etwas wirklich Lustiges zu inszenieren. Humor ist ebenfalls knochenharte Arbeit! :D


    LG
    B.

    Zitat

    Original von Liebestraum


    Mir ging es darum, solchen Menschen, die auf Massenvergewaltigung und zügelloser Gewalt auf abstoßendster Weise abfahren, die können sich in regelmäßigen Abständen den Film "Der Soldat James Ryan" ansehen. Denen das nicht reichen sollte, können sich ja in einem SM-Studium selbst Gewalt antun lassen.


    Was ist denn das für ein absurder Satz? Du glaubst, nur weil man Inszenierungen wie der in Köln (von der noch niemand weiß, wie sie letzten Endes ausschaut) Interesse entgegenbringt, "fahre man auf Massenvergewaltigungen" ab? Das finde ich infam!


    Man kann meinetwegen darüber streiten, wieso Knabe Massenvergewaltigung und Maschinengewehrmassaker der Saint-Saens-Oper innewohnen lässt. Nach meiner Kenntnis des Librettos und der Synopsis frage ich mich zwar auch, wo und wie dies realisiert werden soll und wie das logisch und zwingend (denn das sollte es dann schon sein) geschieht. Dazu kann man aber nur sagen: Abwarten, ansehen und dann bewerten.


    Käme man dann zu dem Schluss, dass die Inszenierung gelungen sei, soll man aber deshalb ein Anhänger roher Gewalt sein? Ich "fahre" in keinster Weise auf Gewalt ab, verehrter Liebestraum, wenn ich aber einen Film wie "James Ryan" sehe, kann die Landung der Allierten in der Normandie gar nicht grässlich genug gezeigt werden. Ich hasse verharmlosende Kriegsfilme, die verniedlichen oder glorifizieren. Diese führen dazu, auf gewalttätige Akte wie Krieg oder Folter abfahren zu können, weil sie nur die halbe Wahrheit erzählen oder gar komplett verlogen sind. Spielberg wollte das unmittelbare Grauen, mit dem jeder einzelne Mensch am Omaha Beach konfrontiert war, wertfrei, nahezu dokumentarisch abbilden. Und ich denke, diese plastische Erzählweise wird dem Sujet gerechter, als adrette Komparsen, die sich im Platzpatronenhagel ungelenk fallen lassen. Wer Krieg verfilmt und dabei verharmlost, begeht in meinen Augen eine obszöne Handlung. Das muss nicht zwingend bedeuten, wilde Exploitation abliefern zu müssen. Filme über die psychische Deformation infolge traumatischer Erlebnisse können gar noch wirkungsvoller sein.


    Glaube mir, ich habe mich ausführlich mit Gewaltdarstellung im Film befasst, nicht zuletzt deshalb, weil ich in jüngeren Jahren ein wüster Horrorfilm-Fan war, und zwar in all seinen zweifelhaften Ausprägungen. Bis ich an einen Punkt gelangte, an dem ich mich selbst zu fragen begann, warum und mit welchen möglichen Folgen ich dieses tat. Nach einigen Jahren war ich diesem Genre dann ziemlich entfremdet. Heute fühle ich mich viel sensibilisierter gegenüber dargestellter Gewalt. Wenn in den Filmen Michael Hanekes Blut fließt, unterscheidet sich das eben sehr von den zynischen Orgien Quentin Tarantinos. Die Gewalt bei David Cronenberg hinterlässt Spuren und fördert keinen vulgären Voyeurismus wie jüngster Schwachsinn im Stile von Hostel oder Saw.


    Es ist eine höchst schwierige und auch höchst verantwortungsvolle Aufgabe, dem Thema Gewalt mit den Mitteln der Kunst gerecht zu werden. Gelingt das jemandem und er trifft mich damit, habe ich nicht das Verlangen noch ins SM-Studio zu gehen... Ich bin immer noch ratlos aufgrund dieser logischen Argumentationskette... Aber vielleicht klärst du Liebestraum, mich auf, was jemand macht, der eine Oper oder einen Film hinter sich hat, deren/dessen gewalttätige Handlung in rosa Watte verpackt wurde. Sind solche Verdränger nicht eher ein Fall für einen deftigen Klaps mit der Reitgerte? :pfeif:


    LG
    B.

