Beiträge von Sixtus

    Noch ein Gedanke zu den inzwischen unvermeidlichen Kriegs-, Gewalt- und Flüchtlings-Zutaten in Opern-Inszenierungen:


    Es ist Mode geworden, Spielzeiten und Festspiele unter ein politisch-ideologisches Motto zu stellen. Und wenn ein Intendant auf sich aufmerksam machen will, klappt das zur Zeit am besten (passend oder nicht) mit einem Verweis auf Trump, Erdogan, Putin, Orban etc. - oder eben auf die allgegenwärtigen Flüchtlinge.
    Der neue Leiter der Salzburger Festspiele macht davon keine Ausnahme. In einem Interview hat er stolz verkündet, er möchte sich nicht mit einer Aneinanderreigung erlesener Aufführungen begnügen, sondern auch aktuell Stellung nehmen. So muss wohl das Engagement von Shirin Neshat zustande gekommen sein.
    Bei den Bayreuther Meistersingern dürfte es ähnliche Motive gegeben haben. Solange die Leute hingehen, wird sich das wohl auch nicht ändern. Mir wären erlesene Aufführungen lieber!


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Lieber La Roche,


    der Ariadne-Komponist muss auch ein sehr junger Mann sein (ein Jüngling im Sprachgebrauch der Molière-Zeit). Denn der Musiklehrer, der seine Mühe mit ihm hat, sagt begütigend zu ihm: "Mein Freund, ich bin halt dreißig Jahre älter als du und hab gelernt, mich in die Welt zu schicken." Insofern ähnelt er dem Octavian. Nur in Liebesdingen ist er etwas später dran, aber das ist im Ariadne-Vorspiel grade dabei, sich schnell zu ändern. Dafür sorgt Zerbinetta!


    Ich hatte in grauer Vorzeit das Vergnügen, auf der Wiener Stehgalerie die junge Jurinac mit ihrem dunklen Sopran und ihrem unwiderstehlichen Charme zu erleben - und messe seitdem (leider!) jede Interpretation an ihrer. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mir für diese Partie eine andere Stimmlage zu wünschen.
    Manchmal wandelt den Opernfreund auch ein Bedürfnis nach Dekadenz (im Sinne verfremdeter Klänge) an. Und dieses Bedürfnis hat Strauss nur zu gern befriedigt (in abgewandelter Form noch einmal mit Zdenko/Zdenka).


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Den Beiträgen 2 und 5 stimme ich in einigen wesentlichen Punkten zu, besonders was die hilflose Inszenierung angeht, samt Bühnenbild. Es gab kaum Szenen und Bilder, die über die simpelste Konvention hinausgingen. Stattdessen Willkürakte wie einen an die an die senkrechte Rückwand projezierten Nil, einen steril zubetonierten Un-Tempel und ein Grab, das einer Bahnhofshalle alle Ehre gemacht hätte. Optisch also Fehlanzeige in Sachen Atmosphäre.
    Eine Personenführung fand nicht statt. Die Sänger mussten sich selber behelfen, und da sah es recht unterschiedlich aus: Ramphis glich optisch einer Tempelsäule, Netrebko spielte einmal mehr sich selber, was aber nur gelegentlich zur Rolle passte, und Semenchuk gab Amneris mit ausladenden Operngesten.


    Gesungen wurde überwiegend gut, wenn auch nicht immer rollendeckend. Meli wirkte stimmlich als Radames wie Fritzchen in Opas Pantoffeln: zwei Nummern zu klein, aber immerhin brav. Könnte mal ein Spinto werden. Salsi als Amonasro kraftvoll, aber farblos. Die besten Verdi-Stimmen boten einmal mehr die beiden Damen. Netrebko mit der schieren Schönheit ihres (hier etwas zu dunklen, aber dennoch leuchtenden) Soprans, Semenchuck mit dem enormen Volumen ihres dramatischen Mezzos.


    Der Schelte an Muti kann ich mich nicht anschließen. Mich hat die anhaltende Präsenz (und vielfach Brillanz) seines auf profunder Verdi-Kenntnis basierenden, immer suggestiven Leitung überzeugt. Tempi und Proportionen stimmten. Dass die Regie ihn und die Sänger im Stich lässt, ist weder ihm noch ihnen anzulasten -


    meint Sixtus

    Sehr interessante Aspekte werden da angesprochen!


    Beim Cherubino ist über den philosophischen Spekulationen Kierkegaards wohl die ganz nüchterne Überlegung von Da Ponte und Mozart aus dem Focus geraten, dass mit diesem chaotischen, aber zugleich charmanten Knaben und seiner wild wuchernden Erotik ein dramaturgischer Katalysator das Geschehen der Komödie immer wieder beflügelt.


    Sollten wir aber nicht, nach dieser ausführlichen Würdigung der beiden prominentesten echten Hosenrollen, auch die weniger echten mit in den Blick nehmen, von denen es so viel mehr gibt? Ich denke da an die vielen Partien, die, in der Nachfolge der Kastraten, vorwiegend von Mezzos (und inzwischen zunehmend von Countern) übernommenen jungen Männer.


    Als erste fallen mir da die Herren Idamante, Sesto und Tancredi ein - und, nicht zu vergessen: Glucks Orfeo (in der Wiener Fassung ein Kastrat, dann lange ein Monopol der Altistinnen, heute in Konkurrenz mit Falsettisten. Wobei sich ganz nebenbei die Frage aufwirft, welche Option der Intention des Komponisten am ehesten entspricht.


    Aber bevor ich das vertiefe, soll das nur als Anregung in den Ring geworfen sein -
    meint Sixtus

    Verzeihung, lieber Operus,
    aber ich sehe die Partie des Fidelio nicht als Hosenrolle im eigentlichen Sinn. Vielmehr handelt es sich um eine Frau, die sich, als Mann verkleidet, ins Gefängnispersonal einschleicht, um ihren gefangenen Mann zu retten.
    Der Zuschauer, sofern nicht gänzlich unbedarft und unvorbereitet, erkennt das von Anfang an. Außerdem sagt es immer wieder ihr Text, z.B. "Wie groß ist die Gefahr, wie schwach der Hoffnung Schein..." oder "Komm, Hoffnung, lass den letzten Stern der Müden nicht erbleichen".
    Vollends wird ihre Identität öffentlich an der Stelle "Töt´ erst sein Weib!". Jetzt erfahren es auch es auch Rocco, Pizarro - und Florestan, im Finale schließlich alle.


