Beiträge von Christian B.

    Haha, ich habe gar nicht an Foucault gedacht, interessant. Es ist ein bisschen seltsam, dass Du hier immer einen wissenschaftlichen Diskurs zu führen versuchst, dabei ist das nicht der Ort dafür. Mir ging es darum, dass auch vermeintlich "zeitlos gültige Erkenntnisse" immer ihrer Zeit unterliegen. Aber ich werde dafür keine wissenschaftlichen und auch keinen zeitlos gültigen Beweis erbringen ;-) Deine „zeitlosen Erkenntnisse“ konnten mich bei diesem Thema bisher jedenfalls nicht überzeugen und ich bezweifle die Gültigkeit, die Du für sie beanspruchst.


    Lassen wir es dabei bewenden.

    Dieser Thread ist Schumann gewidment, nicht theoretischen Diskussionen. Ich möchte in aller Kürze nur auf den Fall J.K. Rowling verweisen, der - ausgelöst von einer Äußerung Rowlings -, deutlich macht, wie problematisch die vage theoretische Forderung nach einer Trennung von Werk und Autor erscheint, wenn man ihm reale Konflikte zwischen Autor, Publikum und Werk gegenüberstellt. Dazu gibt es auch Publikationen und zahlreiche Diskurse. Es gibt weitere Fälle, Handke gehört auch dazu, die die klassische Trennung von Werk und Autor im 21. Jh. in Frage stellen. Dazu gibt es Literatur, ich verzichte auf wissenschaftliches Namedropping. Aber wenn Du in diesem Kontext 'wissenschaftlich arbeitest', solltest Du sie kennen.


    "Zeitlos gültige Erkenntnisse“ gibt es in den Geisteswissenschaften wie gesagt nicht, das ist Unsinn. Es gibt immer die Möglichkeit einer Weiterentwicklung, Präzisierung oder Falsifikation. Sonst wären das ja "eingemachte" Erkenntnisse, die man beliebig abrufen könnte, ohne das Umfeld zu betrachten, in dem ein Diskurs oder eine Veröffentlichung stattfindet. Und dass sich das Umfeld ändern kann, erleben wir gerade wieder einmal. Da werden Forschungszweige eingestampft, vernichtet und radikal durch andere ersetzt. Zeitlos gültig ist nichts in einer Gesellschaft, auch die Wissenschaft nicht. "Zeitlos gültige Erkenntnisse" sind immer die Erkenntnisse der aktuellen Machtstrukturen, auch wenn man das nicht wahrhaben will. Dazu gibt es genügend Literatur. Das nicht zu berücksichtigen wäre sehr naiv. Mit dem soliden werkimmanenten Handwerkszeug aus den 60 Jahren des 20 Jahrhunderts beispielsweise - also der Adenauerzeit - kann man auf viele Fragen des 21 Jh. keine Antworten finden (siehe Rowling, Handke und andere) und gewiss keine "zeitlos gültigen Erkenntnisse" gewinnen, da die Fragen jetzt einen anderen Bezugsrahmen haben.


    Aber Du kannst Deine "zeitlos gültigen Erkenntnisse“ gerne auf einen Podest stellen und bewundern. Du kannst sie natürlich auch hier einstellen, ich lese sie gerne, wie Du weißt, und manchmal reagiere ich auch darauf. Aber ein wisschenschaftliches Umfeld ist das hier natürlich nicht. Und wenn Du deine 'Erkenntnisse' hier so einstellt, dass man nicht darauf antworten kann, was immer wieder vorkommt, erfüllen diese 'Erkenntnisse' auch die mindeste wissenschaftliche Voraussetzung nicht.

    Es ist einfach notwendig und wird von keinem Literatur- oder Musikwissenschaftler von Format bestritten, dass man die Trennung von Autor/Werk machen muss. Das ist eine zeitlos gültige Erkenntnis.

    Das magst Du so sehen, aber es gibt hier eben auch völlig andere Meinungen - nicht erst im Zeitalter der Digitalisierung und der damit grundsätzlich veränderten Autorschaft hat der Diskurs eine gegenläufige Richtung genommen.


    „Zeitlos gültige Erkenntnisse“: das gibt es in den Geisteswissenschaften grundsätzlich nicht. Deswegen wäre es eigentlich auch ratsam, in einer Werkbetrachtung oder in einer Analyse den Vortrag mit ein bisschen Demut als eine Position zu kennzeichnen, die falsifiziert oder auch präzisiert werden kann. Da sind die Physiker weiter.

