Beiträge von Sixtus

    Nach einer angemessenen Schamfrist von zehn Tagen (und ein ganzes Jahr älter und weiser geworden!) habe ich mir die Reaktionen auf meinen Abschied zu Gemüte geführt. Es ist mir ein Bedürfnis, den Verfassern dieser Beiträge, die fast ausschließlich von ehrlichem Wohlwollen zeugen, ganz herzlich zu danken.


    Ich wünsche euch allen, dass ihr auch ohne mein Zutun (oder erst recht!) weiterhin lebendige Diskussionen habt. Und ich werde eure Argumente auch in Zukunft zur Kenntnis nehmen. Ob ich die diversen Ratschläge befolgen werde, kann ich nicht versprechen - und will es auch niemandem androhen. Aber der Teufel ist ein Eichhörnchen!


    Alles Gute wünscht euch, mit herzlichen Grüßen, Sixtus!


    Dir, lieber Don Gaiferos (Beitrag 148) empfehle ich als "Landsmann", dich um die verwaiste Stelle als Merker-Rezensent für Saarbrücken zu bewerben. Als ich letzten Sommer aufhörte, fragte mich die Pressereferentin, ob ich einen Nachfolger wüsste. Frag einfach bei der Chefredaktion in Wien an (Frau Dr.Pfabigan, Adresse im Impressum vorletzte Seite) und schicke am besten eine Probe-Rezension mit. Ich werde sie auf deine Anfrage vorsorglich vorbereiten. Bonne chance!


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Dass dieser Thread, den ich als Informationsaustausch und Defizit-Verringerung gedacht hatte, so gänzlich aus dem Ruder gelaufen ist (teils weil kaum Informationsbedarf besteht, teils aus reiner Verwilderung bei der Fokussierung auf Themen), erleichtert mir das, was ich ohnehin aus altersbedingten gesundheitlichen Rücksichten vorhatte, jetzt endlich und endgültig zu tun: Ich steige aus dem Tamino-Klassikforum aus.
    Ich habe mich zweimal überreden lassen, weiter zu machen, und niemand kann behaupten, dass ich es dabei an Intensität habe fehlen lassen. Aber weder mein Nervenkostüm noch mein Blutdruck empfehlen mir, dies noch länger durchzuhalten. Ich habe mir diesbezüglich meinen Ruhestand, wie ich glaube, redlich verdient.
    Ausdrücklich möchte ich mich bei Alfred bedanken, der sich mir gegenüber immer fair und großzügig verhalten hat.
    Auch denen, die mit mir oft einer Meinung waren (wie ich glaube, aus guten Gründen), danke ich für manche wohltuende Unterstützung. Ich fand es nur schade, dass ihr euch zuletzt ziemlich auf eure internen Mailkontakte zurückgezogen und mich dadurch weitgehend im Opernforum zum anstrengenden Einzelkampf verurteilt habt. Ich habe eure diesbezüglichen Texte, die ihr mir ja auch zugestellt habt, alle wohlwollend gelesen. Ich fand es nur übertrieben, dass ihr einander als Freunde betrachtet. Daran habe ich mich nicht beteiligt, weil Freundschaft für mich mehr ist als Interessengemeinschaft unter Leuten, die einander kaum kennen. Aber ich wünsche euch weiterhin mehr Freude als Frust im Forum!
    Einer anderen Gruppe fühle ich mich auch verbunden: den wenigen Frauen im Forum. Eure Beiträge waren meistens substanziell ergiebig und dabei von wohltuender Ausgeglichenheit. Es bewahrheitet sich hier, dass Männern allzu oft der Ellbogen im Wege steht. (Ich nehme mich selber davon nicht aus.)
    Unter den übrigen Forianern gab es leider auch einige, an denen ich weniger Freude hatte (und sicher umgekehrt). Am schlimmsten fand ich diejenigen, die (nicht nur) bei meinen Beiträgen regelmäßig darauf zu warten schienen, dass mir ein Fehler unterläuft - und dann, moskito-gemäß, zustachen. Am liebsten im Rudel. Ich konnte fast die Uhr danach stellen. Groteskerweise haben sich grade diese Heckenschützen blumige Namen gegeben (wie einst im Poesiealbum). Leider haben sie oft meine differenzierten und sachlich begründeten Urteile überhaupt nicht verstanden und mit Schimpfnamen belegt wie Schubladendenken oder Rechthaberei. Aber gegen Begriffsstutzigkeit kämpfen Götter selbst vergebens.
    Trotz alledem: Ich wünsche Alfreds Forum weiterhin gutes Gedeihen und - besonders seinen Opernfreunden - gute Nerven.
    Meine eigenen Nerven freuen sich schon auf ihren Ruhestand.
    Gehabt euch wohl! Sixtus

    Von der gestrigen MET-Aufführung gab es ja neben der Kino-Übertragung auch eine von mehreren Sendern ausgestrahlte Rundfunkübertragung, die ich mir angehört habe. Mein besonderes Interesse galt der Besetzung des Miller mit Placido DOMINGO, der sich inzwischen, nach langer glorreicher Tenorkarriere, auch die wichtigsten Baritonpartien Verdis angeeignet hat. Und das mit Riesenerfolg. Deshalb wollte ich es, nach langer skeptischer Zurückhaltung, jetzt genau wissen, ob diese Erfolge einer rein akustischen Prüfung standhalten.
    Ich habe Verständnis dafür, dass ein solcher Sänger auch die großen Vaterfiguren Verdis interpretieren will. Dazu besitzt er auch eine enorme Bühnenpräsenz und große musikalische und stilistische Begabung. Er erfüllte die Partie mit starkem Ausdruck und großer Sicherheit, was sich auch beim bloßen Hören erkennen ließ. Was er ihr schuldig blieb (bleiben musste), war das charakteristische dunkle Edelmetall eines echten Baritons. Stattdessen hörte ich den indifferenten Klang eines altgewordenen Tenors, der über eine erstaunlich volle Mittellage und Tiefe verfügt. Was fehlte, war das dafür charakteristische TIMBRE. Dadurch klangen seine Passagen zwar voll, aber wie in einem klanglichen Niemandsland.
    Wie Verdis Charaktere klingen können (und, wie ich meine, sollten), führten seine Partner vor, allen voran der Rodolfo von Pjotr BECALA und die Luisa von Sonya YONCHEVA. Hier stimmte alles: Stimmschönheit, Volumen, professionelle Technik - und Timbre. Das war Verdi, wie der es sich gewünscht hätte.
    Dass die Vorstellung zu einem großen Abend wurde, verdankte sich auch der erstaunlichen Leistung des Dirigenten Bertrand DE BILLY, der anstelle des vorgesehenen Levine die Produktion souverän leitete - angesichts der Schwierigkeiten, die dieses Scharnierwerk zwischen dem Galeeren- und dem reifen Verdi darstellt, keine geringe Leistung.
    So wurde der Opernabend am Radio doch noch zu einer runden Sache.
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Es muss doch schön sein, wenn zwei Rumpelstilzchen sich gegenseitig die vergifteten Pfeile reichen und bei anderen auf fehlerhafte Informationen lauern, um sie dann pünktlich, prompt und zuverlässig abzuschießen.
    Ich habe nie behauptet, lückenlose Informationen zu besitzen. Zu den Sammlern und Zählern von Erbsen gehöre ich nicht. Ich habe Wichtigeres zu tun. Und bei der Schließung von Lücken kann man auch mit weniger Häme behilflich sein. Aber dazu gehört ein Mindestmaß an Fairness und Großzügigkeit.