    Unter echten Hosenrollen verstehe ich
    entweder die Mezzo-Rollen in der Nachfolge der Kastraten (barocke Protagonisten und ihre verspäteten Nachzügler wie Idamantes, Sesto, Tancredi, Romeo)
    oder die Pagen bei Meyerbeer und Verdi (in der Regel Soprano leggero)
    oder eben die schon geschlechtsreifen, aber noch pubertierenden Jünglinge wie Cherubino und Oktavian.


    Im Fidelio handelt es sich dagegen um den Typ der damals beliebten Rettungsoper, wo ein dramatischer Sopran dafür steht, dass auch Frauen volles Risiko auf sich nehmen können. Die Männerkleider sind als Tarnung zu erkennen, bis das hehre Ziel erreicht ist.


    Können wir uns auf diese Definition einigen?


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Zufällig habe ich diesen zehn Jahre alten - und gestern von Alfred wieder aufgefrischten - Thread entdeckt. Da das Thema mir etwas an den Haaren herangezogen erschien, habe ich ihn, teils kopfschüttelnd, teils interessiert, ganz gelesen.
    Wer mich, wenn auch nur vom Lesen, etwas kennt, kann sich denken, dass ich mit diesem Thema kaum Berührung habe - als männliches Exemplar der Gattung homo sapiens. Anders als Opernfreund. Und in dieser Eigenschaft möchte ich aus meiner Sicht einiges etwas begradigen:


    Ich glaube, dass in der älteren Oper die Homoerotik kaum eine Rolle spielt (allenfalls subkuttan, aber da kenne ich mich nicht aus). Ich halte es für kühn, darüber zu spekulieren, dass in Verdis Forza, Don Carlo oder gar Otello die Männerduette einen solchen Hinweis zulassen. Der Gesang in Männer-Terzen dürfte, ebenso wie der bei Frauen (in Cosi oder Norma) vor allem musikalische Gründe haben und in diesem Fall z.B. innige Freundschaft ausdrücken. Was darüber hinaus geht, halte ich für Spekulation.


    Der Ursprung der Hosenrollen ist bekanntermaßen vor allem dem Ende des Kastratenzums zu verdanken, das wiederum dem Verbot für Frauen, in der Kirche - und später auf derBühne - aufzutreten. Für die später verbotenen Kastraten entstand eine Besetzungslücke, die von Mezzos aufgefüllt wurde. Am längsten hielt sich diese Praktik bei sehr jungen Männern, die gleichsam noch nicht erwachsen genug waren, um sie mit einer Männerstimme auszustatten. Der Jüngling sang, wie Alfred schon schrieb, mit der ihm zugeteilten Mezzostimme: Cherubino, Sesto, Tancredi. Das letzte prominente Beispiel war Bellinis Romeo. (Dass Mozart-Tenorpartien wie Tamino von Frauen gesungen wurden, halte ich allerdings für eine geschmacklose Entgleisung.)


    Das alles hat aber mit Homoerotik rein gar nichts zu tun. (Es sei denn, es wird von Zuhörern so empfunden.)
    Andererseits: Dass die Hosenrollen sich bis zu Strauss halten konnten (Oktavian, Ariadne-Komponist) ist wohl der Tatsache geschuldet, dass die Musik des Fin de siècle gern das Verfeinerte, Gekünstelte und Dekadente beschrieb. In dieser Zeit, als Enfants terribles wie Oscar Wilde öffentliche Personen waren, sind (wenn auch subkutan) homoerotische Motive nicht auszuschließen.
    In der moderneren Oper setzen sich dann, wie bei Britten, diese Themen allmählich durch. Aber hier ging es ja um die Operngeschichte insgesamt. Und da kann ich Homosexualität als Bestandteil der Handlung nicht finden. Die Gattung Oper ist wohl dafür auch zu gediegen-konservativ.


    Herzliche Grüße von Sixtus



    p.s.: Wovor mir graut: dass ich es noch erlebe, dass die aparten Hosenrollen von Mozart und Strauss irgendwann von Counertenören gesungen werden.

    Es wäre sicher sachdienlich, lieber Rheingold, wenn nicht nur ich, sondern auch andere deine mehr als hundertköpfige Irritation mit Inhalt gefüllt bekäme(n). Wie soll sonst eine Auseinandersetzung stattfinden?


    Mit meiner Empfehlung an Kosky, ein Zeichen der Entspannung zu setzen, dachte ich z.B. an die Initiativen von Barenboim, die ich ja hier nicht näher erläutern muss. Ich denke, das wäre ein konstruktiver Schritt in Richtung Entspannung und Versachlichung gewesen. Aber Kosky hat sich für die bequemere Methode entschieden: Bedienung abgegriffener politischer Klischees - und virtuose Selbstdarstellung. Nicht neu, aber es wird durch ständige Wiederholung nicht besser.


    Etwas anderes hatte ich vergessen - und zwar etwas Erfreuliches:
    Zumindest einem ist aufgefallen, dass man dem Jubel der meisten Rezensenten über die gesangliche Leistung von Michael Volle nicht unbedingt rundum zustimmen muss. Denn bei allem Facettenreichtum der Stimme ist es um sein Legato (von dem Sachs einiges fordert) nicht zum Besten bestellt. Deshalb fiel mir deine Bemerkung vom Sprechgesang, lieber Marcel, angenehm auf. Tatsächlich ist Volles Gesang weit entfernt von dem, was Wagner deutschen Belcanto nennt. Er singt fast durchweg im rezitativischen, deklamatorischen Stil. Es fehlt das klangliche Zentrum, das durchgehende persönliche Timbre. Aber da ist er, wenn auch nicht in guter, so doch in großer Gesellschaft - meint Sixtus

    Eigentlich wollte ich mich aus diesem Thread ganz heraushalten, weil mir die Meistersinger zu schade sind für die Schlammschlacht, die ich hier erwartet habe - und die auch tatsächlich stattfindet.
    Aber nachdem ich mich durchgelesen und entdeckt habe, dass mein Beitrag an anderer Stelle hierher transportiert wurde, will ich noch ein paar Sätze dazu sagen:


    Ich bescheinige Herrn Kosky, dass er sein Handwerk versteht und dass er mit brillanten Ideen die Handlung durch Verdopplung bereichert, aber sie damit auch gleichzeitig bis zur Unverständlichkeit verballhornt. Diese Rechnung, die er im 1.Akt aufmacht, kann schon vom Personal her nicht aufgehen. Da stimmt einfach nichts. Also: auf hohem Niveau gescheitert!