    Vielen Dank für die Erinnerung an ein Grundseminar Ende der 80er Jahre. Auch die Welt der Geisteswissenschaftler hat sich weiterentwickelt und diese Trennung von Werk und Autor/Künstler wird inzwischen auch anders gesehen, wobei es natürlich wichtig war, dass diese Trennung einmal vorgenommen wird und dass es auch einen Blick auf das Werk allein gibt. Aber ich mag das hier nicht weiter diskutieren (es führt zu weit weg).

    Aber was helfen uns denn all diese Erkenntnisse für unser Hörverständnis? Verstehen wir dadurch die Musik wirklich besser?

    Ja natürlich. Der Blick auf die Entstehungsgeschichte, auf die biografischen Hintergründe, auf konzeptionelle Verwerfungen, auf die unterschiedlichen Anspielungen, auf das Motto und nicht zuletzt und vor allem auf die NOTEN ermöglicht einen viel differenzierten Blick auf das Werk, als wenn ich mir es einfach nur anhöre. Was man natürlich auch machen kann, es ist ein immer wieder mitreißendes Stück, mit dem man auch als Zuhörer nicht so schnell fertig wird.

    Du hast mal wieder meine Ausführungen aus Unverständnis geradezu grotesk missdeutet und missverstanden.


    Nein, ich habe Dich nur zitiert. Ich bin nun wirklich nicht darauf aus, andere oder Dich misszuverstehen, ich bin hier um zu verstehen.


    Aber wir können es dabei belassen, dass Dein Beitrag #46 zumindest für mich sehr missverständlich war. Aber ich konnte das nicht so stehen lassen, denn der Eindruck ist in der Tat, wie Du selber schreibst, ziemlich grotesk.


    Deinen Beitrag #49 hingegen kann ich nachvollziehen. Es war nie die Rede davon, dass das Werk die Nabelschau einer Privatperson sei, es ging mir nur darum, die durchaus komplexe Entstehungsgeschichte nachzuvollziehen. Die sollte man auf der Suche nach dem "Poetisch-Geistigen", das Dich interessiert, nicht ganz ausblenden, vor allem die Zurücknahme der Beethoven-Zitate, den Verzicht auf programmatischen Überschriften, womit der Komponist das Werk deutlich von der ursprünglichen Zwecksetzung abrückte. (Zu diesem Fazit kommt auch ein anderer Schumann-Experte, aber ich verzichte auf das namedropping. ;-) )


    Viele Grüße

    Christian

    Damit würde das Lyrisch-Poetische prosaisch, d.h. der Hörer würde die Transformation des Biographischen in etwas Geistig-Poetisches nicht nachvollziehen.

    Wieso sollte der Hörer nicht abstrahieren können? Das würde ja bedeuten, dass jeder Hörer, der sich über die Biografie eines Komponisten erkundigt, nicht in der Lage ist, die ‚geistig-poetische‘, meinetwegen auch die abstrakte Dimension eines Stücks zu erfassen. Das wäre das erste Mal, dass Wissen Erkenntnis verhindert.

    Für mich ist nur wichtig, die Ebenen auseinanderzuhalten: die rezeptionsästhetische Konkretisation und die Werk- und Ausdrucksdimension.

    Die Entstehungsgeschichte eines Werks bei einer Betrachtung/Analyse zu berücksichtigen, ist vermutlich keine schlechte Idee, in diesem Fall also die Erstkonzeption der Fantasie für eine Beethoven-Momument, sodann die persönliche Klage des Komponisten über die Abwesenheit der 'fernen Geliebten'... .

    Damit kann der Betrachter rein werkimmanente Deutungen ggf. bestätigen oder auch Widersprüche dazu aufzeigen (auch das ist ja absolut möglich). So kenne ich es zumindest, aber ich werde mich hier nicht auf das Parkett theoretischer Diskussion begeben ;-)


    Über "Rezeptionsästhetische Konkretisationen" haben wir meines Erachtens bisher nicht gesprochen und sie sind für die Fantasie op. 17 vermutlich auch nicht so prägend wie für die Eroica.