    Zu meinen Anmerkungen zur Salzburger Tosca habe noch zwei Ergänzungen:
    Bei Thielemann (den ich als Dirigent sehr schätze) braucht man sich hinsichtlich des Umgangs mit Regisseuren bald über nichts mehr zu wundern, wenn man sein Verhalten in Bayreuth vor Augen hat. Ich sage nur: Katharina Wagner, für mich der Inbegriff des Niedergangs von Bayreuth, was sich auch im drastischen Rückgang des Kartenverkaufs niederschlägt. Und er, der musikalische Hüter des Meisters, macht alles mit, lässt sich alles bieten. Dass er sich auch in Salzburg alles überstülpen lässt, war fast zu erwarten.
    Was die Besetzung betrifft, so sind es zwar klingende Namen, aber ohne Rücksicht auf die Partie ausgewählt:
    Anja HARTEROS, eine wunderbare Sängerin, aber nie im Leben eine Diva, ohne die die Tosca aber nicht auskommt. Sie hat mir in der Partie richtig leidgetan. Man sah ihr an, dass sie sich nicht wohlfühlte.
    A. ANTONENKO war ein passabler Otello, aber für den Cavaradossi ist die Stimme nicht schön und flexibel genug. Bei "I dolci mani" im 3.Akt wurde mir frostig zumute. Ein Steh-Tenor.
    Und Ludovic TÉZIER ist ein Legato-Sänger, ein sehr guter Posa und Luna. Zwar schadet es dem Scarpia nicht, wenn er auch Legato singen kann; aber er braucht eben auch die cholerischen Ausbrüche, und die blieb er schuldig.
    Falls Thielemann für die Engagements zuständig war, gehört er auch zu den Dirigenten, die wenig vom Singen verstehen. Aber da ist er in großer Gesellschaft. Dass er aber auch die Kindersoldateska ausgehalten hat, spricht nicht für seine Sensibilität.
    Das wollte ich zu der missratenen Tosca nachtragen. Das war sogar zu merken, wenn man die Übertragung nur punktuell verfolgt hat.
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Es lässt sich offenbar nicht vermeiden, dass man beim Austausch von Meinungen und Argumenten aneinander vorbeiredet.
    Das lässt sich nur zum Teil durch neue Beiträge aus der Welt schaffen - und wenn es dann auch noch mit Begriffsstutzigkeit oder gar Bosheit angereichert ist, dann ist der Frust komplett, und es vergeht einem die Lust weiterzumachen.
    Es ist ja sicher nicht verborgen geblieben, dass sich zur Zeit mindestens ein halbes Dutzend Teilnehmer zurückgezogen haben und nur noch untereinander per Mail kommunizieren. Ich weiß das deshalb, weil ich diese Mails auch bekomme. Ich lese sie alle. Aber ich bitte diese Teilnehmer um Verständnis, wenn ich nicht reagiere. Mir ist das alles zuviel, und ich habe auch noch ein Privatleben außerhalb der Oper.


    Ein aktuelles Ereignis möchte ich hier gern erörtern, ohne damit in den dafür vorgesehenen Thread zu gehen, weil mir dazu die Informationen nicht ausreichen - und weil ich auch etwas persönlich Erlebtes, aber Grundsätzliches ansprechen will:


    Die gestrige Salzburger Fernseh-Tosca habe ich ja dem Berliner Rundfunk-Tristan geopfert. Zunächst schweren Herzens, doch dann konnte ich nicht widerstehen und arrangierte mich so: Ich nahm den Tristan in meinem Zimmer auf - und überredete meine Frau, im anderen Fernseher (im Wohhnzimmer) einigemale von ihrem Spielfilm auf die 3Sat-Tosca umzuschalten. Als Resultat gelangen mir folgende Treffer:
    Am Ende des 2.Akts hangelt sich der tote Scarpia an seinem Schreibtisch wieder hoch, bevor der Vorhang fällt. Ich dachte: Aha, ein neues Stück!
    Zu Beginn des 3.Akts erblicke ich einen bewachten Knaben-Schlafsaal u.a. mit dem Hirtennaben, der da zu singen hat. Ich vermutete: Kndesmissbrauch! Das stimmte zwar, aber anders, als ich dachte. Denn am Schluss waren es Kindersoldaten, die im Schlafsaal bewacht wurden, und sie wurden als Erschießungskommando eingesetzt. Und Thielemann hat das nicht verhindert!
    Spätestens jetzt wird verständlich, warum ich seit dem Ende meiner Merker-Rezensionen letzten Sommer um Opernaufführungen einen Bogen mache...
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Es gibt nicht nur herausragende Aufführungen, sondern auch Rundfunkmitschnitte, die von der Aura das Außergewöhnlichen umweht sind. Einen solchen Mitschnitt durfte ich gestern Abend auf Deutschlandfunk Kultur erleben.
    Natürlich war auch diese Tristan-Aufführung nicht perfekt - was ist schon perfekt? Man hörte von Indispositionen bei Marke, sogar bei Isolde. Doch die Aufführung stand dennoch unter einem guten Stern. Sein Name: Daniel BARENBOM.


