Beiträge von Christian B.

    Seine Aufnahme der Fantasie op. 17 bewegt sich allerdings am Rande einer Fehlinterpretation.

    Also so weit würde ich nicht gehen, vor allem im ersten Satz gelingt es ihm, der Musik ihr Geheimnis zu belassen. Und das können die wenigsten. Der zweite Satz ist allerdings merkwürdig blass. Ganz anders die Fantasiestücke, die er auch mehrmals aufgenommen hat. Ganz wunderbar!


    Liebe Grüße, Christian

    Um den Pianisten Barenboim ist es dagegen merkwürdig still geworden.

    Durchaus nicht! Anbei einige besondere und wie ich meine gelungene Aufnahmen - bei der Schubert-Box möchte ich insbesondere auf die Sonate D.959 hinweisen, deren Durchführung im ersten Satz niemand so sinnstiftend gestaltet wie Barenboim!



    Das Cover von THE WARSAW RECITAL wird leider nicht angezeigt.


    Viele Grüße

    Christian

    Hallo nomorino,


    aber die Fantasie ist nun alles andere als ein gelassenes Werk, insofern war das vielleicht von mir ein falsches Wort. Bei vielen Interpreten fällt der erste Satz ja oft auseinander zwischen den ruhigen und den leidenschaftlichen Passagen, das ist bei Rubinstein anders, er wahrt den Überblick und wählt insgeamt eher ein gemäßigtes Tempo. Ich sehe schon, heute Abend werde ich wieder mal in diese Aufnahme reinhöhren, die mir einige Rätsel aufgibt.


    Horowitz' Live-Aufnahme der Fantasie ist berühmt wegen der Patzer, die ihm u.a. am schwierigen Ende des zweiten Satzes unterliefen (veröffentlich nur auf der LIVE AND UNEDITED-Ausgabe). Das ist schon sehr, sehr aufregend anzuhören, aber er trifft das Werk insgesamt nicht so gut wie die Humoreske - da bin ich voll bei Dir, dass ihm hier was Besonderes gelungen ist.



    Viele Grüße

    Christian

    Kreisleriana


    Von Rubinsteins Aufnahme der Fantasie und der Kreisleriana war ich immer ein bisschen enttäuscht oder zumindest zwiegespalten. Bei der Kreisleriena ist die CBS-Aufnahme von Horowitz aus ungefährt der gleichen Zeit viel aufregender. Und die Fantasie spielt Rubinstein sehr, sehr langsam und braucht für den ersten Satz über 14 Minuten. Die geforderte Leidenschaft will sich da mir nicht einstellen. Irgendwo hat auch gesagt - ich glaube in Bezug auf eine Aufführung von Sviatoslav Richter -, dass man den ersten Satz keinesfalls zu schnell spielen dürfe.

    Seltsamerweise hole ich diese Aufnahmen aber dennoch immer wieder hervor, wenn ich mich mit diesen beiden Werke auseinandersetze. Sie sind in ihrer Ausgeglichenheit nämlich aus einer anderen Sicht heraus bewunderungswert. Es ist allerdings gar nicht so leicht zu bescheiben, wie es Rubinstein gelingt, bei aller Gelassenheit dennoch ins Zentrum dieser leidenschaftliche Werken vorzudringen.


    Viele Grüße

    Christian

    Lieber Hans,


    Ich muss gestehen, dass es mich viel Energie kostet, bei diesem Thema sachlich zu bleiben. Ich würde eigentlich gerne anders schreiben. Es gibt natürlich Fälle, in denen jemanden etwas untergeschoben wird. Aber wenn das auf 5% der Fälle zutrifft, ist es viel - so zumindest meine Einschätzung. Und über diese 5% empören sich hier alle und die anderen 95% werden ignoriert.

    Meine Erfahrung und Beobachtung ist, dass Macht auf die unvorstellbarste Art und Weise missbraucht wird. Und gerade von Menschen, von denen man es nicht für möglich gehalten hätte. Vor diesem Hintergrund finde ich den hier viel beschworenen Grundsatz der Unschuldsvermutung allenfalls dazu geeignet, das offenbar in Frage gestellte heile Weltbild zu besänftigen. Damit auch 20 weitere Zeugenaussagen nur nicht daran rütteln können...