    Viele Grüße

    Christian

    Dazu eine notwendige Korrektur. Martin Geck hat 2012 ein Schumann-Buch geschrieben (Robert Schumann: Mensch und Musiker der Romantik. Siedler 2012). Entweder hat Geck in seinem Beethoven-Buch (2017) sich selber nicht richtig zitiert oder Du hast Geck nicht vollständigt zititert und dabei einige Informationen weggelassen.


    Das Geck-Zitat lautet jedenfalls wie folgt:


    "Dieses dreisätzige Werk steckt voller Anspielungen persönlicher und kompositorischer Art. Den ersten Satz der C-Dur-Fantasie bezeichnet Schumann Clara gegenüber als das wohl »Passionirteste«, das er je gemacht habe: »eine tiefe Klage um dich«. Neben diesem Hinweis auf den »unglücklichen Sommer 1836« gibt es auch einen aktuellen künstlerischen Bezug: Schumann will das Honorar, das er mit dem Werk erzielt, für ein von Franz Liszt propagiertes Beethoven-Denkmal spenden. Und auf beide Motive - die Liebe zu Clara und diejenige zu Beethoven - beziehen sich die Verse Friedrich Schlegels, die Schumann dem Werk als Motto voranstellt:

    Durch alle Töne tönet

    Im bunten Erdentraum

    Ein leiser Ton gezogen

    Für den der heimlich lauschet.


    Man muss freilich genau hinhören und außerdem seinen Beethoven kennen, um den »leisen Ton« zu identifizieren, der sich durch die C-Dur-Fantasie zieht: Es geht um den Anfang von »Nimm sie hin denn, diese Lieder« aus Beethovens Liederkreis An die ferne Geliebte op. 98. Das Moment des »Heimlichen« besteht darin, dass das Thema aus dem Lied Beethovens zunächst so verhüllt erscheint, dass seine Identität nur zu erahnen ist und diese Melodie erst im »Adagio« am Ende des Satzes in ihrer originalen Gestalt hörbar wird. Bevor das Beethoven-Denkmal im Jahre 1845 in Bonn tatsächlich enthüllt wird, enthüllt Schumann es also musikalisch. Die dahinterstehende Werk-Idee reicht über den Anlass hinaus: Ein Satz, der zwar der Notierung nach in C-Dur steht, diese Tonart jedoch über weite Strecken eher meidet als aufsucht, findet erst am Ende zur Eindeutigkeit eines C-Dur, das die Lichtgestalt Beethovens symbolisiert: Die Musik Beethovens hilft über die finsteren Zeiten hinweg, die im Kulturbetrieb herrschen, während Clara als personifizierter Rettungsanker angesichts existenzieller Nöte fungiert."


    In Beitrag #34 hatte ich darauf hingewiesen, dass es vom dritten Satz der Fantasie eine frühere Fassung gibt mit stärkeren Beethoven-Bezügen, die Schumann dann aber in der finalen Fassung zurückgenommen hat. Man sollte die Punkte, die der eigenen Argumentation zuwiderlaufen, nicht einfach ausblenden, sondern könnte sie ja auch einmal gewichten.


    Ich fände es toll, wenn hier jemand die Noten des Beethoven-Liedes und deren Verwendung in der Fantasie einstellen und vergleichen könnte. Beim dritten Satz am besten auch von beiden Fassungen.

    Ich habe die Binaconi-Aufnahme vor Jahren gehört, ich kannte ihn nur als Liedbegleiter von Hermann Prey. Da gibt es einige wunderbare Schubert-Alben. Aber sein Carnaval ist mir nicht in Erinnerung geblieben - wie die meisten CARNAVAL-Einspielungen der jüngsten Zeit. Ich höre mir quasi jede Neuaufnahme an, das ist über Spotify ja ganz einfach. Aber es sind dann doch immer wieder die älteren Aufnahmen, zu denen ich zurückkehre (ABM, Cortot, Horowitz, Larrocha). Die von Rubinstein gehört auch dazu. Ungewöhnlich fand ich vor kurzem die Aufnahme von Edna Stern, sie betont die Poesie und spielt eher weich, das gefällt mir. Man sollte diese Stücke nicht runterdonnern, dann gleicht der Zyklus der undurchschaubaren Sphinx, die ihm Schumann auch eingeschrieben hat. Kalt und abweisend.

