Liebe Taminos und Paminas,
kaum äußere ich, dass es sich wohl nicht lohne, über Opernbesuche in Hamburg zu berichten, weil außer mir ja doch keiner da hin gehe, schon werde ich eines Besseren belehrt. Über die Turandot-Inszenierung, bei der ich mir nicht sicher war, ob sich über sie zu schreiben lohnt, hat JL bereits berichtet:
Zitat
Original von JL
Hallo,
ich bin neu hier und habe bisher wenig über Hamburger Inszenierungen gelesen. Ich war am 14.06.08 in Turandot und es hat mir so gut gefallen, dass ich eine Woche später, am 21.6. noch einmal hingegangen bin.
Zunächst hat mich das Bühnenbild, die Kostüme (Mit Ausnahme der beiden Hauptpartien: Turandot hatte 2 Kostümwechsel und warum sie im letzten Akt ein rotes Nicki-Kleid anhatte, verstehe ich nicht. Es sah genau so billig aus, wie der Karnevallsumhang vom Prinzen Kalaf und der weiße Schlafanzug vom Kaiser. Toll jedoch der Chor, Timur, Ping, Pang, Pong und Liu) und die Gestaltung des Chores außerordentlich beeindruckt.
Zum Bühnenbild: Im Hintergrund die Treppe zum Palast die Bluttriefend an der obersten Stufe zum Plasttor an beiden Seiten mit aufgestapelten Totenschädeln umfasst war. An der linken und rechten Seite jeweils zwei Treppen und Senkungen über die eine Brücke zur Treppe führt. Oberhalb des Palasttores eine Palastfenster in dem im ersten Akt Turandot im zweiten Akt der Kaiser und im dritten Akt der Henker (was ich aber nicht nachvollziehbar fand) erschienen sind. In diesem Bühnenbild spielt – mit Ausnahme des 2. Bildes (Ping, Pang, Pong Szene) – die gesamte Oper. Bühnenbild und Chorkostüme und Maske stellen ganz auf die Schreckensherrschaft Turandots ab. Bluttriefend, der Chor mit Totenschädelmasken und Ketten, die Hände flehend haltend und auf voller Verzweiflung dem Mond entgegensehnend. Überhaupt fand ich den Mondaufgang am ergreifensten.
Musikalisch, bzw. gesanglich war an beiden Abenden der Chor phantastisch und ebenfalls an beiden Abenden die Besetzung der Liu (leider finde ich den Namen gerade nicht). Ich schätze aber, dass es auch an der dankbaren Rolle liegt. Carl Tanner als Prinz Kalaf fand ich OK bis gut, allerdings war er im Ensemble mitunter nicht zu hören. Am zweiten Sonnabend gefiel mit Alexander Tsymbalyuk als Timur auch sehr gut. Der erste Sonnabend war für Elizabeth Connell als Turandot nicht so gelungen. Entsprechend war am Schluss auch der Applaus. Am zweiten Sonnabend war sie dagegen herausragend und zwar gerade auch im Spiel. Ich hatte mich am ersten Abend noch gefragt, warum die Oper nach einer Nebenrolle benannt ist (was natürlich übertrieben ist, ich meinte damit, dass ich sie stellenweise auf der Bühne „vergessen“ hatte), so konnte ich sie am zweiten Sonnabend nicht aus den Augen lassen. Sie war absolut präsent, sogar dann wenn sie nicht gesungen hat. Und gesungen hat sie wirklich klasse. Am ersten Abend fand ich, dass die Metamorphose vom Splattermonster zur liebenden Braut noch etwas zu schnell ging. Beim zweiten Sonnabend war es besser, aber ich glaube das diese Metamorphose durch den Kuss das Kernproblem der Story, die schwierigste Aufgabe jeder Inszenierung und das größte Problem des Nachlasses von Puccini ist. Trotz allem es waren zwei tolle Abende mit tollen Sängern: Hatte am ersten Sonnabend die Liu-Besetzung noch als einzige Brava-Rufe aus dem ganzen Haus, so war Elizabeth Connell am zweiten Abend der herausragende Star.