    Ich hätte es ja interessant gefunden darüber nachzudenken, ob außergewöhnliche künstlerische Leistungen eben manchmal einen Preis haben. Wenn ein Sänger tatsächlich besser singt, wenn er vor der Aufführung Sex hat - ja dann muss man da halt was organisieren. Ist doch nicht so schwer? Es gibt wirklich schlimmere Neigungen. Für mich hat der Mann ein schlechtes Management. So, das wars jetzt von meiner Seite zu diesem Thema.


    Viele Grüße, Christian


    Von dieser neuen Aufnahme Yvegeny Sudbins habe ich mir zuerst den 3. Satz der Sonate op. 110 angehört, bei deren finaler Fuge viele Pianisten entweder an Ausdruck oder an Steigerung oder an schierer Kraft schuldig bleiben. Sudbin spielt den dritten Satz und insbesondere diese Fuge so schnell, dass ich zunächst enttäuscht war über die Kürze. Aber es war ein Irrtum meienrseits und man wird einem Pianisten dieses Kalibers nicht gerecht, wenn man so punktuell in einen Aufnahme reinhört. Bei Sudbin hat op. 110 eine ganz eigene Dramaturgie und es dürfte wenige Aufnahme dieser Sonate geben (Willi hat sie leider noch nicht in seinem thread besprochen), die ähnlich leidenschaftlich sind.

    Es ist kein verklärter Beethoven, aber auch kein diesseitiger - die Sonate hat hier durchaus eine transzendente Dimension, gleichzeit aber sehr viel Energie und Ausdruckswucht!


    Viele Grüße

    Christian

    Bevor die Sache nicht geklärt ist, sollte die Presse ihren Ehrenkodex in Ehren halten und schweigen.

    Warum sollte das die Presse tun? Es ist ihre Aufgabe und natürlich auch ihr Geschäftsmodell, darüber zu berichten und verborgene Dinge ans Licht zu bringen. Ich finde das wichtig, ich bin froh, dass darüber berichtet wird und ich halte es für ganz wesentlich, dass zwischen Stars und anderen Verdächtigen überhaupt kein Unterschied gemacht wird. (off topic: das gilt auch für den Fall Metzelder, bei dem die Presse wie die FAZ bspw. - anders als hier dargestellt - lediglich eine Meldung der Staatsanwaltschaft aufgegriffen hat!). Natürlich ist der Nachrichtenwert bei einem Star höher, natürlich wird da gerne etwas spekulativer berichtet - aber wie wir hier im Forum sehen und wie es die Salzburger Festspiele bei Domingo gehandhabt haben, hat ein Star ja auch viele Freunde, die ihn unterstützten. Da muss sich niemand Sorgen machen. Wer sich dazu entscheiden hat, mit seiner Persönlichkeit Karriere zu machen, der muss mit allen Konsequenzen leben. Und ein Profi weiß, dass er unter besonderer Beobachtung steht.

    Das kann ich nicht exakt beantworten. Ich arbeite zwar seit ca. 20 Jahre in der Branche, aber die ersten 10-12 Jahre musste ich mich nicht detailliert mit Verträgen auseinandersetzen (dafür gab es Juristen, mit denen man sich abgestimmt hat), wenn überhaupt. Aber es gab in den größeren Firmen immer Compliance Regeln. Vor allem der Fall Dieter Wedel hat sehr viel in Gang gesetzt - das ist ja noch nicht so lange her. Aber findest Du es denn falsch, dass Diskriminiering welcher Art auch immer nun ein Vertragsbestandteil ist? Ich finde es wirklich sehr wichtig und ich war erstaunt, dass die Vertrauensstelle, wie an anderem Ort schon gesagt, mehr zu tun hat als gedacht. Es ist wichtig, weil es gerade bei kreativen Prozessen oft keine Grenzen gibt - das meinte die weiter oben angegriffene Spiegel-Autorin Hoffmann -, bzw. würde ich sogar sagen, dass die Grenzüberschreitung dazu gehört.

