Beiträge von GiselherHH

    Ich wünsche der HMS "Tamino" zur fünfjährigen Wiederkehr ihres Stapellaufes immer die notwendige Handbreit Wasser unterm Kiel. Möge sie sich in Zukunft fern halten von gefährlichen Riffen und Strömungen und dafür in ruhigen Gewässern wieder Fahrt aufnehmen. Vor allem hoffe ich aber, dass die neunschwänzige Katze über Bord geworfen wird und die Mündungen der Kanonen verschlossen bleiben, auch wenn sich am Horizont des virtuellen Ozeans Schiffe unter fremder Flagge abzeichnen. Dann werden auch der HMS "Tamino" noch viele abenteuerliche Fahrten in unerforschte Gefilde beschieden sein.


    :hello:


    GiselherHH

    Lieber Paul,


    ob ein Künstler jetzt die ihm zustehende künstlerische Freiheit bis an die Grenzen ausreizt oder nicht, bleibt ihm natürlich selbst überlassen. Ob es besonders zielführend und zweckmäßig ist, immer extreme künstlerische Mittel zu benutzen, darüber kann man natürlich streiten. Also: Man muss natürlich nicht, aber man kann.


    Was den "Mohren" angeht, sehe ich da momentan keine Schwierigkeiten. Es werden in ungezählten Bäckereien Deutschlands immer noch sog. "Mohrenköpfe" verkauft, die Schokoladenfirma "Sarotti" hat immer noch den Mohren als Signet (auch wenn er mittlerweile kein Tablett mehr trägt) und den "Meinl-Mohr" kann man auf den Produkten der Wiener Kaffeerösterei immer noch sehen. Aus dem offiziellen Sprachgebrauch ist das Wort (genauso wie "Neger") aus verständlichen Gründen verschwunden, aber eine "Säuberung" bei Kunstwerken und Theaterstücken steht uns wohl nicht bevor. Man darf ja z.B. auf der Bühne Nazi-Uniformen mit Hakenkreuzarmbinden etc. tragen, obwohl NS-Symbole in der Öffentlichkeit bei Strafe nicht gezeigt werden dürfen. Insofern ist der Künstler gegenüber dem Normalbürger privilegiert.


    :hello:


    GiselherHH

    Zitat

    Original von musicophil
    Das Theater kann heute viel: Kerzen ersetzen durch elektrisches Licht; Bilder (sogar holographische) projektieren; mit Klänge experimentieren; usw.
    Die Frage ist m.E. nicht ob das Theater es kann und ein Regisseur es will, sondern eher ob es darf. Ob es gestattet ist.


    Lieber Paul,


    solange Komponist bzw. Textdichter noch leben, können sie darüber entscheiden. Bis zu 70 Jahre nach deren Tod die Erben (Urheberrecht). Danach ist das Werk rechtefrei und jeder kann damit machen, was er will. Das ist eben der Kompromiss des Gesetzgebers. Eine Geschmackspolizei oder die vielzitierte "Reichswerktreuekammer" gibt es nicht, denn, wie das Grundgesetz selbst in Art. 5 sagt: Eine Zensur findet nicht statt, die Kunst ist frei. Eine echte Vergewaltigung darf auf der Bühne natürlich nicht stattfinden, eine täuschend echte hingegen schon. Echte Tiere dürfen auf der Bühne nicht geschlachtet werden (Verstoß gegen den Tierschutz), Kunstblut darf hingegen durchaus vergossen werden. Solange das Strafrecht beachtet wird, ist alles auf der Bühne erlaubt.


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    GiselherHH

    Einigen wir uns vielleicht darauf, dass "Anifbertel" ganauso unpassend für Karajan ist wie die Bezeichnung "der bedeutendste Dirigent des 20. Jhd.". "Einer der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jhd." dürfte es wohl eher treffen.


    :hello:


    GiselherHH


    P.S.: Wobei "Bedeutung" auch noch nichts über "Qualität" aussagt.