Die Inszenierung war etwas statisch. Kalaf stand oft nur herum und wartete auf seinen Einsatz. Besser kann man sicherlich auch die "Folterszene" machen. Das Solo-Trio - die ich in meinem Lob vergessen habe, sie waren auch toll - hatte ein paar seltsame Auftritte. Ich fand den Auftritt aus einer Kiste heraus nicht lustig, aber wems gefällt... Der Altoum war von seinem Standort 10 m über der Bühne kaum zu hören und hatte offensichtlich auch Schwierigkeiten mitzusingen. Ich habe ihn aber bewundert, dass er den ganzen Akt vor dem tiefen Abgrund stand.
Mein letztes Wort gilt dem Orchester: Wenn auch die Leistungen der Sänger in Hamburg schwanken, vom Orchester war ich noch nie enttäuscht. Und nächste Spielzeit gehe ich vielleicht noch mal in Turandot.
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Umso mehr Freude macht es mir, auch meinen Senf dazuzugeben.
Die Inszenierung kenne ich – mit dieser Einstellung habe ich die Oper betreten. Meine Erinnerung hat mich allerdings getäuscht. Es handelt sich um eine alte Inszenierung aus dem Jahre 1983. Von daher ist es unfair, an den Feinheiten der Personenführung zu mäkeln. Allerdings, Feinheiten hat es überhaupt keine gegeben… In Erinnerung hatte ich eine sehr gute, eindrucksvolle Inszenierung, die kaum Wünsche offen lässt. Gesehen habe ich eine Inszenierung, die ihre Herkunft aus den Achtzigern aufs Schlimmste offenbart.
Das Bühnenbild und die Ausstattung hat JL oben bereits treffend beschrieben. Hinweisen möchte ich auf die Bilder der Inszenierung, die es auf der Staatsoper-Homepage zu sehen gibt (leider in sehr schlechter Qualität – klein und nicht anklickbar): „http://www.hamburgische-staatsoper.de/_auffuehrungen/inhalt.php?event=75195&t=&culturall_SESSION=9terkj2nh364nfnea5ctnfifm6&culturall_SESSION=9terkj2nh364nfnea5ctnfifm6“
Kostüme und Maske stellen auf die Schreckensherrschaft Turandots ab, schreibt JL richtig. Der Mandarin Turandot, die Minister, das Volk sind in schwarz-weiß gehalten. Alles ist statisch. Keine Farbe, keine Lebendigkeit ist zu sehen. Das Volk, die Chorsänger, ist verbunden mit Ketten. Allerdings sind die Chorsänger nicht aneinandergekettet, sondern sie halten die Ketten selbst. Die Gesichter des Volkes sind nicht zu sehen. Zu den schwarz-weißen Kostümen der Chorsänger gehören ebensolche Masken. Entmenschlicht und leidend wirkt das Volk. Die Idee der Regie, das Volk seine Ketten selbst halten zu lassen, hat mir gefallen. Die Unterdrückung ist zumindest auch selbstverschuldet, wird mir klar. Daran erinnerte ich mich, wenn später in der Nacht das Volk ebenfalls mittut bei der Suche nach Personen, die Calafs Namen kennen, wenn es somit zum Mittäter bei der Folter von Liu wird. Zur entmenschlichten Atmosphäre bei trägt überdies die Lichtregie. Sehr karg wird beleuchtet, ohne warme Farben.
Calafs Kostüm besteht aus schwarzer Lederhose und roter bodenlanger robenartiger Jacke, mit großen Schulterpolstern. Ja, rot, nur Calaf trägt die Farbe der Liebe. Im dritten Akt trägt dann auch Turandot rot.