    Gerne! Auch davor gab es natürlich einen Passus, dass eine Produktion im gesetzlich erlaubten Rahmen zu erfolgen hat, dies betrifft bspw. die Arbeitszeiten, aber auch alles andere muss natürlich auf legale Weise erfolgen (wobei das beim Film gerade mit den Arbeitszeiten mitunter eine Gradwanderung ist).

    Nur weil nicht explitzit im Vertrag steht, dass sexuelle Übergriffe nicht erlaubt sind, heißt das ja noch lange nicht, dass sie erlaubt sind. (Die Anwälte von Levine haben hier jedoch offenbar bzgl. seiner Kündigung an der MET ein Schlupfloch gefunden, das immerhin zu einem Vergleich geführt zu haben scheint.)


    Viele Grüße

    Christian

    Darf ich nachfragen, seit wann es diesen Passus so unverändert in den Spielfilm-Verträgen gibt?

    In dieser Form mit Hinweis auf fristlose Kündigung (#6) erst seit diesem Jahr, vorher war das allgemeiner gehalten. Es handelt sich hierbei um einen leicht modifizierten Vertragsauszug mit einem öffentlich-rechtlichen Sender. Entsprechend gibt es nun einen neuen Passus mit den Mitarbeitern und Teammitgliedern, die ich für eine Produktion befristet beschäftige.

    Auf Seiten der Mee Too-Gegner gibt es hier zwei Gruppen. Die eine Gruppe - ich möchte stellvertretend die immer bereichernden Beiträge von Johannes Roehl erwähnen - betonen die Bedeutung der Unschuldsvermutung und die beträchtlichen Konsequenzen, wenn man diese über Bord wirft.

    Doch es gibt auch eine Gruppe - unser Foreninhaber gehört dazu -, der es um etwas anders geht. Hier wird grundsätzlich hinter jeder Mee Too-Veröffentlichung ein Rachefeldzug gewittert oder eine persönliche Bereicherung unterstellt. Das finde ich wirklich schwer erträglich, wobei ich gar nicht ausschließe, dass so etwas vorkommt.

    Meine Erfahrung als Produzent von Spiel- und Fernsehfilmen ist, dass dort, wo es Macht gibt, sie in jeder Hinsicht auch ausgenutzt wird. Und zwar wirklich schamlos und unverblümt ausgenutzt - wenn es keine Compliance-Regeln gibt.

    Ich stelle hier mal einen Vertragspassus ein, den ich bei der Produktion von Spielfilmen strikt in meinen Verträgen umzusetzen habe. Solche Vertragszusätze gäbe es nicht, wenn sie nicht dringend notwendig wären. Offenbar sind sie im Klassikbetrieb jedoch nicht üblich. So hat James Levine gegen seine Kündigung an der MET geklagt, weil in seinem Vertrag "sexuelle Belästigung" gar nicht als Kündigungsgrund aufgeführt wird. Das spricht nun wirklich für sich - bekanntlich hat man sich dann außergerichtlich geeinigt.


    Hier nun also ein Passus, wie ich ihn als Produzent unterschreiben und umsetzen muss:


    1.       Beide Parteien lehnen jede Form von Diskriminierung im Sinne des AGG, insbesondere jede Form von sexueller Gewalt, Missbrauch und sexueller Belästigung ab.

    2.       Der Vertragspartner stellt die Einhaltung diesbezüglich bestehender branchenüblicher Maßnahmen (z. B. durch den „Verhaltenskodex zu sexueller Belästigung und Gewalt“) sicher und wird auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der überbetrieblichen Vertrauensstelle hinweisen.

    3.       Der Vertragspartner versichert, alles Zumutbare unternommen zu haben, um jede Form von sexueller Gewalt, Missbrauch und sexueller Belästigung im Zusammenhang mit dieser Produktion durch ihn als Auftragnehmer und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu vermeiden, Verdachtsmomenten nachzugehen und Verstößen durch geeignete Maßnahmen (z. B. arbeits- und vertragsrechtliche Mittel, bis hin zu strafrechtlichen Anzeigen) entgegenzuwirken.