    Ich habe selten ein so lebendiges, ja spannendes Orchestervorspiel erlebt. Zum Atem-Anhalten! Die Motive kamen so selbstverständlich aus dem Graben, dass ich wie in einem Sog gefangen war. Das versprach einen Abend der Sonderklasse. Und das Versprechen wurde eingelöst: Barenboim hatte ein handverlesenes Solistenensemble zur Verfügung. Angeführt von der Isolde der Anja KAMPE, deren Indisposition wie weggeblasen schien. Nur ein paar verkürzte Spitzentöne waren zu hören. Aber wie sie die (für sie neue!) Riesenpartie nicht nur in ihrem ganzen Farbenreichtum bewältigte, sondern erlebte, durchdrang und in jeder Nuance Isolde war, das fesselte auch beim bloßen Hören so stark, dass ich die Bühne keinen Augenblick vermisste.
    Dass ihr dies gelang, ist vor allem dem Dirigenten zu verdanken, der einen seiner ganz großen Abende hatte. Er trug die Sänger geradezu auf Händen, machte ihnen das Singen leicht, riss sie mit. Aber auch ihre Partner machten es ihr leicht, ihre Prachtstmme ganz in den Dienst der irischen Maid zu stellen:
    Andreas SCHAGER war von Beginn an ein stimmlich glanzvoller und ausdrucksstarker Tristan, der auch den explosiven Orchesterwogen des 3.Akts mühelos standhielt. (Und das ist derzeit nicht wenig.) So wurde das große Liebesduett, von beiden in der Ekstase wie in der Intimität partiturgerecht ausgesungen, zu einem Höhepunkt des Dramas.
    Auch die anderen Partien waren nicht nur respektabel, sondern eindrucksvoll besetzt: Ekaterina GUBANOVA steuerte ihre mühelos gesungene, berührende Brangäne bei, und Boaz DANIEL bewährte sich als ebenso kerniger wie schön singender Kurwenal. Den Reigen der vorzüglichen Protagonisten vervollständigte Stephen MILLING mit voluminösem und differenziert eingesetzem Bass. Es gelang ihm sogar, mit seiner Indisposition im letzten Akt den Orchesterwogen standzuhalten - wie wenn er die traumhaft schöne Vorstellung nicht beschädigen wollte.
    Bei Isoldes Liebestod hatte ich ein Gefühl, das mich selten ergreift: Ich schien vom Boden abzuheben. Dafür geht mein Dank nach Berlin!


    Das war mein tiefer Eindruck von der akustischen Seite des Berliner Tristan. Die optische kann / muss ich nicht beschreiben. Aber was ich an Bildern gesehen habe, wollte dazu überhaupt nicht passen.


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Worum es mir in meinem Beitrag 106 ging:
    Ich halte es für wichtig, dass wir uns nicht in Einzelheiten und Nebensächlichkeiten verzetteln, sondern das Grundsätzliche und Wesentliche im Auge behalten. Das habe ich am Beispiel Applaus deutlich zu machen versucht - mehr nicht.
    Wem diese Haltung nicht zusagt, braucht ja an meinem Thread nicht telzunehmen.


    Jetzt werde ich erst mal an der dafür vorgesehenen Stelle meinen akustischen Eindruck vom Berliner Tristan wiedergeben. Später dann hier mehr zum Thema.
    Sixtus