    Zitat

    Original von Thomas Pape
    Wenn ich mir so anschaue, was Du alles nicht sehen willst, empehle ich Dir gerne Geeignetes: etwa die Sissi-Filme mit Romy Schneider. Oder liege ich jetzt ganz falsch?


    Vielleicht läuft es auch auf Samson und Tiffy hinaus, in den Nebenrollen wahlweise Manfred Krug oder Liselotte Pulver. Aber Obacht: In diesen vordergründig lieblichen Episoden kann es manchmal arg gegenwärtig und hinterfragend zugehen!


    LG
    B.

    Zitat

    Original von Liebestraum
    ja, denn ich will so etwas nicht sehen und viele andere auch nicht... Und, wie in Köln zu erleben, kündigen Mitarbeiter bei solchen Arbeiten nun endlich einmal die Gefolgschaft auf.... - sehr lobenswert! Weiter so!


    Wenn ich denn einen Sinn in solchen Stellungnahmen sehe, dann darin, dass sie den Adrenalinpegel des Forums regelmäßig hoch halten.


    Ansonsten ist's immer wieder der selbe Zirkus: Was du, lieber Liebestraum, nicht sehen, hören, riechen, schmecken willst, ist ja nun hinlänglich bekannt. Dass nicht bekannt ist, wer die vielen anderen sind und dass noch mehr viele andere klassische Musik und deren Aufführung grundsätzlich ablehnen, bzw. nicht wahrnehmen wollen, ebenso. Von den wenigen anderen haben viele andere ja nun auch die Nase voll von pittoresken Pappmaché-Gärtlein, putzigen Rokoko-Kostümchen und rudernden Rampensängern. Und was nun? Alles bestreiken, weil es unter wenigen immer viele gibt, die irgend etwas ablehnen? Dinge persönlich nicht zu mögen, ist die eine (verständliche und zu respektierende) Sache. Mittels dieser Sicht aber anderen diese Dinge vorenthalten zu wollen, ist nicht hinzunehmen.


    Ich mag z. B. keine kilometerlangen kommentarlosen Abfolgen bunter Cover-Abbildungen in einem Klassik-Forum. Aber wer bin ich, dieses unterbinden zu wollen?


    LG
    B.

    Danke Liebestraum,


    den für mich relevantesten Satz hast du zum Glück mitgeliefert:


    Zitat

    Einige Sänger halten ihren Kollegen wegen der Absagen mangelnde Professionalität vor. Bei aller gezeigten Brutalität handele es sich schließlich zweifelsfrei um Fiktion mit Mitteln des Theaters.


    Wer seinen Beruf auf Theater- oder Opernbühne ausübt, soll doch bitteschön in der Lage sein, Sujets wie Tod und Gewalt ebenso bewältigen und darstellen zu können wie Jubel, Trubel und Heiterkeit. Aber gut: Das Streikrecht bleibt für mich ein heiliges Gut in einem demokratischen Land. Nur verstehen kann ich dessen Wahrnehmung in diesem Fall nicht.


    LG
    B.

    Eine kleine "Mini-Dynastie" bildet auch die Familie Halffter aus Spanien. Die Komponisten Ernesto Halffter und Rodolfo Halffter sind Söhne eines vormals Königsberger Juweliers, ihr Neffe Cristobal Halffter komponiert und dirigiert.


    Ernesto Halffter (1905-1989) war ein Ziehkind und grenzenloser Bewunderer Manuel de Fallas. Bereits mit 20 Jahren erhielt er für seine neoklassizistische Sinfonietta D-Dur den spanischen Musik-Nationalpreis. Im Zuge des spanischen Bürgerkriegs emigrierte Halffter nach Portugal, wo er bis bis Anfang der 60er Jahre blieb. Seine Rapsodia Portugueasa für Orchester und Klavier entstand beispielsweise dort 1940. Größte Aufmerksamkeit widmete er dem von de Falla unvollendet hinterlassenen Werk Atlantida, das er in jahrelanger Arbeit rekonstruierte und vollendete.