    Ich bescheinige ihm weiter, dass er keine Veränderungen an Wagners Text vorgenommen hat. Aber dadurch, dass er den 2.und 3.Akt gänzlich mit dem Kriegsverbrechersaal ideologisch überzogen hat, verliert das Ganze seine Seriosität und verdreht die Aussage des Stücks bis zur Unkenntlichkeit.


    Was Kosky hier zeigt, ist, trotz vermeintlicher Buchstabentreue, so ziemlich das Gegenteil von dem, was Wagner sagen will. Er führt ihn, mit diesem trojanischen Pferd, voller Häme vor! Das ist so ziemlich das Infamste, was er ihm antun konnte. Dabei hätte er, grade als Jude, Gelegenheit gehabt, bei aller kritischen Haltung auch seinen Respekt vor diesem Genie deutlich machen und zeigen können, dass jetzt endlich einmal Schluss sein soll mit dieser unsäglichen Vermischung von Wagners Prosaschriften und seinen Opern.
    Aber vermutlich wurde er genau dafür engagiert. Wenn schon die alten Wagnerianer inzwischen reihenweise einen Bogen um Bayreuth machen, will man ja die leeren Reihen im Festspielhaus irgendwie schließen - mit Eventjublern.
    Von Bayreuth ist nichts mehr zu erwarten - aber einige scheinen ganz gut davon zu leben - meint Sixtus

    Eine falsche Bewegung hat meinen Bericht abrupt unterbrochen. Jetzt also weiter:
    Der 2.Akt spielt (statt in der Nürnberger Altstadt) in einer Art vergammeltem Innenhof, offenbar Teil des Gebäudes der späteren Kriegsverbrecherprozesse, natürlich ohne blühenden Fliederbaum. Die Atmosphäre der Mittsommernacht fehlt, Stolzing und Eva müssen sich hinter einer Kompostlege verstecken.
    Der 3.Akt findet zur Gänze (statt in der Schusterstube und später auf der Festwiese) im Gerichtssaal dieses Gebäudes statt. Also 2 Stunden leere Bühne, möbliert von Gerichtsbänken, die dann zuerst durch das Personal der Schusterstube, dann von der Nürnberger Bevölkerung gestürmt werden.
    Die Einzelheiten der dadurch verfremdeten Handlung zu beschreiben, erspare ich mir. Es funktioniert nach der Methode: Reim dich, oder ich fress dich. Die politisch unkorrekten Sätze von der deutschen Kunst muss Sachs vor leerem Saal sprechen, weil das Publikum rechtzeitig zwischengelagert wurde.


    Nicht ersparen kann ich mir die Feststellung:
    Wagner war zwar Antisemit (wie sehr viele seiner Zeitgenossen!). Aber er ist nicht verantwortlich zu machen für das, was lange nach seinem Tode aus seinem Werk gemacht wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Künstler wie er sich mit den tonangebenden Nazis auf eine Stufe gestellt hätte. (Was seine Familienmitglieder nach ihm getan haben, hat er nicht zu verantworten.) Deshalb sind die hier beschriebenen Zuordnungen willkürliche Manipulationen, die mit seinem Werk nichts zu tun haben - auch wenn derartige Zuordnungen heute Hochkonjunktur haben - meint Sixtus

    Es ging ja hier von Anfang an vor allem um Eingriffe in Operntexte, um ihre (Nicht-)Zulässigkeit bzw. den Schaden, den sie anrichten. Der Aufhänger war der kämpferische Leitartikel in der Süddeutschen, in dem Brembeck zum Frontalangriff gegen den Text von Mozarts später Seria Tito und auch gegen die Meistersinger blies, aus Anlass der bevorstehenden Premieren der Salzburger und Bayreuther Festspiele.


    Beide Premieren sind nun vorbei. Heute las ich Brembecks Rezension des Tito, der wohl zu seiner Zufriedenheit ausgefallen ist - hat Regisseur Sellars doch den versöhnlichen Schluss der seria in ein tödliches Ende des Kaisers umfunktioniert (und sicher auch umgedichtet). Dabei bleibt nicht unerwähnt, dass er sich zum Schluss sterbend ziemlich deutlich als homosexuell outet. Das lässt Rückschlüsse auf das Privatleben des Regisseurs zu. Was Mozart dazu gesagt hätte, bleibt, gelinde gesagt, offen.


    Was die Bayreuther Meistersinger betrifft, so habe ich mit meiner Beurteilung gewartet, bis ich nicht nur die Übertragung im Rundfunk, sondern auch die Fernseh-Aufzeichnung gesehen habe. Das ist letzte Nacht geschehen. Hier mein Eindruck:


    Musikalisch überwiegend gut bis hervorragend, vor allem zu Beginn Behles großartiger David, der alle Klippen dieser schwierigen Partie souverän umschifft hat. Vogt sang einen Stolzing, der zum Besten gehört, was ich von ihm gehört habe soweit er überhaupt zu hören war. Aber für seine Verhältnisse war er in Hochform. Seine Eva war leider fehlbesetzt: Anne Schwanewilms ist eher der Gegentyp dieses Mädchens - und wurde auch noch von der Regie übertrieben hysterisch karikiert. Pogner Groisböck war ein sehr solider, Legato singender Goldschmied
    Die besten gesanglichen und darstellerischen Leistungen boten aber die Kontrahenden Sachs und Beckmesser. Volle sang farbenreich, ohne Ermüdungserscheinungen, und spielte geradezu schmerzlich intensiv. Was mir etwas fehlte, ist ein Timbre, das ich mit dem Schusterpoeten verbinde: die unverkennbare Mischung von Derbheit und sonorem Glanz. Ohne Einschränkung überzeugte mich J.M.Kränzle, der keine Wünsche offen ließ, der darstellerisch brillierte und dem Schreiber auch die nötige stimmliche Autorität verlieh. Die skurrilen Gefechte der Beiden im 2.und 3.Akt waren ein Genuss.
    Pilippe Jordan am Pult müsste eigentlich für die Eingriffe der Regie in die Ouvertüre Schmerzensgeld bekommen. Ich habe kaum je so wenig davon mitbekommen, vor lauter Gewusel auf der Wahnfried-Bühne, die hier das Kirchenschiff ersetzt. Leider scheint sich der Dirigent von dieser Ablenkungs-Orgie nicht mehr ganz erholt zu haben; denn die Lautstärke, in die er sich flüchtete, setzte den Sängern gewaltig zu.


