Was halte ich von der AKM-Aufnahme, fragt maticus. Grund genug, sie mir als nächste vorzunehmen. Gerade eben habe ich sie mal wieder gehört (so lange besitze ich sie noch nicht, ich habe sie vor einigen Wochen erst auf Empfehlung von flotan gekauft):
Die ersten Takte genügen, um zu wissen, dass das nicht meine Interpretation ist.
Zur Besonderheit dieser ersten Takte zitiere ich aus dem Booklet-Text aus der Makhtin/Berezovsky/Kniazev-Aufnahme von Jeremy Siepmann: „Der Anfang biete einige der eindringlichsten und inspiriertesten Klangfarben-Verwendungen in der Geschichte der Kammermusik: der ganze einleitende „Gesang“ wird vom Cello in hohen Flageolettönen mit aufgesetztem Dämpfer und anfangs solo gespielt; dann schließt sich in einer Art Fugato die Geige in ihrer tiefsten Lage an – fast zwei Oktaven tiefer als das Cello, also eine vollständige Umkehrung der Regel – und später noch das Klavier, das selbst mehr als anderthalb Oktaven tiefer als der tiefste Ton der Geige spielt.“
Oben ist ja bereits dargestellt worden, worum es in dem Trio geht. Reclams Kammermusikführer fasst zusammen: „In den 4 Sätzen kommen die Trauer um den Freund und der Schmerz über das Elend und die Not der Kriegszeit zum Ausdruck."
Wenn ich vor diesem Hintergrund diesen wie dargestellt verfremdeten Anfang, in dem nichts mehr wie üblich ist und der wohl eine gewisse Sprachlosigkeit angesichts des toten Freundes zum Ausdruck bringt, ein nach Worten suchen (man vergleiche die Anfänge des ersten und zweiten Satzes miteinander), spiele, liegt es nahe, eine interpretatorische Antwort zu geben. Typischerweise und für mich überzeugend und richtig wird die Antwort in einem fahlen Spiel gefunden bzw. gegeben – mustergültig in diesem Sinne die Aufnahme des Borodin Quartetts mit Leonskaja. Von einer solchen Fahlheit fehlt bei AKM jede Spur. Im Gegenteil gewinne ich schon in diesen ersten Takten den Eindruck, dass Maisky – und sich ihm bei ihren Einsätzen anschließend Kremer und Argerich – versucht, so schön wie möglich zu spielen. Wenn die Musik nach gut vier Monaten anzieht, höre ich in der oben vorgestellten Aufnahme mit Schostakowitsch am Klavier aus dem Jahre 1946 eine so intensive Beschleunigung, ja Steigerung des Spiels, dass der Musik eine äußerste Dringlichkeit verliehen wird. Bei AKM höre ich nichts davon. Im Gegenteil habe ich sogar zeitweise den Eindruck, die drei spielten ein heiteres Scherzo. Wenn man es nicht besser wüsste, müsste man meinen, die Drei wissen nicht, worum es in dem Stück geht.
Nach diesem ersten Satz ist es keine Überraschung, dass der zweite Satz ebenfalls fröhlich gespielt wird. Gehetztheit gibt es bei AKM nicht. Vielmehr kann man sich beim Hören dieses Satzes tatsächlich die Beschreibung vom lebenslustigen Sollertinski vorstellen. Auch im dritten Satz zeigt vor allem Maisky, das er in erster, in zweiter und auch noch in dritter Linie daran interessiert ist, schöne Töne zu produzieren.
Der vierte Satz bei AKM, ich traue mich kaum, es zu schreiben: ein heiterer Tanz. Erzwungenheit des Tanzes? Antisemitismus? Unterschwelligem Leid? Gibt es nicht. Stattdessen, oben wurde es bereits zweimal angesprochen, machen die drei bisweilen sogar einen Tango aus der Musik (allerdings für mein Empfinden nicht so deutlich, wie ich es nach dem Lesen der obigen diesbezüglichen Kritik erwartet hatte). Dafür wird dann auch bereitwillig das jüdische Element der Musik – das für das Werk von zentraler Bedeutung ist! – zurückgefahren. Das Ende des Satzes sieht dann auch so aus, dass Argerich schöne, warme Akkorde spielt und die Streiche schließlich so schön zupfen, wie es nur geht..