    Als ich diesen Thread angestoßen habe, hatte ich im Sinn, einen Frageplatz oder Informationsstand für neuere Teilnehmer zu installieren, die über bestimmte Fragen Klarheit erlangen oder Wissenslücken schließen wollen.
    Doch das war wohl eher ein Schuss in den Ofen. Stattdessen tummeln sich jetzt hier Experten und solche, die sich dafür halten, um sich - und da staune ich nochmals: um sich darüber zu unterhalten, ob Operninszenierungen mit Fernsehserien Gemeinsamkeiten haben (dürfen) - oder ob, wann, wo, wie lange nach dem 1.Akt Parsifal geklatscht wurde.
    Ich denke, dass wir uns darüber einig sind, dass Opern und Fernsehserien von zwei verschiedenen Welten kommen. Und was den Applaus betrifft, da dürfen wir doch als bekannt voraussetzen, dass das Applausverbot bei Parsifal auf ein Dogma von Cosima zurückgeht, die nicht frei von Bigotterie war. Wagner hätte darüber nur gelacht. Schließlich war er ganz und gar Theatermensch.
    Was mir wichtig erscheint: Es gibt Arien, deren effektvoller Schluss nach Applaus schreit (z.B. Beethovens Arie der Leonore) und andere, deren Nachspiel im Nichts versinkt (wie die von Florestan), wo Applaus eher unpassend wäre - und auch meistens unterbleibt.
    Ich hoffe, dass diese Bemerkungen nicht als Gängelung empfunden werden. Aber mir scheint es nicht unwesentlich in einer Diskussion, dass wir Wichtiges und Unwichtiges auseinanderhalten.
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Beim Schmökern fiel mir mal wieder auf, dass immer wieder sehr viel Energie in Probleme investiert wird, die meiner Meinung nach keine sind. Die ursprüngliche Lust, mich an dem Thema zu beteiligen, vergeht mir dann, weil ich den Eindruck habe: Man beißt sich an Nebensächlichkeiten fest, man streitet um des Kaisers Bart.
    Aktuelles Beispiel: In Chrissys Thread über die neue Bohème in Liberec hat man Mimi das Sterbebett vorenthalten. Sie haucht ihre Seele auf einem Stuhl aus. Das wird ausführlich kommentiert und diskutiert.
    An solchen Bagatelldebatten will ich mich nicht direkt beteiligen, aber etwas Grundsätzliches dazu anmerken. Deshalb tue ich das an dieser Stelle:
    Wer mich kennt, kann sich denken, dass ich Mimi ihr Bett gönne. Aber wenn die Regisseurin sie auf einen Stuhl verbannt, tritt sie Puccini und seinen Librettisten nicht ans Schienbein. Da gibt es Wichtigeres. Die Aufführung war einfach im Ganzen gelungen, lieber Christian, wenn ich dich richtig verstanden habe. Mit der kritischen Erwähnung des Stuhles hast du unnötigerweise schlafende Hunde geweckt - und zwar auf beiden Seiten des RT-Schützengrabens. (Womit ich weder die Verfechter der einen noch die der anderen Seite als Hunde bezeichnen will). Aber du hast, sicher ungewollt, eine Debatte losgetreten, die wieder unsachliche Angriffe hervorgerufen hat. Dabei glaube iich herausgelesen zu haben, dass dir die Aufführung einfach gefallen hat.
    In solchen Fällen plädiere ich dafür, fünfe grade sein zu lassen und solche Petitessen zu vernachlässigen, um unnötige Gereiztheit zu vermeiden.
    Ich glaube, da gibt es über den Berliner Tristan Grundsätzlicheres zu diskutieren. Da ist nämlich nicht nur ein Stuhl auf der Bühne, sondern ein ganzes Sessel-Foyer auf einem Schiff, das nur dazu dient, Irlands Prinzessin nach Cornwall zu befördern. Und dieses Interieur passt nun überhaupt nicht auf das Deck eines Schiffs, das menschenunwürdige Transporte tätigt. Übermorgen wird im Rundfunk (Deutschlandfunk Kultur) ein Mitschnitt dieser Produktion gesendet. Weil mich die Besetzung lockt, werde ich mir das anhören - und über diesen ausschließlich akustischen Eindruck berichten. Ich hoffe, dass ich dabei vor meinem geistigen Auge mehr sehe als Sessel mit gelangweilten Schiffspassagieren.
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Die Missa da Requiem wird gelegentlich, je nach musikalischer Sozialisation des Rezipienten, als für ein geistliches Werk zu opernhaft - oder aber, liebevoll-ironisch, als Verdis schönste Oper bezeichnet. (Letzterem Titel schließe ich mich gern an.)
    In neuerer Zeit finden wir das Werk, wie viele andere, als dankbares Objekt für Ballettensembles auf den Opern- und Konzertspielplänen vor. So auch in einer Produktion von Oper und Ballett Zürich aus dem Jahre 2015, deren Mitschnitt gestern auf 3SAT im Fernsehen gesendet wurde.
    Als Ballett-Abstinenzler enthalte ich mich des differenzierten Berichts über das optische Geschehen. Was mich verlockte, den Mitschnitt anzuschauen, war die musikalische Seite der Aufführung. Und das musste ich nicht bereuen.
    Fabio LUISI war von Beginn an Herr des Geschehens. Als intimer Kenner des Werkes führte er Chor und Orchester der Oper Zürich instinktsicher durch Höhen und Tiefen dieses grandiosen geistlichen Musikdramas und lotete die gewaltige dynamische Bandbreite vom zarten ppp bis zum donnernden fff restlos aus. Proporzionen und Tempi kamen mit großer Natürlichkeit wie von selbst zustande.
    Das sorgsam ausgewählte Solistenensemble war von seltener Homogenität:
    Krassimira STOYANOVA entfaltete ihren reichen Sopran in intimer Lyrik wie in dramatischen Ausbrüchen gleichermaßen unangestrengt; Veronica SIMEONI wusste ihren wohlkingenden Mezzo wirkungsvoll einzusetzen und war in den Ensembles auf dezente Art präsent.
    Francesco MELIS Tenor besitzt ein kostbares Timbre und eine sichere Technik, die seiner exponierten Partie zugute kam. Und Georg ZEPPENFELD konnte seinen noblen Bass sowohl belcantesk führen als auch gewaltig ausladend einsetzen.
    Alles in allem eine makellose Aufführung, bei der sich die Teile wie von selbst zum Ganzen fügten. Es fehlte nichts.


    Und doch gab es noch mehr: Das Ballett Zürich in der Choreographie und Regie von Christian SPUCK. In Ermangelung von Fachkenntnissen kann ich nur sagen: Wunderbar getanzt - und auch Chor und Solisten professionell geführt. Doch das Beste schien mir: Es störte nur selten; aber es hätte nichts gefehlt, wenn es unterblieben wäre. Andere mögen das anders sehen, mir genügt Verdi pur.
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Apropos Hammel:
    Lieber Rüdiger, da böte sich an, eine Rangliste der schönsten deutschen Wörter aufzustellen, die von Sängern versehentlich neu geschaffen wurden und werden. Als erstes fällt mir ein: Man tääte dieses Weib!
    Es fragt sich nur, ob eine solche Sammlung im Sinne eines Opernforums wäre. Immerhin könnte die Übung manchen hier von Häme-Attacken gegen unliebsame Kollegen ablenken. Damit wäre wieder einiges gewonnen. Es besteht nur die Gefahr, dass wir im Übermaß der neckischen Rankingspielchen ersticken.
    Bedenken will ich´s; wer weiß, was ich tu... meint diesmal Sixtus

    Lieber Fiesco,
    an der Nasenspitze sehe ich den Sängern nicht an, ob sie wissen, was sie singen. Aber der Gesichtsausdruck gibt manchmal schon Aufschluss darüber, ob sie den Text richtig verstanden haben.
    Bei Catharina Ligendza (um bei deinem Beispiel zu bleiben) hatte ich daran nie einen Zweifel. Und in einem kurzen Gespräch mit ihr über ihre Stuttgarter Isolde (in Ölbronn) hat sie mich vollends davon überzeugt, dass sie sowohl den Text als auch die Musik sehr wohl zusammen, als Einheit, interpretieren kann.
    Es kommt auch immer auf die Persönlichkeit an, die auf der Bühne steht - meint Sixtus

    Ja, die Vokalverfärbungen sind ein weites Feld. Wenn Agathe den Himmel zum Hammel macht - oder Brünnhilde ihren Siegfried mit Sagfried ansingt, dann fragt man sich schon manchmal, in welcher Sprache hier gesungen wird. Und zwar nicht nur in einer fremden, sondern auch in der eigenen Sprache.
    Das hat natürlich stimmtechnische Gründe. Sowas passiert bei hohen Tönen, die auf den Vokal i schwer zu produzieren sind. Auch das u macht in der hohen Lage oft Schwierigkeiten. Von Wotan hört man häufig "Zu viel begehrst du, zu viel der Gonst!". Oder wenn Gunther im 2.Akt beim Auftritt nervös wird, liegt es meistens daran, dass er vor der Stelle zittert "Zu höchstem Rohm rag es nun auf!"
    Die Sänger wollen bei diesen engen Vokalen trotzdem möglichst viel Klang produzieren und weichen auf breitere, offenere Vokale aus - auf Kosten der Textverständlichkeit. Tun sie das aber nicht, versteht man zwar mehr vom Text, aber der Klang erleidet Einbußen. Es klingt dann manchmal fast wie gesprochen.
    Man könnte Sänger, die an diesen Stellen auffallen, beinahe unterscheiden in Klangfetischisten und Sprachfetischisten. Überspitzt gesagt: Die einen röhren ihre Partie, die anderen sprechen auf der richtigen Tonhöhe.
    Was hilft dagegen? Schwer zu sagen - am ehesten Verbesserung der Gesangstechnik (und Intelligenz!).
    Die menschliche Stimme ist einfach ein kompliziertes Instrument - meint Sixtus