    Damit komme ich zum Kern dessen, was hier verhandelt wird - und das ja die Meisten von euch sicher ganz oder teilweise gesehen haben:
    Regisseur Barrie Kosky, im Vorfeld als genialer Alleskönner angepriesen, lieferte vor allem virtuose Slapstick-Nummern, die oft bis zum Klamauk gingen. Das ist zwar oft gewöhnungsbedürftig, löst oft Kopfschütteln aus. Aber es ist harmlos gegen das, was er mit erhobenem Zeigefinger (teils auch mit dem Holzhammer) aus den Schauplätzen, den Figuren und damit auch aus dem ganzen Stück macht (das immerhin, mit dem Freischütz, eine deutsche Nationaloper ist):
    Der 1.Akt spielt (statt in der Katherinenkirche nach dem Gottesdienst) in der Villa Wahnfried, wohin das gesamte Personal (Kirchenbesucher, Meister und alle Besucher der Villa wie Liszt, Levi etc. hineingepfercht werden.

    Profane Information zur Entschärfung von unnötigen Spannungen


    Der Mercedes auf der Bühne, wenn er denn einen Sinn haben soll, könnte eine Anspielung auf folgende Anekdote sein:
    Ein Sponsor soll dem Komponisten eine größere Summe gespendet haben - unter der Bedingung, dass seine Tochter Mercedes in der Oper Carmen verewigt wird - oder so ähnlich.
    Für den Wahrheitsgehalt dieser Anekdote kann ich mich nicht verbürgen - und bitte nötigenfalls um Korrektur. Aber wenn es zutrifft: Es gibt schon dergleichen triviale Begebenheiten, die man kaum für möglich hält...

    Volle Zustimmung meinerseits zu den Beiträgen von Rheingold und Operus!


    Aber bei der schrillen Katharina wundert mich gar nichts mehr. Es hätte nur noch gefehlt, dass Domingo vom Pult aus auch den Siegmund und den Wotan singt (dramaturgisch wäre das möglich - aber mich fragt ja keiner).
    Dann wären die Walküre-Vorstellungen ganz sicher bald ausverkauft.


    Das Gute an solchen Sachen ist: Man muss nicht dabei sein...


    Genüssliche Grüße von Sixtus

    Lieber Karl,


    du fragst mich, ob ich der Meinung bin, Oper sei eine Frage der Bildung.
    Das kann ich nicht einfach mit ja oder nein beantworten. Aber ich glaube zu wissen, was du meinst.


    Meine Antwort:
    Opernfreunde gibt es in allen Bildungsschichten. Goethe hat es einmal (sinngemäß) so beschrieben: Die Zauberflöte kann sowohl einen Gelehrten erfreuen als auch ein Kind entzücken. Aber:
    Je mehr Bildungshintergrund und Sachverstand jemand mitbringt, desto tiefer wird er in den Don Giovanni, den Otello oder den Tristan eindringen - und desto mehr seelisch-geistigen Genuss wird ihm das Stück bereiten. Kopf und Herz zusammen erschließen ein Werk (nicht nur eine Oper, sondern jedes Kunstwerk) dem Rezipienten reicher als nur eines von Beiden.


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Ich möchte an dieser Stelle gern kurz innehalten, um auf die begrenzten Möglichkeiten eines gegenseitigen Verstehens bei diesem Thema hinzuweisen:


    Erfreulich finde ich, dass doch nicht alle am Thema Interessierten im Urlaub sind. Andererseits gestehe ich, dass ich selber auch keine lückenlose Präsenz garantieren kann. Hinzu kommen kleine Pannen wie vergessene Buchstaben, die einen Satz ins Gegenteil verkehren - oder die Unwägbarkeiten das Forum-Apparats, die manchmal die vorgesehene Reihenfolge der Beiträge vertauschen. Ich hoffe, dass sich manches davon im Nachhinein von selber klärt. Wir können auch nicht erwarten, dass beim gegenwärtigen Tempo jeder Beitrag persönlich gewürdigt wird.


    Zu einigen der letzten Beiträge fällt mir aber einiges ein:
    Die aktuelle Bregenzer Carmen-Premiere wurde erstaunlicherweise von einem Kritiker u.a. mit dem Satz kommentiert: "Mit Oper hat das alles nicht viel zu tun." (Er meinte die zur Bühnen-Show mutierte Inszenierung.) Was hätte er erst schreiben müssen, wenn der Regisseur dem Stück einen "zeitgemäßen" Text verpasst hätte?
    Ich kenne einige Opernfreunde, die um Open-air-Produktionen einen großen Bogen machen, weil dabei oft die Stücke, um sie "attraktiver" zu machen, aufgemotzt werden, damit mehr Publikum angelockt wird. Andere gehen bevorzugt in solche Produktionen, weil ihnen das eigentliche Stück weniger bedeutet als die Show.
    Ich glaube, beides hat seine Berechtigung. Nur sollte man die Eingriffe als solche kenntlich machen und nicht so tun, als spiele man das Original. Das gilt erst recht für Eingriffe in Text und Handlung, weil dabei das Stück in seiner Substanz verändert wird.
    Wer sich auf diesen gemeinsamen Nenner nicht einlassen kann, wäre der nicht besser beraten, einen eigenen parallelen Thread zu starten, in dem sich dann ähnlich Denkende austauschen können? Ich glaube, es gäbe innerhalb der beiden noch genügend unterschiedliche Haltungen, aber sie stünden einander nicht so unversöhnlich gegenüber wie in der Vergangenheit - und auch hier. Wenn die gegenseitigen Argumente zu verhärteten Waffengängen schrumpfen, verliert eine Diskussion, meine ich, ihren Sinn.


