Beiträge von Hans Heukenkamp

    Netrebko besticht mit ihrer glockenklaren Stimme, die ein ungeheures Spektrum zwischen dunkel grollend und schleierzarten spitzen Höhen umfasst, gepaart mit hinreißender Darstellungskraft. An ihrer Seite Luca Salsi als größenwahnsinniger König, sehr ausdrucksstark.


    "schleierzarte spitze Höhen" - das ist sehr schön gesagt.


    Die Vorstellungen mit Anna Netrebko waren rasend schnell ausverkauft, und ich habe leider keine Karte mehr bekommen. Netrebko und Salsi zusammen auf der Bühne sind eine Wucht. Im letzten Jahr hatte ich sie als Eheleute Macbeth an der Berliner Staatsoper.

    Ungesättigt gleich der Flamme


    Regisseur Christof Loy gelingt es, die drückende Atmosphäre im Palast des Exarchen von Ravenna allein durch Mimik und Gestik der Akteurs faßlich zu machen. Die Handlung entspinnt sich in einem Einheitsbühnenbild, dessen hölzerne Schiebewände dem Raum eine gewisse Wandelbarkeit geben. Im Bühnenhintergrund ist gelegentlich ein Stück Garten, der weich in das hüglige Vorland des Apennin einwächst, zu sehen. Unerreichbar ist sein Grün für alle, die im Palast wesen - seien es Herrinnen, Mägde oder stumme Bewaffnete. Herrinnen gibt es zwei: Eudossia (Martina Serafin), Mutter des Exarchen und Silvana (Olesya Golovneva), seine deutlich jüngere - ihm gegen ihren Willen vermählte - zweite Frau. Die Alte haßt ihre Schwiegertochter und macht ihr das Leben so schwer, wie irgend möglich.

    Auch wenn Assoziationen zum Atridenpalast naheliegend sind - wirklich Schuld hat noch keine der Figuren auf sich geladen. Silvana sehnt sich, wie ihre Lieblingsmagd Monica (Sua Jo), nach einem Leben außerhalb der Zwänge des Palasts, nach Sommer, Luft und Freiheit. Als Stiefsohn Donello (Georgy Vasiliev) aus Konstantinopel nach Ravenna zurückkehrt und am Hof des Vaters um jede junge Frau wirbt, verlieben sich beide jungen Frauen in den schwachen Schönling.

    Zu diesem Zeitpunkt - kurz vor Schluß des ersten Akts - habe ich schon viel interessante Musik gehört: Den Gesang der Mägde zu Beginn, der an alte Musik erinnert und ein kurzes, technisch brillantes Sopran Duell/Duett zwischen Monica und Agata (Cristina Toledo) bei der Ankunft Donellos sind mir in Erinnerung geblieben.
    Im kurzen Dialog bei Tage, der vor dem Panorama des Gartens stattfindet und bei dem sich beide jungen Leute ihrer streckenweise gemeinsam verbrachten Jugend erinnern, gewinnt Silvana Donello noch nicht für sich.

    Der erste Akt schließt mit der Massenszene einer Hexenverbrennung. Agnese di Cervia (Doris Soffel), Freundin von Silvanas Mutter, fällt ihr zum Opfer. Vergeblich ihr Versuch, Hilfe von Silvana zu erhalten. Diese versteckt sie halbherzig in einem Verlies, wo sie alsbald aufgestöbert wird. Vor ihrem Tode verflucht Agnes Silvana und prophezeit ihr den Feuertod.

    La fiamma ist weder eine politische noch historische Oper. Ob es im Exarchat von Ravenna Hexenverbrennungen gab, ist hier nicht von Belang. Das schaurige Ende des ersten Akts gibt die Begrenzung des Handlungsfelds von Silvana vor: Den zerstörerischen Flammen der Liebe folgen die Flammen des Scheiterhaufens.


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    In einer nächtlichen Szene des zweiten Akts gelingt es Silvana, Donello in ihr Gemach zu ziehen. Mir schien dabei Magie im Spiel zu sein. Der Zuschauer muß entscheiden, ob es Zufall ist, daß der junge Mann auftaucht, wenn die junge Frau sich nach ihm sehnt. Die beiden werden ein geheimes Paar.

    Die Liebenden treffen sich nur nachts und werden in einer tristanesken Szene, in der sie sich endlose Nacht, niemals aufscheinenden Tag wünschen, von Eudossia und Hofstaat überrascht. Der herbeigerufene Exarch Basilio (Ivan Inveradi) will seinen Sohn nach Konstantinopel zurückschicken. Die Bitte Silvanas, Donello in Ravenna zu halten, weist er zurück. In einem hochdramatischen Dialog voller Vorwürfe erklärt Silvana ihrem Mann, daß sein Sohn ihr Geliebter ist. Darauf vom Schlag getroffen, scheidet Basilio ab.

