Beiträge von kurzstueckmeister

    Oder in einer Gesprächssendung mit einer Schriftstellerin gab diese bekannt, dass ihr "Lieblingsstück" Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" sei, woraufhin dann der Anfang des G-Dur-Quartetts gespielt wurde, was weder sie selbst noch ihr Interviewer bemerkte. Man sprach dann aber noch sehr gelehrt über Schuberts Darstellung des Todes in diesem Stück.

    Du glaubst doch nicht, dass bei der Aufzeichnung des Gesprächs das Musikprogramm abgewartet wird und sie dann nach andächtigem Lauschen das Stück nicht erkannt hätten. Dass die beiden das nicht "bemerkt" hätten ist schon eine komische Unterstellung. Nach der Aufzeichnung des Gesprächs wird alles zusammengeschnitten und da hat jemand Mist gebaut. Sicher nicht die Schriftstellerin, die war da nicht anwesend.

    Widmann produziert aktuell für den Gebrauch, spielt selbst und ist sicher gut vernetzt, Klebe ist vor längerer Zeit außer Mode gekommen, das wundert mich dann weniger, dass dann die Relationen nicht passen.

    Köhns Verdienst ist ja auch, sich für den ehemals prominenten Opernkomponisten Klebe eingesetzt zu haben. Ich habe mir jetzt meine Köhn-CD mit den Klebe-Violinsonaten aus dem Regal gefischt und die erste 2x mit Gewinn gehört. Ich bilde mir ein, etwas von der Eigenwilligkeit und melodischen Gestaltungskraft dieses Henze-Kollegen wahrgenommen zu haben. Sehr schön.

    Also mein Scherz war nicht als Spott oder Gehässigkeit gemeint. Eher eine dezente Verarschung des übertriebenen „einer-von-uns-Lobs“, das mir als Gelobtem immer peinlich ist. Ich kann mal darüber nachdenken, warum. Wohl weil mir als Außenseiter der darin enthaltene Rudelinstinkt fehlte. Der Scherz hatte also mit Dir gar nichts zu tun sondern mit der Situation „das Forum lobt indirekt sich selbst“. Wobei Alfred das Forum früher auch ganz direkt massiv bewarb. Insofern verstehe ich jetzt, dass Du das missverstehen musstest.

    Die Frage, wie Musik zu bestimmten Zeiten aufgeführt worden ist, ist zweifelsohne eine wissenschaftliche. Die Frage, wie wir Musik heute aufführen, ist dies aber nicht - dies ist eine ästhetische Fragestellung. Man kann diese Fragestellung mit dem Ansatz beantworten, die Musik möglichst wie zu ihrer Entstehungszeit aufführen zu wollen, muss dies aber nicht.


    Insofern ist es auch nicht zwingend ein Widerspruch, wenn die HIP-Szene solche wissenschaftlichen Erkenntnisse partiell ignoriert.

    Es ging ja ums "Progressistische". In der "Historisch informierten Praxis" ist durch den Aspekt des "Informiertseins" eben der Fortschritt drinnen. Wenn die Informiertheit fortschreitet, kann die Praxis nicht stehenbleiben, ohne den Status der Informiertheit zu verlieren.

    Ja, könnte man denken :). Feldman scheint aber bei seinen Titeln Gewicht auf die Vereinzelung zu legen. Sein "Violinkonzert" heißt Violin and Orchestra.

    Ich hatte das bei Feldman einfach als Aufzählung der verwendeten Mittel verstanden. Womit ein angehängtes "für Klavierquartett" etwas Parodistisches bekommt. Weil der Titel eben genau sagt, wofür das Ding ist, und sonst gar nichts.

    Ist kein Problem, ich fand es tatsächlich eher lustig. Nein, ich habe natürlich die Vorstellung kritisiert, dass jede musikalische Kunst von der Auflösung von Dissonanzen lebt, wobei Du ja auch ganz richtig festgestellt hast, dass Renaissance-Vokalpolyphonie auch nicht ohne Dissonanzen auskommt - also ich vermute dissonanzfreie mehrstimmige Musik eher in der Monodie und natürlich im 20. Jahrhundert bei experimentellerer Musik.


    Ich bestätige auch, dass man für Renaissance-Musik am besten die Erfahrung des Selbermusizierens machen sollte, wobei ich nur ein paar Bicinien auf der Geige gespielt habe, die ungewohnte Rhythmik wird dann sofort klar, eben auch, weil der Akzentstufentakt fehlt, das nächste, was dem "normalen Hörer" abgeht, und ihn daran hindert, die Renaissancemusik "in den Griff" zu bekommen.


    Und dann hört man natürlich nicht in dem Sinne analytisch, dass man die polyphonen Stimmen alle entflechten könnte und aufschreiben, aber die Orientierungslosigkeit, die aus den Beiträgen von Astewes spricht, kann man schon ablegen, wobei natürlich eine theoretische Beschäftigung hilft.