    4.       Der Vertragspartner erkennt dies durch seine Unterschrift unter den Vertrag an und versichert ausdrücklich, dass er keine Kenntnis von Verstößen oder konkreten Verdachtsmomenten im Zusammenhang mit dieser Produktion gegen ihn als Auftragnehmer und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen sexueller Gewalt, Missbrauch und sexueller Belästigung hat.

    5.       Der Vertragspartner wird dem Auftraggeber unter Wahrung berechtigter Datenschutz - und Persönlich-keitsrechte der betroffenen Personen und der Geschäftsgeheimnisse seines Unternehmens über konkrete Verdachtsmomente und Verstöße gegen Ziffer 3 oder 4 unverzüglich informieren und einvernehmlich einer gemeinsam bestimmten geeigneten Stelle (z. B. Vertrauensstelle oder einer/einem Rechtsanwältin/Rechtsanwalt oder einer/einem Psychologin/Psychologen) Einsicht in seine produktionsbezogenen Unterlagen gewähren, um diese Verdachtsmomente zu überprüfen.

    6.       Unbeschadet sonstiger Rechte ist der Sender im Falle des Verstoßes gegen die in den Ziffern 3, 4 und 5 genannten Verpflichtungen zu weiteren verhältnismäßigen Maßnahmen berechtigt. Dies kann im Einzelfall bis zur außerordentlich fristlosen Kündigung führen.


    Viele Grüße

    Christian

    Ich habe auf diese Frage in Beitrag 416 auch schon eine Antwort gegeben.

    Nein, hast Du nicht. Du hast darüber geschrieben, warum Du jemanden Hochachtung versagst und Du hast darüber befunden, was du unsäglich findest. Das ist jedoch irrelevant.


    Zur Erinnerung: die Frage war, warum Menschen, die sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen sind, sich erst viele Jahre später dazu äußern. Es gibt hier nun die eine Fraktion, die sagt, dass sie das machen, um nach gescheiterter Karriere wenigsten ordentlich abzuzocken. Ich kann nicht ausschließen, dass es solche Fälle gibt. Es gibt aber auch die Position, dass Opfer sexueller Übergriffe (welcher Art auch immer) eben erst nach vielen Jahren - in diesem Fall unterstützt von einer Bewegung - die Kraft aufbringen, darüber zu reden. Denn darüber zu reden heißt immer auch gleichzeitig, sich zu outen als jemand, der missbraucht wurde, sich zu outen als jemand, der zu schwach war, nein zu sagen, sich zu outen als jemand, der lange geschwiegen hat und der alle angelogen hat. Darüber gibt es viele Berichte, gerade im Falle Levines gab es dazu einiges zu lesen, was ich erschütternd fand.

    Ich dachte, dass ein Forum für klassiche Musik in der Lage sein sollte, diesen Menschen einen gewissen Respekt entgegenzubringen. Statt dessen wird ihnen pauschal unterstellt, dass sie nur abzocken und die Sau durchs Dorf treiben wollen. Solch niveaulosen Ausfälle sind hier weiter oben tatsächlich - unmoderiert - nachzulesen.

    4) hast Du die berechtigte Frage gestellt, warum sich die Betroffenen erst nach so langer Zeit gemeldet haben.

    Auf diese Frage gab es nun schon mehrmals eine Antwort oder zumindest den Versuch, eine zu geben. Siehe hier weiter oben und auch den thread zu James Levine. Man könnte freilich mehr dazu schreiben, aber ich denke, das ist hier sinnlos.

    So ein Quatsch! Sexuelle Nötigung, sexueller Missbrauch und Vergewaltigung waren schon immer strafbar. Wenn es strafrelevante Verfehlungen gab und die Frauen wären einzeln zeitnah(!) mit diesen Vorwürfen an die dafür zuständigen Stellen herangetreten, wäre ihnen meine Hochachtung gewiss gewesen. Aber jetzt, nach Jahrzehnten, auf diesen Zug aufzuspringen - nachdem die Karriere nicht so verlaufen ist wie erhofft, und dafür muss natürlich ein Sündenbock her, dass das eigene Talent nicht groß genug war, ist ja völlig undenkbar! - finde ich einfach nur unsäglich!

