Othmar Schoecks künstlerische Bedeutung aus der Perspektive seines Freundes Hermann Hesse:
"Unsere Zeit reagiert auf den Intellekt und den Willen in der Kunst rascher und sicherer als auf das eigentlich Schöpferische, das nichts anderes ist als jenes innerste Einssein mit der Natur. Wer das hat, wer bei den Müttern wohnt, wer bei den Quellen zu Hause ist, der mag lange verkannt bleiben - es kann ihn betrüben oder ärgern, schädigen kann es ihn nicht. Ich habe oft die Urteile des Tages über Schoeck bedauert, habe oft mit Seufzen und Ärger zugesehen, mit wie viel weniger Schöpferkraft andere Erfolge haben konnten, aber ich habe nie daran gezweifelt, daß Schoeck erkannt werden und jene wohlfeilen Erfolge überdauern werde. Und ich habe mit Freude und mit grimmigem Jubel zugesehen, wie er sich treu blieb, wie er sich unabhängig hielt bis zum Eigensinn, wie er weder dem Usus des Konzertsaals noch den Mahnungen des Theaters Konzessionen machte, und zum Glück auch nicht den Mahnungen und Klagen seiner Freunde, die ihn gerne für immer in der Atmosphäre seiner frühesten Lieder festgehalten hätten.
Umgekehrt hat er auch jeden meiner dichterischen Anläufe und Versuche verstanden, auch dort wo nur wenige mitkamen. Er hatte zu der Notwendigkeit meines Weges dasselbe Vertrauen wie ich zu seinem, erkannte hellhörig jeden neuen Ton, ließ sich durch keinen Umweg im Urteil verwirren, und so ist er mehr als zwanzig Jahre mein bester und klügster Kollege gewesen. Da er häufig Gedichte von mir komponiert hat, habe ich sehr intime Erfahrungen machen können. Ich habe hunderte von Kompositionen mit Achselzucken oder mit Schaudern über meine Gedichte ergehen lassen. In Schoecks Vertonungen ist nigends das leiseste Mißverständnis des Textes, nirgends fehlt das zarteste Gefühl für die Nuancen, und überall ist mit erschreckender Sicherheit der Finger auf das Zentrum gelegt, auf jenen Punkt, wo um ein Wort oder um die Schwingung zwischen zwei Worten sich das Erlebnis des Gedichtes gesammelt hat. Gerade dieses Erfühlen der Keimzelle in jedem Gedicht war mir stets das sicherste Kennzeichen für Schoecks Genialität. Er kann aus Laune oder aus Selbstschutz sich einem Kunstwerk verschließen. Er kann aber kein Kunstwerk in sich einlassen, ohne auf dessen Qualitäten peinlich genau zu reagieren, er liest Verse oder Bilder, wie ein Jäger Bildspuren liest. Auch für dies Verständnis bin ich ihm dankbar, mehr aber noch für seine Werke, für die Lieder, die Chöre, die Opern, die Quartette. Ich verdanke ihnen nicht bloß viele glückliche Stunden, ich verdanke ihnen auch manchen Trost in Zeiten, wo die meisten anderen Tröster versagten" (1929)
Den einleitenden Satz "Unsere Zeit reagiert auf den Intellekt und den Willen in der Kunst rascher und sicherer als auf das eigentlich Schöpferische, das nichts anderes ist als jenes innerste Einssein mit der Natur" finde ich übrigens auch heute noch unabhängig vom Zusammenhang mit Schoeck sehr bedenkenswert.... in manchen Radioübertragungen sogenannter "Neuer" Musik sind die Voraberklärungen zur Aussage und zum Sinn dieser Klänge länger als das Stück selber....
Viele Grüße
Bernd