Hallo Alfred,
auch wenn ich in meinem Profil Richard Wagner als Lieblingskomponisten angegeben habe (man durfte ja nur einen nennen, sonst hätte ich auch noch Purcell, Haydn, Verdi, Bruckner, Strawinsky, Ravel und Poulenc genannt), so würde ich mich doch dagegen wehren, als "Wagnerianer" bezeichnet zu werden. Den von diesen Fanatikern angestrengten Geniekult um den begabten kleinen Sachsen habe ich ebenfalls noch nie leiden können und "Pilgerfahrten" zu Opernhäusern auf den Knien des Geistes sind mir grundfremd.
Allerdings sind Wagner und seine Werke für mich ein Faszinosum. Sicher gibt es bedeutendere Komponisten, die auch musikalisch begabter waren - Mozart etwa. Doch dessen gleichsam transzendentale Begabung war eben einseitig - ein interessantes und ernsthaftes Gespräch über Kunst oder Politik mit ihm kann ich mir nicht vorstellen. Wagners Begabung war breiter gestreut und dafür weniger in die Tiefe gehend. Das bedeutet Chance und Gefährdung zugleich, wie sich in seinen theoretischen Schriften zeigt. Wagner wollte immer mehr sein als bloß Musiker und Komponist, er wollte das verwirklichen, was Karl Marx in seinem berühmten Ausspruch forderte: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an
sie zu verändern."
Seine Opern- und Festspielpläne waren daher auch immer Pläne zur Veränderung der Welt mittels Kunst. Das ihm vorschwebende "Drama", die sinnfällige Verschmelzung von Text und Musik in einer Oper zu einem untrennbaren Ganzen jenseits der Kulinarik (in Abgrenzung zu Meyerbeer, dessen "Grand Opéra"-Stil noch Vorbild für den "Rienzi" war, dessen Werke er zu Unrecht aber später als "Wirkung ohne Ursache" abkanzelte), sollte den Platz in einer zukünftigen Gesellschaft einnehmen, den das antike Theater in der attischen Polis hatte: ein Ort der Selbstvergewisserung und Gemeinschaftsstiftung.
Diesem Anspruch folgend, glaubte er, sich zu allen möglichen Themen äußern zu müssen: Vegetarismus, Vivisektion, Philosophie, Geschichte, Politik, Openreform, Dirigieren, Gesang etc. pp. Dabei behielt er kaum je einen Standpunkt wirklich bis zum Ende seines Lebens bei, sondern änderte ihn im Laufe seines Lebens teilweise mehrmals. Das machte es dem ideologischen Kreis um Cosima eben so leicht, sich das herauszugreifen, was sie für ihre Zwecke benutzen konnten - ganz zu schweigen von dem späteren Bayreuther Hausfreund mit Schnauzbart und Hundepeitsche, dessen Wagnerbegeisterung so etwas wie ein Totalmißverständnis war. Denn Wagner stand politisch gesehen immer eher auf der "Linken". Zwar paßte sich der Revolutionär von 1848 später äußerlich an und schloß seinen Frieden mit den Kräften, die er damals bekämpfte. Doch tat er dies nur, um seine Festspielidee zu sichern, so wie er alles andere dieser einen Idee unterordnete.
Persönlich blieb er gegenüber dem "aus Blut und Eisen geschmiedeten" Deutschen Reich von 1871 immer auf Distanz und verachtete Bismarck aus tiefstem Herzen - seine ideale Nürnberger Kunst-Republik in den "Meistersingern" ist sozusagen sein Gegenentwurf zur damaligen Reichsidee.
Ein Werk von so hohem Anspruch lädt natürlich zu Parodien ein: von Johann Nestroy ("Tannhäuser oder die große Keilerei auf der Wartburg") bis zu Bugs Bunny ("What´s Opera, Doc?"). Die Nestroysche Parodie hat Wagner in Wien gesehen, als er dort eine Inszenierung seines "Tannhäuser" sah. Er soll sehr gelacht haben...
Grüße
GiselherHH