    Zärtlichkeit, Witz und Eleganz hingegen, wie das Treiben auf einem Tanzparkett, öffnen die Türen ins Innere.


    Interessant ist auch noch diese Wiederveröffentlichung, das ist eine wunderbar pointierte Aufnahme:


    vcvw07cvax9ob_600.jpg


    Dr. Holger Kaletha Du schätzt diese Pianistin doch auch, schon reingehört?

    Ich erlaube ich mir auch einmal einen Exkurs: Es gibt von Marcel Proust ein Werk CONTRE SAINTE-BEUVE, in dem er sich - verkürzt formuliert - sehr ausführlich gegen die biografische Methode Sainte-Beuves wendet und ausführt, dass die Bedeutung eines Kunstwerks unabhängig von der Biographie seines Schöpfers besteht. An dieser Schrift hat er intensiv gearbeitet, sie ging dann langsam und auf sehr verschlungen Wegen in den Roman über, für den Proust heute berühmt ist. Wenn man nun die Entstehung dieses Romans nachvollziehen will, kommt man gar nicht aus, auch auf die Biographie zu schauen. Sie ist ein wichtiger Teil des Werkverständisses, auch wenn der Autor komplett anderer Meinung war. Eine biografische Betrachtung allein, zumal wenn sie so einseitig wie von Sainte-Beuve betrieben wurde, bleibt natürlich sehr begrenzt.


    Ich schätze intelligente biografische Studien sehr und auf hohem Niveau betrieben verdanke ich ihnen aufschlusreiche und tiefe Einblicke in die Werke von Goethe (Safranski), Proust (Tadie), Hölderlin (B. Langer), Thomas Mann (M. Maar), nur um mal einige zu nennen. Dagegen verblassen all die Studien, die ich auch gelesen habe. Gerade bei Proust ist das natürlich nicht ohne Ironie ;-)

    Und bei Schumann ist es meines Erachtens eben auch unerlässlich, die Lebensumstände genau zu betrachten (und natürlich die Noten). Die "Biographik" hat sich methodisch immens weiterentwickelt, sie schaut ja auch genau auf das Werk, das sich aus dem Leben entwickelt und es nicht selten hinter sich gelassen hat. Im Unterschied zu vielen anderen Richtungen in den Geitseswissenschaften ist sie jedoch nicht nur ein theoretisches Gebilde.

    Denn das ist meines Erachtens das Problem der Geisteswissenschaften heute (und ich komme aus dieser Welt): Sie ist leider weitgehend bedeutungslos, sie hat keine Relevanz und sie vermag auch nicht und ist zumeist auch gar nicht daran interessiert, Menschen zu erreichen und unser wunderbares kulturelles Erbe lebendig zu halten.


    Nachtrag: vielleicht habe ich dieses Urteil über die Geisteswissenschaften etwas zu hart formuliert, aber ich habe eben den Eindruck, dass diese Wissenschaften zunehmen an Bedeutung verlieren und nur noch in der eigenen Blase leben. Es fehlt an wirkungsmächtigen Köpfen, die auch mal publizistisch Themen setzen.


    Auch möchte ich an dieser Stelle für mich die Diskussion beenden. Ich danke moderato für die Gelegenheit einer abermaligen Auseinandersetzung mit diesem großartigen Werk und natürlich Holger für den Gegenwind und die Diskussion.


    Viele Grüße, Christian

    Das Schlegel-Zitat kam erst später, 1839, dazu, als Schumann die programmatischen Überschriften gestrichen hat. Außerdem entfernte er alle ursprünglich eingefügten Beethoven-Zitate bis auf eine besonders bekenntnishaft-persönlich wirkende Reminiszenz. „Er rückte das Werk damit also deutlich von der anfänglichen Zwecksetzung ab.“ (Spies) Ich hatte darauf ja schon hingewiesen: es gibt vom letzten Satz eine frühere Version (mit mehr Beethoven), die bisher glaube ich nur Andras Schiff und Charles Rosen aufgenommen haben. Sehr schön! Schiff gibt über die Wiederentdeckung in seinem ECM-Booklet Auskunft, es ist eine ziemlich kuriose Geschichte.

    Ich möchte keineswegs abstreiten, dass das Werk über die persönlichen Anspielungen hinaus weitere, vielschichtige Bedeutungsebenen hat, aber gerade die persönlichen Hintergründe während des Entstehung, die heimliche Kommunikation während der Trennung, ist doch ein ganz besonderes Merkmal, von der die Fantasie auf faszinierende Weise erzählt.