    R. Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg – CD GM 1960



    Hans Knappertsbusch, Orchester der Bayreuther Festspiele: 4 (Gutes Dirigat mit sinnvoller Agogik, fein ausgehörter Dynamik und nur wenigen Patzern (Festwiese), allerdings für meinen Geschmack etwas zu wenig vorwärtsdrängend)


    Hans Sachs (Josef Greindl): 4 (Wenn man Greindls andere Bayreuther Aufzeichnungen als Maßstab nimmt, so ist dieser Sachs tatsächlich eine Überraschung. Aufgrund technischer Mängel und der grobkörnigen Knorrigkeit der Stimme stehen ihm nicht die feineren sängerischen Mittel zur Verfügung, über die andere Interpreten der Rolle geboten, die Höhen der Partie bleiben für den genuinen Bass ein hartes Stück Arbeit. Aber dennoch gelingen Greindl im Rahmen seiner Möglichkeiten sehr eindrückliche, anrührende Momente von großer Innerlichkeit (Fliedermonolog, auch Festwiese, wo er "Was deutsch und echt" wunderbar piano singt). Ansonsten gibt Greindl das gestochen scharfe Profil eines bauernschlauen Handwerkers, wie sich überhaupt die sehr harte Probenarbeit Wieland Wagners bei allen Sängern positiv bemerkbar macht)


    Beckmesser (Karl Schmitt-Walter): 3 (Eine gelinde Enttäuschung. Das Timbre des damals Sechzigjährigen klingt ältlich und ausgeblichen, die Stimme tremoliert schon beim Mezzoforte heftig und beim "...schusterlich blüh´und wachs!" im 3. Akt "rettet" sich Schmitt-Walter in den Schrei. Das Bemühen, den Beckmesser nicht als Karikatur à la Kusche, sondern als ernstzunehmenden Charakter auszugestalten, ist dennoch immer spürbar )


    Stolzing (Wolfgang Windgassen): 3,5 (Der Stolzing, der doch eine strahlende Höhe und ein attraktives Timbre fordert, kommt der nicht allzu klangschönen Stimme Windgassens nicht gerade entgegen. Der für ihn schwierigen Aufgabe entledigt sich Windgassen mit der gewohnten Intelligenz, er ist arrogant, aufbrausend und heftig, singt differenziert. Dennoch: Ein Tannhäuser in Nürnberg)


    Eva (Elisabeth Grümmer): 4,5 (Ein fast uneingeschränkter vokaler und darstellerischer Genuss ist Grümmers Eva. Maßstäblich)


    David (Gerhard Stolze): 3,5 (Hier kann man fast von einem Verfremdungseffekt sprechen: Mime als David. Nun singt Stolze seine Rolle gar nicht mal schlecht (wenngleich auch nicht auf dem Niveau von Schreier oder Unger) und charakterisiert (zu) scharf. Aber sein Giftnickel-Timbre passt einfach nicht zu Sachsens verliebtem Lehrbuben. Stolze klingt zu sehr nach Lehrzwerg)


    Restbesetzung: 3,5 (Schärtel unauffällig-rollendeckend als Lene, Adam als Pogner zu leicht besetzt, gerade auch im Vergleich zu Greindl; Weber als Kothner abgesungen, er böllert und röhrt sich dröhnend-offen durch die Rolle, hörbar unzufrieden mit seiner Degradierung zum Meister der Tabulatur; der Chor bewegt sich auf gewohnt hohem Bayreuther Niveau)


    Wertung: 26 / 7 = 3,71


    Tonqualität: 4 (für die Zeit guter Rundfunkmitschnitt)

    Zitat

    Original von m.joho
    Wie ich schon in einem anderen Thread bemerkt habe, sehe ich keinen anderen Weg mehr, um der unseligen und publikumsfeindlichen Dominanz der Regietheatervertreter zu entkommen, als die Subventionen der öffentlichen Hand einzuschränken und vermehrt private Mäzene mit enstprechenden steuerlichen Vergünstigungen (siehe Amerika) anzusprechen.