    Ich verweise auf meinen Beitrag #310 (wo ich kurz auf Erfahrungen und notwendige Konsequenzen in meiner Branche eingehe), erspare mir eine unergiebige Diskussion und erwarte gespannt die Ergebnisse der Nachforschungen an den US-Opernhäusern.

    Allerdings und dabei bleibe ich, werde ich nachdenklich, wenn solche Vorwürfe erst nach vielen Jahren geäußert werden.

    Lieber Operus,


    dazu hatte ich weiter oben etwas geschrieben - etwaige Opfer können erst seit #meetoo hoffen, ernstgenommen und nicht verspottet zu werden. Deswegen sind manche Kommentare hier im Forum meines Erachtens ziemlich peinlich. Aber ich finde inzwischen auch, dass die Anonymität der Anklage hier nicht hilfreich war.


    Ansonsten bin ich der Meinung, dass die Recherchen der AP jetzt erst einmal überprüft werden sollten, wie das ja auch die Opernhäuser in Amerika angekündigt haben.


    Viele Grüße

    Christian

    Vielen Dank für den Hinweis auf den sehr lesenswerten Van-Artikel! Ich möchte daraus den letzten Absatz zitieren:


    Die große Zahl derer, die in der Klassikwelt Opfer von sexueller Belästigung oder Machtmissbrauch geworden sind, wird die jetzige Diskussion nicht ermutigen, öffentlich und namentlich darüber zu sprechen. Im Gegenteil. Warum sich einer Öffentlichkeit aussetzen, die ihre Stars reflexhaft schützt und die mutmaßlichen Opfer reflexhaft diffamiert? Auch die, die einen grundsätzlichen Kulturwandel wollen, realisieren spätestens jetzt: Es wird lange dauern.“


    Hier noch die gesamte Recherche der AP mit den „unappetitlichen“ Details - das ist schon recht detailliert und meines Erachtens nicht zu ignorieren:


    https://www.apnews.com/7943ada7ec7d432da57e76fc38fae7b1


    Viele Grüße, Christian


    Die Frauen hätten keinerlei Nachteile aus der Anonymität herauszutreten, denn die Vorgänge liegen fünf Jahrzehnte zurück und es schützt sie auch noch MeeToo-Solidarität. Ihre Karriere ist zudem längst beendet. Auch beruflich hätten sie keinerlei Nachteile. Die einzige plausible Antwort ist, dass sie sich durch die Anonymität davor schützen wollen, dass der Beschuldigte Rechtsmittel einlegt, also einstweilige Verfügungen erwirkt oder Klage einreicht. Das aber ist Rechtsvereitelung und nicht hinnehmbar und mit den Grundsätzen eines Rechtsstaats nicht vereinbar.

    Lieber Holger,


    den Schritt aus der Anonymität heraus an die Öffentlichkeit ist doch der schwierigste überhaupt - denn er beinhaltet das Eingeständnis, dass man sich auf die Angebote und Nachstellungen eingelassen hat. Das man schwach war und sich Vorteile erhofft hatte. Dass man eben nicht widerstehen konnte. Oder in anderen Fällen: Dass man missbraucht wurde (aber darum geht es hier nicht). Auch in meiner Branche haben nur sehr wenige diesen Schritt geschafft. Nicht von ungefähr hat hier nur Patricia Wulf diesen Schritt getan, denn sie hat damals nein gesagt. Die anderen haben das nicht geschafft. Warum nur ist es so schwer, diese Scham nachzuvollziehen? Statt dessen wird hier über die Opfer Hohn ausgeschüttet. Eben deshalb der Wunsch nach Anonymität. Ich kann das sehr gut verstehen und verweise noch einmal auf den guten Beitrag auf Capriccio von Herrn Zeyn.

    Es geht eben nicht um justiziable Vorgänge. Auch der Prozess um Weinstein führte ja zu keinem Ergebnis, auf dieser Ebene ist nichts auszurichten.


