Beiträge von Glockenton

    ...und bin darin durch Glockentons Bemerkung in seinem #38 bestärkt worden:

    Nun habe ich endlich heute mein Versprechen wahr gemacht und mir die Aufnahme, die seit ungefähr 10 Jahren einen Dornröschenschlaf in meinem Schrank geführt hat, aufgelegt. Ich kann zusammengefaßt nur sagen, daß die Höreindrücke von Glockenton sich mit den meinen fast vollkommen decken.

    Ich hoffe nur, die angeregte Diskussion, ob man auch ´mal sehr gerne ein Wannenbad ohne Wasser nähme, bzw. ob vom Kosakenzipfel nur die Hälfte oder schon mehr als die Hälfte verspeist wurde, nicht zu sehr zu stören 8-)^^


    Doch nun zu den Interpretationen der Klavierkonzerte Mozarts...(hüstel)


    Lieber nemorino,


    ich freue mich, dass sich Deine Höreindrücke mit den meinen decken.

    Na, wenigstens einer ! :pfeif:- das finde ich doch sehr schön:)


    Ich habe es jetzt mehrfach gehört und verglichen, und ich kann nur wiederholen, dass ich nach wie vor von Uchida/Tate am stärksten überzeugt bin.


    Heute morgen hörte ich wieder einmal Dave Hurwitz zum Thema "die beste Gesamteinspielung der Klavierkonzerte Mozarts" auf YouTube.

    Ich mache das öfter, denn wenn ich aus gewissen Gründen früh aufgewacht bin, noch schlafen will, aber Einschlafprobleme habe, dann lasse ich ihn gerne leise über das Mobiltelefon reden. Bis jetzt hat er mich immer in den verdienten Schlaf reden können. So lange ich aber noch auf war, bekam ich mit, dass seine Nr. 2 Uchida/Tate ist. Diese Aufnahmen sieht er ganz leicht vor den neuen Aufnahmen Uchidas mit dem Cleveland Orchestra, die jedoch ebenfalls sehr gut wären. Hier bin ich einig.

    Seine Nummer 1 (wie gesagt, Gesamteinspielung) ist dann Andras Schiff mit Sandor Vegh. Hier bin ich nicht einig, obwohl ich die auch habe und in der Spitzengruppe der weltweit verfügbaren Aufnahmen sehe.

    Es fehlen mir aber gewisse Dinge, die ich bei Uchida/Tate nun einmal erleben kann. Das auszuführen wäre langwierig und schwer, vor allem, wenn man generell sprechen, also sozusagen mit der Drohne über den Gesamteinspielungen schweben soll, um da irgendwie zutreffende Aussagen zu treffen. Zudem gibt es ja auch das Phänomen, dass ein Musiker/ eine Musikerin einen mit ihrem "Ton" irgendwie auf eine Art und Weise ansprechen kann, dass das eine innere Saite mitschwingt. Warum das so ist, kann man nur bis zu einem bestimmten Punkt versuchen, analytisch zu erklären. Vielleicht kann ich davon noch etwas "in Musik" denken, aber dazu trockene Buchstaben zu finden, kommt mir tatsächlich schwierig vor.


    Wer es mag, dass da unterschwellig etwas Berührendes mitschwingt, wird ggf. auch an dem Klavierspiel Pires`gefallen finden.


    So gibt es also mit Hurwitz und uns beiden schon ganze drei Personen, die Uchida/Tate in der Spitzengruppe der ersten 2 oder 3 Einspielungen sieht bzw. hören ;)


    Meine (Gesamt)Liste sähe so aus, auch für das hier besprochene Konzert:


    1. Uchida/Tate

    2. Uchida/Uchida

    3. Brendel/Mackerras (wobei Mackerras orchestral noch etwas feiner arbeiten konnte, als Uchida in Cleveland vom Klavier aus)

    4. Brendel/Marriner (das Andante aus K 467 finde ich hier am besten)

    5. Pires/Abbado ( sehr demütig-uneitel, lyrisch-schwingend in den längeren Bögen der Pianopassagen und "anständig" gespielt, mit einem unterliegenden ernst-traurigen "Ton")

    6. Schiff/Vegh


    Nr. 2 und Nr. 3 liegen für mich sehr eng beieinander. Ich muss auch hinzufügen, dass davon nicht alles Gesamteinspielungen sind.


    Gulda/Harnoncourt mit dem Krönungskonzert und dem Nr. 23 sind für mich eh irgendwie außer Konkurrenz, ebenso das Doppelkonzert Eb-Dur mit Gulda/Corea/Harnoncourt.


    Weiterhin viel Hörfreude :)


    LG:hello:

    Glockenton

    Diese Aufnahme habe ich mir soeben leidend durchgehört.

    Was ist positiv?

    Das gewollt Ruppige ist nicht vorhanden und die erste Geige spielt einige schöne Töne, immerhin mit Ausdrucksvibrato.


    Ansonsten?

    Ich wüsste nicht, wo ich anfangen soll.

    Wenn ich alle Punkte erläutern und begründen sollte, von denen ich überzeugt bin, dass sie so nicht gut sind, dann wäre das ein Tamino-Beitrag mit der Länge einer Doktorarbeit - mindestens.

    Ehrlich gesagt, dazu habe ich keine Lust. Hier muss ich tatsächlich sagen: ich gebe auf.


    Anschließend kam dann noch das Konzert Nr. 11 in F-Dur, aber es war mehr oder weniger egal, weil es eh nach diesem privaten Hauskonzert garniert mit den Klängen aus einem "Klimperkasten" tönt. Gerade der Bereich der linken Hand klingt etwas nach Cembalo, während man rechts einen Sound vernimmt, der mich.....ich weiß gar nicht, woran erinnert.....machen die in der bayrischen Volksmusik nicht solche Sachen mit einem Hackbrett?

    Es gibt auf YouTube Videos der Musikschule Behamberg-Ernsthofen-Haidershofen. Da gibt es fatale Ähnlichkeiten..., gerne bei Google suchen.


    Wo war nun der große Unterschied vom F-Dur-Konzert zum vorausgehenden Konzert? Viel ist es nicht. Als ich noch in der evangelischen Kirche spielen musste, gab es solche Gruppen die sich " Mannsmusik" oder "Brødremusikken" nannten. Ab und zu kamen die in die Kirchen und wollten da ihre Sache machen. Sie trugen gesanglich laienhaft und sehr laut solche Erweckungslieder der 50erJahre mit Akkordion, Gitarre, Mandoline und einem Klong-Klong Klavier vor, meistens drei Akkorde, nie moll. Hast du ein erst so ein Lied gehört, hast du alle gehört.


    Wirklich nicht derart musikalisch unterirdisch, aber dennoch ähnlich ist es hier: Aus großer Kunst wird etwas Belangloses gemacht. Rekonstruiert und dekonstruiert klingt es, reduziert auf eine notenmäßige Wiedererkennbarkeit, und selbst die wird durch eigenwillige Ausführungen von Vorhalten, Ornamenten etc. noch in Frage gestellt. Aber es stört tatsächlich nicht. Sollte man ein Buch lesen, dann könnte man es leise im Hintergrund laufen lassen.

    Man könnte auch noch andere Konzerte in dieser Art hören ( habe auch das nächste Konzert angespielt), aber ganz ehrlich: ich bin eh unter Zeitdruck, also blieb es bei einigen Minuten.

    Der einmal gefundene Stil wird konsequent durchgezogen. Es klingt mehr oder weniger einschläfernd gleich. Tief bewegt, zu tränend gerührt, erschüttert, beglückt.....sollte man dies in diesen Aufnahmen suchen, dann viel Spaß bei der Suche...


    Kaffeehausmusik auf allerhöchstem Niveau klingt immer sehr gut, wenn sie dafür gemacht wurde, wie z.B. die Gesellschaftsmusik für das Cafe Zimmerman in Leipzig. Deswegen hat mich die Leonhardt-Einspielung der Bachschen Cembalokonzerte (vielfach immer noch unerreicht, imho) damals wie ein Blitz getroffen. Es war so viel ausdrucksstärker, überzeugender und in so vielen Bereichen (auch klanglich) besser als die Cembalokonzerte, die ich in der Ausführung mit Karl Richter kannte und - trotz allem- durchaus sehr liebte. Doch hier ist es anders. Bachs Musik verlangt nach Leonhardts Cembali und z.B. dem Klang des Leonhardt-Consorts (Marie Leonhardt spielte übrigens mit schönem expressiven Vibrato, btw.)


    Hier ist es aber nicht so. Warum? Dazu müsste man ausholen. Ein trockener Beweis im Sinne einer musikwissenschaftlichen Arbeit kann das nicht leisten.

    Bei Mozart werden andere Ausdrucks- und Wirkungs-Ebenen angesprochen, die ihren Schatten in die Romantik vorauswerfen. Das zu Verbalisieren ist gar nicht so einfach. Gewisse HIP-Freunde wollen uns ja auch weismachen, dass es die Romantik, die wir als solche kennen, so nie gab. Alles soll nach den Abkömmlingen der Barockorchester geklungen haben. Aber das nur am Rande...

    Harnoncourt, der ja die "Bewegung" mit Leben erfüllte, war Zeit seines Lebens eigentlich immer ein Erz-Romantiker und meinte auch, dass Mozart der erste der Romantiker gewesen sei.

    Obwohl seine Aussage so wahrscheinlich zu einseitig ist, scheint mir dennoch etwas Wahres daran zu sein - aber egal. Ich möchte hier nicht ein neues Fass aufmachen.

    Eines ist jedenfalls klar: diese Schondervoort-Aufnahmen entromantisieren Mozarts Musik, und zwar gründlichst. Auch das Klassizistische im Sinne Krips oder Böhms ist hier vollständig weg.

    Was ist denn noch überhaupt da? Der "reine" Mozart, in "entschlackter" Gestalt, in der mitführenden Direktheit zutiefst ergreifend? Nein, leider nicht.


    Wenn es so wäre, dass es das ist, was Mozart vorschwebte, dann müsste man ja sagen, dass wir im 20. und 21. Jahrhundert erst diejenigen sind, die mit unseren Interpretationen, Flügeln und Kammerorchestern aus diesen belanglosen Noten großartige Musik entstehen lassen.

    Und genau das glaube ich nicht.

    Man könnte es interessehalber in der Besetzung wie mit dem Freiburger Barockorchester spielen, aber von der Tongebung, Dynamik und Artikulation her ohne dieses nervig gewollt-Hippige.

    Ich denke da gerade an Herreweghes Einspielung von Mozarts Gran Partita. Da fehlt jenes "so, jetzt machen wir das mal anders", kein Gesäge dort und kein Rumms hier. Der Klang der alten Instrumente klingt warm und die Klangprofile verschmelzen im Tutti ideal.

    Würde man ein solches Experiment wagen, dann wäre man gar nicht so weit weg von dem, was Pianisten/Pianistinnen des 20. und 21. Jahrhunderts mit Kammerorchestern im "normalen" Musikbetrieb so taten.


    Hier noch ein Video zu Beethovens Klavierkonzerten mit Schoonderwoerd.

    Ja, was hat denn der Beethoven hier mit Mozart zu tun?

    So wie hier gespielt wird, kann man auch Beethoven reduzieren. Dann klingt es wieder ähnlich.


    Unser Lieblings-Brrrrruckner-Besprecher hat sich zudem noch nicht um Schoonderwoerds plays Mozart gekümmert.


    Der gute Dave drückt sich weniger diplomatisch aus als ich, das kann auch schon einmal unterhaltend sein:




    LG:hello:

    Glockenton

    Es ist ja erfreulich, dass mein Beitrag Nr. 19 das Gespräch über dieses schöne Konzert wieder in Gang gebracht hat.


    Die Beiträge habe ich gelesen, ebenso die geposteten Musikbeispiele gehört.


    Die Aufnahmetechnik bei Bezuidenhout und dem Freiburger Barockorchester finde ich soweit tadellos. Es ist vom technischen Recording her gesehen ein gut gemachtes Kunstprodukt. Sogar das Hammerklavier klingt etwas stereofon, was man ja gut von Pop- und Jazz-Produktonen kennt.

    Interessant ist, dass hier die tiefen Töne mehr von rechts und die hohen von links kommen, also spiegelverkehrt zum Erlebnis des Hammerklavierspielers. Aber ok, das passt dann wieder zur üblichen Orchesteraufstellung.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass es live so nicht klingen würde. In so einem Rokokosaal, gefüllt mit der damals edlen Gesellschaft wird es einigemaßen ausgewogen geklungen haben. In der Carnegie-Hall etc. sollte man dann wohl besser bereit sein, das Geld für die erste Reihe auch auszugeben - nehme ich an.


    Vom Musikalischen her würde ich mir das Geld indes sparen. Nicht das Bezuidenhout oder das Orchester schlecht spielen. Aber ich meine, dass man es - vor allem im Orchester- mit den alten Instrumenten auch anders spielen könnte, aber das will man ja nicht.

    Das Gestische wird z.B. in den Violinen deutlich herausgearbeitet - wie in der Barockmusik, wo es m.E. unverzichtbar ist. Die Frage ist, wie deutlich man es machen sollte. Das könnte man in einer Probenarbeit besprechen. Hier wird es schwierig, denn hier sind wir ja auf Buchstaben beschränkt und müssen deshalb eher so im Dronenstil über der musikalischen Landschaft herumfliegen und verhältnismäßig unscharfe und generelle Aussagen machen.

    Den mehr als sparsamen Vibratoeinsatz sehe ich als unhistorisch an, schlimmer noch, als leider unmusikalisch. Man beraubt sich der Möglichkeit einer weichen Klangfarbe im Tutti, und vor allem fällt so das sehr humane Ausdruckspotential, welches das Vibrato bieten kann.

    Das fällt mir auch im zweiten Satz auf.


    Der Klang des Hammerklaviers passt zum Orchester, was erst einmal positiv ist. Ich mag es nicht, wenn ein modernes Symphonieorchester durch billigen Vibratoverzicht und Barocktrompeten/Pauken in moderner Stimmung versucht, sich dem Klang der alten Instrumente anzunähern.

    Schlimm finde ich es dann, wenn man es mit dem modernen Steinway kombiniert. Das passt für mich jedenfalls nicht zusammen.

    Ob man nun den kurzen und obertonreichen ("drahtigen") Hammerklavierklang mag, ist eine andere Sache. Ich finde es ja musikalischer, wenn ein Piano eine längere Ausklingphase hat und insgesamt runder klingt. Auch für Mozart finde ich das gut, weil seine rechte Hand mich oft an eine Opernsängerin erinnert. Das ist mir selbst einmal beim Nr. 23 aufgefallen, welches ich einmal mit einem Orchester spielen durfte.

    Ja, es gibt das Sprechende und die Klangrede in Mozarts Musik. Aber es gibt auch dieses Cantabile, das singende, der menschlichen Stimme nachempfundene Instrumentalspiel. Mit einer alten Oboe oder einer Barockvioline wäre es möglich, wenn man das will, selbst wenn Barockbögen den zurückfedernden "Glockenton" unterstützen. So wie ich es annehme, gibt es aber hinsichtlich des Cantabile sozusagen bauliche Grenzen beim alten Hammerklavier. Nur nebenbei: wenn man auf dem Steinway etc. versucht, durch einen steinigen Anschlag diesen historischen Klang nachzuahmen, dann ist für mich die Grenze erreicht, an dem ich es nur noch furchtbar finde.

    Doch die hier vorliegende Einspielung finde ich nicht furchtbar, auch nicht unmusikalisch. Aber so richtig schön im Sinne eines berückenden, verzaubernden Mozarterlebnisses ist es für mich nicht. Auch lyrisch-poetische Qualitäten oder das "Lächeln mit der Träne im Auge" wird man hier eher nicht finden.


    Zu Serkin/Abbado:


    Tja, man hört in der Tat das fortgeschrittene Alter. Für mich hat das Konzert einen durchaus jugendlich-frischen Charakter, so dass es mir wie der milde Rückblick auf das Thema Jugend aus der Sicht des weisen alten Mannes vorkommt. Teilweise wird er immer langsamer, und ich dachte " wie will der Abbado das jetzt mit dem Orchester wieder einfangen" ? Naja, die sind ja eigentlich von ihrer Fähigkeit des Hörens ein riesiges Kammermusikensemble, so dass das schon klappte. Ein gewisses Nachlassen in der virtuosen Spieltechnik deutet Serkin geschickt als poetische Altersweisheit um - hätte ich auch so gemacht ^^

    Es ist auch richtig, dass Abbado das Beste aus der Situation macht :thumbup:

    Insgesamt finde ich aber, dass es dem doch durchaus viel Begeisterung versprühenden Charakter des Werkes nicht mehr wirklich entsprechen kann. Respekt muss man davor haben, selbstverständlich!


    Zu Maria Joao Pires/Kazuki Yamada:


    Das Orchester - mit jungen Menschen besetzt- spielt sehr angenehm. Je länger ich es höre, desto besser find ich es. Alles was das Freiburger Barockorchester klangrednerisch und historsch informiert gestisch herausstellen möchte, machen sie auch, aber es klingt weniger gewollt, sondern ganz natürlich.

