Obwohl zeitlich zuerst entstanden, haben die sechs sogenannten Berliner Konzerte nach dem Verzeichnis von Ernest Warburton (W, manchmal auch „Warb“) die höchsten Werkverzeichnisnummern (W C68-73).
Die Orchesterbegleitung beschränkt sich auf 's Streichquartett (Vl1, Vl2, Vla, Vc/B). Sicher ist sowohl eine solistisch als auch stärker besetzte Darbietung denkbar. Die Konzerte sind dreisätzig gehalten. Damit sind sie (auch hinsichtlich der Besetzung) „mehr Clavierkonzert“ (die Stimme ist als „Cembalo concertato“ bezeichnet) als die Concerti opp. 1 & 7, deren Fokus mehr auf Popularität stand. Der Kopfsatz des 1. Konzerts B-Dur entspricht mehr der Konzertform, obwohl sich längere Tutti- und (begleitete) Solopassagen meist abwechseln, auch eine Art Durchführung ist erkennbar, die im ersten Konzert gar recht witzig gelungen ist: unter dem arpeggierenden und tremolierenden Cembalo werden die Tonleitern durch die Instrumente gereicht (ca. 3:24) - nicht geistreich-witzig, aber spaßig-witzig:
Im Mittelsatz (Andante) spielen die Streicher mit Dämpfer, der Cembalist darf mit einer kurzen Cadenz aufwarten. Das finale Rausschmeißer-Presto orientiert sich an der herben Schroffheit der Musik seines Bruders CPE: der generell energiereiche Fluss der Musik wird durch abgehackte Phrasen unterbrochen.
Mit beinahe 20 Minuten Spieldauer wird auch die durchschnittliche Spieldauer einzelner Konzerte aller folgenden Opusgruppen deutlich überschritten. Während diese zudem sämtlich im Tongeschlecht Dur stehen, bietet die Berliner Gruppe gleich drei Moll-Konzerte: das 2. und 6. jeweils in f-moll, das 3. in d-moll: dies unterstreicht nochmals den bewussten späteren Wechsel zur Galanterie. Diese sechs Werke sind noch ganz der Empfindsamkeit verschrieben.
Auch das 2. Konzert ist dreisätzig angelegt, im Mittelsatz wird den Streichern einmal mehr ein Dämpfer verpasst. „Orchester“ und Solopart werden „wettstreitend“ gegenübergestellt. Die Konzerte soll JC ja unter der Obhut und dem Einfluss seines Bruders CPE verfertigt haben, weshalb sich hier JC Bachs Personalstil, der später auch Mozart et al. formte, noch nicht entfaltet. Die ständig variierenden dynamischen Vortragszeichen machen einen beinah störenden Anteil im Schriftbild des Mittelsatzes aus, der auch zeitlich den größten Teil des Konzertes beansprucht und damit genügend Raum lässt, sich in die Musik hineinzuversenken. Die obligatorische Cadenz darf nicht fehlen, bevor der bestimmend (17:38) intonierte und zwischendurch nahezu „schreiende“ (17:55ff.) Finalsatz den Hörer wieder auf den Boden der Tatschen zurückholt.
Wie bei den beiden Schwesterkonzerten drängt sich auch im 3. Konzert d-moll aus der Empfindsamkeit heraus das Zugehörbringen der Geläufigkeit der rechten Hand in den Vordergrund. Auch hier liegt das Gewicht des Mittelsatzes, bei dem die Streicher wieder „con sordini“ abgetönt werden, noch über dem des Hauptsatzes. Zeit für Entspannung und Ruhe nach dem angriffslustigen und unaufgeräumt wirkenden Allegro assai. Cadenz, naklar und dann ein dunkel und mysteriös gefärbter Schlußsatz, bei dem - zumindest in dieser Aufnahme - das Cembalo einen harfenartigen Klang (17:26) zugeteilt bekommt, der durch Streicherpizziccati noch Unterstützung findet:
Was für eine tolle Stelle und was für ein tolles Gemälde von James Barry (übrigens Onkel der gleichnamigen Medizinerin - das wäre doch mal einen Film wert)! Das Konterfei zeigt zwar nicht JC Bach, teilt aber eine ähnliche Eigenschaft des berühmten Gainsborough-Gemäldes: aus welchem Winkel man es auch anschaut, die Falkenaugen des Gemalten packen den Betrachter stets fest und lassen ihn nicht mehr los ...
E-Dur, 3/4, tänzerisch-triolisch ... so beginnt das 4. Konzert dieses Sets. Nach den beiden das Gemüt trübenden moll-Konzerten eine schöne frühlingshafte Erfrischung. Es ist das bislang kürzeste Konzert, auch liegt der Schwerpunkt nicht so deutlich auf dem Mittelsatz, der zwar in nachdenklichem moll steht, aber diesmal keine Dämpfer vorschreibt; auch hier ist die Cadenz obligatorisch. Es folgt ein mit Synkopen gespicktes 3/8-Presto zum Ausklang, das den barocken Vivaldi-Duft des Kopfsatzes wieder aufnimmt.
Wie eine Unterhaltung zweier Personen entgegengesetzter Meinung (Dur-moll-Wechsel) beginnt das 5. Konzert in G-Dur - mit, wie ich finde, gelegentlichen Anklängen an Zelenka (0:54: 2:28) und Glucks Don-Juan (2:34) ... ein fröhlicher, blumiger Satz, der Neu und Alt vereint, ohne Stilbrüche vom Zaun zu brechen. Hier darf auch bereits im Kopfsatz die freie Improvisation des Solisten kurz hervortreten (Cadenz).
Ebenfalls steht der Mittelsatz im Kontrast zu den Rahmensätzen: g-moll, con sordini. Er ist leicht kontrapunktisch gearbeitet und besinnt sich ganz auf die traditionelle Klangrede zurück. Das erste (und einzige) Konzert mit zwei Cadenzen, denn auch der 2. Satz lässt eine solche zu. Im Gegensatz dazu eröffnet der Finalsatz mit absteigenden, der Tonleiter folgenden, Tonwiederholungen im Bass, worüber die Streicher sich mit witzigen Rhythmen im tänzerischen 3/4-Takt hinwegsetzen.
Das sind alles Kompositionen des ca. 20jährigen, bevor er zum Londoner „Rockstar“ aufstieg; wer die Musik des Bruders CPE mag, wird sich mit diesen Werken schnell anfreunden.
Das 6. - möglicher Weise nicht authentische, dafür aber wohl bekannteste und meist eingespielte - Konzert ist mir eine separate Betrachtung wert.