    Viele Grüße, Christian

    Es gilt, die in der Empfindungsmannigfaltigkeit sich verbergende einheitliche seelische Regung lauschend zu erspähen und zwar "heimlich". Die Seele ist ja zugleich das Eigene und Eigenste, also eigentlich das Vertrauteste. Der Blick auf das Verborgene ist ein gleichsam intimer Blick.

    Einem gebildeten, zumal philosophisch geschulten Hörer mag es sich so darstellen, wobei diese Deutung für mich etwas erzwungen wirkt, wie zumeist, wenn die Methodik deduktiv ist.


    Ich will gar nichts deuten und begnüge mich mit einem Blick auf die Entstehungsumstände und da sprechen die Indizien (Clara-Quintabgang, An die ferne Liebe-Zitat in den ersten 20 Takten, Trennung, Briefe usw.) für eine bereits im Motto anklingende, persönliche Botschaft, von der die Adressatin ja auch regelrecht hingerissen war. Eine faszinierende heimliche Kommunikation über Musik in Zeiten der Trennung wird thematisiert und natürlich die Abwesenheit der Geliebten beklagt. Zu Schumanns Lebzeiten hat Clara die Fantasie nie öffentlich aufgeführt. Freilich nimmt so ein kapitales Werk im Laufe der Zeit im Horizont der Zuschauer dann auch andere Bedeutungsebenen ein.

    Es muss nicht alles enthüllt werden.

    Nein, das muss es natürlich nicht, und was Schumann nun genau mit "leisen Ton" gemeint hat, werden wir wohl nie erfahren, bzw. wird es dazu immer verschiedene Ansichten geben. Aber das Motto von Schlegel, das auch der Ausgangspunkt Deines Beitrags war, kann meines Erachtens nun doch ganz gut eingeordnet werden und das finde ich besser, als alles im Ungefähren zu belassen.

    Über das hier diskutierte Thema "Musikalische und außermusikalische Bedeutung des Schlegelschen Mottos über Schumanns Klavierfantasie Op.17" findet sich im im Internet eine Dissertation, die 2012 Wien vorgelegt wurde:

    https://services.phaidra.univi…/api/object/o:1283677/get


    Es gibt Kapitel über "Wiederkehrende Auffälligkeiten als „leiser Ton“" und "Biographiebezogene Deutung des „leisen Tons“"


    Hier das Fazit (S. 84), in dem das "heimliche Lauschen" eine ganz natürliche und einfache Erklärung findet:


    "Wenn also Schumann mit der Verwendung der Passage aus Nimm sie hin denn, diese Lieder auf eine

    seiner tatsächlichen Geliebten anspielen möchte, ist es am naheliegendsten, dass damit seine Gattin

    Clara gemeint ist. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass die Stelle aus An die ferne Geliebte ein

    Relikt aus jener Zeit ist, als die Fantasie Op.17 noch als Klaviersonate für Beethovens Denkmal

    konzipiert war und somit der reinen Huldigung des großen Meisters dient.

    Die Liebe zu Clara als „leiser Ton“, scheint durch Einträge in Schumanns Tagebüchern, in welchen

    er davon spricht, dass er und Clara sich in jener Zeit, in der sie aufgrund des väterlichen Verbots

    keinen Kontakt haben durften, nur durch das heimliche, gegenseitige Zuhören ihres Klavierspiels

    nahe sein konnten, bestätigt zu werden. Es lässt sich also auch die letzte Zeile des Mottos − „für

    den der heimlich lauschet“ − in Bezug auf Schumanns Biographie deuten, wie aus seinen

    Aufzeichnungen deutlich wird:

    „Abends Concert, an der Thüre Clara mit einem Auge, wie nur eine selige Braut ein Blick, der

    dich Schwachen auf Jahre hin stärken könnte – Sonderbar sah's in mir aus, als sie spielte.“

    Gestern Abend Concert von Clara. Oft dünkt mir Alles Traum. Sie sah schön [aus]. Der Ring blitzte

    hell v. Weitem. Ich war in einer Loge von Niemandem gesehen, Schwere Betrachtungen u. Gedanken

    nach dem Concerte. Sie spielte herrlich, im Ganzen die Alte.“ (Hvm)