    Dynamik und Artikulation? Passt! Für mich machen die alles richtig - sehr schön. Man sollte sich das einmal genau anhören. Wer sagt " wieso, ist doch nichts Besonderes" hat dem Orchester und dem Dirigenten nicht wirklich zugehört. Ich bin sehr positiv überrascht und beeindruck von denen. Das "Orchestre Philharmonique de Monte Carlo" unter der Leitung von Kazuki Yamada - da habe ich im Leben noch nichts von gehört. Aber diese Aufführung ist perfekt gespielt, mit musikalischem Leben, sehr stilsicher und gleichzeitig klangschön.

    Die Gesamtinterpretation orientiert sich an den gereiften Vorstellungen der gereiften Pianistin. Ich kenne sie auch als jemand, der sich viel und ertragreich mit Mozart beschäftigt hat.

    Es ist in der Tat eine sehr andere Interpretation als die Mitsuko Uchidas mit Tate.

    Hier hören wir einen etwas schwergewichtigeren, nachdenklichen, irgendwie schon an Schubert "gemahnenden" Mozart. Es singt sehr schön, hat schwermütige, aber nicht sentimentale Untertöne.

    Es ist wohl so, dass in Mozarts Musik sowohl das Energetische der Jugend als auch das unterschwellige Bewusstsein für die Sterblichkeit im reiferen Alter mitschwingen kann.

    Sehr gut finde ich diesen Ansatz natürlich für den 2. Satz.

    Der 3. Satz fängt bei 22.39 an.

    Es ist eine anrührende Interpretation. Nachdem Maria Joao Pires ihren ersten Teil fertiggespielt hat und das Orchester einsetzt, ist ihr Mienenspiel interessant. Ernst, konzentriert und nachdenklich. "Früher habe ich es anders gespielt" dachte sie vielleicht - vielleicht auch nicht.

    Die damals noch in der Blüte der Jugend sprühende Mitsuko Uchida brennt an gleicher Stelle ein Feuerwerk ab ( bei 22.33) ohne Schönheit und Eleganz vermissen zu lassen. Ich finde beides sehr gut und legitim. Es regt mich dazu an, über das Leben, die Jugend und das reife Alter nachzudenken.

    Übrigens spielt die heutige Mitsuko Uchida ( die müsste doch auch über 70 sein?) auch anders als damals. Manchmal Live-Abstriche in der Top-Virtuosität (wie ich las) werden dann durch andere Qualitäten ausgeglichen.


    Gulda/Böhm:


    Richtig gut und klassizistisch. Beide werden ihrem Rang als Top-Interpreten ihrer Zeit für Mozarts Musik gerecht. Auch der Klang ist noch gut zu hören.

    Bei Gulda wird nicht der kleinste Trillerton verhudelt. Unglaublicher Pianist! Und die "aberwitzige" Kombination von doch eigentlich sehr weit auseinanderliegenden Persönlichkeiten (Gulda/Böhm) geht im Raum der Musik in vollständige Übereinstimmung auf.

    Sehr gut. Man versteht sich musikalisch, so unterschiedlich man als Mensch auch sein mag.


    Ich habe noch drei sehr schöne K271-CDs, auf die ich dann später bei Gelegenheit eingehen werde.

    Jetzt muss ich üben...


    Bis dahin: viel Spaß beim Nachhören :)


    LG:hello:

    Glockenton

    Mach das ruhig einmal, lieber Holger, wenn es Deine Zeit erlaubt. Es lohnt sich, dieses Musizieren zu erleben.

    Man hört nicht nur, sondern sieht auch diese konzentrierte Verinnerlichung bei ihr, diese Hochsensible und Hochmusikalische im ganzen Wesen ihres musikalischen Seins. Da sehe ich eine vollkommene Hingabe an die Musik.

    Ich meine auch zu verstehen, was sie jeweils meint, wenn ich in ihr Gesicht beim Klavierspielen schaue. Das Gute bei einer Weltklassepianistin ist ja auch, dass sie nicht nur richtig entlang der Musik empfinden, sondern es in der konkreten Situation auch effektiv und beherrscht "rüberbringen" kann.


    Ob das CD ein Mitschnitt des YouTube-Konzerts ist, weiß ich jetzt nicht. Ich nehme an, eher nicht.


    LG:hello:

    Glockenton

    Um Helmut Hofmanns Schumann-Thread nicht zu stören, poste ich hier eine kurze Bemerkung zu Christoph Eschenbach, der für mich als Dirigent und Pianist die Wiederentdeckung des Jahres 2023 darstellt.


    Mir ist es gleich beim Hören dieser Version von "In der Fremde" aufgefallen:




    Aber auch als Dirigent begann ich ihn neuerdings sehr zu schätzen, z.B. seine Erste Beethovens mit dem HR-Symphonieorchester - fantastisch. Dazu ggf. später mehr.

    Ich kam auch neuerdings an den "Schwanengesang" Schuberts mit Goerne und Eschenbach heran.


    Mein kurzes Fazit oder Statement: Was für ein wunderbarer Musiker! Ich habe mich entschlossen, ihm in Zukunft noch mehr zuzuhören.


    LG:hello:

    Glockenton

    Das ist letzten Endes eine Frage des Geschmacks, und der hat sich bei mir im Laufe der Zeit etwas geändert. Ich habe Uchidas Aufnahme jetzt noch einmal gehört und finde, dass sie in ihrer Art nahezu perfekt ist. Trotzdem spielt sie mir eine Spur zu "vornehm zurückhaltend", zu einseitig harmonisch, auch in ihrer Symbiose mit dem Orchester. Nimm z.B. gleich den ersten Klaviereinstieg: Diese der Auftaktfigur vorgelagerte, virtuose Sechzehntelfigur fügt sich bei ihr vollkommen stimmig in den Ablauf, und beim Thema imitiert sie anschließend perfekt das Orchester (deshalb auch die Staccato-Achtel der Linken). Das kann man so machen, aber mich überzeugt Brendels Lösung mehr, der hier mehr dem Orchester ins Wort fällt, die Virtuosität kurz aber deutlich betont, um dann, nachdem er sich gewissermaßen Platz geschaffen hat, mit dem Thema einen lyrisch-kantablen Kontrast zur tänzerischen Orchester-Version am Anfang zu setzen. Anders gesagt: Uchida spielt das Thema als eine Bestätigung des zuvor Gehörten, während Brendel im Dialog mit dem Orchester vorsichtig widerspricht. Dass "concertare" sogar bei Mozart gelegentlich "streiten" bedeutet, fällt bei Uchida quasi vollständig unter den Tisch, während Brendel es diskret aber deutlich zeigt. Dabei geht es natürlich nur um Nuancen, aber die machen insgesamt (dieser Anfang ist nur ein Beispiel) doch einen grundsätzlichen Unterschied in der Gestaltung. Das ist ein bisschen so wie bei Streichquartetten: Da gibt es Ensembles, die durch die völlige und perfekte Verschmelzung beeindrucken, so als wäre es ein einziges Instrument, aber es gibt auch solche, bei denen trotz aller Gemeinsamkeit die vier Stimmen Individualität zeigen. Zu letzteren gehörte früher z.B. das Amadeus-Quartett und später das Auryn-Quartett (mit denen ich mich über diese Fragen öfter unterhalten habe). Das ist kein Qualitätsunterschied, beides ist möglich und legitim, aber ich bevorzuge eindeutig die letztgenannte Art.

    Hier erleben wir ein in Klassikforen eher seltenes Phänomen: Man hat tatsächlich mehrfach und genau hingehört und stimmt in der sachlichen Interpretationsanalyse hinsichtlich des Klaviereinsatzes in Takt 74ff. 1.Satz überein. Das alleine ist bemerkenswert, weil man häufig in Klassikforen ( und anderen Foren, z.B. Hifi) noch nicht einmal einen gemeinsamen Ausgangspunkt hat, aber trotzdem redet. Vor einigen Jahren erwähnte ich beiläufig, dass es ja zum Grundverständnis des musikalischen Alphabets gehöre, dass man z.B. gehörmäßig einen Dur- oder Molldreiklang erkennen könne. Darauf folgten dann eine Reihe von Postings, in dem fast alle Autoren sehr selbstbewusst bekannten, dass sie dazu selbstverständlich nicht in der Lage wären, und dass das doch wohl keine Voraussetzung eines Gesprächs über (klassische) Musik wäre. Nun haben die Komponisten ja mit der expressiven Kraft des Wechsels zwischen Dur und Moll sehr effektiv gearbeitet, z.B. Schubert in "Gute Nacht". Wenn man das nicht hören und nachempfinden kann - worüber sollte man dann reden, ohne dass es reine Schwafelei wäre? Dass der erste Akkord in Bachs Matthäus-Passion ein Mollakkord ist, wäre dann auch unerheblich. Die Töchter könnten dann auch im strahlenden D-Dur klagen. Und was wäre dann mit Wagner und seiner expressiven Harmonik/Stimmführung - ach ja, da fange ich besser nicht mit an.


    Will sagen: normalerweise redet man aneinander vorbei, weil man entweder keine Lust zum Nachhören der CDs der Anderen hat (nicht nur ein paar Sekunden JPC-Schnipsel), eh an seine festen Vorurteile/ Überlegenheit seiner Lieblingsinterpreten glaubt oder tatsächlich nicht hören kann, was zunächst einmal den faktischen Unterschied zwischen Interpretationen ein und desselben Werks ausmacht. Alle drei Szenarien sind ja auch erst einmal in Ordnung, denn reden und schwafeln kann man gerne über alles, was ja auch unterhaltend sein kann. Es ist auch ein objektiver Gewinn, wenn ein Leser erst einmal die Information darüber bekommt, was für Einspielungen überhaupt am Markt verfügbar sind. Ich bin z.B. durch die extremen Verisse der Beethoven-Symphonien mit Thielemann/VPO erst neugierig geworden und habe dann feststellen dürfen, warum davon vieles (nicht alles) richtig gut ist, wodurch sich mein "Hörizont" erweiterte.

    Es wird nur dann etwas problematisch, wenn man ggf. mit ansonsten hoher Sprachkompetenz und kultureller Bildung ausgestattet ist, dann möglicherweise auch noch in rechthaberischer Weise über Musik oder deren Interpretationen meint streiten zu müssen, ohne dass überhaupt erst einmal ein gemeinsames Basisverständnis darüber existiert, was denn die Interpreten - so wie hier- z.B. Brendel oder Uchida in Takt 74ff. Satz 1 wirklich und unbestreitbar machen.


    Konservativ wie ich bin, finde ich schon, dass man diese Einigkeit braucht, bevor man zum nächsten Schritt geht, um gegenüber sich selbst und den anderen die Frage zu erörtern, wie man diese Unterschiede für sich persönlich bewertet.

    Da kann und sollte man sicher auch argumentieren, so wie Du hier auf den interessanten Aspekt des "concertare" hingewiesen hast. Es gibt aber auch jenen Punkt, an dem man nicht mehr genau in Worte fassen kann, warum man die eine oder andere Interpretation bevorzugt. "Ich höre es so einfach lieber" sagt man dann, und auch das ist ja legitim. Wenn man, so wie hier, zwei überaus hervorragende Einspielungen auf höchstem Niveau vorliegen hat, dann werden solche Erwägungen erst wirklich relevant und interessant.


    Zum Thema "concertare" kann ich aber noch einen Gedanken einfügen, bevor ich dann bekenne, dass ich Uchida/Tate doch noch lieber höre: Im Barock wurde dieses Prinzip kultiviert. Ich kenne es z.B. aus Bachs Konzerten und auch aus Händels Concerti grossi, die ja irgendwie auch an der Schwelle zur Frühklassik stehen.

    Hier denke ich gerade an HWV 319 Satz 1. Das Orchester spielt am Anfang witzigerweise auch so einen punktierten Rhythmus und sagt sozusagen in einem sehr kommandierend-männlichen Ton:


    "Auf gehts, frisch voran zum Streite, lasset uns mit heißem Herzen für Volk und Vaterland, für Blut und Boden in den heiligen Krieg ziehen. Du sollst das Schwert in Feindesherzen tauchen, drum zögre nicht"

    Darauf reagiert das weibliche Concertino:

    " o bitte nein, habt Erbarmen, bleibt doch hier, kommt ins Haus, da ist es warm, da gibt es schönes Essen, die Kinder, die Liebe..."

    Dann fährt das Tutti wieder schroff dazwischen, und so geht es hin und her. Das ist dann nicht nur Dialog, sondern viel mehr concertare. Es werden Behauptungen mit Argumenten im rhetorischen Sinne Matthesons aufgestellt, auf die dann der Solist (oder hier die Solisten des Concertinos) mit gegensätzlichen Behauptungen, Argumenten, Bitten usw. reagieren.

    Wenn man es wirklich heraushören will, führt kein Weg an Harnoncourts Jahrhunderteinspielung vorbei, denn der arbeitet das ungemein feurig und klangschön heraus, wirklich im Sinne eines erfüllten Musizierens:


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    Hier spräche ich also wirklich vom musikalischen Streit.

    Wenn es aber nun um Mozarts KV 453 geht, dann meine ich behaupten zu können, dass hier Orchester und Solist einen tendenziell eher freundlichen Dialog führen, vor allem, wenn wir uns auf die erwähnten Takte beim Klaviereinsatz etc. beschränken.


    So könnte man es bei Uchida übersetzt in Sprache beschreiben:

    "Schaut her, liebes Orchester, das habt ihr aber schön vorgetragen! Seht mal, ich bin nur ein kleines Klavier und kein Orchester, aber ich kann das auch so machen wie Du. Ist es nicht schön, wie ich rechts singe und links mit leise hüpfenden Achteln begleite? Genau wie ihr! Toll, dass wir uns alle so lieb haben"

    So entspinnt sich ein Dialog.


    Und so vielleicht bei Brendel:

    "Ja, liebes Orchester, das hast Du sehr schön gespielt. Nun hör einmal, ich will deine guten Gedanken noch einmal als einzelnes Klavier wiederholen, möchte aber deine schön punktierte Melodie mit den fröhlichen Wegwerfern noch einmal besonders hervorheben. Schaut mal, Eure hüpfenden Begleitungen kann ich als weichen pulsierenden Klangteppich spielen. Ist doch auch schön, oder? "

    Auch so kommt der feine Dialog zustande.


    Ich finde also nicht, dass wir hier - so wie bei dem Händel-Beispiel- von einem wirklichen musikalischen "Streit" sprechen können. Es ist wohl nicht so, dass hier die Affekte aufeinanderprallen. Vielleicht ist der Ausdruck "gepflegter, geistreicher Dialog" treffender.

    Die Frage bleibt, was denn nun "besser" für einen persönlich ist. Erst aufgrund der Tatsache, dass beide Solisten ihre Darstellung derart gekonnt darbieten ( beides ist pianistisch von der Körperbeherrschung her herausfordernd) wird die Entscheidung darüber für den Hörer überhaupt zur Herausforderung. Bei mittelmäßigen oder schlechten Aufführungen kann man das sehr schnell herausfinden, wenn man es denn hören kann.


    Der Punkt, an dem man sagt "ich mag es aber so lieber hören" kommt dann selbstverständlich irgendwann.


    Aber, wie gesagt, es ist immer ziemlich günstig, wenn man erst einmal eine gemeinsame Feststellung darüber treffen kann, was denn der oder die an dieser oder jenen Stelle faktisch spielt und gestaltet.

    Danach wird der Austausch über die Bewertung der gemeinsam als sachlich richtig erkannten Interpretationsmerkmale tatsächlich interessant.


    Deswegen zur Abrundung: Hören und Musizieren ist auf alle Fälle besser als darüber zu Schreiben! Man genießt und lernt gleichzeitig. Wie schön, dass wir sie haben, die gute Musik!


    Gruß:hello:

    Glockenton

    Ich habe zwar nicht die Zeit, mich eingehender mit dem Thread und dem Werk auseinanderzusetzen, habe aber in die YouTube-Filme hineingehört.

    Mir gefallen sie alle recht gut, vom reinen Spielen her besonders diese ansonsten natürlich das Original nicht ersetzende Bearbeitung mit Shaham. Aber sie spielen es sehr schön.


    Es ist auch eine Bereicherung, die Aufnahme mit Zimmermann kennengelernt zu haben.

    Gut gefällt mir auch noch die Aufnahme mit Julia Fischer, Gordan Nikolic und dem leider verstorbenen Yakov Kreizberg.


    Meine Lieblingsaufnahme ist immer noch diese mit Harnoncourt ( fand nur die Gesamteinspielung):



    Der golden-warme Klang der Wiener Philharmoniker zusammen mit Harnoncourts harnoncourtigem Dirigat: hier mag ich es sehr!


    Gruß

    Glockenton

    Das größte Problem aller Mozart-Interpretation ist in meinen Augen, die Balance zu finden zwischen der plastischen Gestaltung der unzähligen und oft extrem schnell wechselnden Charaktere und der gleichzeitig größtmöglichen Natürlichkeit. Alle gestalterischen Mittel können sehr schnell unangemessen und aufgesetzt klingen, aber statt dessen einfach nur "schön" zu spielen, reicht bei weitem auch nicht aus. Man muss die Mittel so einsetzen, dass sie wirken, ohne sich auch nur einen Moment in den Vordergrund zu schieben. Wenn man hört, "wie es gemacht ist", ist es schon zu viel, wenn man statt dessen nichts "macht", ist es zu wenig. Das ist ein extrem schwerer Balanceakt.