    Wenn schon ein solcher Schritt in die Refeudalisierung der Kunst angestrebt wird, dann aber bitte ohne jedwede öffentliche Subventionierung, auch keine steuerliche Absetzbarkeit. Da Sie ja der Überzeugung sind, dass die Massen der ach so unterdrückten Operngeher nach Kulinarik lechzen, wäre es dann wohl zumindest theoretisch auch eine Kleinigkeit, einen so konsequent auf Plüsch getrimmten Spielplan gewinnbringend ohne staatliche Hilfe an den Mann zu bringen. Allerdings dürfte die Reaslisierung in den Zeiten der globalen Finanzkrise eher schwierig werden. Schon jetzt mussten in den Vereinigten Staaten die ersten kleineren Opernhäuser dicht machen, viele Symphonieorchester kämpfen um ihr Überleben und selbst die großen Institutionen wie die MET haben schmerzhafte Budgeteinschnitte hinzunehmen:


    Peter Gelb told the New York Times the value of Met funds had dropped from $300m (£200.8m) to $100m (£66.9m). Donations for 2008/2009 were down by $10m (£6.7m) with ticket sales likely to fall several million dollars short of predictions, he said. Senior staff already taken 10% pay cuts, he added. The economic crisis has had an effect on all cultural institutions and the Met is no exception. The rest of the staff would be asked to do the same at the end of April. Mr Gelb would also be asking principal singers to perform for less money, he said."The economic crisis has had an effect on all cultural institutions and the Met is no exception.
    It's affected our endowment, it's affected our cash flow, it's affected our revenue stream (...)


    The opera's financial problems meant the edge had been taken off plans for the 2009/2010 season, the New York Times reported. It said a planned revival of Ghosts of Versailles, by John Corigliano, had been cancelled - to be replaced by Verdi's La Traviata. Another expensive revival, Benvenuto Cellini, by Berlioz, had also been cancelled. "It's a great sacrifice, frankly, because it's a great piece of repertory," Mr Gelb said. The paper said revivals of Shostakovich's Lady Macbeth of the Mtsensk District, and Die Frau Ohne Schatten, by Richard Strauss, were being replaced by two other Strauss operas - Ariadne auf Naxos, and Elektra.


    Quelle: "http://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/arts_and_culture/7832949.stm"


    :hello:


    GiselherHH

    Wobei ich die Nennung Tietjens in diesem Zusammenhang für einen weniger großen Missgriff halte als den Arents. Denn wenn man Tietjen vorwerfen kann, den Nazis bereitwillig gedient zu haben, so war er in ästhetischer Hinsicht durchaus kein Reaktionär. sondern er trieb die Modernisierung in Regie und Bühne voran und hatte in Emil Preetorius einen kongenialen Bühnenbildner. der sein Konzept der Entpathetisierung Wagners vollkommen unterstützte.


    Benno von Arent war hingegen ein Nazi reinsten Wassers, die Details können Interessierte in der Wikipedia nachlesen. Als "Reichsbühnenbildner" pflegte er einen völkischen Monumentalstil, als dessen prominentestes Opfer die "Meistersinger" gelten können, deren Festwiese unter von Arent zu einem Vorläufer der Fahnenwälder späterer Reichsparteitage mutierte und dessen Inszenierungsstil bis hinein in die Provinz übernommen wurde. Benno von Arent ist also mit Sicherheit kein Zeuge für die "Zeitlosigkeit" von Inszenierungen, sondern ganz im Gegenteil.

    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    War sicher nicht zu Veröffentlichung gedacht


    Wenn ich mich recht erinnere, stammt das Zitat aus einer Anekdote, die Walter Berry einmal in einem Interview über Böhm zum besten gab (wobei er den nölig-vorwurfsvollen Tonfall des Dirigenten vortrefflich nachzuahmen verstand).


