Ein persönliches erstes Herantasten an die Streichquartette von Felix Mendelssohn-Bartholdy
Was mich an der Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy (ausgehend von den symphonischen Werken) vielfach fasziniert, ist diese gewisse Leichtigkeit, „die zu nichts zwingt“, auch das oft vorkommende „übersprudelnde“ Element. Nicht nur die profunden Werkeinführungen von Uwe Schoof und Johannes Roehl im „Tamino Klassikforum“ machen neugierig auf den Streichquartett-Komponisten Mendelssohn-Bartholdy. Die 3 CD Box mit dem Henschel Quartett (Arte Nova Classics 82876 64009 2, op. 12 und op. 80 aufgenommen im Studio 2 des BR in München, 10.-12.12.2001, Es-Dur (1823) ebendort 18.-19.12.2004, op. 13 und op. 44/3 vom 13. bis 15.11.2003 in den Bavaria-Studios München und op. 44/1, op. 44/2 sowie op. 81 von 11. bis 14.3.2004 im Studio 1 des BR) ermöglicht mir den Eintritt in diese musikalische Welt.
Mit 14 Jahren (1823) komponierte Felix Mendelssohn-Bartholdy das Streichquartett Es-Dur (Dauer ca. 25 Minuten). Ich freue mich über „ausgleichende Hausmusik“ in der Tradition von Haydn und Mozart, aber auch Bach und Beethoven muss dieser junge Mann sehr gut studiert haben, möglicherweise auch bereits die Innigkeit Schuberts. Dem Sonatensatz zu Beginn folgt ein reizvolles Adagio non troppo in c-Moll, dann ein Menuett und als Finale eine Fuge. Das Henschel Quartett überzeugt mit vollem Klangbild, mit Herz, Gefühl und Leidenschaft. (Das wird, vorweggenommen, bei den anderen Werken auch so bleiben.)
Das Streichquartett in a-Moll op. 13 (1827) dauert etwa 30 Minuten – und ist sehr spannend zu hören nach dem Es-Dur Werk. Das Beiheft zur CD Box nennt das Hauptmotiv aus Mendelssohn-Bartholdys Lied op. 9/1 „Frage“ („Ist es wahr?“) als Leitmotiv des Werks. Wer (so wie der Schreiber) in den Monaten zuvor Streichquartette von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert gehört hat, dem fällt natürlich auch beim ersten Satz Beethovens op. 132 ein, beim zweiten dessen op. 95 (das Henschel Quartett erzeugt mit seinem Spiel stellenweise eine „himmlische Innigkeit“!) und beim Finale wieder Beethoven, neben op. 132 die „Sturm“-Sonate op. 31/2 (erster Satz). Auffallend wie überraschend mutet hier der ruhige Ausklang des Werks an, aber auch – nicht zu vergessen – das dreiteilige Intermezzo des dritten Satzes. Das Spannende an diesem Werk ist – bei aller Verbeugung vor Beethoven - die sehr wohl durchhörbare Individualität, die der 18jährige Komponist unter Beweis stellt.
Genauso individuell ist das Streichquartett in Es-Dur op. 12 (1829), ca. 24 Minuten lang, auch wenn man speziell zum ersten Satz abermals an Beethoven denkt (Einleitung: op. 74, Thematik: op. 127). Bei der Canzonetta des zweiten Satzes erfreut der rasche Mittelteil den Freund der oben genannten „übersprudelnden“ Musiken des Komponisten. Einem Andante espressivo folgt als Finale ein spritziger vierter Satz, der die Klammer zum ersten thematisch schließt.
Gruhles Streichquartett-Lexikon schiebt das etwa 26 Minuten lange Streichquartett e-Moll op.44/2 von 1837 nach 1827, wozu es im Beiheft der CD Box keinen Hinweis gibt. Mich nimmt das elegisch-aufgewühlte e-Moll des ersten Satzes sofort gefangen, natürlich auch die „Elfenmusik“ des zweiten Satzes, das anschließende fließende Andante und das Sonatenrondo des Finalsatzes.
Das Streichquartett Es-Dur op. 44/3 (1838 ) ist mit 34 Minuten Spieldauer das längste der Quartette. (Auffallend: Nimmt man die Fuge aus op. 81 hinzu, gibt es vier Werke des Komponisten für diese Besetzung in dieser Tonart!) Einem dichten Sonatensatz folgt ein treibendes Scherzo, und ein vom Henschel Quartett wieder sehr schön innig gespieltes Adagio non troppo steht dann vor einem übermütig-enthusiastischen Molto allegro con fuoco.
29 Minuten lang dauert das Streichquartett D-Dur op. 44/1 (1838 ). Erster und letzter Satz wirken „konzertanter“ als die bisherigen Werke. Dem Menuetto des zweiten Satzes schließt sich als dritter Satz ein speziell schreitendes, inspiriertes Andante espressivo con moto an.
Zusammengestückelt aus Einzelwerken sind die Vier Sätze für Streichquartett op. 81, insgesamt etwa 20 Minuten lang. Das erste (1847) bringt ein schlichtes Achtelthema mit Variationen, das zweite (1847) wieder die wunderbaren „Elfen“ in einem Scherzo, und mit dem dritten (1827) tut sich ein Wunder auf, denn so eine „innige“ Fuge gibt es auch nicht oft. Die Innigkeit setzt sich im elegisch-langsamen Beginn des vierten, eines Capriccios (1843), fort, dem ein schnelles Fugato folgt, ein würdig-konzertantes Finale dieser vier zu einer Opuszahl zusammengesetzten Einzelsätze.
Bisher sind das schöne Entdeckungen, auch wieder Werke, über deren Kennenlernen ich mich sehr gefreut habe, Streichquartette, die man auch mehrmals hintereinander anhören kann, die eben jene „Leichtigkeit“ dafür haben.
Und dann das Streichquartett f-Moll op. posth. 80 (1847): was für ein Schnitt, was für eine andere musikalische Welt, was für eine Psychologie schiebt sich dazwischen! Mendelssohn-Bartholdy wird bald sterben, seine geliebte Schwester Fanny ist es gerade, man liest diese biographischen Fakten und denkt sie nicht mehr weg. Und man hört sie in den 25 unglaublichen Minuten dieses Werks. Im ersten Satz sind die vertrauten „Elfen“ plötzlich erregt, verfolgt, auf der Flicht, der Schmerz ist durchhörbar. Im zweiten Satz geht es zunächst so weiter, mir fällt auf einmal Gustav Mahlers Sechste Symphonie ein wie sie jahrelang gespielt wurde, mit dem Scherzo nach dem ersten Satz, das so unerbittlich weiter marschierte, wie hier die Musik zu Beginn unerbittlich weiter geht. Sie wird aber elegischer und endet nicht so heftig. Die Welt öffnet sich für ein inniges Seelendrama, für den Trost des Adagiosatzes. Aber dem Komponisten sitzt der Schmerz zu tief, dunkel, treibend, sehr ernst, schmerzerfüllt, aufwühlend zieht noch das Finale vorbei. Ich habe hier „den anderen Mendelssohn“ gehört (mit dem beherzten Heschel Quartett, über dessen engagierte Aufnahme ich mich sehr freue), und zumindest dieses op. 80 möchte ich ab sofort zu den großen, ganz großen, unsterblichen Werken der Streichquartettliteratur zählen.
Herzlicher Gruß
Alexander