In Reclams Kammermusikführer heißt es zum vierten Satz: „… ein Trauermarsch, dessen Thema von Schostakowitsch in schmerzerfüllte Schreckensschreie gesteigert wird.“ Der Hintergrund für die Verwendung jüdischer Musik ist oben bereits dargestellt worden: Der Antisemitismus in Nazi-Deutschland und in der Sowjetunion sowie die konkreten Nachrichten über die Gräuel in den Konzentrationslagern, insbesondere das erzwungene Tanzen.
Nun mag man dass alles hinnehmen und darauf hinweisen, AKM hätten doch nur einen anderen Ansatz gewählt, es gehe ihnen darum, die schönen Aspekte des Stückes aufzuzeigen. Dafür habe ich allerdings nicht das geringste Verständnis. Er ist mir geradezu zuwider. Die Vorgehensweise, den vierten Satz von seinem Schrecken zu entkleiden und auf schön zu spielen, empfinde ich als moralische Brandstiftung. Für mein Empfinden ist es so, als würde man eine gerade vergewaltige Frau in ihrem Elend sehen und dazu nur bemerken, dass sie ein hübsches Kleid trage.
Gerade der vierte Satz ist überdies geprägt von starker Manieriertheit, die in willkürlichen Temporückungen und sogar Rhythmusverschiebungen zum Ausdruck kommt (was übrigens in Argerich/Maiskys Aufnahme der Cellsonate ähnlich ist). AKM scheint es mehr darum zu gehen, sich selbst darzustellen als sich mit dem Inhalt des Stückes auseinanderzusetzen. Dazu passen zwei Auffälligkeiten: Zum einen beginnt das Stück mit Applaus. Diesem Applaus ist ein eigener 25 Sekunden langer Track gewidmet. Wunderbar, ihr seid toll, möchte ich den Dreien ironisch zurufen. Zum zweiten ist es bezeichnen, was Inhalt des Booklets ist. Zum Trio selbst finden sich nur wenige Zeilen. Sehr ausführlich geht das Booklet dafür auf die Erlebnisse der Musiker auf Tour ein. Diesen wertvollen Beitrag möchte ich nicht vorenthalten:
“14 Uhr 30: Martha Argerich wandelt in ihrem rotkarierten Pyjama durch ihre Hotel-Suite im 23. Stock, an ihrem dritten Espresso noppend und mit gelegentlichen Stops am Fenster, das einen eindrucksvollen Blick auf Tokio bietet. „Ist es sehr heiß heute?“, fragt sie ihre Tochter. „Was soll ich heute anziehen?“ Sie wartet die Antwort nicht ab; eine andere Frage kommt ihr in den Sinn. „Was soll ich essen? Etwas Richtiges oder nur eine Kleinigkeit?“ Sie weiß, dass sie eine solide Grundlage braucht, damit ihr Magen während des Konzerts durchhält. Immerhin wird sie vor zehn oder elf Uhr abends nichts essen können. Essen, erläutert sie, hat immer schon eine Hauptrolle in der Argerich-Familie gespielt. Also sollte sie das Zimmer tunlichst nicht verlassen, ohne ihren Gaumen befriedigt zu haben, wenn sie „gut drauf“ sein soll Ihr Mittagessen wird entweder aus Rinder-Pilaw oder gegrilltem Lachs bestehen, den beiden einzigen Gerichten auf der Speisekarte, die sie reizen. Sie bittet eine ihrer Töchter, das Pilaw zu bestellen.“ Und so weiter, und so weiter, uns so weiter. Dieser erste Absatz nimmt schon mehr Raum ein, als man für die Erläuterung des Trios vorgesehen hat.
Da es sich um eine Live-Aufnahme handelt, möchte ich Intonationsmängel, die sowohl Maisky als auch Kremer unterlaufen, nicht herausstellen. Negativer schlägt da schon zu Buche, dass Argerich ihren Klavierton, ihre Farbe in allen vier Sätzen nicht verändert. Sie spielt die allermeiste Zeit mit einem einheitlich warm-weichen Klang, der so überhaupt nicht zu dieser Musik Schostakowitschs Trio passt (und eben auch ganz anders klingt, als Schostakowitschs Klavierspiel selbst). Aus einem Guss, wie es so vorbildlich in der Borodin/Leonskaja-Aufnahme zu erleben ist, klingen AKM zudem ebenfalls nicht. Von blindem Verständnis kann hier nicht die Rede sein.
So, lieber maticus, jetzt habe ich viel mehr geschrieben, als ich eigentlich wollte. Das kommt davon, wenn man sich ärgert.
Viele Grüße
Thomas