Das Problem bei den Kostümen – wie auch bei den Frisuren – ist, dass sie offensichtlich den Achtzigern entstammen. Man konnte sie nicht ansehen, ohne sich an schlechte Science-Fiction-Filme aus der damaligen Zeit zu erinnern. Star Trek- Zorn des Khan kam mir in den Sinn. Meine neben mir sitzende Schwägerin machte Witzchen über Darth Vader-Verschnitte. Als Timur dann die Bühne betrat, kam noch ein Hauch Eastern dazu. Denn Timur wirkte genau so wie die alten Kung Fu-Meister aus jenen schlechten Filmen aus den Siebzigern, in denen die blinden Opas plötzlich zu fliegen beginnen und die Feinde niedermachen.
Timur und Liu, beide übrigens ebenfalls nicht schwarz-weiß, aber auch nicht rot gekleidet, gingen über die Bühne. Von der anderen Seite kam ihnen Calaf entgegen ohne sie zu sehen. Plötzlich standen sie einander gegenüber. Man könnte meinen, dass jetzt irgendeine Reaktion erfolgt wäre, dass sich schauspielerisch etwas ereignet hätte. Aber dem war nicht so. Schauspielerisch geschah exakt nichts. Meine anfängliche Vermutung, das könnte zum Konzept gehören, entpuppte sich schon bald als Irrtum. Die Abwesenheit von Personenführung und schauspielerischem Vermögen blieb die ganze Aufführung lang erhalten, leider.
Eine Ausnahme gilt für den zweiten Satz. Vor den bisherigen Bühnenaufbau auf die leere Vorderbühne herab senkt sich ein weißer Vorbau. In diesem agieren Ping, Pang und Pong. Sie unterhalten tatsächlich das Publikum. Ihre Späßchen kommen an. Ihre Träume von dem Häuschen im Grünen werden verdeutlicht durch ein kleines Modell, dass einer von ihnen beim Singen in Händen hält. Ihr Leben allerdings ist abgeschottet – verbildlicht anhand der Tür zum Ort der anderen Sätze - dem Platz vor dem Kaiserpalast -, die nicht eine normale Tür ist, sondern ein Schiffsschott mit Drehrad statt Klinke. Die Gleichschaltung der Minister wird durch das Tragen von gleichartigen Kostümen verdeutlicht. Biedere Büroarbeiteroutfits tragen sie, mit angedeuteten Ärmelschonern. Bürohaft wirkte dann auch die Aufzählung der Opfer Turandots. Das alles wirkte geschäftsmäßig, nicht entsetzt.
Enttäuschend fand ich, dass die Sätze drei und vier wiederum vor derselben Kulisse wie der Akt eins gespielt wurden.
Bis zum Auftritt Turandots hätte ich trotz der genannten Kritikpunkte noch von einem sehr guten Opernabend gesprochen. Turandot aber machte alles kaputt. Nein, Turandot muss keine Schönheit sein. Als Operngänger habe ich genug Phantasie, um mir vorzustellen, dass Calaf sich in das Aussehen einer Frau der Gattung Hochdramatische verliebt. Das Aussehen Turandots in dieser Inszenierung war aber derart grotesk, so furchtbar anzusehen – die Hässlichkeit der Perücke ist unbeschreiblich -, dass ich ehrlich entsetzt war. Jegliche Glaubwürdigkeit der Inszenierung war ab diesem Moment dahin. JL hat das rote Nicki-Kleid erwähnt – furchtbar.
Die Folterszene verpuffte ebenfalls mangels sinnvollen Tuns der Sänger. Liu sang in der Mitte. Die anderen standen herum. Auffällig war, dass auch Turandot daneben stand. Sie befand sich schon nicht mehr abgehoben auf dem Podest, sondern hatte sich zu Liu und Calaf begeben.
Sehr unschön war die Sterbeszene Timurs. Kaum war er tot, beugte sich Calaf über ihn und klopfte ihm kumpelhaft gegen die Schulter. Auch das wirkte einfach nur trashig. Trauer oder gar Schrecken kam dabei nicht auf, nur Kopfschütteln und Heiterkeit im Publikum ob des Schulterklopfens. Liu und Timur blieben dann den Rest der Zeit auf der Bühne liegen. „Warum räumt die denn keiner weg?“, frage meine Schwägerin. Ja, das fragte ich mich auch. Der Kuss, den Calaf Turandot gab und der Rest der freudigen Ereignisse („Sein Name ist Liebe“) fand dann kontrastiert von den Toten statt. Vielleicht wollte die Regie verdeutlichen, dass Calaf und Turandot zukünftig weiterhin über Leichen gehen werden. Calaf war bereits der Tod von Liu nicht zu Herzen gegangen. War dies der Sinn des Tuns, wurde das jedenfalls nicht hinreichend deutlich.