    Das der Fantasie vorangestellt Motto beschreibt in diesem von Schumann gewählten Kontext also viel konkreter als vermutet eine Situation, in der jemand heimlich jemandem zuhört (jedoch nicht, dass er etwas Verborgenes heraushört. Das gibt der Schlegel-Text auch grammatikalisch nicht her.) Darüberhinaus hat der vollständige Schlegel-Text gewiss noch andere Deutungsebenen, aber das Motto der C-Dur Fantasie spielt auf die konkrete Situation an, in der der Zuhörer der Fernen Geliebten nur heimlich lauschen durfte. Deswegen hat Schumann diese Zeilen vermutlich ausgewählt, denke ich.


    Meine Frage ist nun endlich beantwortet, die Lösung ist wie so oft viel einfacher als zunächst gedacht.

    Hier stütze ich mich auf den Schumann-Experten Hubert Moßburger. Schumanns Auffassung der Musik ist, wie Moßburger ausführt, eine Esoterik. Für ihn war die Musik eine Art Geheimsprache, die nur von den Eingeweihten zu entschlüsseln ist. Von daher ist es mehr als naheliegend, dass Schumann das "heimlich" bei Schlegel im Sinne von "geheim" = "verborgen" (das Geheime und Verborgene heraushörend) gedeutet hat.


    "Im Verborgenen lauschen" oder "geheim lauschen" macht wenig Sinn.

    'Das Geheime heraushörend' steht da nicht. Es ist wohl einfacher.

    Laut Grimm hat "heimlich" in der Goethezeit zunächst eine andere Bedeutung als heute üblich, es drückt ein Wohlbefinden aus.

    Es gibt dafür heute noch das Wort "heimelig": "ich fühle es noch, wie heimlich mirs war" > "Für den, der heimlich lauschet".


    In der Analyse von Werner Spies über die Fantasie ist nirgends von Programmmusik die Rede. Ein Blick in die Noten auf den Quintabgang, den Schumann immer mit Clara verbindet, sowie das unüberhörbare Beethoven-Zitat aus "An die ferne Geliebte" sind deutliche Hinweise, die den Kontext der Fantasie (auch ohne Esoterik) erschließen lassen. Schumann selbst spricht von einer tiefen Klage.


    Fraglich war für mich ja vor allem, ob der durchgehende 'leise Ton' (Schlegel) nur im übertragenen Sinn zu verstehen ist und ob es ihn nicht doch auch ganz konkret gibt. Aber wenn ich die Meinungen hier zusammenfasse, auch die von moderato, dem wir diesen thread verdanken, ist das wohl im übertragenen Sinn zu verstehen. Letzte Zweifel bleiben allerdings ;-)

    Schumann an Clara, 17.3.1838: "Der erste Satz ist wohl mein Raffiniertestes was ich je gemacht - eine tiefe Klage um Dich."


    In Reclams Musikführer von Günther Spies finden sich auf Basis der Noten folgende Informationen:


    Das Eröffnungsthema (T.2-10) ist ein absteigender Quintgang und erinnert an das Clara-Thema des Andantinos der f-Moll Sonate op. 14 und dieses Eröffnungsthema enthält zudem auch die Gerüsttöne der Melodie aus Beethovens Liederkreis "An die ferne Geliebte" (T.15-18).


    Weiter wird im ersten Satz die Beethoven-Melodiefigur in T. 49-52 sowie die Rücknahme in ein "geheimnisvolles pp" als eine "Vertiefung ins Intime" beschreiben: "Partien wie diese scheinen dem im Schlegel-Motto angesprochenen "leisen Ton" direkt wie metaphorisch zu entsprechen."


    Demzufolge wäre der "leise Ton" aus dem Schlegel Zitat als eine Rücknahme ins Innere oder auch ins Intime zu verstehen. Tatsächlich zeichnet sich die Fantaise trotz berauschender fff-Stellen im ersten Satz immer wieder durch längere zurückgenommene und leise Passagen aus.


    Ganz überzeugt bin ich davon aber noch nicht. Das Schlegel-Motto beschreibt keine Rücknahme, sondern einen durchgehenden Ton Für den, der heimlich lauschet.