    Rodolfo Halffter (1900-1987) hingegen verschlug es nach dem Bürgerkrieg nach Mexiko. Auch er wurde sowohl in der alten wie auch in der neuen Heimat mit Nationalpreisen ausgezeichnet, wenn auch spät, quasi für die Lebensleistung. Seine Musik kenne ich bislang persönlich nicht. Es steht geschrieben, dass er sich erheblich deutlicher als sein jüngerer Bruder mit Strömungen des 20. Jahrhunderts, wie dem Serialismus, befasst habe.


    Womit wir bei Cristobal Halffter wären (*1930), ein echter Gegenwartskünstler, der mit Boulez und Berio gearbeitet hat, und ein hartnäckiger Streiter der Neuen Musik ist. Werke von ihm sind das 1960 entstandene Mikroformen oder Sequenzias (1964) sowie über 30 Filmmusiken und die Musik zum Gedenken der Bombardierung Dresdens (1995). Neben seinem kompositorischen Schaffen dirigiert er, vornehmlich in Spanien.


    LG
    B.

    Lieber Jacques,


    du scheinst ja auf einem enormen Arsenal an Einspielungen zu sitzen! Außerdem finde ich deine Bemerkung wichtig, dass die Ansermet-Aufnahme deine "Erstsozialisierung" mit dem Requiem war. Dies ist sicher nicht unbedeutend für die Beurteilung weiterer Einspielungen. Ich kannte das Requiem jahrelang nur von Cluytens, und so setzte es sich dann auch folgerichtig bei mir fest. Meine Wertungen weiterer, später kennengelernter Versionen gehen also von dieser Prämisse aus.


    Hier also meine Zweitanschaffung, fünf Jahre nach dem Kontakt mit der EMI-Cluytens-Platte gekauft:



    RCA, 1996


    Boston Symphony Orchestra, Seiji Ozawa - 4
    Mir fehlt etwas die Leichtigkeit, das Schwebende, dennoch macht Ozawa Fauré hier nicht zu einem Verdi, wie es bei weiter oben genannten Aufnahmen "gelungen" sein soll.
    Tanglewood Festival Chorus - 4
    Gibt es kaum etwas daran auszusetzen, allerdings fehlt mir auch hier das letzte Fünkchen Magie, die die Klänge hinein- und wieder herauszuschweben vermag. (Wie bei Cluytens, wäre der Chor nicht teilweise so grotesk unpräzise...)
    Barbara Bonney, Sopran - 4,5
    Klar und unprätentiös wird die tolle Bonney Werk und Sujet vollauf gerecht.
    Hakan Hagegard, Bariton - 3,5
    Ehrlich gesagt: Hier fällt mir nicht viel ein. Berührt mich nicht sonderlich, stört aber auch nicht übermäßig...


    Gesamtwertung: 16/4 = 4


    TQ: 5
    Absolut tadellos, wie nahezu alles in der 24 Bit Sound Dimension-Reihe RCAs


    LG
    B.

    Fauré selbst soll Ysaye geschrieben haben, das Requiem sei "von sanftem Charakter, so wie ich selbst." Letztlich bleibt doch uns nur die Möglichkeit, herauszufinden, welche Fassung und Aufnahme diesen Charakter beispielhaft abbildet.


    Entspricht nun aber die abgedunkelte Erstfassung mit Solo-Violine der gewünschten Sanftheit oder hat vielleicht die dritte Fassung mit seinen - zumindest bei Cluytens - nahezu unirdisch sphärischen Streichern diese Sanftheit besser hervorgehoben? Zumindest beweist Cluytens, dass man z.B. Bläserfanfaren im Sanctus nicht herausbrüllen muss.


    Meine Quellen sagen indes nichts darüber aus, inwiefern Fauré selbst an der dritten Fassung beteiligt war, bzw. sind sie widersprüchlich und schwanken von "selbst gemacht" über "selbst machen müssen" bis hin zu "autorisiert".