    Ja, so ist es selbstverständlich. Uchida hat es in Bezug auf Mozart einmal sinngemäß in einem Interview so formuliert: wenn man an einer Stelle einen Punkt machen will ( to make a point), dann klingt es meistens aufgesetzt und störend, aber gleichzeitig soll man es expressiv spielen. Dazu müsse man lernen, seine "Seele zu erziehen" , ganz abgesehen von der Bewältigung der technischen Herausforderungen.


    Auch den zitierten Gedanken Brendels kann ich nur zustimmen.


    Das sie hier bei K453 das Werk Mozarts verkleinert oder zu harmlos darstellt, höre ich so tatsächlich nicht. Ich finde, dass - und damit meine ich jetzt alle Beteiligten Musiker- sehr lebendig und frisch bei aller Klangschönheit aufgespielt wird.

    Mir sind z.B. auch die sehr guten und engagierten Bläser des English Chamber Orchester im letzten Satz sehr positiv aufgefallen. Vielleicht würdest Du das bei mehrfachem Hören auch so meinen, vielleicht (oder wahrscheinlich) auch nicht.

    In den letzten Tagen habe ich mich ja durch einige Aufnahmen gehört, die ich allesamt nicht so gut fand, wie eben Brendel und Uchida ( ich muss noch einmal die ältere Brendel-Aufnahme mit Marriner heraussuchen).


    Aber in letzter Konsequenz muss das jeder selbst für sich entscheiden und hören. Die Vorlieben wechseln ja auch. Ganz früher war für mich alles andere als Gulda (gerade bei Beethoven) nicht anhörbar, dann bin ich später auf den bis heute heißgeliebten Brendel gekommen und noch später auf Uchida und Paul Lewis. Gründe dafür hatte ich immer, genauso wie ich jetzt Gründe habe, weniger die "Knallerei" zu mögen, an die ich mich auch bei Korsticks Beethoven-Ansatz erinnern kann.


    Manchmal hat man so seine Helden, denen man vertraut, dass sie einem die Musik bestmöglich vermitteln. Bei mir ist es so, und die ausführenden Musiker haben ja auch ihre Vorbilder. So borniert wird wohl keiner sein, dass er sagt " ich brauche nur die Noten und dann genüge ich mir selbst".

    Bei Brendel und Uchida bin ich bisher sehr selten enttäuscht worden.

    Nur gestern hörte ich dann etwas aus dem "Schwanengesang" Schuberts mit ihr und Mark Padmore. Da ich Fischer-Dieskau/Brendel oder Goerne/Eschenbach gut im Ohr hatte, war ich einigermaßen entsetzt. Aber das nur am Rande, ist dann ein anderes Thema...



    Nun würde ich noch gerne etwas zu den YouTube-Filmen sagen, die Alfred postete :


    Den ersten Film mit Manze finde ich richtig gut - fast alles ist hervorragend. Den Pianisten kenne ich mit sehr guten Aufnahmen, die er zusammen mit Julia Fischer machte.

    Für meinen Geschmack könnte der Helmchen hier noch etwas weniger laut und geheimnisvoller spielen - aber da muss ich zugeben, dass mich Uchida eben so überzeugt hat, dass ich es im Moment so wie mit ihr hören möchte. Das Orchester spielt klar und artikuliert sprechend ohne unschön zu klingen. Es könnte vielleicht etwas wärmer klingen, aber es ist schon sehr gut so.

    Manze macht einen guten Job. Was mich nur wundert ist, dass er sich von den Bewegungen her schon bei diesem Konzert geradezu zerreißt - huch!

    Eine Wagner-Oper würde er so auf keinen Fall überstehen... ;) Das kommt auch mit den Jahren, dass man in den Bewegungen und Gesten sparsamer wird. Rein optisch ist seine Art Mozart zu dirigieren schon sehr anders als etwa die des seligen Karl Böhms. Der stand da wie ein Studiendirektor mit einem Stab in der Hand und überwachte streng seine "Klasse" ( das waren dann die Wiener Philharmoniker :) ) Dazu ein unbewegliches Gesicht. So etwas zu beobachten, find ich immer wieder interessant. Entscheidend ist aber, "was hinten `rauskommt", wie unser Kanzler der Einheit es einmal so treffend formulierte:)

    Die NDR-Tontechniker haben sich bei diesem Mitschnitt einen extrem schlimmer Fehler geleistet: Man hört im Bassbereich jede, aber wirklich jede Pedalbewegung des Pianisten. Das hat etwas mit der Mikrofonierung, mit Abständen und dergleichen zu tun. Es ist geradezu amateurhaft und dürfte nicht passieren. Helmchen kann einem leid tun. Er hat so geübt, und dann das...

    Ich hörte es soeben über meinen Beyerdynamics DT1770 pro, ein geschlossener, sehr neutraler Studiohörer, der eine sehr gute Basswiedergabe hat. Über die große Anlage mit den Martin Logans und den zwei Klipsch-Subwoofern will ich diesen Film dann lieber nicht sehen, bzw. hören.


    Der zweite Film ( wahrscheinlich früher aufgenommen?) klingt für mich aus drei Gründen grauenhaft.

    Erstens ist die Aufnahmetechnik schlecht ( na gut, ist kein Konzertfilm) zweitens spielt mir der Pianist da noch zu sehr im lauten Dynamikbereich und drittens dirigiert der schlimmste aller Vibrato-Verbieter dieser Welt. So klingt es dann auch. Die armen Musiker! Dann ruft er auch noch dolce hinein... ja, aber dann dolce non vibrato, nicht wahr?

    Nein, ich kann das nur kurz über mich ergehen lassen. Aber bitte, wer so etwas mag... 8-) nur zu.


    Gruß:hello:

    Glockenton

    Lieber Holger,


    Ushida habe ich auch nicht oft gehört - aber sie gefällt mir. :) Sie hat natürlich einen betont empfindsamen Zugang. Im Kopf habe ich allerdings auch den Vergleich mit Chopin. Früher meinte man ja, man dürfe Chopin nur zart-empfindsam spielen. Artur Rubinstein mit seinem männlich-kraftvollen Spiel bekam in jungen Jahren dann solche uns heute komisch anmutende Kritiken, dass er kein Chopin-Spieler sei und lieber spanische Klaviermusik und Debussy spielen solle. Später wurde er dann der Inbegriff des modernen Chopin-Spielers.

    ja, ich kenne und mag die Chopin-Etuden mit Pollini sehr, obwohl ich kein Chopin-Liebhaber bin. Ebenso schätze ich seinen Beethoven, der männlich-kraftvoll und ohne Schnörkel daherkommt.

    Ich kann aber nicht so ganz finden, dass Deine Chopin-Assoziation zu Uchidas Spiel die Wirklichkeit trifft. Die hier gemachten Aussagen scheinen sich ja auch zu widersprechen: "Chopin-ähnliche Empfindsamkeit" und dann wieder "fass mich nicht an-Mozart" den man ja früher gerne mit "appolinisch" ( Krips) umschrieb. Gemeint war so eine distanzierte Schönheit, die wie eine griechische Statue in noblem Weiß zu erstarren droht und milde-unantastbar auf einen herabzulächeln scheint.


    Das beide Beschreibungen für Uchidas Mozart, den sie zusammen mit Tate aufführte nicht zutreffen, das dokumentiert -für mich jedenfalls- ein Video, dass ich aus Gründen der Ordnung in einem anderen Thread postete.

    Wenn man sich es anhört und anschaut kann man m.E. nur zu dem Schluß kommen, dass hier ein glühendes und erfülltes Musizieren stattfand, welches die Balance zwischen Expressivität/Empfindsamket und formaler Klarheit und Klangkultur hielt.


    Falls Du Zeit hast, kann ich nur empfehlen, Dir das einmal anzuhören, auch anzuschauen.

    Die Schlagtechnik Tates mag etwas unbeholfen aussehen, was aus meiner Sicht aber der Behinderung durch seine Krankheit geschuldet war.


    Viel Hörfreude :)


    Deine Ausführungen zum Hammerklavier klingen logisch. Ich schließe mich Dir an, wenn Du sagst, dass Du diesen Klang ( dann ja auch noch mit kleinem HIP-Ensemble) nicht magst.

    Wenn man dann also die modernen Instrumente nimmt ( vieles spricht dafür, aber das will und werde ich hier nicht mehr diskutieren), dann finde ich schon, dass man deren singende Qualitäten auch nutzen sollte, ohne dann aber die Dynamik des Steinways voll einzusetzen, der ja auch für ganz andere Dinge ein geeignetes Instrument sein muss. Wenn ich in Aufnahmen mit einem harten, steinig-kalten Anschlag und dann noch "mit ohne Vibrato" im Orchester und dergleichen hineinhöre, dann schaffe ich das oft nur für einige Minuten. Danach juckt es mir im Finger, um die Wiedergabe zu stoppen.

    Für mich klingt es einfach grauenvoll unmusikalisch. Da können mir ganze Legionen von "Wissenden" daherkommen, die dann sagen " ja aber, das muss aber so". Nein, muss es nicht. Zudem, wenn man das Buch "Das Vibrato in der Musik des Barock" von Greta Moens-Haenen kennt, dann beginnt man auch theoretisch ( also außermusikalisch) zu verstehen, dass dieses Gesäge mit dem Klang von Kinderorchestern keineswegs "historisch informiert" ist. Leider ist es woke geworden - schade. Es gab schon im Barock ein ständig eingesetztes Ausdrucksvibrato, besser gesagt, ganz verschiedene Vibrati, die z.B. die Franzosen sogar versuchten schriftlich zu katalogisieren. Sehe ich jedoch in die Youtube-Filme so mancher Radioorchester hinein, dann verzichten die so gut wie vollständig auf das Vibrato. Sehr schade, weil sie sonst eigentlich auf sehr hohem Niveau spielen.

    Ich glaube es war auch Leopold Mozart, der schrieb, dass es manche zu weit trieben mit ihrem ständigen Gezittere, woran man sieht, dass es auch in dieser Zeit schon üblich war, mit Vibrato zu spielen. Aber das ist die musikwissenschaftliche Ebene, auf die ich mich hier ausdrücklich nicht begeben möchte. Das würde den Rahmen des Threads zudem sprengen.


    Rein von meinem musikalischen Empfinden her ist dieses Beharren auf dem geraden Sägeton eben äußerst farblos und ausdruckslos, demzufolge also unempfindsam und unmusikalisch. Möglich, dass da jemand gegenanschreiben möchte - nur zu, aber ich sage dazu nur noch hier und da meine Meinung, verzichte aber auf direkte Diskussionen. Es bleibt auch eine Geschmacksfrage.

    Hört also sehr gerne was ihr wollt, solange ich da nicht mithören muss;)

    Als Premiumkunde bei TIDAL kenne ich sehr viele dieser Aufnahmen und habe sie mir auch länger als nur ein paar Minuten angehört. Meistens war es mir eine Qual.

    Die orchestralen HIP-Anklänge bei Mackerras mit der Brendel-Aufnahme ( die ich auch sehr gut finde) empfinde ich als noch angenehm, wobei ich das English Chamber Orchestra hier noch als für mich klanglich schöner empfinde.

    Das ist eine bewusste ästhetische Wahl, nicht ein Festhalten an alten Hörgewohnheiten, denn ich bin sehr mit dem Originalklang und der dazugehörenden Spielweise sozialisiert.


    Doch zurück zu diesem Konzert:

    Gut, Pollini spielt an der besagten Stelle kein ff, völlig klar. Aber es ist schon so, dass ich für Mozart einen lockeren und auch singenden Ton/Anschlag insgesamt bevorzuge. Das wuchtig-Titanenhafte einer Egmont-Ouvertüre würde mir da als unpassend vorkommen.

    Merkwürdig andererseits, dass ich die Stellen, bei denen Gulda im Krönungskonzert und im Nr. 23-A-Dur zusammen mit Harnoncourt ordentlich zulangt, dann wieder sehr gut finde...

    Es liegt wohl auch daran, dass hier insgesamt ein anderes Konzept gefahren wurde, welches ich in diesem speziellen Fall Gulda/Harnoncourt so überzeugend finde, weil es wirklich gut gemacht wird und aus der Musik selbst heraus sehr nachvollziehbar klingt.


    Wie gesagt, die Pollini-Aufnahme ist natürlich sehr gut! Er spielt pianistisch auf Weltklasse-Niveau. Gerade im ersten Satz finde ich allerdings, dass das Orchester noch hervorragender bzw. "mozärtlicher" spielt als er.


    Weiterhin viel Freude am Musikhören :)


    Gruß

    Glockenton

    Als Reaktion auf einen Beitrag im Thread über K453 poste ich hier einmal einen YouTube-Film der die damalige Live-Zusammenarbeit Mitsuko Uchidas mit Jeffrey Tate und dem English Chamber Orchestra ziemlich gut dokumentiert.

    Ich habe es zufällig auf YouTube gefunden. Nach dem Aufrufen konnte ich nicht anders, als bis zum Ende zuzuhören.


    Das ist nicht nur sehr gut gespielte Musik, das ist erfülltes Musizieren auf allerhöchstem Niveau. Eine Kostbarkeit <3




    LG:hello:

    Glockenton

    Nun habe habe ich mir soeben den ersten Satz des Konzertes mit Pollini und den Wiener Philharmonikern angehört.

    Mein erster Eindruck, bzw. Ausruf beim Orchestervorspiel war einfach nur: Wien!

    Das klingt nach dem Wiener Mozart der Wiener Philharmoniker, so ähnlich, wie man es noch aus Böhms Zeiten kennt. Es wird äußerst klangschön, kultiviert und stilsicher gespielt. Man kann sagen, dass da bei denen alles passt.

    Ist das nun Pollinis Verdienst? Ich vermute eher nein, kann mich aber auch täuschen. Ich nehme an, dass die Wiener nach wie vor so gut sind.


    Ein Malus der Aufnahme ist für mich, dass der Flügel für meinen Geschmack zu dicht mit den Mikrofonen abgenommen wurde. Wer weiß, vielleicht sahen sich die Tontechniker auch dazu genötigt, weil Pollini recht laut und ungeniert mitsingt/brummt. Das wäre schon etwas tragisch.

    Zu einem Gould gehört ja das Mitbrummen, bei Gulda und Brendel finde ich es ok, bei ihm merkwürdigerweise dann nicht mehr. Aber das bin nur ich…


    Jedenfalls ist sein Ton insgesamt härter und „männlicher“ (wohl auch mit entfernterer Mikrofonierung) als der Anschlags Uchidas.

    Bei bestimmten Stellen, insbesondere bei der Kadenz, spielt er für meinen Geschmack schon bald in Richtung Beethoven, weniger noch Mozart.


    In Takt 21 der Kadenz (meine Bärenreiter-Ausgabe fängt bei der Kadenz wieder mit Takt 1 an und setzt beim Orchestereinsatz mit Takt 328 fort) gibt es so ein echoartiges Wechselspiel zwischen piano und forte.

    Ein Seufzermotiv wird dort in einer Kadenz „herabgeführt“. Es beginnt in Takt 20 mit e-moll mit Sextvorhalt c, sich nach h auflösend. Danach hören wir E mit der Septime D im Bass und dem Nonenvorhalt f -> e usw….

    Ja, hier wird ein schöner Schmerz nach dem anderen erzeugt. Mozart schreibt auch den Wechsel zwischen piano und forte vor. Wie laut oder leise das aber sein soll, das überlässt er natürlich dem guten Geschmack des Ausführenden, in diesem Fall wahrscheinlich sich selbst.

    Da es ja immer noch Seufzer sind, finde ich nicht, dass man hier im Beethovenstil echte sf-Schocks spielen sollte. Ich kann die Stelle nicht als wirklich dramatisch hören. Pollini geht in diese Richtung, Uchida nicht. Sie spielt alle diese Akzente, bleibt aber kantabel und klangschön.

    Auch die 16tel-Passagen der Kadenz klingen bei Pollini grober, ebenso die Achtelbegleitungen der linken Hand.


    Mein erster Gedanke war: zu diesem wirklich hervorragenden orchestralen Mozart hätte Uchida als Pianistin eigentlich besser gepasst.


    So hinterlässt die Aufnahme bei mir einen etwas uneinheitlichen Eindruck. Natürlich ist das alles sehr gut. Nur ist das Bessere zum Feind des sehr Guten, vor allem auf diesem herausragenden Niveau, über das wir hier reden.




    Gruß


    Glockenton

    Hallo nemorino,


    ich neige dazu, mich Deiner Meinung hinsichtlich der Frage mit oder ohne Dirigent anzuschließen. Wenn Dirigent und Solist den gleichen Zugang zur Musik haben, dann ist es wohl doch mit einem (hervorragenden) Dirigenten etwas günstiger. Aber es gibt auch wunderbare Konzerte, bei denen Dirigent und Solist in einer Person vereint sind. Neulich sah ich auf Youtube ein Mozart-Klavierkonzert mit Eschenbach und einem französischen Orchester. Ich empfand es als sehr gelungen und beglückend. Nun ist aber Eschenbach auch ein sehr erfahrener Dirigent.