    Grundsätzlich bevorzuge ich zwar die Originalsprache, weil sie auf die Musik zugeschnitten ist, während Übersetzungen immer Kompromisse mit der Musik eingehen. Aber ich gebe dir recht, wenn es sich um selten gespielte Stücke handelt - und vollends in Sprachen wie Russisch oder Tschechisch.
    Aber mein Vorstoß zielt in eine andere Richtung: Wenn ich merke, dass sich ein Sänger in der gesungenen Sprache nicht wohl fühlt und / oder mit der Aussprache nicht zurecht kommt, fühle ich mich als Zuhörer auch nicht wohl. Man merkt es manchmal den Gesichtern an, ob der gesungene Text wirklich verstanden wird.
    In solchen Fällen hat es an der Sorgfalt bei der Auswahl der Sänger gefehlt - oder an der sprachlichen Vorbereitung mit einem Coach. Eine gue Vorbereitung zahlt sich immer aus, und die Sänger freunden sich mehr und mehr mit der fremden Sprache an. Ein Theater kann das leisten, wenn es die Stücke ernst nimmt - meint Sixtus

    Anlässlich der Rundfunkübertragung der "Elektra" aus der MET hatte ich die Fragwürdigkeit des Umgangs mit dem deutschen Text angesprochen, der oft von Sängern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, nur phonetisch gelernt wird, auf ihre Partie bezogen. Das Resultat fällt dann, je nach Sprachbegabung der Sänger, sehr unterschiedlich aus.
    Bei den komplizierten Texten in den Musikdramen von Wagner - oder auch bei den poetischen Hofmannsthal-Texten in den Strauss-Opern - kommt dabei oft ein nur bedingt verständliches Deutsch heraus, worunter die Kommunikation des Sinns empfindlich leidet. Hinzu kommt die Schwierigkeit, mit der Stimme über ein Riesenorchester zu dringen. Beim Publikum kommt dann ein klanggesättigtes Kauderwelsch an. Manchen genügt das; aber mit der Aussage des Werkes hat das manchmal nur noch wenig zu tun.
    Die großen Opernhäuser haben zwar spezielle Sprachcoatchs, die das Schlimmste verhindern, aber im flächendeckenden Opernbetrieb reicht das nicht aus. Das gilt erst recht für originalsprachige Aufführungen in Französisch, Tschechisch oder Russisch, bei denen keine muttersprachlichen Sänger zur Verfügung stehen. Lediglich Italienisch als primäre Opernsprache schneidet hier besser ab.
    Hier wäre die Möglichkeit, Anregungen zur Verbesserung dieses Missstands zu diskutieren. Vielleicht werden sie sogar von einigen Verantwortlichen in den Theatern gelesen.
    Ich beginne mit einer ersten Anregung: Bei der Planung und Vorbereitung einer Oper, die solche Schwierigkeiten bietet, sollte die Theaterleitung vor dem Probenbeginn dafür sorgen, dass die Besetzung entweder die muttersprachliche Eignung der Sänger prüft - oder für geeignete Gäste sorgt, deren sprachliche Kompetenz der Partie entspricht.
    Wer hat weiterführende Ideen?
    Aufmunternde Grüße von Sixtus

    Was die Elektra der Christine Goerke betrifft: Im Interview mit ihr, vor der Übertragung, hörte sich das so an, dass sie mit der Partie noch in der Erprobungsphase ist. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu überprüfen - oder lückenlos ihre Vorstellungen in der Partie zu kennen. Umso besser, wenn mir da ein anderer souffliert. Danke!


    Auf den Schluss-Applaus verlasse ich mich schon lange nicht mehr. Ich habe zu oft erlebt, dass der ziemlich undifferenziert ausfällt. Und der übliche Applauszirkus ist ohnehin Bestandteil der Inszenierung, vor allem um den Erfolg zu manipulieren.

    Leider muss ich meinen hoffnungsfrohen Hinweis auf diese Aufführung, die ich auf BR Klassik mitgehört habe, nach dem Hören ein paar Nummern keiner machen.
    Von den Sängern der Hauptpartien blieb nur die Klytämnestra der Michaela SCHUSTER als rollendeckende Interpretin bestehen. Sie setzte ihren voluminösen und klangreichen Mezzo differenziert und effektvoll ein und blieb auch im Ausdruck der zerstörten Frau nichts schuldig. Eine runde Leistung!
    Die beiden anderen Damen schlugen sich mit ihren offensichtlich für sie neuen Partien wacker, aber nicht immer im Sinne der Autoren: Elza VAN DER HEEVER zeigte als Chrysothemis eine strahlende Höhe, hatte aber Probleme, die heikle Partie auch textverständlich über das Orchester zu bringen. Manches geriet ihr nur mit Anstrengung. Das gilt auch für die Sängerin der Titelpartie, Christine GOERKE, deren Vibrato eine Spur zu deutlich ausfiel und deren Spitzentöne nicht nur oft scharf, sondern auch eine Spur zu tief gerieten. So war das Zuhören nicht nur reine Freude.
    Der Orest von Mikhail PETRENKO besitzt die passende Stimme für die düstere Partie: dunkel im Klang, fest fokussiert. Doch sein Deutsch klang wie mechanisch einstudiert. Ähnlich verhielt es sich beim Ägisth von Jay Hunter MORRIS. stimmlich solide, aber verbesserungswürdig in der Artikulation. Überhaupt ist es problematisch, wenn die anspruchsvollen Wagner- und Strauss-Texte von Sängern gesungen werden, die diese Sprache erst mit dem Studium der Partie lernen. Es klingt wie phonetisch auswendig gelernt.
    Am Pult stand der designierte Orchesterchef der MET, Yannik NÉZET-SEGUIN. Er leitete das Riesenorchester ambitioniert und versuchte sogar, Transparenz zu erreichen - meistens mit Erfolg und zum Nutzen für die Sängerinnen. Doch es blieben noch Steigerungsmöglichkeiten.
    Insgesamt eine gemischte Bilanz - meint Sixtus