    LG
    B.


    Lieber Philhellene,


    ich kann deinen obigen Kommentar gut nachvollziehen und stimme mit ihm größtenteils überein. Die Chorleistung trübt diese ansonsten faszinierende Aufnahme leider nachhaltig. Dafür kann ich aber Victoria de los Angeles' Darbietung viel abgewinnen, ich finde sie regelrecht ergreifend. Daher meine etwas abweichende Bewertung:



    Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire, dir. André Cluytens - 4,5
    Choeurs Elisabeth Brasseur - 2,5
    Sopran: Victoria de los Ángeles - 5
    Bariton: Dietrich Fischer-Dieskau - 4


    Gesamtwertung: 16/4 = 4,00


    LG
    B.


    Dave Holland
    What goes around

    ECM, 2001


    Dave Holland auf einem erneuten Höhepunkt seiner Kunst! In jenem Jahr, 2001, war er laut Down Beat nicht nur Bassist, Musiker und Bandleader des Jahres, sondern lieferte auch das Beste Album ab. Nun ja, man mag von diesen Superlativen halten, was man will, aber "What goes around" ist eine sagenhafte Einspielung, die die Intimität einer Combo-Besetzung auf Big-Band-Format überträgt, die leicht und luftig, zugleich aber zupackend ist. Solisten wie Chris Potter :jubel: oder Robin Eubanks :jubel: sorgen für große Momente, Schlagzeuger Billy Kilson wühlt sich wie ein aufgedrehter Tausendfüßler durchs Geschehen...


    LG
    B.

    Zitat

    Original von Lilith
    Was Keith Jarrett angeht, muss ich auch sagen, dass mir des öfteren das Unwort "Kitsch" in den Sinn kam. (...) Ich kann mir dann allerdings nie erklären, wieso ich das so empfinde. Vielleicht kann man das nicht vergleichen, aber wenn man das Bill Evans Trio kennt, kann man sich Keith Jarrett gar nicht mehr anhören, ist meine völlig inkompetente Ansicht.


    Liebe Lilith,


    ich halte deine Ansicht nicht für inkompetent, sie ist aus deiner Sicht bestimmt berechtigt. Nur: Teilen kann ich sie nicht. Ich schreibe hier als jemand, der sowohl Jarrett als auch Evans gerne hört. Allerdings sehe auch ich bei mir einen Unterschied: Höre ich Bill Evans vorbehaltlos gerne, beschleicht mich bei Keith Jarrett durchaus immer wieder ein etwas mulmiges Gefühl. Ich sprach weiter oben davon. Diese mulmigen Momente werden aber glücklicherweise immer wieder abgelöst von grandiosen Eindrücken, in denen drei Musikern eine schwebende Musik gelingt, fernab jeglicher Gravitationsgesetze. Ich empfehle da nur, in die Blue Note-Box hineinzuhören.


    Dennoch kann ich den Kitsch- und Pathos-Vorwurf verstehen. Ich erinnere mich dunkel an einen Artikel des Musikers und Publizisten Michael Naura. Dieser schrieb sinngemäß, dass ein Besucher eines Solo-Konzertes Jarretts hinter ihm raunte: "Scheiß Bayreuth...". Diese unangenehme Mischung aus Weihrauch und Walhalla wohnt den Konzerten Jarretts sicherlich inne und ich habe meine Probleme damit. Dann aber reichen mir wieder 5 Minuten "Oleo" von Sonny Rollins oder "La Valse Bleue" aus besagter Blue Note-Box - und ich bin vollauf versöhnt!


    LG
    B.

    Was ist denn mit folgendem:


    Leevi Madetoja: Suite aus Chess, op.5


    Ich habe das vor geraumer Zeit einmal als Radio-Mitschnitt gehört, habe aber keine Ahnung, worum es sich bei "Chess" eigentlich handelt. Ein Ballett? Ein Singspiel? Und ist mit "Chess" überhaupt dieses merkwürdige Brettspiel gemeint, das ich seit 38 Jahren nicht beherrsche?? :yes:


    LG
    B.