    :hello:


    GiselherHH

    Lieber Paul,


    die Auslastung der "Idomeneo"-Vorstellungen war, glaube ich, ziemlich hoch und es gibt nach meiner Erfahrung durchaus genügend Menschen, die solche sog. "Regietheater"-Aufführungen sehen wollen und dafür auch zahlen. Allerdings halte ich nichts davon, über Kunst scheindemokratisch abstimmen zu lassen. Das geschieht weder auf der Bühne noch im Orchestergraben. Letzlich muss einer die Verantwortung für eine Vorstellung tragen und das sind eben Regisseur und Dirigent. Außerdem: Wenn man das Publikum über den Spielplan abstimmen ließe, würde man wahrscheinlich immer wieder den gleichen Kanon der bekannten Opernreißer von "Carmen", "Aida" und "Cav/Pag" bis zur "Zauberflöte" spielen. So ein Theater müsste man zwar nicht subventionieren, aber es wäre eine verdammt öde und uninteressante Angelegenheit. Die Meinung der Mehrheit allein hat die Menschheit noch nie vorangebracht, sondern erst die Auseinandersetzung verschiedener Auffassungen. Und in der Kunst ist es genau so.


    :hello:


    GiselherHH


    Lieber Paul,


    es geht nicht darum, persönliche Werturteile von Dir oder irgendjemand anderem zu verbieten. Nur sollte man sich bei der Abgabe eines Werturteiles immer bewusst sein, dass man ein auf subjektiven Kriterien basierendes Geschmacksurteil fällt, das eben nicht allgemeine, objektive Gültigkeit beanspruchen kann. Andere Menschen haben eben einen anderen Geschmack und urteilen anders. Deswegen darf man aber nicht behaupten, die Auffassungen der anderen sei schon deswegen falsch, weil sie dem eigenen Geschmack widersprächen.


    Herr Neuenfels hat sich, wie Matthias, es weiter oben sehr richtig geschildert hat, eingehend mit dem "Idomeneo" beschäftigt und ist zu einer zwar sehr plakativen, aber durchaus begründbaren ("Sieg der Menschlichkeit über die Religion") szenischen Lösung gekommen. Das muss man nicht gut finden, aber deswegen bleibt die Köpfungsszene doch im Rahmen einer möglichen Interpretation des Stoffes. Natürlich hätte man das auch anders machen können. Aber Herr Neuenfels hat es nunmal so gemacht, wie er es gemacht hat. Und er hat das Recht dazu. Wie können ihn deswegen meinetwegen ausbuhen und vielleicht auch beschimpfen, aber verbieten dürfen wir ihm diese Interpretation trotzdem nicht. Gott sei Dank.


    :hello:


    GiselherHH

    Es wäre in der Diskussion ja schon viel gewonnen, wenn man darin übereinkäme, sich selbst in Kunstdingen nicht für den Nabel der Welt zu halten, geschweige denn den eigenen Geschmack für die absolute Grenze des "Erlaubten" (soweit es das in der Kunst überhaupt geben kann).

    Zitat

    Original von Draugur


    Das ist eine Angelegenheit sachkundiger Einführungen mittels Programmheft oder Vortrag z.B. des Dramaturgen. Dadurch, dass man das Geschehen in die Gegenwart zerrt, kommt man Verdi doch nicht näher. Seine Opern mögen auf damals aktuelle Konfliksituationen aufmerksam gemacht haben, aber heute sind diese nun mal ihrerseits nicht mehr aktuell. Soll man jetzt so tun, als gebe es heute ähnliche Konflikte, die man leichthin damit gleichsetzen kann, nur um sich bzw. dem Publikum Aktualität vorzugaukeln? Das Ergebnis ist notwendigerweise ein anachronistisches Verbiegen des Stoffes.