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Meine letzten beiden Beiträge (52 und 53) waren eine Antwort auf die Nachfragen von Helmut Hofmann (51).


    Ich habe nicht die Absicht, ihre Zerpflückung durch Dritte zu kommentieren - hoffe vielmehr auf die Kommentare derer, die verstanden haben, worum es mir geht: zu zeigen, dass die Gattung Oper, wenn sie in populistisch anbiedernder Absicht textlich verändert wird (weil das womöglich einer Mehrheit gefällt), dadurch eine Art Jungbrunnen erfährt.


    Das Gegenteil wird erreicht werden: Die Sachkundigen im Publikum werden sich abwenden, und ein vorwiegend junges, unkundiges, manipuliertes Event-Publikum wird an seine Stelle treten. Wenn also ein "Operntod" zu befürchten ist, dann nicht durch den Respekt vor dem Werk, sondern, im Gegenteil: durch die immer dreistere Demontage und Verfälschung der Klassiker.


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich der Einzige bin, der das so sieht - im Gegenteil: Aus der Mehrzahl der Beiträge zum Thema geht eher hervor, dass ich hierbei offene Türen einrenne - wo sind diese Türen: alle im Urlaub?

    Ich habe vergessen, das Verhältnis der Gattung Oper zur Demokratie zu erläutern.
    Seit der Florentiner Camerata, also den Gründungsvätern der Gattung, hat sich die Oper ganz unter den Bedingungen des italienischen und später des französischen Feudalismus entwickelt. Später wurde auch das europäische Großbürgertum ein Träger dieser Kunstform - lange bevor sich in Europa die Demokratie als Gesellschaftsmodell durchsetzte. Oper war also gewissermaßen die kulturelle Schaumkrone der Aristokratie, bevor sie zum Ausweis der Zugehörigkeit zum Großbürgertum mutierte. Wer in die Oper ging, "gehörte dazu": zum Geldadel, zum Großbürgertum, später zu dem, was wir heute das Bildungsbürgertum nennen.


    Kurzum: Die Gattung Oper ist, wie alle klassische Musik und Literatur, zutiefst im Qualitätsdenken der Klassengesellschaft verankert - und ist in unserer heutigen demokratisch verfassten Gesellschaftsform eher ein Fremdkörper. Deshalb wird auch immer wieder versucht, sie unter fadenscheinigen Vorwänden in unsere Zeit zu verpflanzen. Das dürfte auch einer der Hauptgründe sein, weshalb hier so erbittert über Inszenierungen gestritten wird. Oper wird von den maßgebenden Kulturmachern heute auf Gedeih und Verderb ins Heute katapultiert (neuerdings sogar durch sinnwidrige neue Texte) - wo sie nun mal nicht hingehört.


    Wer heute noch diese vorgestrige Gattung hören will (und ich rechne mich zu denen), dem sollte aber die Möglichkeit geboten werden, sie so zu hören, wie sie von ihren Autoren gemeint war. Alles andere sollte besonders gekennzeichnet werden: als "Frei nach...", "Variation über..." und dergleichen.


    Ich glaube, dass diese Überlegungen, wenn sie ernst genommen werden, viel von den ewigen Pseudo-Diskussionen über dieses Thema überflüssig machen würde.


    Das meint allen Ernstes und ohne Abstriche, aber mit herzlichen Grüßen - Sixtus

    Lieber Helmut Hofmann,


    vielleicht ist der Begriff "wissende Elite" unglücklich gewählt. Aber die Gattung Oper ist, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz, ein so komplexes, aus so vielen Elementen zusammengesetztes Gebilde, dass es mir ziemlich unsinnig vorkommt, so etwas wie "Oper für alle" zu postulieren. Das Opernpublikum ist ohnehin eine kleine Minderheit in der Gesellschaft. Aber es wäre vermessen, selbst diese als Elite zu bezeichnen. Sie besteht vor allem aus Liebhabern populärer Opern bzw. aus eher gewohnheitsmäßigen Besuchern, den Abonnenten.


    Unter diesen Opernliebhabern gibt es wieder eine Minderheit, die sich tatsächlich über das Fan-Stadium hinaus entwickelt hat. Sie hat sich, mehr oder weniger, Sachkenntnisse erworben, nicht nur durch Studiengänge, sondern auch durch Erfahrung oder Praxis im Umgang mit der Materie. Das meine ich mit "wissender Elite": eine kleine Minderheit, die sich intensiv mit Oper befasst - und dadurch Kenntnisse erworben hat.


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Ich bitte nochmals um Nachsicht, dass ich mich ausgerechnet in dieser turbulenten Phase für drei Tage ausgeklinkt habe. In der Zeit hat sich einiges angesammelt, was ich jetzt nicht leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann.
    Zu einigen Stichworten, die mir besonders wichtg erscheinen, ein paar Anmerkungen:


    Beim Einstellen dieses Threads ging es mir nicht um die Berechtigung von Strichen etc., die im Theaterbrtrieb gang und gäbe sind, sondern, aus aktuellem Anlass, um das von Brembeck geforderte Umschreiben von Operntexten, die nicht der besseren Verständlichkeit dienen, sondern das Stück der von den Autoren intendierten Absicht berauben. Das halte ich, um mich der guten alten Terminologie zu bedienen, für Frevel am Werk - umso mehr, je wertvoller dieses ist.
    Da erhebt sich natürlich die Frage: Wer legt den Wert fest? Gegenfrage: Wozu bemühen wir uns um einen Opernkanon, wenn wir den darin enthaltenen Stücken keinen besonderen Wert unterstellen? Und wozu gibt es Musikwissenschaftler, die uns Opernführer zur Verfügung stellen, wenn der Wert der darin enthaltenen Stücke nicht von Belang ist?


