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Original von ChKöhn
Hallo Wulf,
ich bin der Meinung, dass das von der Zusammensetzung der Majorität abhängt: Für ein ästhetisches Werturteil reicht es ganz sicher nicht aus, nur Meinungen zu zählen, ohne zu berücksichtigen, inwieweit die auf Sachurteilen basieren, die wiederum nur mit Sachkenntnis gefällt werden können. Diese Sachkenntnis geht den "10000000 Fliegen", die z.B. einen Schlager für wesentlich bessere Musik halten als ein Haydn-Streichquartett in der Regel ab. Wer dagegen ein fundiertes Sachurteil über ein Haydn-Streichquartett fällen kann, dürfte im Allgemeinen auch in der Lage sein, den musikalischen Gehalt eines Schlagers fundiert zu beurteilen. Wenn nun eine große Mehrheit mit Sachkenntnis in einem ästhetischen Urteil übereinstimmt, hat dieses meines Erachtens deshalb schon ein gewisses Gewicht.
Viele Grüße,
Christian
Hallo Christian,
auch wenn dies der falsche Ort ist und die Debatte in einen gesonderten thread ausgelagert werden könnte, möchte ich gern ein paar Gedanken äußern.
Prinzipiell bin ich auch geneigt, Urteilen hinter denen Sachkenntnis steckt mehr Gewicht zuzubilligen, denn solchen ohne. Dennoch sollten wir uns IMO gewahr werden, daß keine "Heuristik", sei sie noch und nöcher durch Personen mit Sachkenntnis abgesichert, zu unverrückbaren, allgemeingültigen ästhtetischen Werturteilen führt.
In deinen Zeilen lese ich eine implizite Unterstellung heraus
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Diese Sachkenntnis geht den "10000000 Fliegen", die z.B. einen Schlager für wesentlich bessere Musik halten als ein Haydn-Streichquartett in der Regel ab.
Ich sprach selbst nirgends davon, daß sich die Fleigen einen Schlager mit einem Haydn-Streichquartett vergleichen, aber ersetze Haydn-Streichquartett durch bspow. Gyrowetz-Symphonie und "Schlager" durch bspw. Lieder von Bob Dylan und ich gehöre zu den 1000000 Fliegen und bilde mir sogar noch ein, von Klassischer Musik etwas mehr Ahnung als manch andere Fliege auf dem Sch...haufen neben mir zu haben.
Indes bezweifle ich, daß jemand mit hoher Sachkenntnis den "Gehalt" (was ist das bitte????) eines Schlagers besser beurteilen kann als jemand ohne. Aber das führt zu weit vomn Thema weg.
Edwin hat mit seinem ersten Post Reaktionen hervorgerufen, die sicher selbstverschuldet sind. Allerdings hat er auch klipp und klar angeführt was SEINE Prämissen sind, mit denen er zu seinem Urteil gelangt. Das hast Du ihm quasi "zur Last gelegt". Doch wenn wir ehrlich sind, werden immer Prämissen mitgeführt, bei Dir, bei mir, bei jedem. Johannes hat soeben die 9. von Dvroak als ein "überschätztes Werk" bezeichnet, denn die Thementransformation sei flau. Stattdessen hier und da noch ein böhmisches Melodiechen (eine implizite Abwertung der Melodie, über deren Wichtigkeit weder Brahms noch Dvorak zu jeder Zeit eine unverrückbare Meinung hatten)
Für Johannes gilt motivische Dichte, Thementransformation etc. als Gütesiegel für eine Symphonie. KSM schrieb "Kein Wunder, daß Edwin Gesualdo schätzt", ich sage: kein Wunder, daß Johannes Dvoraks 7. am ehesten schätzt.
Und? Hier prallen zwei unterschiedliche Welten, zwei unterschiedliche Ansätze auf, nach denen ästhetische Urteile gefällt werden. Mit dem Unterschied, daß der eine von Anfang an gesagt hat, auf was für Prämissen seine Urteile fussen.
Die Mehrheit mag sich auf eine aus ihrer Sicht radikale Sicht wie die Edwins nicht einstellen, doch wird diese dadurch exotischer und weniger gewichtig? (Mal abgesehen davon, lieber Christian, daß viele vermeintliche Sachkundige auch gerne vom Doktorvater übernehmen usw. - das soll nicht heißen, daß nur abgekupfert wird, aber ich glaube man gibt sich einer Illusion hin, daß alles, was von vermeintlich fachkundiger Seite zu Brahms (oder zu anderen) gesagt wurde ureigenster Reflexion entspringt - so weit ich weiß, sieht Harnoncourt in Brahms und Dvorak zwei vom Ansatz unterschiedliche, aber von der Qualität gleiche Welten).

Wulf