Da wir uns in diesem Jahr einen Bayreuth-Verzicht auferlegten, ist nun das Ziel, hier in Berlin einiges an Wagner mitzunehmen. Und so gelangten wir gestern in die Deutsche Oper in der Bismarckstraße.
Zunächst: Zuletzt waren wir üblicherweise in der Staatsoper Unter den Linden. Und im Vergleich damit finde ich die DOB vom Architektonischen her in ihrer Klarheit und Weite ganz großartig. Und wie viel besser kann man sehen! Wir saßen hinten im 1. Rang und haben es genossen. Ob der Platz akustische Nachteile hatte, kann ich mangels abrufbarer Erinnerung an andere Plätze nicht sagen, aber dazu komme ich noch.
Sir Donald Runnicles dirigierte, und ich muss gestehen, dass ich mir davon wenig erwartete, weil mich Runnicles bislang nicht überzeugte. Aber er machte seine Sache gut, wie auch das Orchester. Er eilte nicht, er gönnte sich und uns ruhige Passagen - schön, wie das Vorspiel zum 1. Aufzug aus dem Nichts anhob. Im 3. Aufzug dann zog er aber merklich an, auch in puncto Lautstärke. Auch die Sänger drehten dann mehr auf. Meine Vermutung: Namentlich das Titel-Paar sollte ein wenig geschont werden, um im 3. Aufzug abliefern zu können.
Leider überzeugten mich Tristan (Clay Hilley) und Isolde (Stéphanie Müther) ohnehin nicht. Müther tremolierte in den ersten Tönen so heftig, dass ich mich schon sorgte. Das wurde immerhin nicht schlimmer, sie schien sich zu fangen, auch wenn eine Tendenz zum Tremolieren blieb. Überhaupt war mir ihre Stimme zu hell/schrill, es fehlte mir an Fundament. So ließ mich sogar der Liebestod eher kalt, weil ich mich dauernd fragte, ob sie diesen Höhepunkt meistert (ich denke schon, aber dies auch am Rande ihrer Möglichkeiten - meine Frau war gleichwohl berührt, mag also mein Problem gewesen sein). Bei Hilley ging es mir nicht anders. Er traf schon die Töne, aber er füllte nicht den Raum. Gut, das mag an unseren Plätzen gelegen haben - zu weit weg -, aber eigentlich glaube ich das nicht. "O sink hernieder" ließ mich beispielsweise komplett kalt und dafür braucht es ja weniger Lautstärke als Gefühl und Möglichkeit zur Steigerung. Für mich funktionierte das Paar gestern Abend jedenfalls nicht.
Dass der Tristan in dieser Aufführung im 3. Aufzug am lebendigsten wird, und sogar ein, zwei Hüpfer sehen lässt, brachte mich dann überdies raus. Aber das ist wohl vor allem ein Regie-Problem. Dazu gleich mehr. Die Brangäne (Annika Schlicht) überzeugte mich ebenfalls nicht. Ihr Ton war seltsam verhangen. Erst im 3. Aufzug fand ich sie klarer und überzeugender. (Wenn fast alle Sänger im 3. Aufzug besser werden, wurden sie dann zuvor zu sehr geschont?) Marke (Derek Welton) gefiel mir noch am besten. Als Bass-Bariton bringt er Beweglichkeit mit, auch wenn ihm die ganz große, sonore Autorität abgeht. Kurwenal (Leonardo Lee) kam mit der größten Spielfreude auf die Bühne. Das war mir fast ein bisschen drüber, aber immerhin hatte er Freude an seiner Stimme und wirkte agil; mich störte allein, dass seine E's und U's gefärbt klangen, aber er sang textverständlich. Zu Melot schreibe ich nichts.
Die Regie (Premiere 13. März 2011) stammte von Sir Graham Vick. Für mich der größte Kritikpunkt des Abends. Nun bin ich durchaus ein Freund des sogenannten Regietheaters (Kratzers Bayreuther "Tannhäuser" ist nicht nur Publikums-, sondern auch mein Favorit), aber es sollte eben gekonnt sein. Wir finden uns also beim DOB-Tristan nicht auf einem Schiff wieder, sondern in einem Bungalow. Ok. Nun kann ein Bungalow eine ähnliche Enge wie ein Schiff haben, aber natürlich wird es stets etwas albern, wenn man aus diesem Bungalow Ausschau nach Schiffen halten muss. Aber gut, darüber kann ich hinwegsehen.
Warum aber immer mal eine nackte Frau über die Bühne schreitet oder ein nackter Mann eine Grube aushebt - keine Ahnung. Warum sich Steine (Obelisken) auf der Bühne finden - keine Ahnung. Liegt in dem Sarg, der sich in jedem Aufzug auf der Bühne findet, Morold - keine Ahnung. Es gibt natürlich keinen Liebestrank - beziehungsweise er wird sich gespritzt. Große Ekstase wird dargestellt, indem sich die Hände des mehr oder weniger weggetretenen Paars nach dem "Liebestrank" berühren. Nun ja. Personenregie findet ohnehin nicht statt.
Dann sitzt da im gesamten 1. Aufzug noch ein Mann (vielleicht nackt) in einem Sessel und schaut offenbar durch die Terrassenfenster. Diese scheinen die Grenze zum Tod zu sein, womit ich immerhin ein bisschen was anfangen kann. Jedenfalls verlässt beispielsweise Tristan die Szene dann auch durch eine Terrassentür. Warum aber die handelnden Personen im 3. Aufzug allesamt zu Greisinnen und Greisen geworden sind, verstehe ich schon wieder nicht so. Geht es um die mausgraue Tristesse des Lebens, um das Dahinwelken in einem (bürgerlichen) Bungalow? Gibt es dazu nicht eigene Stücke?
Schade. Kein schöner "Tristan" für mich. Dafür wurde mir wieder bewusst, was für ein wunderbares Opernhaus die DOB ist. Spätestens im April zum "Tannhäuser" bin ich wieder da, vermutlich schon früher.