    Ein Operntest muss keine literarische Qualität haben (wie bei Hofmannsthal). Aber er sollte den Komponisten zu einem Drama (Tragödie oder Komödie) inspirieren, die über die Entstehungszeit hinaus ein Publikum fasziniert. Wenn es das aber tut, sollte weder am Text noch an der Musik herummanipuliert werden. Und bei Stücken, die diese Kriterien weniger erfüllen, stellt sich eher die Frage, ob das Stück überhaupt (noch) verdient, gespielt zu werden.


    Und da, glaube ich, sind die Übergänge fließend - und auch dem persönlichen Geschmack unterworfen. Nicht jedem, dem die Traviata sakrosankt ist, ist es auch die Clemenza di Tito (bei dem auch mir ein paar Arien genügen, der Rest wird auch durch neuen Text nicht logischer).


    Damit berühren wir das heikle Thema der Elite. Ich meine, es gibt allein in Sachen Oper verschiedene Eliten, die sich jeweils durch Sachkenntnis und Urteilsvermögen auszeichnen. Wagner braucht als Elite ein anderes Publikum als Mozart oder Verdi. (Leider ist es niemals vollzählig in der Aufführung anwesend, weder auf der Galerie noch im Parkett, Besitzer von Pressekarten eingeschlossen. Heute ist leider Der Elitebegriff zum Promi verkommen. Aber Oper braucht die wissende Elite, weil diese Gattung, als Musikdrama, hochkomplex ist. Mit Demokratie ist dieser Gattung nicht beizukommen.


    So viel fürs Erste, später noch andere Gesichtspunkte.


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Es ist hier schon ganz schön spannend und verspricht es auch zu bleiben. Das trifft sich gut. Dann muss ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mich jetzt für drei Tage in den privaten Online-Status zurückziehe. Ich komme dann hoffentlich gut erholt zurück.
    Bei der Lektüre der letzten Beiträge ist mir zweierlei aufgefallen:
    - Ich habe keine Probleme mit einer Aneinanderreihung von Meisterwerken in einem Museum. Aber da ist eben jeder etwas anders gestrickt.
    - Wenn ich mir vorstelle, dass ich die Bieito-Traviata vorgesetzt bekomme, eine Gauner(innen)komödie mit Verdis Musik der tragischen kranken Violetta, kann ich mich einer Gänsehaut nicht erwehren. Und da, finde ich, hört der Spaß auf. Zumindest sollte dann das Stück nicht mehr ausschließlich mit Verdi firmieren, damit man nicht in die Falle läuft.


    Also bis bald!
    Herzliche Grüße von Sixtus

    Ich bitte um Nachsicht, wenn ich dieses Tempo der Beiträge nicht lückenlos verfolge. Man ist ja nebenher auch noch Mensch usw... Ich habe also nicht alles genau gelesen, will aber, was ich mitbekommen habe, mit meinen eigenen Gedanken ergänzen.
    Es geht ja um den Operntexte, die Komponisten zur Komposition angeregt und (manchmal) sogar inspiriert haben. Im Idealfall ist das Ergebnis große dramatische Vokalmusik, bei der Text und Musik eine Einheit bilden. Diese Einheit ist schon gefährdet, wenn der Text in eine andere Sprache, z.B. in die jeweilige Landessprache, übersetzt wird. Warum?
    Die Übersetzung hat einen anderen Klang, einen anderen Rhythmus, passt also nicht so genau zur Musik wie das Original. Übersetzungen haben zwar ihre eigene Berechtigung (größere Vertrautheit usw.), aber dieses Defizit können sie nicht ganz ausgleichen.
    Um wieviel größer wird aber die Kluft zwischen Text und Musik, wenn der veränderte Text eine ganz andere Geschichte erzählt?! Es kann nicht zu einer völligen Kongruenz kommen, sondern es bleiben Reibungsflächen - nach dem Motto "Reim dich, oder ich fress dich!" Kurzum: Wir hören nicht mehr das Stück der Autoren, sondern ein anderes - allenfalls eine Variation über...
    Wenn eine Oper einen neuen Text bekommt, dann ist es nicht mehr diese Oper, sondern müsste gekennzeichnet sein mit einem Untertitel oder einem Gattungsvermerk wie "frei nach Verdi" oder "nach Motiven von Mozart". Alles andere wäre in meinen Augen (und Ohren!) Etikettenschwindel und Falschmünzerei.
    So viel für heute von Sixtus

    Danke, Michael, für den Hinweis. Zum Nachschlagen sicher ganz nützlich.


    Eine kleine einschränkende Ergänzung fällt mit noch ein, die etwaigen Missverständnissen zuvorkommen soll:


    Bei meiner Forderung, keine Texte zu verändern, sehe ich einen gewissen Spielraum bei gesprochenen Dialogen, die meiner Ansicht nach auch manchmal etwas gekürzt werden dürfen - sofern dadurch der Sinn und der Handlungsablauf nicht beeinträchtigt wird.


    Bei gesungenen Texten haben sich an manchen Stellen kleine Varianten ergeben, die niemandem Weh tun und keinen Schaden anrichten, z.B. Tamino:
    Dies Bildnis ist bezaubernd schön, /
    wie noch kein Auge je geseh´n! (Alternative: so schön, wie keines ich geseh´n!)


    Solche Stellen werden gelegentlich von Sängern praktiziert, weil sie sich besser singen lassen o.ä. Darüber zu diskutieren, lohnt sich schwerlich.