    Dass Mitsuko Uchida sehr klare Vorstellungen hinsichtlich der Ausführung der Orchesterstimmen hat, wurde mir zuerst klar, als ich vor vielen Jahren den Videomitschnitt des d-moll-Konzertes KV 466 auf DVD mit der Camerata Salzburg kennenlernte ( DG). Bis heute finde ich, dass es eine sehr schöne Aufführung geworden ist. Das Video ist sicher auch auf YouTube zu finden.

    Wenn ich nun mit Hilfe der Partitur in das Orchester hineinhörte, dann würde ich vielleicht einige Details entdecken, die mir bei ihrer Aufnahme mit Tate besser gefallen - vielleicht auch nicht. Ich müsste es einmal machen.

    Hier bei KV 453 erreicht Tate auf jeden Fall einen sehr homogenen, warmen aber dennoch transparenten und deshalb auch nicht schwergewichtigen Orchesterklang. Für Mozart empfinde ich das mittlerweile als ideal. Es ist ja auch nicht so, dass er hinsichtlich Artikulation und Phrasierung die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis ignoriert.

    Er verwendet die Artikulation zur Aussprache der musikalischen Gedanken, nicht jedoch als herzuzeigenden Selbstwert. Die Akzente und dergleichen sind durchaus alle vorhanden, werden aber nicht plakativ "herausgeknallt." Es bleibt alles im Rahmen - und darin liegt auch ein Geheimnis, eine ästhetische Grundhaltung, die er mit Uchida teilt. Es gilt etwas Kostbares und Zerbrechliches zu vermitteln. Hier wäre z.B. auch das dynamische Ausnutzen des Flügels bis ins fff völlig verfehlt. Man soll eine solche Musik nicht zerknallen.

    Weil hier beide eben auf gleicher Wellenlänge liegen, resultiert das in überzeugenden Ergebnissen.

    Mich überzeugt auch, dass er nicht versucht, ähnlich wie ein Barockorchester zu klingen, die sich dann auch einmal etwas von Rameau oder Mozart vornehmen. So passt der Orchesterklang zum klangschönen modernen Flügel. Ich habe auch schon Klavierkonzerte gehört, bei denen das Orchester gewollt nach Barockensemble klingt und dann der moderne Flügelklang einsetzt. So etwas ist leider in Mode gekommen, aber ich hoffe, es kommt auch wieder aus der Mode. In meinen Ohren ist es grauenvoll, aber bitte, wer es denn so haben will...

    Dann lieber gleich das Hammerklavier und Darmsaiten etc. nehmen, das passt wenigstens zueinander, auch wenn es mich nicht anspricht.


    Bei Live-Konzerten wird es früher in der Tat nicht derart genau auf die orchestralen Dinge angekommen sein wie bei heutigen "Studio"-Aufnahmen, die ja meistens in leeren Konzertsälen gemacht werden. In unserer Zeit ist es so, weil wir über die Möglichkeit der klanglich hochwertigen Musikkonservierung verfügen. Wenn da auch nur eine Kleinigkeit nicht passt, gewinnt dieses Detail an Wichtigkeit, weil jene kleinen Dinge bei jedem Abspielvorgang genau so zu Tage treten, wie sie aufgenommen wurden.


    LG:hello:

    Glockenton

    Ich habe mir einige CDs angehört und verglichen, bei denen ich davon ausging, dass eine davon wahrscheinlich meine Favoritenaufnahme sein wird. Aber ich hörte auch in einige der anderen im Thread genannten Aufnahmen hinein, auch in die YouTube-Links.


    Sehr gut finde ich beide der folgenden Einspielungen, aber es gibt Unterschiede. Was man vorzieht ist Geschmackssache, aber beide CDs sind Botschafter des guten Geschmacks.


    Hier die Aufnahme mit dem Scottish Chamber Orchestra und Charles Mackerras und Alfred Brendel:


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    Ich konnte diese CD bei JPC nicht finden.


    Das Orchestervorspiel harmoniert mit Brendels Auffassung, welche durch sein weiteres Spiel deutlich wird. Wir hören einen frisch-fröhlichen Ansatz, der durch die recht kurz abgerissene Artikulation der punktierten Figuren in den ersten Violinen klar wird: Takt 2 auf Vier und Takt 3 auf Zwei.

    Brendel spielt das anschließend fast noch pointierter.

    Die Transparenz, Spielkultur und das geschmackvolle Dirigat des englischen Sirs kann man nur preisen. Bis ins Feinste ist alles austariert, ausbalanciert und einfach schön gemacht. Mackerras wird hier seinem Ruf als bedeutender Mozart-Dirigent sehr gerecht.


    Brendel beginnt mit einer sehr auf die Melodie der leicht übermütigen Sopran-Primadonna in der rechten Hand fokusierten Spielweise. Die begleitenden Alberti-Achtel der linken Hand spielt er in Richtung eines weichen Klangteppichs, wodurch die Aufmerksamkeit auf die tanzende Ballerina der rechten Hand gelenkt wird. Das ist sehr legitim und man kann es so machen, denn Mozart hat in die Partitur keine Spielanweisungen für die begleitenden Achtel geschrieben.

    Im Orchestervorspiel indes spielen die zweiten Violinen und die Bratschen diese Noten piano-staccato. Man könnte das als Pianist aufnehmen, muss man aber nicht. Es ist -wie gesagt- eine Geschmacksfrage und ich mag beides, wenn es gut gemacht wird.


    Pointert, lebendig und kultiviert - so würde ich diese Interpretations versuchen in wenigen Worten zu charakterisieren. Alles geschieht auf höchstem Niveau.


    Interessant ist der Ausgang der Kadenz des ersten Satzes. Mozart lässt die Streicher auf den Schlusstriller ( der ja eigentlich schon mit den 16teln in Takt 325 beginnt) mit einem mystischen Akkord in Takt 330 einsetzen, der auch schon gegen Ende des Orchestervorspiels vorkam. Es handelt sich um einen H-vermindert über den in Achteln pulsierenden Bass G. Darauffolgt dann geradezu romantisch ein D7 über den weiter pulsierenden G-Bässen.

    Man kann diese Stelle normal, klassisch kultiviert und verbunden mit der Tradition der Klavierkonzerte der Wiener Klassik spielen. Brendel und Mackerras machen das hier so. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber anhand einer anderen Aufnahme kann man hören, dass solche Stellen auch zu zauberhaften Ereignissen werden können.


    Hier nun meine zweite Aufnahme:

    Uchida mit dem English Chamber Orchestra unter Jeffrey Tate.



    Ich sage es gleich: Das ist sie, meine Lieblingseinspielung.


    Tate dirigiert einen transparenten, geschmackvollen und klangschönen Mozart. Die Dinge, die man bei der vorherigen CD gutgefunden hat, kann man hier auch hören, aber es kommt die Dimension einer gewissen Gelassenheit und einer noch mehr für sich einnehmenden Wärme im Klangbild hinzu. Die Tempi sind nahezu gleich; Tate ist einen ganz kleinen Ticken langsamer. Ich empfinde dieses Tempo als ideal.


    Mitsuko Uchida spielt mit singend warmen Ton, ohne dass dadurch die artikulatorische Klarheit verlorenginge. Sie bringt es fertig, mit den oben erwähnten Alberti-Achteln leise hüpfend in linken Hand zu begleiten, während die rechte Hand den Gesang anstimmt.

    Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie ihren Flügel anders intonieren lässt, aber es wird hörbar, dass sie für Mozart einen runderen, wärmeren Klavierklang bevorzugt. Das passt ausgezeichnet zum von Tate dirigierten Orchester. Auch hier hört man einen perfekt ausbalancierten, warmen und sich schön vermischenden Klang.


    Noch eine Bemerkung zum Ausgang der Kadenz in Takt 325 ff: es klingt bei ihr wie ein sommerliches Flirren in der Luft, und das Orchester setzt dementsprechend mystisch mit dem H-vermindert über G ein. Das ist atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Man hält den Atem an und ist berührt von diesem verzaubernden Sinn für das Geheimnisvolle und für die Schönheit.


    Ja, das kann man sagen: sie spielt so, als ob sie Kindern die schönen Geheimnisse der großen weiten Welt in kindgerechter Form erzählen möchte. Im Staunen über diese noblen Einfachheit liegt ein großes Geheimnis. Ich kenne keinen Pianisten, der das so vermitteln kann, wie Mitsuko Uchida. Für dieses Konzert habe ich also meine Idealaufnahme gefunden.


    Ja, auch die neue Uchida-Aufnahme mit dem Cleveland Orchestra besitze ich. Auch hier wird wunderbar musiziert und die Kadenz gelingt ihr vielleicht rhetorisch gesehen noch etwas zwingender.

    Aber das Tempo ist mir hier etwas zu ruhig. Es klingt mehr warm als transparent ( undurchsichtig ist es definitiv nicht !!), aber ich ziehe hier Tates wunderbares Dirigat vor, welches meine Aufmerksamkeit niemals erlahmen lässt.

    Ansonsten hört man aber natürlich die üblichen Vorteile des Mozarts Spiels Uchidas.


    Ich habe auch schon andere Klavierkonzerte Mozarts im Sinne Uchida vs Uchida verglichen. Beide Aufnahmereihen kann ich sehr empfehlen, wobei ich selbst in den meisten Fällen zur ersten Aufnahme mit Tate greife.

    Diese Aufnahmen sind ein Glücksfall für alle diejenigen, die sich eben das wünschen: beglückt zu werden durch die Musik Mozarts.


    Zu anderen Aufnahmen und Aufführungen ggf. später. So viel vorweg: Dasselbe English Chamber Orchestra klingt in der Aufnahme mit Perahia verglichen mit der Tate-Einspielung recht enttäuschend. Klar hat das etwas mit der Aufnahmetechnik und dem Raum zu tun, aber es kommt hier m.E. doch sehr auf den Dirigenten an. Das wurde mir hier deutlich.


    Muss aus Zeitgründen jetzt schließen...


    LG:hello:

    Glockenton

    Zunächst möchte ich mich bei nemorino für die Erstellung eines Threads über dieses schöne Klavierkonzerts Mozarts bedanken :):thumbup:


    Das gestellte Thema war mir eine Anregung, mich wieder einmal mit diesem schönen Konzert zu befassen.


    Bevor ich zu den mir bekannten Aufnahmen in weiteren Beiträgen ggf. etwas schreibe, noch kurz eine Anmerkung zum diskutierten Rhythmus. Die italienische, französische und deutsche Barockmusik ( vermischter Geschmack) mündeten ja letztendlich in die Frühklassik und Wiener Klassik.

    Vor allem von der französischen Musik her wurde ein punktierter Rhythmus ( z.B. bei Ouvertüren) mit Gravität und königlicher Herrschaft assoziiert. Aus diesem Grund hat ja Bach auch in der Kantate BWV 61 den Eingangschor vom Orchester im Stile der französischen Ouvertüre geschrieben, um zu zeigen, dass der Herrscher dieser Welt ( Punktierungen) als kleines und schwaches Kind auf die Welt kam.

    Das ist also so eine kurze Vorbemerkung zu der damals immer noch verstandenen Wirkungen, die punktierte Rhythmen auslösen können.


    Den hier diskutierten Rhythmus hören wir bereits in Takt 1. Mir ist schon oft aufgefallen, dass für Mozart der Rhythmus "Wom ta tadam tam tam" ( eine Viertel, dann eine punktierte Achtel, ein Sechszehntel und dann noch wieder zwei Viertel) so eine Art Steckenpferd gewesen sein könnte.

    Ich höre ihn in seinen Werken recht häufig, vor allem dann, wenn es männlich- festlich klingen soll. So verwendet er ihn z.B. auch im bekannten A-Dur-Konzert Nr. 23 in Takt erstmals in Takt 18, und zwar in den Hörnern. Es ist die Stelle, ab der wir ein Tutti-Forte hören. Besonders bei Harnoncourts Aufnahmen kann man diesen markanten Rhythmus gut heraushören, nicht nur bei der herrlichen Einspielung mit Gulda, sondern auch bei vielen anderen Aufnahmen der Symphonien, bei denen dieser Rhythmus immer wieder vorkommt, vor allem dann im Blech und in der Pauke.

    Selbstverständlich ist es richtig, dass bei diesen Stellen ein "marschmäßiger" Charakter spürbar wird, vor allem, wenn es wie gesagt vom Blech gemeinsam mit der Pauke eingeworfen wird.

    Ob jener Rhythmus nun für Mozart so wichtig war wie später der bekannte Brucknerrhythmus für Bruckner ( zwei Viertel, dann eine Vierteltriole), weiß ich nicht. Aber er mochte ihn offensichtlich sehr und hat diese Vorliebe - wenn ich mich richtig erinnere- auch an Schubert "vererbt".

    Weder das A-Dur-Konzert noch irgendeine Symphonie Mozarts wird deswegen zu einem Marsch. Vielmehr wird der Musik ein wuchtig-festlicher, auch durchaus männlicher Aspekt hinzugefügt, wenn er den Rhythmus in für ihn "normaler" Art und Weise einsetzt. Wenn man solche Stellen dirigiert, ist die Versuchung durchaus da, eine Faust zu ballen...


    Doch nun zum Thema des hier aufgerufenen Konzerts Nr. 17 G-Dur KV 453: Hier liegt die Sache in der Tat ganz anders.

    Mozart kam hier auf die wirklich geniale ( für ihn also völlig normale....) Idee, seinen "Lieblings-Rhythmus" zwar schon ganz am Anfangspielen zu lassen, ihn aber äußerst kultiviert in einen zärtlich-duftigen piano-Zusammenhang zu stellen. Nicht das Blech und die Pauke bekommen ihn im Forte, sondern er wird schön piano in den elegant-melodischen Gesang der leise spielenden ersten Violinen eingebettet. Diese stehen am Anfang völlig nackt und alleine da. Kein anderes Instrument unterstützt die armen ersten Violinen, so dass der einstmals wuchtige Militärrhythmis nunmehr sehr fein und nobel daherkommt. Durch den Triller auf der zweiten Note wird der spielerisch-neckende und doch vornehme Ausdruck erreicht. Man stelle sich nur einmal vor, wie furchtbar öde diese Figur ohne die Punktierung und ohne den Triller klänge. Das wäre so erschreckend banal, dass es kaum auszuhalten wäre. Eben durch diesen Rhythmus erleben wir auf eine feine Noblesse, eine edle und elegant vornehme Verneigung, mit der das Stück beginnt.

    Wenn man nur einmal anfängt, darüber nachzudenken, dann fällt einem auf, wie genial dieser Künstler doch tatsächlich war. Aus der anfänglichen Geste entwickelt er auf wunderbare Art die Melodie weiter. Das ist wirklich unglaublich, ja es ist beängstigend gut.


    So ist es also richtig, dass diese Musik keinen Marschcharakter hat, Mozart aber doch "seinen" für ihn offensichtlich magischen Rhythmus anfangs sehr unkonventionell verwendet, um damit eine noble ( =höfisch/königlich) und gleichzeitig-freundlich-einladende Geste als Entre zum Konzert zu verwenden.

    Später dann, bei der Hinführung zur Kadenz des Pianos wird ein klassischer, rein- punktierter "Kraftrhythmus" ( punktierte Achtel) auf einem Eb7-Akkord ( eigentlich hier ein übermäßiger Quintsextakkord, der durch die Tritonussubstitution als Dominantseptakkord/alterierte Wechseldominante fungiert) vom Orchester im Forte gespielt. Das finden wir in Takt 324.

    Durch den markanten Rhythmus und diese spannungsreichere Form des Dominantseptakkords ist der Sog hin zum "Doppelpunktakkord" G-Dur mit der Quinte D im Bass besonders kräftig.

    Aber auch hier kann man natürlich nicht von Marschmusik sprechen, auch wenn es durchaus rhytmische Anklänge an den festlichen, nahezu militärischen Charakter gibt, die hier allerdings in "kultivierter" Form innerhalb eines Konzertsatzes auftreten.


    Solche Fragen kann man fachlich relativ leicht aufklären. Dass diese Dinge als Ausgangspunkt für unschönen Auseinandersetzungen herbeigenommen werden, hätte ich gar nicht für möglich gehalten. Vielleicht liegt es ja daran, dass Einigen gar nicht so sehr um musikalische Sache geht, als vielmehr darum, Anlässe zu finden, um eine vergiftete und provokative Grund-Atmosphäre zu erzeugen, die am Ende allen die Freude an dem an sich sehr schönen Klavierkonzert und dem Austausch darüber verdirbt. Der Thread wirkt zerschossen und kompetente Taminos denken mittlerweile ans Aufgeben. Vor allem Mozarts Musik hat das nicht verdient.


    Es würde mich wundern, wenn dieser Stil bei Tamino tatsächlich so durchginge, aber das werden wir ja sehen.


    Ich habe heute bereits einige CDs dieses Konzerts verglichen und dachte schon daran, meine Eindrücke hierzu demnächst zu posten. Für mich gibt es da auch eine klare Lieblingseinspielung, die ich sehr empfehlen kann. Doch in so einer vergifteten Atmosphäre möchte ich ehrlich gesagt ungern über derart wunderbare Musik sprechen.