Musikalisch war der Abend mit einer Ausnahme ein voller Erfolg:
Das Dirigat von Will Humburg war klasse. So energisch und kraftvoll habe ich die Philharmoniker schon lange nicht mehr gehört. Einen Riesenapplaus gab es am Ende dafür.
Carl Tanner sang einen guten Calaf. Seine Stimme hatte das Volumen und die Kraft, die die Rolle braucht. Kernig metallisch sang er seinen Part, bestimmt und fest. Viel Luft nach oben blieb dennoch, weil Tanner jegliche Zartheit, jegliches Rüberbringen von Gefühl in der Rolle völlig abging. Bei Für Interessierte: Bei youtube gibt es ein Video von ihm als Calaf: "http://www.youtube.com/watch?v=hYXcb5T8MUI".
Elizabeth Connell war eine Riesenenttäuschung. Ihre – eingeräumtermaßen sehr schwierige – Auftrittsarie hat sie total vermasselt. So viele falsche Töne hintereinander habe ich schon lange nicht mehr an der Staatsoper gehört. Später wurde es kaum besser. Die Lautstärke für die Spitzentöne hatte sie noch. Das war´s aber auch schon. Folgerichtig musste sie an diesem Abend auch einige Buhs einstecken – als einzige.
Sehr gut gefallen hat mir die für Helen Kwon eingesprungene Tatiana Lisnic. Ihr dunkel timbrierter Sopran war ausdrucksvoll, das Vibrato sehr gut eingebunden. Im Gedächtnis geblieben ist mir ein hervorragend gelungenes Abschwellen. Wunderbar! Von der Stimmfarbe her fühlte ich mich ein wenig an Maria Callas erinnert. Merkwürdig, solch einen Eindruck zu haben.
Wieder einmal ganz hervorragend sang Alexander Tsymbalyuk als Timur. Es ist eine Freude, diesem Ensemblemitglied bei seiner Entwicklung zuzusehen. Sehr kraftvoll und ausdrucksstark hat er gesungen. Wenn Tsymbalyuk sich weiterhin so prächtig entwickelt, kann aus ihm ein wirklich großartiger Sänger werden. Ich drücke die Daumen.
Ein Riesenlob hat sich überdies wieder einmal der Chor verdient.
Alles in allem habe ich wegen der mit der genannten Ausnahme sehr erfreulichen musikalischen Leistungen einen wirklich guten Opernabend erlebt. Für einen sehr guten waren die Kritikpunkte zu gewichtig, war vor allem die Leistung Connells zu schlecht.
Beim anschließenden gemütlichen Restaurantbesuch haben wir lange darüber diskutiert, ob die Inszenierung noch zu retten ist, ob der schlechte Eindruck, den die Inszenierung hinterlassen hat, an den Sängern als Schauspielern oder an der Inszenierung selbst lag. Die überwiegende Mehrheit fand, es lag an der Inszenierung selbst. Sie hat sich einfach überlebt. Ob es aber bald mal eine Neuinszenierung gibt, ist fraglich. Die von mir gesehene Vorstellung war die neunundsiebzigste. Sie war ausverkauft und es gab großen Applaus. Intendant, was willst du mehr?
Zufälligerweise gibt es auf Klassik.com einen Bericht über die Aufführung, die zwei Tage vor der von mir besuchten stattgefunden hat. Dem dort Schreibenden, Dr. Clarke, hat die Inszenierung überhaupt nicht gefallen: "http://magazin.klassik.com/konzerte/reviews.cfm?task=review&PID=2051"
Viele Grüße
Thomas