Salut,
es freut mich, dass dieses Thema reges Interesse gefunden hat.
"Rekonstruktion" bedeutet für mich in erster Linie einmal, dass ein (Kunst-)werk, welches bereits vollendet war, aber zerstört wurde, "wiederhergestellt" wird. - Sorry, es klingt etwas spiessig. Ich finde persönlich den Ausdruck "Versuch einer Vervollständigung" oder "Ergänzungsversuch" passender und pietätvoller.
Ich finde, gewisse Werke habe einen bestimmten Respekt verdient und da ist zu unterscheiden in a) wollte der Urheber das Werk jemals vollenden (z. B. Mozart's c-moll-Messe) oder b) konnte er es mangels Lebenszeit nicht mehr fertigstellen (z.B. Mahler's X. oder Mozart's Requiem). Im Falle von a) würde ich in jedem Fall einem "Versuch einer Vollendung" absprechen, da dies nicht im Sinne des Autors gewesen ist. Im b)-Falle kann man streiten.
Mir persönlich gefallen all diese Ergänzungen nicht, man merkt sofort an den entsprechenden Stellen, wo die Ergänzung beginnt. Bei zeitgenössischen Ergänzungen (ich meine also Ergänzungen, die unmittelbar nach dem Tod des Komponisten gemacht wurden) klingt wenigstens noch ein Hauch der damaligen Zeit durch... ist also von mir akzeptiert.
Die "Rekonstruktion" der Beethoven'schen X. ist auch mir bekannt, natürlich "klingt" Beethoven etwas durch, aber es lässt trotzdem nicht in Geringsten erahnen, welch ein Werk Beethoven uns hier geschenkt hätte... da sind die Skizzen (wie ünrigens auch bei Schubert) weitaus aussagekräftiger!
Das Schubert-Sinfonie-Fragment wurde einmal von Peter Gülke versuchsweise ergänzt. Ich halte viel von Gülke, nichts aber von dieser Ergänzungsarbeit, da es einfach zu "platt" ist. Es wurde regelrecht konstruiert, ohne re- und ohne Gefühl. Wenn ich mich recht erinnere, hat Pierre Boulez eben dieses Fragment verwendet und ein ziemlich klasse Stück daraus gemacht, was aber rein gar nichts mit Schubert zu tun hat. Boulez war eben Meister der Instrumentation...
Meine Lieblingsautorin Marie von Ebner-Eschenbach hat zu diesem Thema auch etwas zu sagen:
Die Skizze sagt uns of mehr als das ausgeführte Kunstwerk, weil sie uns zum Mitarbeiter macht.
In diesem Sinne, fröhliches Weiterdiskutieren...
Viele Grüße, Ulli