    Wenn man sich also über KV 453 austauscht, dann doch normalerweise nur unter der Voraussetzung, dass es den Einzelnen auch Freude macht, so daß der Dialog über die Musik und über die vorliegenden Einspielungen als Bereicherung für die Taminos und die Mitleser empfunden wird.


    Posten, um sich zu ärgern? Es gibt vielleicht Leute mit viel Zeit, die so etwas tatsächlich brauchen. Das werde ich wohl nie verstehen.


    LG

    Glockenton

    Hallo Christian,


    vielen Dank!

    Wenn ich jetzt schreibe "nicht schlecht", wäre das ja die tödlichste Beleidigung, die man in der Musikwelt aussprechen kann, was tatsächlich sehr ungerecht wäre.


    Ich muss gestehen, dass ich in seine Bruckner-Symphonien nicht so besonders genau hineingehört habe. Mir gefielen auf seinen CDs merkwürdigerweise immer die Wagner-Tracks besonders gut....

    So richtig "mitgenommen" haben diese Bruckner-Aufnahmen mich bisher nicht, aber das kann ja noch kommen. Bei Wand ist es da schon anders - ich bin sofort elektrisiert.

    Aber ich will dem Nelsons gerne noch einmal besser zuhören.


    Das Orchester spielt jedenfalls seidenweich und dunkel, was ich schon als eigenen Wert ansehe.

    So richtig etwas falsch machen sie -jedenfalls meinem oberflächlichem Eindruck nach- wenig.

    Nun gut, am Anfang der Vierten hält er die Streicher gegenüber dem Bläserdialog derart zurück, dass ich sie selbst mit einem guten DT1770pro kaum wahrnehmen kann, was dann für mich etwas zu Lasten der vibrierenden Atmosphäre geht.

    Bisher fehlt mir aber doch etwas der überspringende "Funke.

    Beim ersten Satz der Vierten gleitet alles irgendwie ineinander, die Ecken und Kanten sind irgendwie ins Runde abgeschliffen, was der Thielemann-Sicht auf Bruckner etwas ähnlich ist.

    Dieser vermittelt mir die Musik vielleicht dann doch etwas spannender, wobei die Wiener Philharmoniker auf der Sony-Aufnahme merkwürdig hell und gar nicht so warm klingen.

    Jener warm-romantische, dunkle Mischklang ist beim Gewandhausorchester jedenfalls vorhanden. Sie spielen unglaublich homogen.

    Von der Aufnahmetechnik her könnten die Nelsons-Aufnahmen für mich etwas luftiger und räumlicher ( Hall) klingen.

    Das dunkle Klangbild mit wenig Hall erzeugt diesen zurückhaltenden Eindruck. Da fehlt es mir irgendwie....ich müsste nach Worten suchen, woran es eigentlich fehlt.


    Der zweite Satz der Vierten ist mir zu bedeutungsvoll aufgeladen mit einer gewissen Tendenz ins Hohl-Weihevolle, gar Sentimentale abzugleiten. Gegen Weihe und Pathos habe ich gar nichts, aber man sollte dann auch schon mal - mit heiligem Ernst- aus sich herauskommen.

    Ich glaube nicht, dass Nelsons meinen Lieblings-Bruckner dirigiert. Da scheint sich mir ein Mehltau aus weicher Watte über die Musik auszubreiten.


    Unser "hello friends" Lieblings-YT-Kritiker verurteilt ja Thielemanns und wohl auch Nelsons Bruckner mehr oder weniger generell als rubbish. Dem will ich mich nun nicht anschließen. Vor allem Thielemann finde ich interessant. Seine Vierte mit den Berlinern scheint mich noch ein ganz bisschen mehr zu überzeugen als diejenige mit den Wienern, was wohl am Klang der Berliner liegt.


    Bei der Vierten mit Nelsons frage ich mich jedoch, weshalb das alles irgendwie so in Watte eingepackt klingen muss. So richtig kommt die Musik nicht aus sich heraus.

    Wand ist da eine andere Welt ( auch hier mein Favorit), auch der langsame, aber hier durchaus lebendig spielende Celibidache.


    Gruß

    Glockenton

    Kent Nagano dirigiert das Bayrische Staatsorchester.

    Auf der CD befindet sich eines meiner Lieblingsstücke: Wagner, Siegfried-Idyll <3


    Es wird sehr klar, transparent und lebendig musiziert und die Aufnahmetechnik ( für mich gerade bei solchen Sachen sehr wichtig) ist auf hohem Niveau.



    Eine wirklich schöne Aufnahme, die ich jetzt schon auf dem Niveau meiner Lieblingsaufnahme mit Andris Nelsons und dem Gewandhausorchester höre ( ebenfalls sehr gut!)

    ....würde ich heute behaupten, dass die Karajan-Aufnahme im 2. Satz ab min. 17 eine unfassbare Magie entfaltet, und genau dies paar Takte die Ausnahmeposition dieser Aufnahme in meinen Ohren rechtfertigen.

    Das habe ich mir angehört, lieber Thomas!


    Ja, da kann ich Dir nur rechtgeben. Diese Stellen im 2. Satz sind ihm beeindruckend gut gelungen.

    Die starke Wirkung liegt auch - und nicht nur- daran, dass Karajan ein insgesamt langsameres Tempo wählte als Wand.

    Dann sind bei ihm die dräuenden Blechbläser noch mehr klangbestimmend. Vom orchestralen Klangbild her klingt es tatsächlich noch etwas mehr nach Wagner. Das ist ja gerade bei Bruckner durchaus legitim, wobei dann immer die Frage aufkommt, ab wann es ggf. zuviel wird.


    Man kann auch argumentieren, dass man durch das fließendere Tempo Wands größere Zusammenhänge besser erfassen kann. Hier wird also etwas weniger Wert auf die jeweils momentane Wirkung gelegt, als auf die Gesamtwirkung, die sich im allgemein klareren" Zusammenhang entfaltet.

    Ich muss gestehen, dass ich beides sehr mag. So lange Karajan mir nicht den Eindruck vermittelt "schau her, da bin ich, der große Klangmagier, der große Mann...." sondern da eine Demut vor dem Werk und Komponisten trotz aller eigener Überzeugungen und Ideen spürbar bleibt, bin ich gerne bereit, mich von ihm überzeugen zu lassen. Gerade bei ihm ist das hier und da so eine Gratwanderung. Je höher und schmaler der Grad, desto größer die Gefahr, abzustürzen. Wenn es aber gelingt, dann kann es berauschend sein.

    Für seine Finlandia-Einspielung (DG) etwa passt sein strahlendes Karajan-Konzept zu 100%, jedenfalls meiner Meinung nach.


    Nun habe ich die von Dir genannte Stelle aus Zeitgründen nur auszugsweise gehört, d.h. ich müsste auch einmal Karajans zweiten Satz im Ganzen - oder besser die ganze Symphonie- auf mich wirken lassen.

    Ich habe vor einigen Tagen vor allem den ersten Satz verglichen, bei dem ich Wand überzeugender fand, wobei Karajan seine Meriten hat.

    Der strahlende, ja gleißende Klang der Trompeten in den lauten Stellen ist bei ihm einerseits erstaunlich, andererseits frage ich mich dann, ob hier so eine nahezu unmenschliche Haltung, eine Art Hochmut zum Ausdruck kommt. Bei Wand ist das Berliner Blech ja ebenfalls sehr gut zu hören, doch finde ich, dass der gesamte erste Satz auf mich irgendwie "menschlicher" klingt.

    Wand will vermitteln, dem Werk des Komponisten zu seinem Recht verhelfen, nicht aber apodiktisch beeindrucken, schon gar nicht von sich selbst.

    Die Teile werden für mich bei Wand mehr zu einem logisch zusammengehörenden und damit besser nachvollziehbaren Ganzen, was auch mit Tempo und Klarheit in Artikulation und Balance zu tun hat.


    Wenn ich an den strahlenden Klang denke, dann sehe ich auch auf der Seite der Komponisten einen gewissen Unterschied, nämlich zwischen dem - seien wir ehrlich- ob seiner geradezu unbegrenzten Möglichkeiten nahezu ins Maßlose abgleitenden Wagner ( was man lieben kann!) und dem demütig-frommen Bruckner.

    Hierbei muss man dem Wagner aber zu Gute halten, dass er ja mit dem Ring, Tristan oder mit dem Parsifal weder eine transzendierende Symphonie ( gibt es so wohl nur bei Bruckner) noch ein geistliches Werk, sondern eben Opern schrieb.


    Aber, wie gesagt, es ist ein großes Erlebnis, diesen Satz in Karajans Darstellung zu genießen.


    Noch zum aufnahmetechnischen Klangbild Karajan-DG:

    Schade finde ich, dass da für mich offenkundig elektronisch in den Sound irgendwie eingegriffen wurde.

    So sind die Kontrabässe durchgehend zu laut, was ja schon bei der Introduktion deutlich wird. Entweder wurden die Stütz-Mikros höher gedreht oder am EQ herumgespielt. Das gilt m.E. für die gesamte DG-Gesamteinspielung Karajans. Ich vermute fast, dass Karajan da selbst an den Reglern (mit) saß. Mag sein, dass er Flugzeuge und Sportwagen bedienen konnte, auch die damalige Audio- und Videotechnik. Es wäre m.E. aber besser gewesen, wenn er davon die Finger gelassen hätte, auch vom Bildschnitt, aber das nur nebenbei.

    Die natürliche Aufnahme eines orchestralen Klangereignisses sollte nicht mit den legitimen künstlerischen Ideen eines Dirigenten vermischt werden. "Hier brauche ich mehr Bässe, da mehr Oboe, dort weniger Tenorstimmen...." usw.

    Oft sah ich so etwas bei Klassik-Dokus, z.B. mit Gardiner. Ich finde, wenn die Dirigenten solche Klangvorstellungen haben, dann sollten sie es besser vor den Mikrofonen regeln. Je mehr man nur z.B. mit AB-Hauptmikrofonen oder dem Decca-Dreieck arbeitet und durch gute Akustik und Platzierung der Mikrofone möglichst den Einsatz von Stützmikrofonen unnötig macht ( nie mehr als -10dB), desto besser geht das auch und desto luftiger und natürlicher klingt es, vor allem bei der Wiedergabe über Lautsprecher.


    Es gibt da nun eine neue audiophile Ausgabe der Karajan-Bruckner-Gesamteinspielung, die ich leider nicht via Streaming beurteilen kann.

    Manche Kunden beschwerten sich, dass die kaum anders/besser als die normalen CDs-sei. Um sich selbst ein Bild zu machen, müsste man wohl teuer kaufen.

    Da ich hier eh lieber zu Wand greife, wird das bei mir wohl eher nicht aktuell werden.



    Lieber Glockenton,


    ich muss zugeben, dass ich momentan nicht die Zeit finde, mich in Bruckner zu vertiefen. Das muss ich irgendwann einmal nachholen. Aber trotzdem ist es immer eine Freude und Bereicherung zu lesen, was Du schreibst. :)

    Lieber Holger,


    volles Verständnis und vielen Dank!


    Es spricht sehr für Dich, dass Du Dich erst einmal in die Musik vertiefen möchtest, bevor Du Dich dazu öffentlich äußerst.

    Bei "was höre ich gerade jetzt" sehe ich das anders, aber bei solchen Threads wie diesem hier finde ich schon, dass ich die doch sehr umfangreiche Musik vorher gelernt haben sollte, wenigstens kennengelernt.

    "Fertig" ist man bei solchen Werken ja eh niemals. Es gibt immer Neues zu entdecken.

    Die "Vierte" kenne ich z.B. mittlerweile nahezu auswendig, könnte wohl auch die mir nahestehenden Einspielungen blind erkennen.

    Die Achte hingegen habe ich zwar kennengelernt, möchte mich aber noch weiter (vergnüglich) hineinarbeiten, bevor ich dazu etwas schreibe.

    Doch auch diese Phase des Kennenlernens hat ja viel Lehrreiches, denn es gelingt vielleicht dem einen Dirigenten besser als dem anderen, das Verständnis und das Erleben dieser Musik zu ermöglichen.

    Für mich ist auf jeden Fall klar, dass ein guter Klang im Orchester eine Art Fundament für alles Weitere darstellt.

    Klingt es schrill, harsch, unausgewogen, verschwommen.....wie auch immer, dann helfen die besten Ideen nichts.


    Das Gute bei Wand ist m.E. hier ( und z.B. auch bei seinem famosen Schumann) dass er weniger als Interpret "eingreift", als sich leidenschaftlich für die klare Wiedergabe der Musik - mit allen Emotionen- einsetzt. Dadurch gelingt ihm das Kunststück, sich nicht zwischen das Werk und dem Hörer zu schieben, ohne dabei eine pedantische Lehrstunde im Sinne eines gestrengen aber langweiligen Oberlehrers abzuliefern. Zudem ist der Orchesterklang immer vollmundig und angenehm, auch wenn er mit den Münchnern oder dem NDR-Orchester arbeitet.


    Ich finde bei ihm auch erstaunlich, dass er auch im hohen Alter nicht in den gefährlichen Bereich der Alters-Torheit abrutschte. Da könnte ich andere Namen nennen, aber aus Respekt vor den Lebensleistungen der verstorbenen Musiker möchte ich das hier nicht tun.


    LG:hello:

    Glockenton

    Ich muss zugeben, dass ich zu Bruckners Fünfter einen späteren Zugang fand als etwa zur Vierten oder zur Siebten.

    Jetzt, wo ich jedenfalls meine, eben diesen Zugang gefunden zu haben, empfinde ich paradoxerweise die von mir früher als "wenig eingängig" eingestufte Symphonie regelrecht als Ohrwurm-Generator...

    Vor einiger Zeit schrieb ich mir aus Studiengründen das "Wanderermotiv" aus Wagners Ring heraus (es erklingt, während Wotan/der Wanderer singt "Heil dir, weiser Schmied"). Es ist eigentlich recht chromatisch, klingt aber trotzdem "rein" wie ein Choral, weil er mit "normalen" Akkorden arbeitet, aber deren Progression und Stimmführung eben das Besondere und im Resultat auch das Chromatische ausmachen. Mit Hilfe von sequenziellen Übungen wollte ich diesen "erhabenen" und - wie ich finde- genialen Sound unbedingt in die Finger bekommen.

    Als ich dann hörte, das der Bruckner eben diese Stelle als Ausgangspunkt für den Finalsatz wählte, ja sogar als Fugenthema verwendete, war ich hocherfreut!


    Doch nun zu meiner Lieblingseinspielung.

    Nein, diesmal ist es nicht Karajan, sondern klar und eindeutig Günter Wand, und zwar in seiner Einspielung mit den Berliner Philharmonikern,



    welche im Moment bei JPC und anderswo leider nicht erhältlich ist.

    Ich habe sie mir allerdings mit einem etwas anderen Cover von einem anderen Anbieter zuschicken lassen, für einen recht hohen Preis...


    Wie soll man die Aufnahme beschreiben?

    Das ist ziemlich schwierig, denn es passt einfach alles. Zum Vergleich habe ich mir verschiedene andere Einspielungen angehört, bzw. teilweise nur in sie hineingehört.

    Ich finde dort immer etwas, was ich irgendwann auch benennen kann, weil es mir in gewisser Weise als Irritation "ins Ohr fällt".

    Zu schnell, zu langsam, Klangbalance, Artikulation, Zusammenhang....eigentlich alle musikalischen Parameter. Man kann schnell etwas finden, und dann sagt man " ja, wirklich sehr gut, aber:...."

    Es gibt dann auch die weniger fassbare Kategorie "das berührt mich irgendwie nicht, lässt mich kalt", was auch bei handwerklich gut gemachten Einspielungen der Fall sein kann.


    Höre ich jedoch diese Einspielung, dann sagt einfach alles in mir "ja, genau so sollte es sein".


    Bei Wand ist tatsächlich alles im Gleichgewicht, womit eine große Anzahl von Aspekten gemeint ist.

    Auch der für das Verständnis so wichtige Zusammenhang, der große Bogen, ist von Anfang an da. Ebenso vermag mich die eigentliche, zwischen den Zeilen steckende künstlerische Kernbotschaft dieses unfassbaren Werkes, zu erreichen.

    Die Tempi passen zueinander und wirken so, dass die Themen einerseits aussingen können, aber auch die innewohnende kinetische Energie, das körperliche Bewegungselement, nicht vermissen lassen. Dadurch, dass hier durchgehend die richtige Balance gefunden wurde, können diese Themen vom Hörer deutlich und verständlich nachvollzogen werden.


    Die Berliner Philharmoniker taten sehr gut daran, nach Karajans Tod endlich Günter Wand einzuladen, um mit ihnen gerade Schubert und Bruckner zu spielen und aufzunehmen.

    In einer nicht unbedingt Karajan-freundlichen Biografie las ich vor Jahren, dass Karajan Zeit seines Lebens nicht nur den Harnoncourt als Gastdirigenten verhinderte ( das kann ich sogar noch wegen seiner Angst um den Klang verstehen) sondern auch Günter Wand, von dem er ganz genau wusste, wie gut dieser vor allem Bruckner dirigieren konnte. Ich zitiere das aus dem Gedächtnis mit dem Vorbehalt, dass es sich um eine eher kritisch eingestellte Karajan-Biografie handelte.