    Es gilt eben nicht "tua res agitur".


    Wenn die Stoffe dieser Opern - angeblich - nicht mehr aktuell sein sollten (wobei man dann "politisch" als (absichtlich) "tagespolitisch" missverstanden hätte), warum dann überhaupt Inszenierungen dieser "veralteten" Opern auf einer Bühne? Für den reinen Musikgenuss ohne die obsolete Handlung reicht dann auch die CD...

    Zitat

    Original von Mengelberg
    Und wenn man die politische Sendung der meisten Opern des ausgehenden 19. Jahrhunderts einfach wegläßt, weil man sie in musealen Bonbon-Inszenierungen spielt, spielt man eben grandios am Werk vorbei.


    Genau das ist es ja, was viele Kulinariker selbst bei solch unbequemen Revoluzzern wie Verdi oder Wagner wollen: Rosen ohne Dornen, Stromlinie statt Widerhaken, Bestätigung liebgewonnener Ansichten statt Nachdenken, "Isses nich´schön!" statt tua res agitur.


    :hello:


    GiselherHH

    Hallo KUS,


    bei einem so weitverzweigten Forum wie "Tamino" "versendet" sich zwangsweise manches, zumal, wenn man in speziellen Unterforen postet. Spezialisten führen überall im Forum ein Nischendasein, da sind die Sänger- und Opernfreunde im Vergleich noch eine recht große Gruppe. Bei einem thematisch übergreifenden Thread wie er Dir vorschwebt, würde ich den Thread in ein anderes Forum verschieben, das häufiger auch von anderen als den "üblichen Verdächtigen" frequentiert wird, z.B. hierhin:


    Tamino Klassikforum » KLASSIK allgemein » ALLGEMEINE KLASSIKTHEMEN.


    Dann würde ich mir noch einen griffigen Threadtitel überlegen, der die Thematik umreißt. Wie wäre es in Deinem Fall mit: "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt" - Oper und Konzertsaal in der Zeit des Wiederaufbaus - Entwicklungen seit 1945 und deren Bewertung"?


    :hello:


    GiselherHH

    4 Premieren sind schon ziemlich mager, das riecht nach Quersubvention für den wohl recht teuren Ring.


    Dafür wird die kleine Opera Stabile verstärkt für Inszenierungen genutzt:


    - Ullmann "Kaiser von Atlantis" (Diplominszenierung Studiengang Musiktheatergegie der Musikhochschule)
    - Rorem/Moore "Bertha & Gallantry"
    - Händel "Il Trionfo del Tempo e del Disinganno" (Diplominszenierung der Theaterakademie Hamburg)
    - Rameau "Les Indes Galantes".


    :hello:


    GiselherHH

    Il sogno d´Alfredo, ossia:
    Gleich und gleich gesellt sich gern


    Mit Anleihen an Wilhelm Busch


    "Schweinkram" scheint für´n jungen Knabe(n)
    Eine von den besten Gaben.
    Doch Blut und andre Flüssigkeiten
    rühren an Empfindlichkeiten
    Derer, die´s gern anders hätten
    Auf Melpomenes Weih´stätten.


    Drum fehlt der feineren Gesellschaft
    auch nicht die notwendige Bell-Kraft,
    Wenn Ihnen etwas gar nicht lieb.
    Weg damit! heißt das Prinzip.
    Theater wird nicht gut gefunden,
    Wenn es mit "Regie-" verbunden.


    Also lautet der Beschluss,
    Dass die Oper "schön" sein muss:
    Gold und Stuck, der Kandelaber
    Strahlt mit festlichem Gewaber
    Über Samt- und Seidenpracht
    Bürgerlicher Geltungsmacht.


    Klar wird: Hier trifft sich Elite.
    Draußen bleibt die ganze Schiete
    Von Pöbel, Plebs und Prekariat,
    Die doch nur von mindrer Art.
    Herr Hofrat trifft Frau Dr. Wichtig -
    Man ist sich einig: Mir san richtig!