    Hallo,


    ich bin bei einer allgemeinen Internet-Recherche auf einige interessante Podcasts gestoßen:


    Die Deutsche Welle bietet unter dem hochtrabenden Titel "Monumente der Klassik" fünf Konzerte mit dem DSO Berlin und Kent Nagano:


    Beethoven - Sinfonie Nr. 3
    Bruckner - Sinfonie Nr. 8
    Brahms - Sinfonie Nr. 4
    Strauss: Alpensinfonie
    Schumann: Sinfonie Nr. 3


    --> http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2109337,00.html



    Das Isabella Stuart Gardner Museum in Boston bietet die Mitschnitte seiner Konzertreihe ebenfalls gratis als Podcast an. Hier finden sich echte Perlen der Kammermusik (Bartoks Violinsonaten, Glinkas Russische Lieder, Schönbergs Verklärte Nacht für Sextett, Debussys Cellosonate und vieles mehr...)


    --> http://www.gardnermuseum.org/music/podcast/theconcert.asp



    Ebenfalls von der Deutschen Welle kommen die Mitschnitte des Beethoven-Festes der letzten Jahre.


    --> http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2341353,00.html (etwas runterscrollen..)


    LG
    B.

    Was mich an Brahms fasziniert?


    Dass seine Musik irgendwo zwischen hanseatischer Gelassenheit und Pörtschacher Idyll all die Herablassungen, die seit nunmehr fast 150 Jahren widergekäut werden, schadlos überstanden hat. Darauf gönne ich mir zur Nacht doch glatt die erste Brahms'sche Cellosonate - was für Farben!


    LG
    B.

    Lieber Alfred,


    im Grunde eine tolle Idee mit hohem Interesse von meiner Seite. Bis ich das Kleingedruckte las:


    Zitat

    Erlaubt sind nur Bilder zwischen Mittelalter und 1800.


    ?( :wacky:


    Da staune ich nun doch, dass die Kunstgeschichte vor 210 Jahren geendet haben soll... Schade, dann werde ich mich wohl aufs Mitlesen konzentrieren müssen.


    LG
    B.

    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Das ist die albernste Liste, die ich je gesehen habe. Allein Messiaen und Schillings und Egk in einem Atemzug zu nennen, deklassiert diesen auch sonst völlig unreflektierten Beitrag.
    :hello:


    Ja, und die Gründe für Brittens und Orffs Überschätztheit werden erst gar nicht dargereicht. Dabei habe ich gerade letzteren viele Jahre lang unterschätzt, bevor ich Die Kluge oder Der Mond kannte.


    Zitat

    Original von operusDa sind Werke von Liszt und Paganini ganz oben in der Beliebheitsskala.


    Siehste, davon ist doch die ganze Zeit die Rede: Total überschätzt! ;)


    LG
    B.

    Zitat

    Original von Vox
    Und der Link mit den Steinweiss-Cover ist toll. Wenn ich mir da die faden Gestaltungen vieler 70er und 80er Jahre Cover anschaue, dann hat es in der Geschichte der Schallplatte offenkundig eine Art Kultuverlust gegeben.


    Ja, vielen Dank, Michael. Ein toller Link! Ich schließe mich Vox an: Nichts finde ich fader, als auf eine Klassik-Aufnahme ein historisierendes Gemälde zu pappen, getreu dem Motto: Passt zeitlich schon irgendwie zur Lebenszeit des Komponisten. Nein, eine Schallplatteneinspielung oder eine CD-Veröffentlichung ist ein Kind ihrer Zeit, ebenso wie die interpretatorische Leistung der Aufnahme. Wenn sich also die Grafiker und Gestalter der Zeit der Veröffentlichung darum bemühen, dem musikalischen Sujet mit ihrer Ästhetik gerecht zu werden, dann wird für mich ein Gesamtkunstwerk aus Komposition, Interpretation und visueller Gestaltung daraus. Deshalb gebe ich Vox ein weiteres Mal recht: Die Cover der letzten Jahrzehnte langweilen mich zu 95 Prozent. Man muss z. B. auf alte Decca-LPs oder eben jetzt Everest zurückgreifen, um den oben genannten ästhetischen Dreiklang bewundern zu dürfen.