    Jedenfalls kommen hier die unglaubliche Bruckner-Erfahrung Wands mit dem voll-warmen und hochkultivierten Klang der Berliner Philharmoniker zusammen.

    Die Orchestererziehung hin zum sonoren Klang, zur absoluten Perfektion und zur großen Hingabe beim Spielen, ist sicher ein Verdienst Karajans. Bei allen legendären Berichten über die elektrisch gespannte Atmosphäre bei Furtwänglers Nach-Kriegskonzerten muss man wohl auch festhalten, dass er bei allem Musikantentum nie der optimale Mann für die handwerkliche Orchestererziehung war. Bedingt durch den Krieg, die Judenverfolgung und die Nachkriegszeit war das Orchester keineswegs in jenem Zustand, den man heutzutage als selbstverständlich unterstellt. Da musste Aufbauarbeit geleistet werden.

    Karajan wurde u.a. auch deshalb Furtwänglers Nachfolger, weil das Orchester wusste, dass er genau diese Dinge wie Arbeit am Klang, Perfektion, hohes Niveau uvm. liefern konnte.

    Da ging es also nicht nur darum, dass er, etwa im Gegensatz zu Celi, gerne Aufnahmen machte.

    Sowohl Abbado als auch Rattle profitieren bei ihren Brahms-Aufnahmen mit den Berlinern von Karajans Arbeit am Klang. Das sitzt einfach irgendwie "drin".


    Aus meiner Sicht profitiert auch diese Aufnahme von einem herrlichen Orchesterklang. Auch wenn die Violinen auf hohen Tönen im ff tremolieren müssen, so sticht es doch nicht scharf in die Ohren.

    Schon rein aus klanglicher Sicht ist diese CD ein Genuss, sowohl hinsichtlich des Berliner Orchesterklangs als auch der technischen Aufnahmequalität.

    Wenn dann noch Wands überlegte und überzeugende Interpretation hinzukommt, wird der Eintritt in den Brucknerhimmel möglich.

    Ich hörte die Aufnahme mit den internen Wandlern eines Marantz-CD-Spielers und dem Stax L300. Selbst wenn es laut wird, behält der Klang seine Klarheit, Wärme und Auflösung, was natürlich viel mit dem famosen Stax zu tun hat. Über Tiefenstaffelung etc. kann ich also nicht so viel berichten, weil ich mich auf das Hören mit Kopfhörer beschränkte.


    Was soll man viel sagen? Es passt alles - einfach hören und sich darauf einlassen!


    An eben diese Aufnahme körperlich heranzukommen, ist gar nicht so einfach. Sie ist jedoch in hoher Qualität auf TIDAL zu hören. Spotify habe ich nicht mehr, aber ich gehe davon aus, dass die Musik auch dort abrufbar sein wird.


    Für alle, die keine Möglichkeit sehen, auf diese Weise einen solchen Bruckner zu hören, gibt es noch diesen YouTube-Film.



    Daraus habe ich einige Passagen mit der Berliner Aufnahme verglichen. Man kann hier tatsächlich behaupten dass es sich um ein und dieselbe Grund-Interpretation handelt.

    Ich arbeite übrigens nie mit Minuten oder Sekunden, sondern lasse den metrischen Eindruck des Tempos auf mich wirken. Nur der Klang ist wirklich anders, die Tempi nicht. Wands Tempovorstellung und - Realisierung war also phänomenal gut.


    Das NDR-Orchester ist technisch gesehen etwas "luftiger" aufgenommen, was eventuell an der Mikrofonierung oder an der Akustik dieses keineswegs optisch allzusehr ansprechenden Saales zu tun haben mag.

    Man weiß ja, dass Karajan in späteren Jahren bei Aufnahmen zur für Orchesteraufnahmen sehr gut geeigneten Jesus-Christus-Kirche zurückkehrte, nachdem er in den 70er-Jahren viele Aufnahmen in der Philharmonie machte.

    Der NDR-Orchesterklang ist etwas weniger rund als der Klang der Berliner, die immer - ich weiß bis heute nicht, wie die das machen- auch etwas "größer" klingen.

    Vergleicht man etwa das Brahms-Klavierkonzert in verschiedenen Aufnahmen mit Gilels/Jochum, dann fällt das einem sofort auf. Es war schon seit längerer Zeit so...


    Es gibt im Laufe dieses Live-Konzerts wirklich sehr sehr kleine Dinge im Bereich der NDR-Bläser und des Zusammenspiels, bei denen sie nicht jene 100%-Perfektion der Berliner erreichen. Auch das Blech aus Berlin scheint mir noch einen Ticken mehr "Lunge" Glanz und Wärme zu haben, etwa bei Stellen mit "aufblühenden" Hörnern.

    Aber das sind wirklich nicht große Unterschiede. Man hört so etwas nur bei höchster Konzentration, beim direkten Vergleich Takt für Takt und ggf. mit Zuhilfenahme der Partitur.

    Mit anderen Worten: Auch dieser YouTube-Film enthält eine hervorragende, eine wirklich großartige Interpretation dieses sich in meinen Gehörgängen festsetzenden Großwerks Bruckners.

    Hier wird ebenfalls ein sonorer und angenehmer Klang zur Basis einer nahezu idealen Bruckneraufführung. Aufnahmetechnisch ist sie auch gut gelungen, selbst von YouTube gestreamt, nur beim Bild muss man bei der Verwendung heutiger Bildschirme natürlich Abstriche machen. Gespielt wurde anläßlich des Schleswig-Holstein-Musikfestivals. Sollte jemand von Euch davon einen CD-Mitschnitt kennen?


    Ja, und das ist sie also, meine Nr. 1-Aufnahme der Fünften von Bruckner.

    Wie schon einmal erwähnt, schreibe ich nicht so gerne andere Interpretationen herunter, sondern finde, wenn möglich, lieber lobende Worte für großartige Tondokumente.


    Ich kann diese Einspielung also vorbehaltlos empfehlen.


    Gruß:hello:

    Glockenton

    Lieber Christian B.,


    vielen Dank! Ich gehe da mal drauf...


    Habe übrigens gerade ein Programm gekauft, mit dem man die TIDAL-Alben herunterladen kann. Es nennt sich TunePat TIDAL Media Downloader.

    Zum Glück funktioniert es.

    Die Ausgabequalität kann man einstellen. Ich habe mich hier für das verlustfreie Flac entschieden, könnte aber auch gleich z.B. in WAV konvertieren, wenn ich das z.B. in Cubase zum Transkribieren oder so einladen wollte.

    Ansonsten wäre WAV dann schlecht, wenn die Qualität bei TIDAL höher als WAV ist, was gar nicht so wenigen Aufnahmen der Fall ist. Sie nennen es dort "Master".


    Für ein Jahr zahlt man knappe 59 Dollar.

    In dem Jahr kann man sich schon so einige seiner Lieblings-CDs herunterladen, die man nicht schon eh physisch im Bestand hat.


    Die oben verlinkte Wand-CD mit dem NDR- Orchester und den Münchnern lädt gerade probeweise.

    Und, wie gesagt, diese Bruckner 9 hat tatsächlich ihre Meriten. Es hört sich nach einem Live-Mitschnitt an. Da gibt es im langsamen Satz Stellen ( Pausen) , da glaubt, es bliebe einem das Herz stehen.

    Das sind ja Dinge, die eigentlich nur live so richtig spürbar werden. Aber bei dieser Aufnahme kommt dieses spezielle Etwas doch schon herüber.


    Gruß

    Glockenton


    PS: 21 Eur für eine Aufnahme, die man ja schon hat - da überlege ich noch ;)

    Kleiner Nachtrag:


    habe noch einmal in Giulinis und Karajans Scherzo hineingehört. Das finde ich in diesem Tempo doch überzeugender. Es klingt bei Celi dagegen fast wie eine Übung....

    Das Tempo ist für am besten bei Karajan ( DVD), Harnoncourt, Rattle und Wand mit den Münchner Philharmonikern gewählt.

    So rastet es förmlich ein. Es darf nicht zu langsam sein, muss aber in den Tutti-ff-Stellen auch genug Momentun für die Kraftentfaltung ermöglichen.

    Bei Wand mit den Münchnern gefiel es mir - bis auf einen uneleganten Oboeneinsatz- von den Nicht-Karajan-Aufnahmen am besten.



    Später hat er es dann schneller gemacht, zwar auch sehr gut, aber dieses Scherzo ist ihm meiner Meinung nach am besten mit den Münchnern gelungen, wenigsten vom Tempo her. Man hört überdies alles - auch bei den Holzbläsern.

    Was für ein Bruckner-Dirigent!


    Vielleicht hatten die Münchner damals noch die Celi-Details verinnerlicht...


    Gruß

    Glockenton

    Lieber Holger,


    es ist schön zu lesen, dass meine Bruckner-Initiative doch einige positive Wirkungen zeigt. Die Beschäftigung mit dieser 9. Symphonie lohnt sich allemal.


    In und auswendig kenne ich ja auch die Vierte, zu der ich eigentlich demnächst etwas schreiben wollte.


    Dann hat sich in letzter Zeit aber die Fünfte dazwischengedrängt, die ich beim Hören und auch beim Vergleichen sozusagen lerne.

    Wenn ich im Moment Zeit habe, dann höre ich Musik, und zwar Bruckner-Symphonien. Nachrichtensendungen werden vernachlässigt, weil ich finde, dass der Bruckner Interessanteres zu sagen hat.


    Was für eine Musik! Ich weiß noch, wie ich vor Freude aufjauchzte, als ich zum ersten Mal dieses hehre Wanderer-Motiv aus dem Siegfried im letzten Satz hörte. Genau dieses habe ich mir nämlich schon vor Jahren herausgeschrieben und daraus Sequenzübungen gemacht, damit ich solche Sachen unter die Haut, bzw. in die Finger bekomme.

    In einem Responsorium ( weiß nicht, wie man es in Deutschland nennt) habe ich das Motiv auch schon eingebaut, passend zum Text natürlich.

    Obschon Wotan/der Wanderer ein heidnischer Gott ist, spricht das Motiv ( Text dazu: "Heil Dir, weiser Schmied") in eben dieser Harmonisierung von unendlichen Weiten, von Würde, Heiligkeit, Transzendenz - also all dem, was mich so sehr interessiert !

    Wie sehr habe ich mich gefreut, dass der Bruckner offensichtlich auch davon begeistert war! Es war mir eine unerwartete Bestätigung, mit meinen speziellen Vorlieben nicht alleine dazustehen.

    Und dann schreibt der auch noch eine Fuge darüber - Wahnsinn.

    Zur Fünften dann ggf. später.


    Seit heute kam noch die Achte hinzu, die ich vor längerer Zeit mit eben jener Karajan-DVD kennenlernen konnte, auf der auch die Neunte enthalten ist. Das dort zu sehende Live-Konzert mit der Achten wurde in einer Kirche aufgenommen.

    Allerdings habe ich auch hier wieder so eine Aufnahme gefunden, bei der ich - genau wie bei der Fünften- sage: " das ist sie, hier stimmt einfach alles - ein Traum". Ich meine, dass ich jedenfalls für die alle anderen liegenlassen kann.

    Und nein, diesmal ist es nicht Karajans Live-Einspielung....l ( ....und die Spät-Aufnahme Karajans kenne ich noch nicht)


    Die von der angesprochene Nr. 9-Aufnahme Celis habe ich auch. Ich hörte früher etwas hinein und fand sie irgendwie "weicher" vom Zugriff her als Karajan, gerade bei zupackenden Stellen, wie etwa im Scherzo.

    Aber sie hat mir immer sehr gut gefallen und ich werde sie mir demnächst einmal wieder auflegen.

    Ich bin bei Bruckner auch meistens Pro-Celi eingestellt, finde allerdings, dass man andere Interpretationen auch kennen sollte, die mit "normaleren" Tempi arbeiten.

    Hörte heute gerade einen amerikanischen Kritiker der über Celis Bruckner sagte " it`s complete insanity, but I like it". He fills his slow tempi with details"

    Höre gerade etwas in das Scherzo rein: ein irrwitzig langsames Tempo. Er bewegt sich genau auf dem schmalen Grad zwischen einzigartiger Größe und entstellender Lahmheit.

    Aber da er ja die Zeit mit Leben und Spannung ausfüllt und man Details hört, die man gerne sonst überhört, ist es ja schon sehr Besonders.

    Am Ende ist es mir dann aber doch zu langsam, glaube ich...


    Seine 7. mit den Berlinern ( das Wiedersehen mit Probe, erst war er gerührt, später kam in der Probe auch der aufgestaute Ärger über die eingeübten Dinge zu Vorschein, die er ablehnte...) mag ich sehr.

    Die Sache mit dem langsamen Tempo fällt mir bei ihm am wenigstens bei der Vierten auf. Es ist eine der besten Aufnahme der Vierten überhaupt, die er da mit den Münchnern bei EMI aufnahm.


    Aber, wie gesagt: bei der Fünften und Achten habe ich etwas gefunden, das ist so gut, dass ich meine, keine anderen CDs mehr haben zu müssen.

    Dazu später mehr...


    Christian B.


    Wo kann ich denn diese CD finden? Ich habe versucht, die PCM-Spur der DVD herunterzurippen, aber das Programm sagt dann "sorry, hier ist ein Copyright" und dann geht es nicht weiter.

    Ich muss mich eh einmal besser mit den Möglichkeiten meines TIDAL-Premium-Abos beschäftigen. Möglicherweise kann man da auch den Sound herunterladen - weiß ich im Moment gerade nicht.

    Es gibt so ein paar Aufnahmen, die ich einfach gerne physisch hätte. Man weiß ja nie...



    Gruß

    Glockenton

    Die Fünfte von Bruckner höre ich nun seit ca. einer Woche intensiv.

    Über TIDAL kann man ja vielen Aufnahmen in hervorragender Klangqualität hören und auch vergleichen.


    Die Aufnahme, bei der am Ende alles stimmt, meine ich mittlerweile gefunden zu haben:


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    Ich habe jetzt nur ein Bild eingestellt, weil ich die CD bei JPC nicht fand. Mir gefällt es sogar noch besser als die ebenfalls hervorragenden Videos mit dem NDR-Symphonieorchester unter Wand.

    Die finde ich so gut, dass ich überlege, sie mir sicherheitshalber ( unsinnigerweise?) trotz Streamingmöglichkeit etc. zu bestellen.

    Mir wird klar, dass ich dieses Tondokument haben muss. Auch vom technischen Klang bin ich sehr angetan, sowohl Orchester als auch Klangtechnik.

    Was für eine Musik, was für ein Orchester, was für ein Dirigent!


    Gruß

    Glockenton

    Für den Anstoß zu dieser befruchtenden Auseinandersetzung und für die immer sehr persönlichen und fachkundigen Beiträge möchte ich mich bei Dir bedanken!

    Lieber Christian B.,


    gerne geschehen!

    Allerdings finde ich den Ausgang Deiner Beschäftigung mit der Symphonie und den Einspielungen ( hier speziell die von mir favorisierte HvK-DVD) dann doch etwas traurig in dem Sinne, dass ich gerne Andere in die Begeisterung für diese Sternstunde mithineingezogen hätte, statt sozusagen auf ein abschreckendes Beispiel hingewiesen zu haben.


    Erst durch Deinen Hinweis, lieber Glockenton, auf die 1976er Einspielung und der damit einhergehenden Auseinandersetzung mit der Partitur und mit anderen Einspieungen, muss ich diese Vormachtsstellung, die ich HvK hier bislang eingeräumt habe, aus den bereits genannten Gründen - vor allem wegen der Legato-Dominanz der Streicher - revidieren, zumindest was die Neunte betrifft (in allen drei DG-Aufnahmen). Somit hat also Deine durchaus nachvollziehbare Bewunderung für HvKs Bruckner bei mir genau zum Gegenteil geführt.

    Ja, das finde ich eigentlich schon etwas schade.

    Die Begründung kann ich nicht ganz nachvollziehen: ein dichtes Legato der Streicher ist bei dieser Musik - je nach Stelle in der Partitur- durchaus angezeigt und nur die allerbesten Orchester und Dirigenten bekommen das so hin.

    Zudem kann ich nicht erkennen, wo denn genau die Streicher eine von Bruckner aus der Partitur nicht gewollte Überdominanz ausübten und an welcher Stelle Karajan hier gegen den Willen des Komponisten ein dominantes verströmendes Legato spielen ließ, obwohl Bruckner es anders wollte.


    Geht es denn tatsächlich nur um diese eine Stelle Buchstabe E, die in dem Analyse-Film treffend als "Love-group" bezeichnet wird? Ich kann an der Stelle bei Karajan alle Gegenstimmen gut hören, nur werden die Hörner 1-4, die aus Gründen der Klangmischung die Begleitstimmen der Violen und der Celli verstärken, nicht so deutlich herausgestellt wie gerade bei Honeck, bei dem mir noch nicht einmal klar ist, ob es einfach an dichter platzierten Stützmikrofonen und/oder der Abmischung liegt. Wenn man den klanglichen Reiz der Obertöne der laut spielenden Blechbläser hier unbedingt hören will, dann ist das wohl legitim, aber man könnte ja auch auf die Idee kommen, dass es hier um einen romantisch-warmen Tutti-Klang gehen soll. Immerhin spricht der wackere Analyst in dem Video von "Love-group". Das kann ich gut nachempfinden, denn mit Beginn der "Gesangsphase" Ziffer D wird kontinierlich Wärme und sehnende Zuneigung aufgebaut, die sich in einer in der Tat schwärmerischen Liebeserklärung bei Buchstabe E entlädt. Hier darf es wirklich frei strömen, der Kontext der Partitur ( es beginnt bei D, die Harmonik, die Melodik, die eingezeichneten Legatobögen, die eingezeichnete Dynamik und die klangfunktionale Instrumentation) untermauert diese Auffassung so, dass es nur mit Hilfe von kaum musikalischen Gedankengebäuden widerlegt werden kann.