    "heimlich" hier vermutlich im Sinne von "ohne sich zwang anzuthun", "wohl, frei von furcht" (Grimm)

    "ich fühle es noch, wie heimlich mirs war, als ich zum erstenmale an einem hohen mittag hinein (in ein von bäumen geschlossenes plätzchen) trat." (Goethe)


    Eine genaue Betrachung der Fantasie op. 17 auf Basis der Noten ist nach wie vor ein großes Desiderat hier im Forum, auch im entsprechenden thread wurde das Thema schon mal angeschnitten, aber leider nie ausgeführt.

    Demnach kann die Musik - auch die von Schumann - die (intentionale) Liebe zu Clara Wieck gar nicht wirklich zum Ausdruck bringen.

    ...

    Demnach wäre der alles im Geheimen durchziehende "Ton" in der Fantasie op. 17 die "Stimmung" von Sehnsucht und Liebe an sich - ohne konkreten Bezug auf einen Gegenstand. Dass damit die Liebe zu Clara Wieck gemeint ist, gehörte so nicht zum Ausdrucksgehalt des Werks.

    Für Schumann offenbar schon, es gibt eine bestimmten Akkordfolge, die er wiederholt als Anspielung auf Clara verwendet hat. Also wendet sich diese Musik direkt an Clara und spricht sie an.


    Dass Schumanns Gefühle für Clara 'nicht zum Ausdrucksgehalt des Werks gehören', wie Du meinst, widerspricht in jedem Fall Schumanns eigenen Äußerungen - siehe moderatos Zitat.


    Mein Eindruck vom Hören ist, dass diese Beethoven-Phrase aus AN DIE FERNE GELIEBTE im Laufe des Werkes wiederkehrt und zuletzt im dritten Satz sich sehr deutlich, geradezu hymnisch offenbart. In der frühen Fassung noch mehr als in der späteren, wenn ich mich richtig erinnere. Ein Blick in die Noten wäre schön.

    Die Anspielung auf Beethovens Zyklus "An die ferne Geliebte" ist mir bekannt und ich frage mich, ob mit "leiser Ton" diese sehnsuchtsvolle Phrase gemeint ist. Es gibt vom letzten Satz ja eine frühe Fassung, die András Schiff aufgenommen hat. Da ist die Phrase am Ende meiner Erinnerung nach noch deutlicher zu hören als in der finalen Fassung, die sie wieder mehr verbirgt (oder war es umgekehrt?).


    Aber was ist mit „ein leiser Ton“ nun genau gemeint, und handelt es wirklich nur um einen Ton oder nicht doch um eine Melodie?

    Jean Paul ist mir eine anstrengende Lektüre. Wenn man sich eingelesen hat und die Handlungsstränge entwirrt und die vorkommenden Gestalten für sich charakterisiert hat, fällt es einfacher. Ich hatte seine Werke angefangen zu lesen, weil ich um die Bezüge zu den schumannschen Werken weiss.



    Wenn man die vielen Exkurse und Abschweifungen in den Romanen überblättert, sich auf die Handlung konzentriert und die unglaublich erfindungsreichen, bildgewaltigen und witzigen Vergleiche einmal begriffen hat, ist die Lektüre ein sehr großes Vergnügen. Und der TITAN ist zudem auch sehr spannend und voller Intrigen. Ein großartiges Buch. Man braucht dafür aber etwas, was heute sehr selten zu haben ist: Zeit. Diese Bücher kann man nicht eben mal am Abend lesen, man muss sich richtig auf sie einlassen und mit Konzentration dabei bleiben. Ich bin auf den SIEBENKÄS übrigens aufmerksam geworden über den Roman DIE AUSCHLÖSCHUNG von Thomas Bernhard, in dem er für die Hauptfigur eine zentrale Rolle spielt. Das war meine Einstiegsdroge.


    Die "Kreisleriana" ist eins der großartigsten Stücke Schumanns überhaupt, die oben genannten, bekannte Werke von ETA Hofman kenne ich, die anderen Fantasiestücke jedoch nicht. Den Murr hatte ich mal angefangen, aber dann zur Seite gelegt. Das muss ich jetzt nachholen. Ich habe die Kreisleriana schon mehrmals im Konzert gehört (u.a. Uchida, Pollini), und alle sind sie daran gescheitert und haben sich darin verirrt. Horowitz hat sie bewältigt, aber auch hier finde ich die Live-Aufnahme aus Hamburg etwas schwächer. Es ist wohl doch kein Werk für die große Bühne, trotz aller Virtuosität.