    Wer die Beiträge 42 bis 50 in diesem Thread liest, kann sich selbst ein Bild davon machen, was mir schon lange auffällt:


    Hier wartet jemand nur darauf, dass er Meinungen und Haltungen, die mit seinen eigenen nicht übereinstimmen, attackiert, indem er den Verfasser verunglimpft - und zwar nicht nur in diesem Thread. Sein Lieblingspfeil heißt Schubladendenken - egal ob es passt oder nicht.
    Ich vergleiche gern, wenn ich über Sänger spreche, weil Vergleiche anschaulich sind. Zutreffende Urteile kommen nun mal am ehesten aus dem Vergleich.
    Wenn ich eine Partie einmal optimal erlebt habe, dann fallen Vergleiche zuungunsten anderer Interpreten aus. Wenn diese Methode immer wieder als Schubladendenken des Verfassers verunglimpft wird, dann ist es, wie ich meine, an der Zeit, dass der Schütze dieser Giftpfeile einmal zur Ordnung gerufen wird. Wenn nicht, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn künftig nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen. Genau das werde ich ab sofort tun.
    Ich hoffe, dass diese Notwehrreaktion keine weiteren Kreise zieht - und grüße alle kooperativen Kollegen herzlich.
    Sixtus

    Woher? Aus New York!


    Wann? Heute Abend, 19 Uhr


    Wo? Auf BR Klassik und Deutschlandfunk Kultur. (Aber diesmal nicht im Kino)


    Zur Besetzung: Mir sind nur Michaela Schuster und Mikhail Petrenko geläufig.
    Aber der MET darf man zutrauen, dass sie auch die anderen beiden Damen erstklassig besetzt.


    Es dirigiert der designierte Chef Jannik Nézet-Séguin.


    Man darf also gespannt sein.

    Nein, ich habe das nicht live erlebt.
    Ich gehöre nicht zu denen, die alles erlebt haben müssen, um sich ein Bild zu machen.
    Ich weiß, dass Fischer-Dieskau auf der Bühne alle Skeptiker beschämt hat mit seiner enormen Bühnenpräsenz. Das habe ich am Beispel seines Mandryka in München selbst erfahren.
    Das ändert aber nichts daran, dass die Stimme in Farbe und Volumen weder dem Sachs entspricht, wenn man Ferdinand Frantz oder Paul Schöffler im Ohr hat - noch dem Mandryka, wenn man an George London denkt. In seinen Opernpartien klang immer ein Stück Wolfram mit, und das geht nicht immer ohne Rest auf.
    Der Beckmesser hätte ihm sicher sehr gut gelegen. Aber der passte wohl nicht in sein Karriere-Schema - meint Sixtus.

    Keine Frage, lieber Zweiterbass,
    die formelhafte Melodieführung kommt noch zu den von mir genannten Merkmalen hinzu, um die Figur zu charakterisieren.
    Als Ganzes entsteht dann ein Charakter, der zwischen den Facetten rechthaberisch, fanatisch und paranoid einerseits - und unfreiwillig komisch bis lächerlich und peinlich andererseits changiert.
    Nur eine Eigenschaft würde ich als verfehlt ansehen: liebenswürdig oder gar charmant. (Da würde Eva protestieren!)
    Zu den idealen Interpreten würde ich zählen: Karl Schmitt-Walter (oft erlebt!) - und Heinrich Pflanzl (in der Knappertsbusch-Einspielung mit Ferdinand Frantz als Sachs eindrucksvoll dokumentiert). Auch Thomas Allen ist ein heißer Kandidat. Jeder deckt andere Facetten der Figur ab.
    Dass Fischer-Dieskau die Partie nie gesungen hat, lag wohl hauptsächlich daran, dass er den Sachs singen wollte. Hat er ja auch, aber nach meiner Einschätzung zu dozierend anstelle von gemütvoll - und mit zu wenig Volumen.
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Weil ich das Schmökern in alten Threads nicht lassen kann (und weil mich aus naheliegenden Gründen die Figur des SIXTUS Beckmesser fasziniert, gebe ich, beinahe zwölf Jahre post scriptum, auch noch meinen Senf dazu.


    Ich schicke voraus, dass ich
    vor über einem halben Jahrhundert als Gesangsschüler im Sonderchor der Stuttgarter Oper über mehrere Jahre bei allen Meistersinger-Aufführungen auf der Festweise als Volk dabei war;
    die Partie des Beckmesser gründlich studiert habe;
    in meinen Regalen dieses Werk mehrfach stehen habe -
    und keine Gelegenheit versäume, mir diese Oper in Rundfunk- und Fernseh-Mitschnitten anzusehen.


    Zu den Beiträgen dieses Threads, die fast alle interessant finde (außer der Nr.25, die mir weit hergeholt und abwegig scheint), möchte ich grundsätzlich nichts Neues hinzufügen. Sie decken die vielen Facetten der Figur erschöpfend ab.
    Nur eines gebe ich zu bedenken: Wagner hat die Tessitura dieser Partie so gehalten, dass sie für einen Bassbuffo zu hoch liegt. Aber für einen lyrischen Bariton ist sie nicht kantabel genug. Und das scheint von Wagner so gewollt zu sein.