    Viele Grüße

    Christian

    Lest doch mal bitte genau - von Beginn war davon die Rede, dass nur Patricia Wulf ihren Namen hergegeben hat - eben weil sie damals stark genug war, nein zu sagen: „Acht der neun Frauen legen Wert auf ihre Anonymität. Einzig die Mezzosopranistin Patricia Wulf, heute 61 Jahre alt, steht namentlich zu den Vorwürfen gegen den achtundsiebzigjährigen Künstler. Keine der Frauen kann Dokumente für die Vorfälle, also Notizen, Fotos, Sprachaufzeichnungen vorlegen. Die Datierungen sind aber von AP überprüft und durch Hotelbuchungen sowie Besetzungspläne bestätigt worden; zudem gäbe es Aussagen von Kollegen, die ähnliche Verhaltensweisen von Domingo beobachtet hätten. (FAZ)


    Es wurde also recherchiert und geprüft und ist nicht aus der Luft gegriffen. Einen Prozess wird es eh nicht geben.

    Was mich wirklich empört, ist, dass Frauen, die diese Kraft von Patricia Wulf nicht hatten, dafür jetzt großspurig verurteilt werden.

    Aber es sind nicht sie, die sich - mutmaßlich - etwas zu Schulden haben kommen lassen.


    Viele Grüße, Christian

    Ich finde, dass ein Klassikforum über diese Ereignisse diskutieren muss - erschreckenderweise erfährt man hier allerdings mehr über das Forum und seine Teilnehmer, als einem lieb sein kann. Wie viele andere schätze auch ich Placido Domingo und James Levine sehr. Nur ein Idiot würde ihre Leistung diskreditieren. Aber bei Levine war es bspw. so, dass erst jetzt rauskaum, dass es schon bei seiner Wahl in München Diskussionen und deutliche Hinweise gab, die im Stadtrat niedergebügelt worden sind. Warum sollte man das ausblenden? Wenn wir die Kunst eines Domingo und eines Levine so lieben, vielleicht müssen wir dann auch diesen Preis bezahlen? Hat Kunst vielleicht manchmal einen Preis, der nicht mit Geld zu erbringen ist? Siehe auch die Diskussion um Barenboims Machtspiele. Das sind Fragen, über die kann man nachdenken, finde ich.


    Richtig schlimm finde ich den Satz, dass die Opfer zu feige waren, um Anzeige zu erstatten. So etwas zu sagen ist einfach nur traurig - und wer so was sagt, hat sich nie mit Opfern ausgeinandergesetzt, geschweige denn, Ihnen zughört. Einfach nur zuhören würde ja genügen. Allein deshalb werde ich diese "unappetitliche" Thematik hier weiterverfolgen.


    Viele Grüße

    Christian

    Fassungslos macht mich immer wieder, daß es inzwischen schon zur Normalität gehört, daß in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen immer wieder eine neu Sau gefunden wird, die durch das Dorf getrieben wird. Jedesmal erhebt sich die bange Frage: Und wer mag nun der Nächste sein?


    Nemorino

    Und mich machen solche ahnungslosen Kommententare fassungslos - ich empfehle den weiter oben verlinkten Beitrag auf Capriccio von Martin Zeyn.


    Ich arbeite seit 20 Jahre in der Filmbranche, die in den letzten Jahren ja auch von einige Skandalen heimgesucht wurde (bspw. Dieter Wedel). Die Argumente gegen die Berichterstattung finden sich 1:1 hier im Forum wieder: Warum melden diese Frauen sich erst jetzt? Sie wollen doch nur Kapital draus schlagen usw. Worauf ich hinaus will ist aber, dass sich meine Branche das zum Glück nicht lange angesehen und kurzerhand eine Vertrauensstelle gegründet hat. Vor allem die Sender haben hier ihre Verantwortung wahrgenommen. Diese Vertrauensstelle wurde meines Erachtens sehr solide ausgestattet und ich hätte gedacht, dass das bald wieder zurückgefahren wird. Irrtum, die haben leider sehr, sehr viel zu tun und kommen kaum hinterher. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn es nun die eine oder andere Sau erwischt. Diese Zeiten sind einfach vorbei, auch wenn das einige hier noch nicht begriffen haben.