    Also: Diese Musik erwächst aus der Tradition des "gregorianischen Chorals", also spielt die Gestaltung der Linie eine große Rolle, sie "wächst" aus einem Ton hervor, entwickelt Zentren um verschiedene Töne, die innerhalb einer Kirchentonart eine ähnliche "Funktion" haben wie Dominante und Subdominante in der tonalen Musik. Das Etablieren und auch Verunklären solcher "wichtiger Töne" kann man vielleicht mit dem Spiel der Modulation in der tonalen Musik vergleichen, die für unsere Ohren abwechslungsreicher ist.


    In der mehrstimmigen Musik werden dann solche Schwerpunktsetzungen abseits des "Grundtons" durch sogenannte Klauseln gesetzt, die den musikalischen Satz gliedern, ohne immer an einem offensichtlichen Schlusspunkt der gesamten Faktur stehen zu müssen und ohne alle Stimmen zu betreffen im Gegensatz zur tonalen Musik, wo in der Regel alle Stimmen an der dann sogenannten Kadenz beteiligt sind. Die Klauseln werden von je zwei Stimmen gebildet, wobei hier eben erstens zu beachten ist, auf welcher Stufe die Klausel steht, wie die beiden Klauselstimmen kombiniert sind und was die anderen Stimmen so machen. Es ergeben sich diverse Möglichkeiten.


    In Rores Generation ist dann die Imitation üblich, wobei man dann schauen kann, wie die Einsätze stattfinden, welche Abweichungen es gibt, wie lange jeweils imitiert wird. Dann ergibt sich ein vielfältiger Wechsel aus polyphonen und homophonen Elementen und vor allem auch Übergänge. Und dann haben wir natürlich noch den Text, der Beziehungen mit all diesen Gestaltungs- und Gliederungsmöglichkeiten eingeht.


    Es sollte jetzt auch klarer sein, dass das mit Pärt nichts zu tun hat. Pärt ist eher so wie Steve Reich und ähnlicher wie serieller Nono als wie Renaissancemusik. Das Vorhandensein von Dreiklängen und ein vokal-religiöser Sound sind einfach extrem oberflächliche Dinge. Ich schätze Pärt auch sehr, aber aus der Perspektive der Konzeptkunst, die hier im Forum sicher noch unbeliebter ist als die Renaissancemusik.

    Für mich zusammenfassend sage ich, dass es eine Tatsache ist und nicht nur eine Meinung, dass das Weihnachtsoratorium live von professionellen oder hoch begabten Laien (in großen Kirchen) seit Jahren nicht mehr im Stile Richters und Co. aufgeführt wird. Dazu gibt es seit Jahren keine einzige Gesamtaufnahme auf CD oder DVD, die die musikalische Tradition Richters fortführt.

    Ich habe nicht den Eindruck, dass das hier angezweifelt wurde.

    Ohne Tadel ( verblüffend beschränkt) geht es ja bei dir nicht ab. Dabei zeigen ja einige, dass sie von Polyphonie keine Ahnung haben, was ja legitim ist, aber dann schreibt man hier nicht und kanzelt vor allem die nicht ab, die Ahnung haben, und das bin diesmal ich und nicht du.

    Haha, offenbar hast Du alles missverstanden. Aber schön, dass Du glaubst, mehr Ahnung von Vokalpolyphonie der Renaissance zu haben als ich.

    Ich kannte den Text nicht, hätte mich erst einmal damit befassen müssen, dann hätte ich diesen Beitrag erst gar nicht getätigt. Hab mich - wieder einmal - recht dümmlich verhalten.

    Ich fürchte, dass das doch auch ein Missverständnis ist. Die weltliche Vokalmusik folgt denselben Regeln der Dissonanzbehandlung. (Wobei die Regeln nicht ganz so streng waren, wie man es mit dem Palestrina-Beispiel vermittelt bekommt.)

    Aber vielleicht kannst Du mit Deinem liedanalytischen Hintergrund mit einem Madrigal tatsächlich mehr anfangen.

    Selbstverständlich baut Pärt seine Musik anders auf. Diesen drei Minuten Eindruck hatte ich aber jetzt aber auch bei Rore, Zugegebenermaßen fehlt mir einfach die Hörübung bei dieser Musik.


    Aber wie Du siehst, kann man doch ganz gut vergleichen ... :)

    Man kann alles miteinander vergleichen. Aber Mozart und Richard Strauss haben mehr gemeinsam als Rore und Pärt.

    Bei Pärt weiß man nach 3 Minuten, was passiert, bei Rore ist es weniger vorhersehbar.

    Bei Pärt gibt es Schichten mit verschiedener Bauart (Tintinnabuli-Stil, Stimmen, die Dreiklänge singen und solche die Tonleitern singen), bei Rore gibt es ein komplexes Beziehungsgeflecht.