    Jürgen Kesting hat das so gedeutet (und wohl auch Wagners Schriften entnommen), dass der Sänger die hohen Töne zwar erreichen soll, aber eben nur erreichen und nicht schön aussingen, damit die Anstrengung hörbar wird. Und dadurch entsteht die Wirkung einer unfreiwilligen Komik. Beckmesser wird zum Möchtegern-Intellektuellen, zur tragikomischen Figur. Und nur ein Darsteller, der dies mit seiner Stimme glaubhaft machen kann, trifft den Kern dieses Charakters: weder Hanswurst noch Belcantist, sondern ein verbitterter, in Sachen Erotik vollends unbedarfter, verknöcherter Spießer.
    Ich meine, diese Auffassung ist erwägenswert.
    Herzliche Grüße von SIXTUS

    Den delikatesten Schmiss auf der Bühne habe ich in einer Stuttgarter Tristan-Vorstellung erlebt:
    Martha Mödl, eine wunderbare Isolde, aber leider ohne sichere Höhe (sie war von Haus aus Mezzo), hatte einen guten Abend ohne Schmisse hinter sich. Wir hatten mit ihr um jeden Spitzenton gezittert und wollten schon aufatmen. Da riss ihr beim letzten Ton (höchste Lust!) die Stimme ab. Sie hatte sich wohl zu früh aus der Spannung entlassen, die dieser Schlussgesang braucht.
    Was René Kollo betrifft: Dass er beim Schmisse-Rekord nicht konkurrenzlos war, verdankte er seiner Gepflogenheit, jede zweite Vorstellung abzusagen (ich übertreibe!). Dadurch gelang es Siegfried Jerusalem, ihm ernsthafte Konkurrenz beim Kicksen zu machen. In einem konzertanten Lohengrin unter Solti in Stuttgart gelang es ihm aber, ihre Zahl mit einem bereitstehenden Glas Wasser (sicher medikamentös angereichert) in Grenzen zu halten.
    Der von dir, Hans, genannte Telramund Siegmund Nimsgern dagegen, mit dem ich befreundet bin, kann von sich behaupten (und tut das auch!), nie in seiner Sängerkarriere geschmissen zu haben. Gute Gesangstechnik macht´s möglich!
    In Saarbrücken ist es einmal einem Tenor gelungen, im Holländer Erics Cavatine im letzten Akt dreimal zu beginnen, weil er zweimal hintereinander an einem hohen A gescheitert war - und der Dirigent zweimal abgeklopft hatte. Rekordverdächtig!
    Die Anekdoten zu diesem Thema sind Legion...
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Lieber Hans Heukenkamp,


    ein Schmiss bei einem Sänger kann zweierlei bedeuten:
    Ein musikalischer Schmiss liegt vor, wenn ein Sänger falsch einsetzt (zu früh, zu spät) oder den Ton nicht trifft (zu tief, zu hoch) etc.
    Ein stimmlicher Schmiss ist, wenn ein (meistens hoher) Ton nicht erreicht wird und die Stimme überschnappt ins Falsett, was meistens nicht zu überhören ist.


    Ich bitte um Nachsicht wegen der verzögerten Auskunft.


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Noch eineige Bemerkungen zur Besetzung:
    Ich bin ein Verehrer von Leonie Rysanek. Aber als Elektra ist sie von ihrer stimmlichen Ausstattung her total daneben. Die Stimme ist ganz auf Klangvolumen ausgelegt, da fehlt die für diese Partie unabdingbare Härte, das Metall. Sie war eine wunderbare Chrysothemis und vieles andere (Kaiserin, Ariadne; Senta, Sieglinde...).
    Elektra muss anderthalb Stunden über ein hundertköpfiges Orchester singen. Das schaffen nur Stimmen von metallischer Durchschlagskraft wie Birgit Nilsson. Nachfolgerinnen gedeihen am besten in Schweden (Nina Stemme!). Weniger durchschlagskräftige (oder zu weiche) Stimmen werden unweigerlich zum Schreien verführt - oder gehen im Orchesterrausch unter.
    Dass eine Martha Mödl in ihrer guten Zeit diese Partie gesungen hat, verdankte sie vor allem ihrer enormen Ausstrahlung. Ihre Schmisse in der Höhe zählte man aber besser nicht. Als Klytämnestra dagegen war sie ein Elementarereignis.
    Der Orest ist zwar eine kurze, aber heikle Partie, die am besten bei einem Heldenbariton aufgehoben ist. Nicht aber bei Stimmen wie Fischer-Dieskau, der sie toll gestaltet hat, aber viel zu lyrisch war.
    Wenn alle Partien optimal besetzt sind, was selten vorkommt, dann ist Elektra ein Erlebnis - meint Sixtus

    Diese Oper scheint mir deshalb ein so schwer verdaulicher Brocken zu sein, weil sie, im Spannungsfeld von Belcanto-Seligkeit und Musikdrama, eine Position einnimmt, die fast ganz vom Drama beherrscht wird. Alles geschieht hier (oder geschieht nicht) unter Hochdruck. Nur wenige befreiende Momente erlösen den Hörer von diesem Druck, besonders die Erkennungsszene, die Elektra so lange herbeigesehnt hat - und die sich dann auch konsequent in konsonanter Harmonie verströmt. Ich kann mir diese Szene nicht in dissonanten Farben vorstellen.
    Ganz am Schluss, bei Elektras Freudentanz, kommt etwas davon wieder, aber logischerweise auf tödliche Art: ihr Lebensziel ist erreicht, ihre Reserven verbraucht. So tanzt sie sich stampfend zu Tode. Eine andere Art des Liebestods, von archaischer Gnadenlosigkeit. Davon musste sich Strauss mit dem Rosenkavalier erholen.


    Neulich fiel mir ein alter Opernführer von 1925 in die Hände (dem Uraufführungsjahr des Wozzeck!). Mit der Elektra war der Verfasser (Karl Storck) eindeutig überfordert. Er schrieb:
    "... Der gewaltige Stoff der alten Mythe ist aus der erhabenen Welt der Tragödie herabgezerrt ins Pathologisch-Perverse... daß durch eine derartige Auffassung in schlimmster Weise hohe Kulturgüter vernichtet werden..."
    Wie sich die Zeiten ändern! Der Autor konnte offenbar auch mit Sigmund Freud wenig anfangen, der hier aus allen Knopflöchern hervorlugt. Wie sollte er die Strausssche Nervenkontrapunktik angemessen einordnen?
    Diese Oper ist eines der letzten Beispiele dafür, wie zwar die Dissonanz für das Böse und Kranke eingesetzt wird, aber für das Positive ein Tabu bleibt. (Seit Schönberg geht es auch anders, aber da scheiden sich die Geister.)