    Eudossia klagt vor Volk und Geistlichen ihre Schwiegertochter der Zauberei an und schwört, Silvana habe ihren Sohn durch Magie ermordet. Silvana räumt das Verhältnis zu Donello ein, weist aber alle anderen Vorwürfe zurück. Der Chor ist auf der Seite der Liebenden, aber Silvana kann den Gegenschwur nicht leisten, als sie merkt, daß Donello an ihr zweifelt. Ihr Schicksal ist besiegelt. Der Vorhang fällt.


    Es ist ein lauter Abend, aber das Orchester wird von Carlo Rizzi sehr differenziert geführt. Keine Stimme wird überdeckt, doch es wird laut gesungen. Inveradi, den ich am Haus schon als Alfio, Tonio und Gianciotto gesehen habe, hat einen mächtigen Bariton. Golovnevas dramatischer Sopran ist seiner Stimme an Kraft ebenbürtig. Packende Gesangszenen ergeben sich im ersten und zu Beginn des zweiten Akts, als Silvana die Nebenbuhlerin Monica ins Kloster verbannt, mit Sua Jo, deren Spinto tolle Höhen hat.

    Serafin legt ihre Eudossia ebenfalls dramatisch beindruckend an. Großartig der erweiterte Chor der Deutschen Oper, der präzise und mit großer Gewalt singt.


    Zwischen Christof Loys Inszenierungen an der Deutschen Oper Berlin gibt es viele Bezüge. Auffallend sind die nächtlichen Chöre, die in La fiamma und Heliane eine ganz ähnliche Funktion haben. Oder die Mägdeszenen in La fiamma und Francesca da Rimini, die große Ähnlichkeiten aufweisen. Mir sagt die Betonung dieser opernübergreifenden Verbindungen sehr zu.

    Hoffnung gießt in Sturmnacht Morgenröte!


    Allein der Rätsel-Szene wegen gehe ich gerne in die Turandot. Das erste der Rätsel hat es mir besonders angetan. Die Zwiespältigkeit der Hoffnung, die einem Alptraum gleich nachts über die Menschen kommt, aber mit jedem Morgenrot verblaßt, und die Verschränkung der ersten Frage mit der Situation, in der Calaf steht, ist wirklich packend! Knackt er dieses, sind zweites und drittes Rätsel ein Klacks. Und so fiebere ich jedesmal mit.

    Philipp Stölzls Sicht darauf halte ich für schlüssig: Der Prätendent, der die Inspiration zur Lösung der Fragen nicht von der Prinzessin, sondern der übergroßen Gliederpuppe bekommt, die die Bühne beherrscht; die synchrone Verwandlung von Puppe und Prinzessin mit jeder gelösten Aufgabe - diese wird als Wesen ohne Sexualität offenbar, jene mutiert zum sechshändigen Monster mit Totenschädel - und letztendlich der Bezug zur Ausgangsfrage - was kann Calaf überhaupt hoffen?

    Riccardo Massi sang den Prinzen. Das war kraftvoll, mühelos und differenziert und trug ihm viel Beifall und Bravos ein. Jaka Mihelač, Andrés Moreno Garcia und Siyabonga Maqungo - Ping, Pang und Pong - sind die Lieblinge des Publikums: Fein gesungen und gespielt, besonders, wie sie auf dem Schädelberg, der wie ein riesiger Haufen goldgelbes Popcorn aussieht, rumkraxeln. Man darf sich in ihnen nicht täuschen. Es sind keine lustigen Figuren in diesem Stück. Mihelač gibt Ping durchaus hintergründig als Strippenzieher, der genau darauf schaut, daß die Ordnung hält, wie immer auch das Schicksal der Chefin sich gestaltet. Und der Blick, mit dem Pong der Prinzessin das Gift reicht: "Das Spiel ist aus, du hast überreizt!", ist erbarmungslos.

    Liudmyla Monastyrska hatte ich an der Deutschen Oper schon als kalte Tosca gesehen. Als Turandot gefiel sie mir viel besser. Wie eine Steinplatte liegt ihre wuchtige Stimme auf der Rätselszene und hält alle nieder. Ihr schönes Piano, wenn sie ihren Vater um Rettung vor dem siegreichen Fremden anfleht, rührt den Sieger. Von ihrer Mimik sieht man auch in der ersten Reihe nichts, denn sie ist durchgehend maskiert.

    Warum aber diese Kunigunde Wetter vom Strahls Blick von Käthchen, Liù, abziehen kann, blieb auch am letzten Mittwoch in der Staatsoper eigentlich unerklärlich. Elena Stikhina - ich hörte sie in der letzten Spielzeit als bewegende Cio-Cio-San an der Deutschen Oper - setzt mit ihrem jugendlich-dramatischen Sopran deutliche Akzente und läßt ihre Liù zu einer wirklich dramatischen Gestalt werden.

    René Pape sang Timur stimmschön, aber chargierte heftig.

    Großartig, wie präzise und stark der Chor unter Dirigentin Keri-Lynn Wilson klang!


    Ende Oktober singt Brian Jagde den Calaf an der Staatsoper. Da werde ich nochmal hingehen!