    Interessieren würde mich, ob es inzwischen solche Vertrauensstellen auch im Opernbetrieb gibt? Offenbar ja nicht.


    Nachtrag: Es gibt aber auch solche Stimmen https://www.welt.de/icon/partn…T0bgh-CUZi6TNed2V_7d8H5hY

    Zu Kachelmann möchte ich die Urteilsbegründung in Erinnerung rufen, die offenbar viele schon wieder vergessen haben:

    „Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz ‚in dubio pro reo‘ freizusprechen.


    Zur Domingo-Berichterstattung empfehle ich diesen Kommentar von Martin Zeyn auf Capriccio:

    https://www.facebook.com/br.ca…M34jTMXUM&fref=nf&__xts__[0]=68.ARDy4B4i1p1fxqWkeSviitutwHP_4c_7PU_BDN4qLuXVnepM6xzJr-uOJEnj0fJ1X1vihDoTrASzlWxj3MMGGwbdSlB9dFIfk0tkC-WFRMgBHyUD6n3kmEwNK_EJ-lHc4VEqfA6YDFI9auWCzcdxhPagl4N6eoL-ryv8pBMVcWA9gVS8CTAYotX3N2Ehgzx9s-HV7_Q7vBjjAS0dbDSnljfkUSm8-O_CuoG1mqicMo59v4KDZDPrOiREJ1Zphjm3xLhglPYz6ZAJ8CpdhbPoVEgnq5KTX1e3Jq1xDa5EVfeiKV_xZDrxcwmz1AxrN6LuhJWOcpm_mVAmv-Cep4ws19paC70J1LgsLGb9QA

    "Nach dem Orchester in Philadelphia und der Los Angeles Opera zieht auch die Oper von San Francisco Konsequenzen aus den Vorwürfen gegen Opernlegende Plácido Domingo. Sie strich ein für Oktober geplantes Konzert mit Domingo, nachdem neun Frauen ihm sexuelle Belästigung und unangemessenes Verhalten vorwarfen. Acht Sängerinnen und eine Tänzerin hatten der Nachrichtenagentur AP berichtet, der Opernsänger und Dirigent habe sich ihnen unerwünscht sexuell genähert - dieses Verhalten sei lange ein offenes Geheimnis in der Opernwelt gewesen.

    Die Frauen sagten, Domingo habe sie in sexuelle Beziehungen zwingen wollen, indem er ihnen Jobs angeboten habe. In einigen Fällen habe er die Frauen bestraft, wenn sie seine Annäherungen verweigerten. Sechs Frauen erklärten, sie hätten sich durch anzügliche Annäherungsversuche seitens Domingo unwohl gefühlt. Beinahe drei Dutzend weitere Personen aus Opernkreisen sagten, sie hätten unangemessenes, sexuell-gefärbtes Verhalten von Domingo beobachtet. [...]

    Philadelphias Oper gab nach dem Bericht bekannt, Domingo sei nicht länger eingeladen, bei einem Eröffnungskonzert Mitte September zu erscheinen. Das Haus fühle sich verpflichtet, dass es dort ein "sicheres, unterstützendes, respektvolles und angemessenes Umfeld" gebe. Es war die erste Reaktion nach der Veröffentlichung der Vorwürfe. Die Oper in Los Angeles, wo Domingo seit 2003 Direktor ist, teilte mit, sie werde mithilfe von auswärtigen Beratern die Anschuldigungen untersuchen. Aus San Francisco hieß es, obwohl das unangemessene Verhalten in San Francisco stattgefunden haben soll, sei die Oper ihren "strengen Regeln gegen sexuelle Belästigung verpflichtet und verlangt von allen Mitglieder, die höchsten Standards professionellen Verhaltens einzuhalten."Der Opernsänger nannte die Anschuldigungen "zutiefst beunruhigend und wie dargelegt, unzutreffend". Er müsse aber auch anerkennen, dass die heutigen Anstandsregeln sich deutlich von denen früherer Jahre unterschieden." (SZ)