Furtwängler war - wie in vielen seiner Kriegsdirigate - auch im Juli 1943 ein sensibler Seismograph der ihn umgebenden Zeitumstände, so dass auch seine einzige fast komplette "Meistersinger"Aufnahme einen extremisierten Interpretationsansatz verfolgt. Diese "Meistersinger" sind in der Tat keine Komödie. Auch wenn Furtwängler m.E. generell mit ironisch-quecksilbriger Musik nicht allzuviel anzufangen wusste (seine "Rheingolde" sind für mich deshalb auch die Schwachpunkte seiner "Ring"-Aufnahmen), so fällt doch auf, dass er hier die durchaus vorhandenen tragischen Unterströmungen so sehr in den Vordergrund stellt. Auf allem lastet eine gewisse Schwere, ein unbedingter Ausdrucks- und Gestaltungswille, der die Partitur jederzeit im Griff hat und dabei - wie ich finde - dem Stück zu sehr die Luft zum Atmen nimmt und ein wirkliches Erblühen der Töne verhindert. Das ist gleichwohl spannend und F. holt wirklich Unerhörtes aus dem Orchester und dem Chor heraus, etwa beim absolut verzweifelt-düsteren Vorspiel zum 3.Akt oder im schier nicht enden wollenden "Wach auf!"-Chor mit ebenso langer anschließender Generalpause. Ein durchaus pathetisches und rhetorisches Dirigat. Insofern sind seine Sänger zumeist kongenial, wenn auch m.E. nicht ideal, da zumeist jenseits ihres sängerischen Höhepunktes.
Am besten noch die fast tadellos singende Maria Müller, der man allenfalls ein etwas zu reifes Timbre und ein paar Schärfen in der Höhe vorwerfen kann. Lorenz ist wie üblich sehr frei mit Tempovorschriften und Notenwerten, selten ein Ton, der nicht mindestens mezzoforte gesungen wird. Von der schneidend-gleißenden Diktion her eher ein waffenstarrender Condottiere als ein verliebter fränkischer Landedelmann, zumal er eher energisch zu sprechen als gebunden zu singen scheint. Zimmermanns David klingt in der Tat ein wenig ältlich, ansonsten solide (Gerhard Unger z.B. war da selbst in seinen späten Aufnahmen wesentlich jünger klingend), Eugen Fuchs´ Beckmesser hört man besser in der 1938er Studioaufnahme des 3. Aktes unter Böhm, hier hat er zuviele Textunsicherheiten und nimmt sich wie Lorenz seine Freiheiten gegenüber der Partitur. Den Pogner Greindls finde ich zu "hell" (er war auch erst 31) und zu wenig balsamisch-strömend, dazu ist das Timbre schon jetzt zu knorrig. Dem Sachs des Jaro Prohaska merkt man die lange Erfahrung mit der Rolle vor allem in den Dialogen mit Eva, Stolzing und Beckmesser an, wo er mit seiner harschen und hohl klingenden Stimme nicht aussingen muss, sondern die Worte fein-ironisch zu ziselieren versteht. Auf der Festwiese wird er dann zum bellenden non-legato Sprachrohr, das die "vierte Wand" zum Publikum niederreißt. Die Schlussansprache, die Prohaska nur unter Aufbietung aller Kräfte bewältigen kann, atmet den authentischen Zeitgeist des NS. "Fanatisch" ist hier in der Tat das richtige Stichwort, seelische "Wehrertüchtigung" der Zweck.
In dem Büchlein "Richard Wagner und seine Meistersinger", einer reich bebilderten "Erinnerungsgabe zu den Bayreuther Kriegsfestspielen 1943", die jedem "Gast des Führers" (Kriegsversehrte, Frontkämpfer, Ausgebombte, Rüstungsarbeiter) nachträglich überreicht wurde, schildern ausnahmslos begeisterte Zuschauer ihre Eindrücke von der hakenkreuzgeschmückten Stadt und den Aufführungen. Und sie ziehen die ideologisch gewünschten Schlussfolgerungen:
- "Hier verstehen wir so ganz das herrliche Wort des Führers, wenn er sagt: ´Die Kunst ist eine zum Fanatismus verpflichtende Mission.´"
- "Am nächsten Morgen verlassen wir Bayreuth, das stolze Bewußtsein in der Brust: Wie stark muss Deutschland sein, wenn es im vierten Kriegsjahr seinen Menschen noch diese gewaltige Kundgebung deutscher Kunst schenken kann, und niemals kann ein Volk untergehen, das solche Geistesheroen sein eigen nennt!"
- "Wenn wir heute wieder in unsere Lazarette und Genesungskompanien, an die Werkbänke und Zeichentische zurückgekehrt sind, wollen wir die Verpflichtung als bescheidenen Dank mit uns nehmen, stets alles einzusetzen, um den Feinden deutscher Art und deutschen Denkens gerecht zu werden, auf dass es Ihnen nie gelingen solle, die Werke und den Geist deutscher Meister zu untergraben."
Die gesamte Stadt wimmelt von Angehörigen verschiedenster NS-Organisationen, BDM und HJ Bayreuths erweisen sich als Fremdenführer, im "Haus der deutschen Erziehung" finden Einführungsvorträge statt, auf dem Balkon des Festspielhauses verkünden Bläser der Waffen-SS das Ende der Pausen und auf der Bühne ergänzen HJ und BDM sowie Mitglieder der SS-Standarte "Wiking" den Festspielchor. Man hört es nicht zuletzt beim dröhnenden Gleichschritt der Formationen, die dem Zuhörer deutlich machen, dass die Festwiese hier kein demokratisches Volksfest ist, sondern eine Vorwegnahme der Nürnberger Reichsparteitage.

GiselherHH