    Gelehrsamer Kontrapunkt, der an jener Stelle eindeutig nicht vorhanden ist, als verströmende Liebeserklärung?


    "Ja doch, hier ist sie, meine große Liebe, aber ich muss doch noch auf andere wunderschöne Frauen aus unserer Reisegruppe hinweisen, sozusagen als Kontrapunkt zu dem, was ich dir gerne sagen möchte. Außerdem sollte ja immer auch der Kopf angesprochen werden, nicht wahr, und bei aller Liebe: wir müssen aus ästhetischen Gründen irgendwie auch eine gewisse Distanz wahren, ich will Dich hiermit nicht überwältigen, behalte gerne Deine beobachtende Distanz"

    Das überzeugt mich ehrlich gesagt nicht. Die Musik spricht eine andere Sprache, und wenn man denn in der Lage ist, gerade auch diese Stelle so zu spielen, wie es die Wiener Philharmoniker taten, dann ist das doch nur wunderbar.



    Und selbst wenn es so wäre, dass Karajan etwas macht, was Bruckner so nicht wollte, dann sollte es einleuchtend und gut gemacht sein, wovon man hier ausgehen kann.

    Thielemann erzählt in einem Film, dass er in Anwesenheit von Komponisten/Komponistinnen offensichtlich von den musikalischen Parametern her ein bisschen anders spielen ließ, als es die Partitur vorschreibt.

    "Ja" hat die Komponistin gerufen "interpretieren Sie, das finde ich sehr gut!!"

    Auch Karajan berichtet von solchen Erlebnissen bei entsprechenden Begegnungen mit Komponisten - wenn ich mich recht erinnere, war es Strauss.

    Ich selbst habe das in Gegenwart von norwegischen Komponisten auch erlebt. Einer fand sogar, dass ich ein Stück besser spielte, als er es sich ursprünglich dachte...

    Wenn ein Komponist eigene Noten spielt oder dirigiert, dann interpretiert er sich selbst. Dann wird es jedesmal anders. Ich spiele ja meine eigenen Preludien, Vorspiele, Postludiums und dergleichen über die Jahre auch immer anders, weil man immer dazulernt und die Musik in einem weiterarbeitet. Auch die Noten werden dann unter Umständen verändert/überarbeitet.

    Aber - wie gesagt- ich kann nicht eindeutig erkennen, dass Karajan hier einen undbrucknerschen Bruckner spielt, der dem Notentext entgegenstünde.


    Außerdem kann ich bezeugen, dass ich Karajans Bruckner nicht im Grundsatz immer vorziehe. Von der Berliner Gesamteinspielung hörte ich neulich die Neunte, die Vierte und die Fünfte.

    Die Vierte hat mich regelrecht schockiert - da komme ich vielleicht später zu- die Fünfte fand ich vor allem gleißend und fast schon tragisch missverstanden und die Neunte kommt in meinen Ohren nicht an die Wiener Einspielung (DVD) heran.

    Seine späte Arbeit mit den Wiener Philharmonikern finde ich jedoch wiederum sehr gut.

    Ein Karajan-Fan bin ich nur dann, wenn sein Konzept - wie bei dieser Live-Aufführung- voll aufgeht. Dann ist er tatsächlich "der Karajan" und den Dirigenten.


    Von daher kann ich Holger nur zustimmen:


    Zu Karajan würde ich ebenfalls sagen: Hier geht sein Konzept voll auf. Ich würde da auch nicht herummäkeln wollen.

    So ist es.


    Überhaupt befürchte ich fast, dass man beim Lesen dieser Diskussion einen verzerrten Eindruck bekommen kann, nämlich dass die von mir im ersten Impuls der Begeisterung vorgestellte Karajan-DVD am Ende aus lauter negativen Aspekten bestünde: verschwommen, seifig, streicher-dominant, legato-selig, die Form verwischend, schwärmerisch, gar dekadent, nur auf Rauschwirkungen abzielend, einseitig nur einen philosophischen Ansatz verfolgend, und so viel mehr.


    Ein Hineinhören in die Musik ergibt indes einen ganz anderen Eindruck, wie ich finde.

    Ich kann nur die Mitleser usw. ermuntern, genau dies zu tun. Es relativiert ggf. den Eindruck, den man aus dieser Diskussion gewinnen kann.


    Hören und - wenn möglich- selbst musizieren, ist am Ende dann wohl doch besser, als darüber zu reden.

    Sich etwas durch einen Gedankenaustausch bewusst machen, da bin ich schon dafür.

    Im Übrigen spreche ich eigentlich lieber positiv über entsprechend gelungene Konzerte und Aufnahmen - gerade die Sternstunden- als negativ über die weniger gelungenen, allein schon, weil ich weiß, dass bei den nicht so tollen Ergebnissen oft auch sehr viel Arbeit und Anstrengung dahinterstehen kann.


    Auch ich bedanke mich für diese für mich durchaus lehrreiche Diskussion !


    Gruß

    Glockenton

    Lieber Christian B.


    in die von Dir genannten Aufnahmen habe ich hineingehört.

    Aufnahmetechnisch finde ich die Honeck-CD etwas besser gelungen.

    Ich habe es jetzt "auf die Schnelle" mit dem Beyerdynamics DT1770pro über TIDAL gehört.


    Dass man auch mit diesen Einspielungen von Bruckners Musik sehr begeistert sein kann, ist schon klar.

    Dennoch sprechen sie mich nicht so an, wie es Wand, Giulini und vor allem Karajan bei dieser einen oben genannten Aufführung mit den Wiener Philharmonikern kann.


    Honeck gefällt mir hier etwas besser als Blomstedt.

    Das "Problem" bei ihm ist für mich nur, dass er m.E. zuviel in den Details interpretiert, statt die Musik einfach mehr fließen zu lassen. Da gibt es dann nachvollziehbare Details in den Streicherstimmen, Akzente, etwas mehr dynamisch Vor und Zurück uvm. Aber der Zusammenhang gerät dadurch -tendenziell wohlgemerkt- etwas in den Hintergrund.

    Die Blechbläser treten im Tutti hier und da etwas mehr hervor, was auch etwas mit Stützmikrofonen zu tun haben kann.

    Bei Deiner Lieblingsstelle - kann ich verstehen- finde ich es weniger wichtig, hier gedoppelte Begleitstimmen aus dem Streichersatz vernehmen zu können, als von der Wucht des an dieser Stelle besonders warmen Musikstroms nach vorne getragen zu werden. Auch das Verständnis des Ganzen wird m.E. bei Karajan an dieser Stelle eher erleichtert als erschwert.

    Aber es kommt eben darauf an, was man hören will.


    Blomstedts Aufnahme empfand ich als etwas kraftlos im Verhältnis etwa zu Wandt, Giulini und Karajan. Wenn er die langen Crescendi ansetzt, ist es ja gut, aber beim Übergang der letzten Töne des Crescendos zum dynamischen Höhepunkt/Ziel vermisse ich etwas eine organisch-fließende Bewegung. Das Ziel steht für mich da als neues, lautes Etwas, nicht als organisches Resultat des vorher aufgebauten Crescendos. Wie gesagt, auch hier gilt: Tendenzen! Nicht absolut verstehen.

    Irgendetwas scheint bei ihm in den Ausbrüchen, auch den warm-romantischen, noch etwas schüchtern-vornehme Zurückhaltung geben.

    Als Erlebnishörer wird man - so wie ich es finde- bei Karajan besser mitgenommen.

    Auch bei Blomstedt vermisse ich etwas den großen Zusammenhang.


    Ich will aber diese Einspielungen nicht als schlecht hinstellen. Sie sind auf ihre Weise absolut hochklassig.


    Ob man Karajans Interpretation als "schwärmerisch" bezeichnen kann?

    Ich nenne es eher vollmundig, leidenschaftlich und ganzheitlich. Und das romantische Orchester lebt ja eigentlich vom Teppich, den die Streicher legen.


    Aber so ist es : jeder hat seine Vorlieben ^^


    Gruß:hello:

    Glockenton

    Lieber Holger,


    danke für diesen interessanten und lehrreichen Beitrag!


    Mir kam schon weiter oben der Gedanke, ob wir hier nicht zu sehr abschweifen, da es nicht spezifisch etwas mit der Interpretation der 9. Bruckners zu tun hat. Aber interessant ist es!


    Ich will versuchen, nur eine kurze Dinge aufzugreifen, um zu antworten:



    Bezeichnend kann man von einer "traurigen Melodie" oder "klagenden Melodie" sprechen, aber - allein sprachlich klingt das schon seltsam - nicht von einer "religiösen Melodie".


    Und dennoch ist auch in der Instrumentalmusik die Spielanweisung "religioso" von Komponisten verwendet worden.

    Offenbar kann Musik nicht auf dieselbe unmittelbar nachvollziehbare Weise ein religiöses Gefühl ausdrücken, wie sie eine Klage und Trauer ausdrücken kann. Da ist finde ich besteht doch schon ein Erklärungsbedarf.

    Staunen, Bewunderung, Hingabe, Anbetung - das kann Instrumentalmusik durchaus ausdrücken. Wenn man während der Kommunion oder der eucharistischen Anbetung Orgel spielt, dann sollte man z.B. unterlassen, den Radetzky-Marsch zu intonieren...;)

    Es können Hymnen sein, wohlgemerkt ohne Text. Gewisse tranquillo-Bläsersätze bei Bruckner gehen auch in so eine Richtung. Es ist sicher auch kein Zufall, dass hier, aber auch in der ganzen Welt der Begriff "Klangkathedrale" fällt, wenn man über Bruckners Symphonie Nr. 9 im Allgemeinen und über Giulini/WPO/DG im Besonderen spricht.

    Es muss nicht die Melodie sein, die etwas Religiöses ausdrückt, sondern es sind auch die verwendeten Harmonien, die dazu beitragen können. Mich interessiert das Mysterium. Wissend, dass Worte nicht ausreichen, um ihm näher zu kommen, bin ich der Auffassung, dass die Musik hier sehr unterstützend wirken kann.

    Wenn Du Dir die Harmonien des Vorspiels zum 3. Akt des Parsifals anhört, dann verstehst Du vielleicht, wie Mystik in Musik ausgedrückt werden kann.

    Aber Du hast durchaus recht: es gibt einen Erklärungsbedarf, dem ich von der Schärfe meines Intellekts her nicht wirklich nachkommen kann.

    Das Gute an der Welt der Musik und ihren Wirkungen ist doch, dass das Unerklärliche bleibt. Wäre das nicht so, würde ich die Musik wahrscheinlich als "das kenne ich schon" und als uninteressant abtun.

    Es ist in meinen Augen ein Irrweg zu versuchen, die letztlich doch unerklärlichen Dinge die beim Improvisieren/Komponieren, Spielen und Hören der Musik entstehen können,mit Hilfe der armselige Welt der Buchstaben erklären zu wollen. Das greift immer zu kurz. Man kann z.B. die chemische Zusammensetzung von Gewürzgurken ( ich liebe sie) analysieren, ihren Nährwert beschreiben, ihre Herstellung erklären ( ich lege die selber ein....) Man kann auch erklären, wie die Nase und die Zunge bei der Rezeption des Geschmacks zusammenwirken.

    Wer nun eine solche umfangreiche verbale Beschreibung über Gewürzgurken gelesen hat und noch nie so etwas aß - hat der auch nur eine Ahnung, wie es sich anfühlt, da hineinzubeißen und das zu essen? Ich denke nein. Von mir aus könnte ich hier auch Mangos oder bayrische Brezeln anführen....

    Warum muss er das denn? Wagner war ja nicht nur Komponist, sondern versuchte sich auch als Musiktheoretiker und Musikästhetiker, der dann u.a. Schopenhauer zu Hilfe nahm, um seine Auffassungen zu begründen. Da kocht Wagner genauso mit fremdem philosophischem Wasser, wie wenn Eduard Hanslick Grundgedanken von Johann Friedrich Herbart aufnimmt und muss sich deshalb auch als Theoretiker an Hanslicks Niveau messen lassen.

    In diese Falle hätte Wagner eben besser nicht tappen sollen...

    Vom inneren Wesen der Musik wusste Wagner unfassbar viel, Hanslick hingegen sprach/schrieb darüber, so wie Astronomen über das Universum schreiben, während z.B. Captain Picard oder Captain Janeway ( Star Trek) aus eigener Erfahrung wissen, wie es da draußen wirklich aussieht. Wäre Wagner ein Wanderer/Wotan, dann wäre Hanslick ein Mime, der vom Göttlichen keine Ahnung hat, noch nicht einmal das Schwert schmieden kann - ach nein, er wäre noch nicht einmal das.


    Das mit der barocken Affektenlehre, Mattheson und den Figuren hast Du richtig angeführt, auch im Verhältnis zur Romantik. Für mich sind das fließende historische Übergänge, keine Brüche, also mehr Evolution als Revolution.

    Ich habe mir ja in meiner Harnoncourt-Begeisterung als 12-Jähriger den Mattheson geholt und versucht den zu verstehen - versucht, wohlgemerkt.


    Deinen Gedanken zur Eroica kann ich zum großen Teil zustimmen, möchte aber gerne ergänzen, dass aus meiner Sicht auch die Eroica eine Art Scharnierfunktion hat, wie so Einiges von Beethoven. Sie ist einerseits hoch-rhetorische Musik, wobei Beethoven an die Grenzen dessen geht, was Rhetorik sein kann. Hier wird nicht mehr auf gelehrt-gesittete Art und Weise ein vielseitiger Vortrag mit Pro- und Contra im Sinne Matthesons gehalten, sondern da wird geradezu gebellt, rebelliert und unmittelbar eigene Erschütterung entlang des Zeitstrahls der stattfindenden Musik gelebt.

    Mit Hilfe der ehemals barocken Klangrede ist eben dieselbe mit dem Mittel der beethovenschen Agitation nach und nach auf dem Wege, abgeschafft zu werden, was am deutlichsten in der 9. vollzogen wird, die wiederum als Vorbild für so manche romantisch Komposition diente, z.B. auch für den Anfang der Bruckner Nr. 9, die ja auch - kein Zufall- in d-moll beginnt.

    Ich höre in der Eroica, der 5. 6. und 9. auf jeden Fall Vorabschattungen der romantischen Musik. Die romantischen Komponisten kannten ihren Beethoven gut - alles hängt zusammen, so wie es auch sogar bei Wagner in der Meistersinger-Ouvertüre Anklänge an die barocke Allemande gibt ( ich höre da z.B. die C-Dur Ouvertüre für Orchester von Bach mit heraus).

    Es ist nicht so, dass Wagner eine komplett neue Musik erfunden hätte, sondern er hat das Vorhandene auf eine neue und moderne Art anders zusammengefügt, während z.B. Brahms für seine Art der Romantik die traditionellen Formen heranzog und damit irgendwie auch zu einem Abschluss brachte.

    Eine rein rückwärtsbezogene Interpretation der Eroica, also mit Darmsaiten und "mit-ohne Vibrato" empfinde ich von daher als einseitig, weil es auch die andere Seite gibt, ob das Beethoven bewusst war, oder nicht. Diese Symphonie enthält für mich nicht nur den Aufruhr, das Revolutionäre, sondern eben auch das Erhabene, Vollmundige, Wuchtige in romantischer/wagnerischer Vorabschattung.


    Hanslick hat die Musik aufgewertet, indem er zeigte, dass sie einen Inhalt hat, also etwas darstellt, und nicht nur in ihrer Wirkung auf das Gemüt aufgeht.

    Ich konnte Deinem Beitrag aber nicht entnehmen, was er denn positiv gesehen als Inhalt der Musik ansah, sondern eher negativ gesehen das, was seiner Meinung nach, Musik alles nicht leisten könne. Was wäre denn lt. Hanslick der Inhalt der Musik, wenn er dabei die Wirkungen unberücksichtigt ließe? Die Form? Wie traurig wäre das denn....?


    Was ist denn eigentlich Musik? Es sind Schallwellen, Bewegungen in der Luft. Wer Harddiskrecording - so wie ich- betreibt, der kennt sie, die Wellenformen, die von der digitalen Audio-Workstation auf dem Bildschirm ausgewiesen werden.

    Andere kennen vielleicht die Mikroskopaufnahmen einer LP. Da wird eine Tonabnehmernadel auf den Hindernisslauf durch die sichtbaren Erhebungen und Vertiefungen geführt, die analog zu den Schallwellen der Luft gestaltet sind.

    Wissenschaftlich gesehen ist genau DAS Musik, nicht mehr. Ist es wirklich das, worüber wir uns hier alle so aufregen?