    Im Leitartikel des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung vom 15.7. macht sich der Großkritiker Reinhard J.Brembeck allen Ernstes Gedanken darüber, wie der in seinen Augen hoffnungslosen Antiquiertheit vieler älterer Operntexte beizukommen ist, die uns Heutigen vollkommen fremd geworden seien.
    Aus Anlass der bevorstehenden Neuproduktionen der Salzburger und Bayreuther Festspiele, Clemenza di Tito und Meistersinger, stellt er fest, dass auch die rebellischsten Regisseure bisher davor zurückgeschreckt seien, Operntexte notfalls umzuschreiben, sodass sie einem heutigen Publikum (wieder) vermittelbar seien.
    Er nennt, neben diesen Festspielopern, weitere Beispiele von Opern aus "vordemokratischen Zeiten", also z.B. Zauberflöte, fast den ganzen Verdi und Wagner, deren Figuren in ihrem Verhalten in unserer Zeit keine Entsprechung mehr fänden, also unverständlich blieben (etwa Pamina, Violetta, Aida, Desdemona und Otello, Elisabeth und Tannhäuser, Senta und Holländer).
    Als leuchtende Ausnahme unter den Frauen gilt ihm lediglich Norma, eine alleinerziehende, berufstätige Mutter und Vaterlandsverräterin, also eine "emanzipierte" Frau.
    Als mutigsten Regisseur nennt er Calixto Bieito, der die Traviata auf den Kopf gestellt hat, indem er aus der Tragödie der kranken Kurtisane eine schwarze Komödie machte, in der die Prostituierte ihre Freier ausnimmt, um insgeheim die lesbische Liebe mit ihrer Freundin Annina auszuleben. (Wo diese Produktion zu erleben ist, entzieht sich noch meiner Kenntnis.)
    Brembecks Fazit: Nur so könne dem schleichenden Operntod, einer langsamen musealen Erstarrung, begegnet werden.


    So weit, so schlecht. Wo ich selber hier stehe, ist unschwer zu erraten: Hier wurde eine rote Linie überschritten - ein Akt barbarischer Kulturvernichtung begangen, der von einem führenden Musikkritiker auch noch als nachahmenswert empfohlen wird. Was hier als Rettung vor dem schleichenden Operntod gefeiert wird, liefe auf seine Beschleunigung hinaus, ein Verfahren, das geeignet wäre, alte Stücke (überwiegend Meisterwerke) bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen. Im Erfolgsfall könnte man dann bald resümieren: Oper - was ist das?
    Die von Brembeck empfohlene Rettungsaktion ließe die gesamte bisherige Regietheaterdiskussion als harmloses Kinderspiel erscheinen. Denn wenn nicht nur die Regieanweisungen missachtet werden, sondern das Stück selbst verändert wird, ist es mit der Aurede der künstlerischen Freiheit vorbei. Dann wird es zum Fall für die Justiz.


    Für die folgende Diskussion wäre es sicher nützlich, auf die sattsam bekannten Argumente der RT-Theater-Fronten zu verzichten - und gezielt den Fokus auf die hier beschriebene (neue!) Situation zu lenken.
    Das wünscht sich, mit herzlichen Grüßen,
    Sixtus

    Danke, lieber Ralf, für diesen einfühlsamen und aussagekräftigen Bericht.


    Da ich Karita Mattila sehr schätze, war ich gespannt, wie sie, einst eine wunderbare Jenufa, jetzt die Küsterin umsetzt. Ich meine nämlich, dass diese Partie mehr als einem Typ von Sängerin zugänglch ist: Einer erfahrenen, nicht mehr jungen Sängerin des hochdramatischen Fachs (wie einst die Varnay) bietet sie ein anderes Spektrum das Zugangs als einer Sängerin, die dem jugendlich-dramatischen Fach entwachsen ist. Im ersten Fall ist es mehr die strenge, verbitterte Frau; im zweiten mehr die Frau, die ihrem eigenen verfehlten Leben nachtrauert - und ein solches der jungen Jenufa ersparen will. Vermutlich hat Mattila beides zu bieten, aber der Schwerpunkt liegt sicher auf dem Letzteren, was du ja auch betont hast.


    In einem Punkt muss ich dir energisch widersprechen: dass die Musik nicht schön sei. Da empfehle ich dringend als Abhilfe mehrmaliges Anhören, besonders des herrlichen 2.Akts - und des Schlussduetts.
    Viel Vergnügen und herzliche Grüße von Sixtus

    Lieber Rheingold,


    ich weiß nur, dass Wagner selbst noch festgelegt hat, dass die Reihe der Bayreuth-würdigen Opern mit dem Holländer beginnt. Vom Rienzi-Stil hatte er sich ja schon mit dem Holländer konsequent abgewandt.
    Belegen kann ich es nicht. Aber in dieser Frage herrschte bis in unsere Zeit relativer Konsens.
    Es gab zuweilen Überlegungen, den Kanon zu erweitern (nicht nur um den Rienzi), doch sind sie dann regelmäßig in der Versenkung verschwunden.
    Dass eine italienischsprachige Aufführung dem Stück gut täte, glaube ich sofort. Aber das betrifft auch den Lohengrin, der ja in Italien gern in der Landessprache aufgeführt wurde. Beim Tannhäuser (Monte Carlo!) wäre ich da eher skeptisch.


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Aus der Steinzeit meines Opernlebens kann ich dazu nur beisteuern:


    Ich habe während meiner Gesangsausbildung in der Stuttgarter Wieland-Wagner-Inszenierung des Rienzi im Verstärkungschor mitgesungen (Windgassen in der Titelpartie, Matacic am Pult, stark gekürzt). Die markantesten Stücke waren die Ouvertüre, einige Chöre und Rienzis Gebet. Im Übrigen viel Grand Opéra, also Aufmärsche, Ballett, große Ensembles.


    Mir wurde klar, warum Wagner das Stück nicht in den Bayreuth-Kanon aufgenommen hat: Das stringente Drama fehlte noch. Zwischen Rienzi und Holländer liegen zwar nur Monate, aber trotzdem Welten. Wagner hat beim Rienzi noch geübt; dabei sind ihm schon einige geniale Stücke gelungen, aber noch kein Ganzes. (Ähnlich wie Verdi bei Nabucco, der im selben Jahr 1842 entstand.)

    Apropos Hitze und ausgelatschte Themen:


    Dass ich schon mehrmals nahe daran war, das Handtuch zu werfen, hatte einen anderen Grund. Es war mir nie gelungen, diejenigen, um die ich immer einen Bogen gemacht habe (sei es wegen penetranter Bosheit oder wegen offensichtlicher Begriffsstutzigkeit), ganz loszuwerden.
    Es zeigt sich wieder: Wer nichts Eigenes zu bieten hat, versucht sich zu profilieren, indem er andere in den Dreck zieht. Und wenn er dann noch des genauen Lesens unkundig ist, bringt er die Vokabeln vollends durcheinander.