    LG
    B.

    Zitat



    New York Stadium SO, Carlos Chavez, ADD, 1959


    So, meine erste EVEREST-CD ist jetzt da. Carlos Chavez dirigiert das New York Stadium SO (sprich das New York PO). Der Klang ist hervorragend: Wunderbare Räumlichkeit und Tiefenwirkung, enorme Dymanik - absolut überzeugend! Vielen Dank nochmal an alle, die zu meinen Fragen Stellung bezogen haben!


    LG
    B.

    Hallo,


    eine große Überraschung erlebte ich vor zehn Tagen in der Kunsthalle Emden. Obgleich mir die Malerei der amerikanischen abstrakten Expressionisten der Nachkriegszeit sehr am Herzen liegt, war mir die einzige Frau in jenem ausschweifenden Männerbund nicht allzu bekannt. Joan Mitchell zählt man in den USA fest zum Kreis um Jackson Pollock, Willem de Kooning und Franz Kline, mit denen sie zum Teil eine enge Freundschaft pflegte. Sie war ebenso wie ihre männlichen Kollegen beim legendären New Yorker Galeristen Leo Castelli unter Vertrag, der sozusagen die damalige Champions League der zeitgenössischen Malerei betreute. In Europa wird die Malerin hingegen sträflich unterschlagen, was die Ausstellung, die danach noch in Italien und Spanien zu sehen sein wird, posthum gerade rücken möchte.



    Joan Mitchell wurde 1925 in Chicago geboren, studierte zunächst dort auch Malerei, zog aber dann ins pulsierende New York, das nach dem Ende des 2. Weltkrieges vor kreativer Energie zu bersten schien. Es wurde in den Zeiten, in denen Europa in Trümmern lag, zur Welthauptstadt der Kunst, der Jazz war allgegenwärtig, das Tempo der Stadt immens und vibrierend. Sie fand Anschluss an die oben erwähnten trinkfreudigen Künstler, die in kurzer Zeit zu Weltstars der Kunstszene geworden waren, seilte sich aber ab Ende der 40er Jahre immer wieder nach Frankreich ab. Dort schloss sie feste Lebensbindungen, entdeckte die Malerei Monets für sich und lebte ein Leben fernab des Trubels der amerikanischen Mega-Metropole. Ihren Bildern sieht man das an: Die Bilder, die unter den französischen Eindrücken entstanden, sind von großer Farbigkeit und getragen von größerer Ruhe als ihre "amerikanischen" Werke. Letztere zählen aber zu meinen erklärten Favoriten, wie die großformatigen Bilder "Hemlock", das in größter Abstraktion das Bild einer gewaltigen Hemlock-Tanne suggeriert, und "Marlin", eine ebenfalls riesige Leinwand, die mit explodierender Ausdruckskraft den Fang eines gewaltigen Schwertfisches darstellt.




    In den 80er Jahren erkrankte Joan Mitchell an Kieferkrebs, 1992 starb sie in Paris. Eine überraschende und längst überfällige Würdigung war diese Ausstellung für mich.


    LG
    B.


    Moderatien MOd1
    Bilder entfernt wegen Copyright

    Zitat

    Original von Vox



    Aber könnte es nicht auf der anderen Seite fast schon als eine politische Aussage betrachtet werden, wenn hier die politische Vergangenheit der Dame einfach unbeachtet bliebe?