    Ich staune, dass hier im Forum tatsächlich die Meinung vorzuherrschen scheint, dass Schumann ein problematischer Komponist sei. Da mag nur insoweit etwas dran sein, als Schumann in seinen Werken Stimmungen zum Ausdruck bringt, die die Schattenseiten menschlicher Individualität nicht aussparen, sondern ausleuchten. Auch das Disparate moderner Individualität spielt in seiner Musik eine große Rolle - das Fehlen eines übergreifenden Sinnzusammenhangs bei gleichzeitig zunehmenden Rollenbewusstsein (siehe Davidsbündler und Carnaval). Ich wüsste keinen Komponisten, der mir mehr ans Herz geht.

    Ich erlaube mir auf einen Beitrag hinzuweisen, in dem ich aus einer Studie von Norber Millter zitiere, die diesen faszinierenden Themenkomplex sehr tief durchdringt: "Wie wird die Welt von Tönen wach", Norbert Miller, Basel 2012


    Ich hatte hier darüber berichtet: Robert Schumann: Werke für Soloklavier Vol. 02 - Davidsbündlertänze op 6


    Bei Interesse kann ich gerne eine Kopie dieses Aufsatzes (in einer Festschrift erschienen) zur Verfügung stellen.


    Daraus auch hier ein Zitat:


    "Wie Jean Paul sich früh in Leibgeber und Siebenkäs, dann in Walt und Vult und schliesslich in den echten und falschen Fürstensohn Nikolaus Marggraf aufspaltete, wie in Hoffmanns Erzählungen die doppelte Wirklichkeit auch doppelte Identitäten verlangte, hat auch Robert Schumann schon in seinen ersten schriftstellerischen und kompositorischen Versuchen Rollenspiele mit sich veranstaltet. Die Aufspaltung seines Ich in gegensätzliche wenn schon verwandte Teilexistenzen reicht bis ins Jahr 1831 zurück. „Eusebius, ich denke mir dich etwas schlank u. blaß* heisst es im „Leipziger Lebensbuch" unter den Einträgen vom Ende August, und dann zählt Schumann die anderen Figuren aus dem Umkreis seiner - nach dem Vorbild von Hoffmanns Serapionsbrüdern und von Carl Maria von Webers logenartigem Harmonischen Verein konzipierten - Künstlerrunde der Davidsbündler auf: „Florestan, Meister Raro, Zilia, alter Maestro, Juvenalis, Musikdirector, medizinische Muse, Student Varinas, Justitiar Abrecher; Echomein"


    Schumanns wiederkehrende Gestalten Florestan und Eusebius sind gewiss von Jean Paul inspiriert, von den Zwillingsbrüdern Walt und Vult aus den FLEGELJAHREN. Wie Jean Paul seinen Roman über zwei gegensätzliche Figuren erzählt, die einander verbunden sind, spaltet auch Schumann seinen musikalischen Kosmos in gegensätzliche Charaktere auf. In einem anderen Roman Jean Pauls, dem SIEBENKÄS, wird diese Aufspaltung eines Charakters mit Siebenkäs und Leibgeber noch weitergetrieben, da die beiden in einer wilden Intrige wiederholt ihre Identität tauschen müssen, was Leibgeber sehr zu schaffen macht und schließlich dazu führt, dass er verrückt wird. Die Folgen werden herzzerreißend im TITAN geschildert.


    Ein schönes Thema, das moderato hier aufgemacht hat. Ich fürchte nur, dass es wenige Interessierte finden wird.

    Wer liest heute noch Jean Paul? Wer kennt wundersame Figuren wie Schoppe, Leibgeber, Siebenkäs, Walt und Vult?

    Vielen Dank für den Hinweis auf diese interessante Doku!

    Kennt jemand ihr Weill-Album bei der DG?

    (Ich kannte dieses Repertoire bisher nicht und habe an dem neuen Rattle-Weill Album Gefallen gefunden.)


    ztlq1zsej5pjc_600.jpg


    Sehr schöner Beitrag. Ich muss zugeben, dass er mir allerdings Igor Levitt nicht sympathischer macht.

    Warum? Weil er einer Kollegin einen Tipp gibt und ihr damit das Konzert-Leben etwas angenehmer macht?

    Gerade das gefällt mir gut.