    Das Licht geht aus, der Vorhang hebt sich,
    Die Millionärsgattin, sie regt sich
    Im gepolsterten Gestühle,
    Auf dass der Nebenmann sie fühle,
    Ihre raumsprengend´ Präsenz,
    Sekundiert durch Duft-Essenz.


    In Opas feinen Staubkulissen,
    Die ein sanftes Ruhekissen
    Fürs empfindliche Gemüt
    Aus kunstadligem Geblüt,
    tiriliert die Sängerschar,
    dirigiert vom Herrn von K.


    Das Licht geht an, es schellt zur Pause
    Zwecks exklusiver Edeljause.
    Da ist ja auch Professor Zeh! -
    Wie fanden Sie´s? - Jaja, ganz schee! -
    Ich fand´s recht fad. - Is´auch egal,
    Jetzt gibt´s gleich Kanapée mit Aal!


    Und wieder geh´n die Lichter aus
    Im wohlgefüllten Festspielhaus.
    Der Starsopran singt Koll´raturen
    In Stratosphären-Tessituren,
    Akkompagniert vom sel´gen Schnarchen
    Der abgefüllten Oligarchen.


    Schlussakkord - Der Vorhang fällt.
    Rasch aus dem Sitz emporgeschnellt
    Und hingestrebt zur Garderobe,
    Zum Spitzenplatz bei dem Getobe
    Um Lodenmantel und um Nerz.
    Denn da versteht man keinen Scherz!


    Diesmal kann ich nicht anders, ich muss es bei dieser äußerst stimmigen Rezension einfach sagen: Bitte verdoppeln! :D


    :hello:


    GiselherHH

    Arts, 1967



    Rafael Kubelik, Chor und SO des BR - 4,5 (Kubelik gelingt mit dem BRSO eine wunderbar fein gesponnene, bewegende (Ende 2. Akt!), dabei aber durchsichtige (Prügelfuge!) Interpretation, der allenfalls das allerletzte Quentchen Witz und theatralische Lebendigkeit fehlt)


    Hans Sachs - Thomas Stewart- 4,5 (Ein philosophischer, fast schmerzlich grüblerischer Sachs, der auch vom Stimmcharakter mehr dem Poeten als dem Schuster zuneigt)


    Sixtus Beckmesser - Thomas Hemsley - 4 (Sehr gut gesungen und nicht übertrieben, allerdings stört mich als Muttersprachler der leichte englische Akzent und die damit einhergehenden Vokalverfärbungen)


    Walther von Stolzing - Sandor Konya - 4,5 (Dieser fränkische Junker aus Ungarnland weiß durch perfektes Legato und fast schon so etwas wie germanische Italianitá zu begeistern. Da darf man dann auch über den einen oder anderen angeschluchzten Ton hinweghören...)


    David - Gerhard Unger - 5 (Unger, der DvD ("David vom Dienst") der 1950er und 1960er klingt auch hier noch außerordentlich jungenhaft und lebendig, zusammen mit Schreier an der Spitze aller auf Tonträger festgehaltenen Interpreten)


    Eva - Gundula Janowitz - 4 (Frau Janowitz erfüllt die vokalen Voraussetzungen der Rolle fast perfekt (die leichte Enge und Verhärtung bei Spitzentönen mal ausgenommen), wirkt manchmal aber eine Spur zu kühl und unbeteiligt)


    Restensemble - 5 (Brigitte Fassbaender und Franz Crass sind ganz ausgezeichnet, ebenso wie der phänomenale Chor!)