    Richtig. Peter erwähnte weiter oben bereits Watzlawick: Das Nicht-Kommunizieren oder Totschweigen ist ein bewusster Akt der Kommunikation. Wenn denn nun hier ein unkommentiertes Bejubeln Frau Neys stattfände, hätte dies eine politische Dimension, die das Forum in ein Licht rückte, in dem ich mich nicht wohl fühlen würde. Ein Forum, das Anspruch auf Marktführerschaft in puncto klassischer Musik erhebt, und alle soziologischen und politischen Dimensionen ausblendet, verdient diesen Anspruch nicht. Nichts stünde dem Forum besser, als ein Thread, der die Höhen und die Untiefen dieser Person beleuchten würde. Dazu gehört selbstverständlich ein Austausch über ihr Spiel. Den darf man gewiss führen. Und darüber streiten, ob Ney nahezu ein Solitär im Beethoven-Spiel war (das eine Extrem) oder eine überbewertete Tonschmiererin und Pedalfetischistin (das andere Extrem).


    A propos extrem:


    Zitat

    Wir haben ja das wunderbarste Vorbild an unserem Führer, bei dem jedes Wort und jede Handlung eine Wiedergabe ist von heiligster Überzeugung, von unerschütterlichem Glauben. … Was ist denn klarer, wahrer, echter als die Musik unseres Beethoven? (...)
    Ney, 23. Juni 1935


    So eine Aussage Neys sollte jeden Beethoven-Freund gruseln und darüber nachdenken lassen, mit welchem Impetus die Dame ihr Werk verrichtet hat. Hier findet sich eine Empfindung und Instrumentalisierung der Musik, die man doch nicht übersehen kann. Wie Edwin bereits sagte: Wir reden hier doch nicht wirklich über Tagespolitik, sondern über Handlungen und Aussagen in historischen Zusammenhängen und über kulturpolitische Aktionen. Wenn wir hier einerseits ernsthaft über verfolgte Komponisten und Instrumentalisten sprechen, deren Musik und ihre schicksalhaften Biografien würdigen (egal ob in Deutschland oder in der Sowjetunion) und dann diejenigen, die aktiv auf Seiten der Täter gewirkt haben, kommentarlos lobhudeln, dann passt das nicht zusammen. Und rückt das Forum in ein Licht, in das es nicht gehört.


    LG
    B.

    Hallo,


    zu den Fragen der Tonalität wurde ja schon viel Erhellendes gesagt, da kann ich nun rein gar nichts beitragen. Ich erinnere mich aber an meine Eindrücke des allerersten Hörens beider Werke. Zunächst erschienen sie mir mit ihren grundierenden Streichern relativ gleich. Doch beim mehrmaligen Hören stellte sich bei mir folgendes Gefühl ein: Während The Unanswered Question auf mich wie ein erstarrtes Bild, eine eisgefrorene Landschaft wirkt, so höre ich in Central Park in the Dark eher einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen, bewegte Bilder, die nach und nach vorbeiziehen.


    Laut Ives soll dieses musikalische Diptychon ein Nachsinnen über "Ernstes" und "Unernstes" sein. Es klingt für mich aber eben auch wie eine Studie über Stillstand und Bewegung. Mag vielleicht Quatsch sein... ?(


    Die bislang genannten Aufnahmen besitze ich nicht. The Unanswered Question habe ich in der Einspielung mit Morton Gould und dem Chicago Symphony Orchestra (1966, RCA). Eine sehr schöne Fassung, leider mit ziemlichem Grundrauschen behaftet.


    Meine recht solide Version von Central Park in the Dark ist vom Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig mit Wolf-Dieter Hausschild (1981,Eterna). Auf dieser CD befindet sich als Hauptwerk Holidays, das ich mir die nächsten Tage mal wieder vorknöpfen möchte und was ja hier auch besprochen werden kann, wenn ich Jacques richtig verstanden habe.



    LG
    B.

    Lieber Vox,


    herzlichen Dank für deinen aufschlussreichen Beitrag, der Licht ins Dunkel gebracht hat. Ich habe mir zwei CDs aus dem Everest-Katalog bestellt und werde berichten, ob die rührige Qualitätsarbeit des Herrn Belock auf den CD-Veröffentlichungen Früchte trägt. Außerdem hoffe ich, dass die bisherigen Ausgaben erst der Anfang sind und noch einiges an Produktionen nachgelegt wird. Oder gibt es möglicherweise gar nicht mehr?


    LG
    B.