    Lieber Dr.Pingel, es wird dir kaum gelingen, mir durch diesbezügliche Nachhilfe erfolgreich beizuspringen. Trotzdem danke!

    Lieber Rheingold,


    es freut mich, dass unter denen, die nicht meiner Meinung sind, sich auch gelegentlich jemand zu Wort meldet, der nicht aus bloßer Bosheit widerspricht und mir die Worte im Mund verdreht, sondern mit Sachverstand argumentiert.
    Ich habe großen Respekt vor deinen fundierten Beiträgen - und finde auch in diesem letzten Beitrag einiges bedenkenswert.
    Es ist dir ja sicher nicht entgangen, dass ich gern zugespitzt formuliere, um ein Problem zu verdeutlichen. Dass dies nicht allen gefällt, ist mir klar. Ob man darauf so giftig reagieren muss wie hier wieder mehrmals geschehen, ist wohl eher eine Frage des Anstands und der Fairness.
    Du weißt sicher so gut wie ich, dass bei der derzeitigen Situation die Theaterleitungen versuchen, das Publikum höflich um den Finger zu wickeln, damit es fragwürdige Produktionen leichter schluckt. Das haben wir alle oft erlebt, dass zwischen den abendlichen Einführungen durch Dramaturgen bzw. den Interviews im Programmheft und den Aufführungen kaum ein Zusammenhang besteht. Das halte ich für Demagogie und Publikumsverdummung, denn nicht alle durchschauen das.
    Das ist etwas anderes als die mir unterstellte Publikumsbeschimpfung. Was ich meine, ist die Chlorophormierung des Publikums durch die Theaterleitung. Und die ist allenthalben nicht zu leugnen. Dass damit die Sachkenntnis beim Publikum auf Dauer nicht gefördert, sondern eher beschnitten wird, liegt auf der Hand.
    Dass ich auch meine Haltung überprüfen und infrage stellen muss, ist mir klar. Aber in meinem letzten Beitrag kann ich keine Beleidigung finden - schon gar nicht eine des Publikums.
    Respektvolle Grüße von Sixtus

    Eines ist zumindest auffällig: Seit es weltweit Standard geworden ist, Opern in der Originalsprache aufzuführen, bietet sich für Regisseure bei der Oper, anders beim Schauspiel, ein weltweites Betätigungsfeld.
    Sie können ihr einmal erarbeitetes Konzept für beliebig viele Bühnen kopieren. Je öfter, desto leichter verdientes Geld ist es. Das spricht sich herum.
    Also ist der Beruf des Opernregisseurs in letzter Zeit immer attraktiver geworden. Und wer darin einmal international Fuß gefasst hat, macht schnell Karriere, wird im Idealfall als Starregisseur herumgereicht. Hat er erst einmal diesen Status, spielt es kaum noch eine Rolle, ob er Noten lesen kann oder etwas von Musik versteht.
    So können Willkür, Selbstherrlichkeit - und Musikfremdheit! - leicht um sich greifen - und das tun sie zur Zeit in wachsendem Maße. Das ist im Opernbetrieb unübersehbar.
    Man kann es auch daran erkennen, dass die Regisseure von willfährigen Dramaturgen regelmäßig im Programmheft Interviews angeboten bekommen, damit sie ihr Konzept erklären können. Und es gibt immer genug Autoritätsgläubige im Publikum, die darauf hereinfallen. Daher oft der Schlussjubel bei Produktionen, die ohne diese Manipulation kaum eine Chance auf Erfolg hätten - meint Sixtus

    Liebe Gioconda,


    deinen Sänger-Reigen von einst und jetzt habe ich mir zu Gemüte geführt - und bin beeindruckt.
    Vielleicht sind diese Bewertungen der Grund dafür, dass man relativ selten Beiträge von dir liest?


    Mich reizt es immer noch (zu) oft, Stellung zu nehmen. Schlechte Angewohnheit aus meiner Merker-Zeit, die ich aber jetzt, aus biologischen Rücksichten, weitgehend hinter mir habe. Ich werde als Nächstes an der Dosierung meiner hiesigen Beiräge arbeiten. Das tut sicher den Nerven gut. Aber es gilt auch Rücksichten zu nehmen - Operus ist wachsam!


    Herzliche Grüße von Sixtus

    Lieber Gerhard,


    ich habe es genau wissen wollen und mir den ganzen Tannhäuser zugemutet, damit ich nicht Voreingenommenheit vorgeworfen bekomme. Aber es hat wenig genützt.
    Natürlich hätte ich mir am liebsten nach dem Fleischberg (nein: Fettberg!) des Venusbergs den ganzen Rest erspart. Aber ich wollte auch die Harteros nicht versäumen. Und wie du weißt, neigen Opernnarren zum Masochismus, auch beim Lesen im Forum. Da genügt es, festzustellen, dass der Anteil der Unkundigen und Sensationshungrigen im Publikum, dem Mainstream entsprechend, zugenommen hat, und schon wird man der Publikumsbeschimpfung bezichtigt.
    Zu deiner Frage: Ich habe am Schluss tatsächlich nichts von Protest mitbekommen. Das hat mich angesichts der gebotenen Peinlichkeiten (nicht nur seitens der Regie) zu meiner fatalistischen Bilanz gebracht. Und ich habe keine Veranlassung, daran etwas zu ändern. Aber traurig macht es mich schon, dass Zumutungen wie Castellucci (und auch Vogt, ausgerechet in diesem neben dem Tristan schwersten Kaliber an Heldenpartien) keinerlei lautstarken Widerspruch mehr bei einem Publkum findet, das viel Geld für teure Karten ausgibt. Da gilt wohl inzwischen auch: Was teuer ist, muss auch gut sein. Schickimicki!
    Am schlimmsten an der Sache finde ich, dass ein Intendant wie Bachler dergleichen nicht verhindert - oder wenigstens beim Entgleisen die Notbremse zieht. Der müsste es eigentlich besser wissen. Hat auch er schon resigniert? Aus Überzeugung kann er es schwerlich mittragen. Und es ist ja auch eine Demütigung für einen Dirigenten wie Petrenko - und eine Blamage für das Nationaltheater. Ein weites Feld...


    Herzliche Grüße von Sixtus