    Ges. 32,5 / 7 = 4,64


    TQ: 4,5 (erstklassiges Rundfunk-STEREO mit zeitbedingtem geringem Rauschen)

    Liebe Lilith,


    offenbar berührt Wagner mit seiner Musik etwas in Dir, was sehr tief zu gehen scheint. Was das ist, das kannst nur Du selbst herausfinden. Wie ich schon im Thread über die Faszination Wagners geschrieben habe, gibt es da keinen verbindlichen "Fahrplan", jeder muss da seinen eigenen Weg finden. Die Musik Wagners zielt teilweise sehr bewusst darauf ab, die Zuhörer zu verführen oder gar zu manipulieren. Das macht den Reiz, aber auch die Gefahr seiner Kompositionen aus. Und zum Tristan hat er selbst folgendes geschrieben:


    Zitat

    "Kind, dieser Tristan wird was Furchtbares! Dieser letzte Akt! Ich fürchte, die Oper wird verboten, nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen, ich kann mir's nicht anders denken. So weit hat's noch mit mir kommen müssen!"



    :hello:


    GiselherHH

    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    (...) Dennoch meine ich, daß sich Monsieur Wagner drei Gault-Millau-Sterne redlich verdient. Wenngleich seiner Aufnahme in die Légion d'honneur sein abartiger Charakter im Weg stehen dürfte.


    Lieber Edwin,


    allzu streng dürften die Aufnahmehürden der Ehrenlegion in moralischer Hinsicht nicht sein. Wenn selbst ein so, vorsichtig formuliert, zwielichtiger Charakter wie Napoleons Spionagechef Fouché, den Rang eines Officier innehaben konnte, dann hätte das auch der kleine große Sachse geschafft (wenn er bei der Verleihung nicht gerade "Eine Kapitulation" zum besten gegeben hätte).


    :hello:


    GiselherHH

    Den folgenden Text habe ich zwar schon vor gut zwei Jahren in einem anderen Thread verfasst, aber er passt auch hier sehr genau:


    "Wer einen Blick in die Abgründe menschlicher Seelen wagen will, in höchste Höhen und tiefste Niederungen, wer sich mal subtil umschmeicheln und dann brutal am Kragen packen lassen will, wer sich traut, von einem akustischen Giftmischer nicht bis zum Tod, aber bis zur Abhängigkeit infiziert zu werden, wer gefährlich hören will, der rüste sich zur Reise. Aber: der Weg ist steinig und Wanderkarten mit vorgezeichneten Pfaden werden nicht verteilt. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Viele scheitern, verlaufen sich, geben auf. Aber manche schaffen es, allen Widrigkeiten zum Trotz. Sie wollen immer mehr wissen über Werk und Schöpfer. Also holen sie sich alle erreichbare Literatur, steigen ein, leben im Gelesenen. Sie sind zugleich fasziniert und abgestoßen, merken aber, dass sie eine Schwelle überschritten haben, hinter die es kein Zurück mehr gibt. Gelesenes vertieft Gehörtes, Gehörtes das Gelesene. Das Gift beginnt zu wirken, meist bis zum Lebensende. Es können auch Zeiten des Rückzuges auftauchen, Zeiten der scheinbaren Genesung. Doch dann tönt es von irgendwo her und das Fieber bricht wieder aus...


    Also: Wagner ist Lust plus Arbeit. Und die Medizin ist nicht ganz billig,vor allem, weil es selten unter vier CDs abgeht. Aber ich habe schon genug gewarnt..."


    :hello:


    GiselherHH

    Hallo Micha,


    ich habe vor ein paar Monaten bei einem Interpretationsvergleich von Beethovens 9. Symphonie auf SWR 2 Ausschnitte von Scherchens Live-Dirigat von 1965 aus Lugano mit dem Orchester von Radiotelevisione svizzera italiana gehört. Das Orchester ist zwar nicht Beromünster, aber wild war die Interpretation ganz sicher. Scherchen raste da mit einem Tempo und Furor durch den Beginn des Schlussatzes, dass einem fast Hören und Sehen verging. Die Diskographie von Tan vermerkt für diese Aufnahme eine Gesamtdauer von nur 61 Minuten (!).


    :hello:


    GiselherHH