    Ein Zugang zu diesem Drama ist meiner Ansicht nach am leichtesten möglich, wenn man den Einstieg über den Monolog der Elektra wählt: "Allein! Weh, ganz allein!" Der erschließt das ganze Elend dieser gequälten jungen Frau - und macht alles Folgende einsichtig.
    Viel Erfolg denen, die es versuchen, wünscht, mit herzlichen Grüßen - Sixtus

    Es war zu erwarten, dass sich hier die Geister scheiden: in die, für die Strauss hier einen Rückzieher gemacht hat (bis hierher und nicht weiter!) und sich der Modernisierung verweigert hat (was sie als Verrat am Fortschritt empfinden - und jene, die genau dies als Genugtuung empfinden, weil diese Haltung der Tonalität, und damt der Schönheit, Tribut entrichtet.
    Ich bekenne, dass ich zur zweiten Gruppe gehöre - und sehe, dass Amfortas sich zur ersten rechnet. Da aber erfahrungsgemäß zwischen beiden Gruppen eine Verständigung schwierig ist, schlage ich vor, keinen weiteren sinnlosen Kriegsschauplatz zu eröffnen, sondern die Tatsache, dass Strauss nach dieser Oper eine Notbremse gezogen hat, einfach zur Kenntnis zu nehmen, ohne die Standpunkte hier weiter gegeneinander auszuspielen.
    Strauss hat sich jedenfalls seine eigenen Gedanken darüber gemacht und (sinngemäß) gesagt: Da ich über den Gipfel Wagner doch nicht hinaus komme, kehre ich zu Mozart zurück. Das Resultat: Nach der Elektra schrieb der den Rosenkavalier. Ich bin froh darüber, andere können das bedauern.
    Mit dem musikalischen Fortschritt ist das so eine Sache wie mit dem Vogel Phönix: Manche jagen ihm nach, andere lächeln darüber in dem Wissen, dass es ihn nicht gibt. Hier rechne ich mich zur zweiten Gruppe. Und Elektra steht genau an der Grenze. Ich bin mit Strauss einig, dass er eine gute Entscheidung getroffen hat.
    Mit der Bitte, beim Thema Elektra zu bleiben, grüßt alle Teilnehmer herzlich - Sixtus

    Es hat sich vielleicht herumgesprochen, dass Sixtus nicht viel mit atonaler Musik am Hut hat. Ich habe mir die Gattung Oper von zwei Polen her erschlossen: vom italienischen Belcanto - und von Verdi und Wagner aus. Also vom kunstvoll verzierten Gesang - und vom Musikdrama her. Je länger ich mit der Oper lebe, desto wichtiger wird mir die Frage: Erfüllt eine Oper den Anspruch, sowohl die Schönheit des Gesanges zu bieten als auch den Anforderungen an ein Drama gerecht zu werden?
    Und bei Wagner, der der Forderung nach dem Drama näher steht als dem Belcanto, liegt es nahe, die Frage zu stellen: Was kam danach? Logischerweise landet man da bald bei Richard Strauss. (Und, abgesehen von den Frühwerken, bei Salome.)
    Ein Jugendfreund von mir versäumte in Stuttgart keine Salome-Aufführung, und ich war nicht weit davon entfernt, nach dieser Oper süchtig zu werden. Als ich dann die erste Elektra besuchte (mit Matha Mödl in der Titelpartie), war ich hin- und hergerissen zwischen einem Rausch der Begeisterung (Monolog der Elektra zu Beginn, Erkennungsszene, ekstaisches Finale) und den irritierenden (für mich misstönenden) Akkorden u.a. in der Klytämnestra-Szene. Für mich war (und ist im Wesentlichen noch heute) Oper eine Kunstgattung innerhalb der Tonalität. Erst in den folgenden Aufführungen begriff ich, dass Klytämnestra und Tonalität nicht zusammengeht.
    Strauss hat, besonders in dieser Szene, gleichsam eine klinische Studie dieser zerstörten Frau geschaffen. Sie ist ein Chaos widersprüchlicher Emotionen und der daraus folgenden Krankheiten: eine Leiche bei lebendigem Leibe. Wie würden dazu harmonische Akkorde passen?
    Strauss hat konsequent komponiert, wie Hofmannsthal diese Untote mit Worten beschrieben hat - und siehe da: Wenn man es so so hört, ist es zwingend. Nicht jeder hat dazu einen Zugang. Manchem ist es zu laut, anderen zu "hässlich". Aber wenn zu dieser Einheit von Text und Musik die passende Frau auf der Bühne steht, die das künstlerisch umsetzt, ist es großes Musiktheater.
    Übrigens hat Strauss diese Szene in ihrem an der Atonalität entlang schrammenden Dissonanzenreichtum nicht ähnlich wiederholt oder gar überschritten, sondern ist eher wieder zur reien Tonalität zurückgekehrt. Die Neutöner haben ihn deshalb als reaktionär etikettiert. Ich kann damit gut leben und freue mich an seinem Farbenreichtum, der Werke wie Rosenkavalier, Ariadne, Frau ohne Schatten, Arabella - und Capriccio, jedesmal völlig anders, auszeichnet.

    Das Thema ist damit natürlich bei Weitem nicht erschöpft. Deshalb bin ich gern bereit, an dieser Stelle Fragen zu beantworten und auf Diskussionsbeiträge zu reagieren.
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Das sollte mich aber freuen, wenn ich da womöglich einen Schub von Beiträgen ausgelöst habe mit meien knappen Anmerkungen (Nr.16).
    Zu den Vorschlägen, sich diese Oper zu erschließen, möchte ich ergänzen: Noch vor der Erkennungsszene, zweifellos die emotional erregendste Szene des Dramas, empfehle ich Elektras Anfangs-Monolog, gleich nach der Mägdeszene: "Allein!" Ein archaischer Monolog, in dessen Zentrum die Anrufung des toten Vaters Agamemnon steht - und dessen magischer Suggestion sich kaum ein musikalisch fühlender Mensch entziehen kann. Nach dieser Invocation steht Elektras Tragik deutlich vor Augen (und Ohren!), und das ganze folgende Geschehen ist eine zwingende Notwendigkeit.
    Außerdem verlässt diese Szene (noch) nicht den tonalen Raum - sie schreitet ihn nur gänzlich aus. Die Grenze zur Atonalität wird erst in der Klytämnestra-Szene erreicht (aber in der Folge nicht überschritten).


    Ich bin bereit, in meinem Thread "Frag nach..." ausführlicher auf diese Oper, die für mich eine Schlüsselstellung einnimmt, einzugehen. Hier würde dies den Rahmen des Threads sprengen.
    Herzliche Grüße von Sixtus