    Wenn ein Roboter einer fernen Alien-Zivilisation mit einem Raumschiff uns erreichen würde und dann anfinge, dieses Phänomen "Musik" zu untersuchen, dann würde er wohl zunächst diese Schallwellen als solche mit hoher technischer Genauigkeit analysieren. Wahrscheinlich würde er nicht vom "Doppelgänger" aus Schuberts Schwanengesang betroffen sein, nicht bei "An der schönen blauen Donau" das Tanzbein schwingen oder bei Durufles Requiem religiöse Gefühle erleben.

    Diese Schallwellen, die ja der Oberfläche des bewegten Meeres nicht unähnlich sind, lösen bei uns aber eben diese Wirkungen aus. Warum das so ist, kann man nur in Ansätzen erklären.

    Da muss man dann einen Ton in seine Bestandteile zerlegen. In einem auf dem Klavier angeschlagen C ist auch die Quinte G enthalten, etwas ferner dann auch die Terz E. Da haben wir einen konsonanten C-Dur-Akkord, der für uns als angenehm empfunden wird, weil die nächsten mitschwingenden Obertöne schon im Grundton C enthalten sind.

    Das alles aber erklärt noch nicht die wundersamen Wirkungen der Musik. Wenn man also Wagner vorwarf, dass es ihm nur auf Wirkungen angekommen sei, dann müsste man zurückfragen: " auf was denn sonst?" Intellektuelles Erkennen des Gerippes ( der Form) ?

    Auch bei Wagner gibt es eine Form, die allerdings anders ist, als es vorher der Fall war. Leitmotive zu verwenden ist ja auch eine "Form" in der Hinsicht, dass man überhaupt etwas (wieder)erkennen kann, was ja auch richtig und natürlich ist.

    Die ganze Wagner-Harmonik basiert auf schon in vorherigen Jahrhunderten erkannten und eingesetzten Wirkungen von Konsonanz, Dissonanz, Modalität oder Leittönigkeit, mit allen Täuschungen und allen Zweideutigkeiten, die ja gerade das Gute sind. Als ich eine Zeit lang jeden Tag den Anfang der Götterdämmerung hörte, empfand ich die Farbe der Musik als "Grün-Grau" irgendwie als zwielichtig. Eben das wollte Wagner ja erreichen, weil die Farben einer Landschaft in der Dämmerung immer grauer und mehrdeutiger werden. Da kann ich mich nur verneigen.


    Wie viele Intellektuelle haben sich nicht über den Tristan-Akkord den Kopf zerbrochen und versucht, diesen irgendwie mit ihren alten Regeln und Erklärungsmustern ( mehr war es nie) mit ihrem viereckigen Schubladendenken zu erfassen? Man kann diesen Akkord und seinen Ausdruck musikalisch sehr wohl erfassen, durchaus auch, in dem man verfolgt, wohin die einzelnen Stimmen hingeführt werden ( will nicht "aufgelöst" sagen). Es kommt darauf an zu erfühlen, wie die Intervalle gegeneinander schwingen.


    Mein Sohn ist gerade in Dänemark/Klitmøller und macht dort Urlaub. Er schickte mir davon einige Fotos.

    Im Moment findet dort gerade ein mächtiger Sommersturm statt. Man kann zwar wissenschaftlich erklären, wie die Wasserteilchen bei Meereswellen eine eliptische Bewegung machen, wie die Wellenbewegung sich fortsetzt, wie die Welle im unteren Teil den Grund des Strandes fühlt und dann im oberen Teil bricht, wie das Weißwasser nach vorne schiebt und die ( gefährliche) Unterströmung das aufgelassene Wasser wieder zurückführt. Aber der echte Eindruck den man hat, wenn man sich in dieser Brandungszone mit 5m (und mehr) hohen Wänden befindet, ist dann eben ein sehr sehr anderer... Ich weiß, wovon ich rede.


    Ebenso wirkt die aufgewühlte Wasseroberfläche absolut zufällig, ja chaotisch. Wellen überlappen sich, fühlen sich von einer Buhne angezogen.....

    Und doch ist alles, was da stattfindet, absolut logisch und folgt den Naturgesetzen. Es erscheint einem paradox.

    Ähnlich ist es mit der Musik. Die Erklärungsmuster - auch die philosophischen- sind vollkommen unzureichend im Verhältnis zu den gewaltigen Erlebnissen, die das Meer jener Schallwellen in uns Menschen auslösen kann. Diese Erlebnisse, diese Wirkungen sind auch individuelle Wirklichkeit.

    Ein Roboter kann nüchtern analysieren und berechnen, aber die lebende Seele des Menschen ruft beim Hören der Musik oder beim Anblick der gewaltsamen Nordsee aus: herrlich - wunderbar! und ist ergriffen, begeistert, betroffen und erfüllt.

    Das zu erklären, ist in der Tat sehr schwer, nahezu unmöglich. Aber es ist ja so, und dabei kann ich es nur belassen.

    Und gerade bei Bruckner und Wagner fühlt es die empfindsame Seele eines Hörers besonders deutlich.


    Hanslicks Kritik an der Gefühlsästhetik mag intellektuell einleuchtend sein. Musikalisch ist sie es nicht.

    Es mag sein, dass er schon musiktheoretisch etwas davon verstanden hat, was Wagner da schrieb. Aber er hat sich nicht darauf innerlich eingelassen, sonst hätte er nicht so gegen Wagner und Bruckner polemisiert.


    Gruß:hello:

    Glockenton

    Hallo Christian B.,


    man kann viel analysieren und versuchen zu verstehen. Da gibt es sehr verschiedene Ansätze: Strukturanalyse, Themen, funktionsharmonische Analyse, akkordische Analyse, Stimmführungen, Orchestrierung und Klangfarben, die rhythmische Ebene, Versuche in den Themen usw. Bedeutungen zu erkennen. Es gibt da sehr viel mehr, als immer nur über die Form zu reden.

    Darüber können die entsprechenden Leute mit Sicherheit Bücher schreiben - nur über diese Symphonie.

    Was dabei herauskommt, ist meistens: hier macht er dies und hier macht er das. Man könnte sich den Mund fusselig reden über die Dichte der vielen Dinge, die in wenigen Takten gleichzeitig geschehen. Das Schöne mit der Musik ist ja, dass sie für sich selbst sprechen kann und durchaus viele Dinge auf einmal musikalisch mitbekommen kann, für deren Beschreibung man sehr viel Papier bräuchte.


    Eine Frage können die Analysen aber nicht beantworten: wie ist er denn da bloß drauf gekommen? Wäre es anders, dann könnte man ja "mal eben" mit entsprechendem Fachwissen ausgestattet, so eine gleichwertige Symphonie ganz im Bruckner-Stil schreiben. Das kann man aber nicht, denn dafür ist er ja nicht irgendwer, sondern eben Bruckner.


    Für mich sind diese Analysen sehr wertvoll, aber nicht nur, um dann die Symphonie bewusster hören zu können, sondern um davon für das eigene Schreiben von Noten etwas zu lernen.

    Gerade gestern spielte ich ein kurzes Orgelintro zu einem Gradualpsalm, den ich auch für Solisten, Chor und Orgel arrangierte.

    Bei diesem Intro habe ich mir die Freiheit genommen, den "Kunstgriff" mit dem einsamen liegenden Ton des Anfangs der 9. und dem darauffolgenden "Tatda" sozusagen als Hinweis für Kenner zu spielen, danach kam dann in der Orgel der rhythmisch-harmonische und melodische Hinweis auf das, was folgen sollte. Auch in den Versen dieses Responsoriums habe ich die Worte des Psalmentextes mit brucknerschen/wagnerschen Harmonisierungen/Stimmführungen in der Orgel begleitet. Hätte ich keinen Parsifal oder keine Brucknersymphonie gehört und ein bisschen analysiert "was er da eigentlich macht", dann wäre mir diese Welt wohl ganz verschlossen.


    Zum versteckten Hinweis für die Kenner: Niemand aus der Gemeinde hört das, nur meine Frau, die auch Musik studiert hat, Solistin ist und die ich darauf aufmerksam machte.

    Aber es ist für mich ein großer Gewinn, davon zu lernen. Wenn man als Musiker gerne so oder so klingen möchte, dann sind diese Analysen schon wichtig, weil sie einem Prinzipien geben, die hinter bestimmten klanglichen Ergebnissen stehen, die man selbst so gut findet.

    Da ich früher viel im Barockstil und Frühbarockstil arbeitete ( mache ich immer noch, kommt ja auch auf den Choral etc. an) ist für mich die Beschäftigung mit der speziellen Art verschiedener romantischer Komponisten eine sehr reizvolle Herausforderung. Am interessantesten finde ich den romantischen Stil der Komponisten Brahms, Bruckner und Wagner.


    Ich spreche von der sehr individuellen Art romantische Musik zu schreiben, weil es eben nicht so war wie etwa bei Schütz, Schein oder Scheidt ( oder den Kirchenmusikern der Renaissance), dass man sich sehr klar an einen Stil gehalten hat, wodurch es schwieriger ist, auf Anhieb zu hören, von wem die Musik gerade geschrieben wurde.

    In der Romantik indes waren die stilistischen Unterschiede viel größer und individueller. Man kann sagen, dass jeder seine "eigene Romantik" schrieb. Zwischen Brahms und Bruckner gibt es z.B. die Verbindung, dass die Polyrythmik sie magisch anzog, z.B. 3 gegen 2 gleichzeitig oder hintereinander ( der Bruckner-Rhythmus, bekannt aus dem ersten Satz der Vierten). Aber 4 gegen 3 und andere, noch wildere Dinge sind da durchaus üblich. Zwischen Bruckner und Wagner gibt es eine starke Verbindung in Bezug auf harmonische Fortschreitungen, Sequenzen, Instrumentation.....viel!

    Für mich ist die Art, wie diese drei Herren die Töne setzen konnten, eine Fundgrube, durchaus süchtig machend.


    Hier habe ich eine relativ eingängige Filmanalyse gefunden. Man kann auf dem Klavier ein bisschen die Dinge nachvollziehen, die da geschehen.




    Gruß :hello:

    Glockenton

    Das ist der Knackpunkt. Das Erhabene und Religiöse, was sich damit verbindet - ist das alles nur eine nur psychologisch begründete Suggestion eines Hörers, der das in die Musik nur hineinprojiziert? Kann die Musik das "Erhabene", Heilige, Religiöse wirklich ausdrücken?

    Frage 1: nein

    Frage 2: ja, ich bemühe mich da jeden Sonntag, genau das zu tun.


    Ich versuche es auch zu begründen, lieber Holger:



    Nur sagt er: Musik kann Wirkungen erzielen, aber Gefühle eben nicht ausdrücken. Und weil die Musik keine Gefühle tatsächlich ausdrückt, sondern nur auf das Gefühl wirkt, sind diese Wirkungen auch nicht ästhetisch relevant. Ästhetisch relevant ist allein die Erfassung der musikalischen Form. Das ist dann der sehr rigoristische und konsequente "Formalismus" Hanslicks. Die Betrachtung der Gefühlswirkungen gehört nicht in die Ästhetik, sondern in die Psychologie, sagt Hanslick. Und konkret hält er dann dem "erhabenen Stil" Wagners vor, dass es da einfach nur um die psychologisch erklärbare aber ästhetisch letztlich irrelevante Wirkung, den puren Nervenkitzel nämlich, geht. Diese Wagner-Kritik findet sich dann bei Nietzsche (Wagner wolle Wirkung und nichts als Wirkung) oder in Thomas Manns hoch ironischer (und sehr selbstironischer) Tristan-Novelle.

    Zunächst einmal: wer kennt vom Herrn Hanslick irgendein kleines musikalisches Werk? Oder gar ein großes Musikwerk?

    Kann sich der Mann auch nur im entferntesten mit dem Über-Genie Richard Wagners messen?

    Bruckner erkannte als Musiker, was für ein Kaliber Wagner war. Er war ihm - manche sagen sogar bis zur Peinlichkeit- vollkommen "erlegen" und verhielt sich ihm gegenüber "unterthänig".

    Bruckners heutige Anhänger finden oft, dass er das gar nicht nötig gehabt hätte, sicher nicht ganz zu unrecht. Andererseits ist Bruckners grenzenlose und fachlich sehr untermauerte Bewunderung Wagners auch mehr als berechtigt.

    Wer war nun ein E. Hanslick? Ein sehr brillianter Intellektueller, ja, durchaus. Aber wenn es um den Zugang zum inneren Wesen der Musik geht, ist er im Verhältnis zu Leuten wie Brahms (den er ja stützte), Bruckner oder Wagner - sorry- nur ein Winzling, vor allem wenn es um die Frage geht, Gefühle verschiedener Art musikalisch ausdrücken zu wollen.

    Was er hier betrieb, ist in meinen Augen eine semantische Haarspalterei, die um ihrer selbst oder um der Polemik Willen angezettelt wurde.

    Allein deshalb neige ich sehr stark dazu, in dieser damaligen Auseinandersetzung dem praktischen Vollblutmusiker Richard Wagner voll und ganz rechtzugeben.


    Was ist denn schon "ästhetisch relevant"?

    Für mich ist Wagners (und Bruckners) Ästhetik mehr als relevant. Den Überlegungen eines Hanslicks hingegen kann ich da nicht allzu viel Relevanz zusprechen.

    Nur sagt er (Hanslick): Musik kann Wirkungen erzielen, aber Gefühle eben nicht ausdrücken. Und weil die Musik keine Gefühle tatsächlich ausdrückt, sondern nur auf das Gefühl wirkt, sind diese Wirkungen auch nicht ästhetisch relevant. Ästhetisch relevant ist allein die Erfassung der musikalischen Form. Das ist dann der sehr rigoristische und konsequente "Formalismus" Hanslicks. Die Betrachtung der Gefühlswirkungen gehört nicht in die Ästhetik, sondern in die Psychologie, sagt Hanslick.

    Was sind denn für diesen Hanslick überhaupt "Gefühle", und wie drückte er sie aus, wenn er denn welche hatte?

    Der Mann stand sich m.E. mit seiner scharfen Intellektualität durchaus selbst im Wege. Ärgerte er sich, dass die Innovationen Wagners nicht vorher über seinen Schreibtisch gingen?

    Wenn er sagt, dass "ästhetisch relevant" allein die "Erfassung der Form" sei, dann vermute ich eine gewisse Verkopfung in seiner Rezeption. Wenn man etwas als ästhetisch empfindet ( !) , sind das nicht auch Gefühle oder nur Überlegungen?

    Das Gesicht einer wunderschönen Frau entspricht ja durchaus ästhetischen Idealen, wie z.B. Proportion. Gleiches gilt für Autos, sogar für Hifi-Geräte, auf denen der Blick des Genießers stundenlang verweilen kann. Doch geht dem Gefühl zunächst einmal formale ästhetische Analyse voraus? Nicht immer, wie ich meine.

    Ich habe ja selbst als Kind und Jugendlicher mit großen Gefühlen z.B. die Beethoven-Symphonien mit einem Jecklin-Float-Kopfhörer auf dem Kopf alle x-Mal durcherlebt, ja durchlitten. Nach der 9. ( natürlich mit Karajan...) musste ich anschließend regelmäßig in die Badewanne....

    Dabei möchte ich behaupten, dass ich damals von der symphonischen Form nicht allzu viel verstanden und erfassen konnte, weil ich vielleicht erst ab 12 Jahren anfing, überhaupt so etwas wie Sonatensatzform mit Exposition, Durchführung, etc. auch intellektuell zu verstehen.

    Hanslick argumentierte hier meiner Vermutung nach so, weil er mit Wagners fließender Art des Komponierens auf Kriegsfuß stand. Wagners Harmonik moduliert frei, erweckt Erwartungen und enttäuscht sie positiv; statt der Sonatensatzform gibt es Leitmotive, und in Sachen Oper hat er - danke dafür, lieber Richard- die damals schon anachronistische Nummernoper abgeschafft.

    Die Franzosen des 18. Jahrhunderts haben ähnlich verächtlich auf die eruptive italienische Musik des Barocks geschaut. Diese "vulgären Italiener" hatten ja nicht diese Tänze, die in ihrer Symmetrie einem barocken Prachtgarten vergleichbar sind. Denen fehlte wohl die französische Kültür... ;)


    Was hätte denn Wagner noch erzielen sollen, wenn nicht Wirkung? Belehrung, gar Störung oder Irritation? Nun, der Hanslick war ja irritiert. Dass man immer gestört werden muss, um sich eines Besseren belehren zu lassen, das meinen ja heute viele. Manche kleben sich da sogar auf Berliner Haupstraßen fest, eine Methode, bei der aus meiner Sicht der Schuß höchstwahrscheinlich nach hinten losgeht. Aber das wollen wir hier nicht vertiefen. Jedenfalls glaube ich nicht, dass es gut wäre, wenn eine Musik wirkungslos wäre.


    Es auch eine Frage, wie eine Musik gehört wird. Wer nicht Gehörtraining studiert hat, oder es dann später nicht mehr praktiziert, der gibt möglicherweise bei der intellektuellen Erfassung der Harmonik Wagners schnell auf. Sollte er dabei trotzdem nicht unmusikalisch sein, dann gerät er damit emotional in die Hände des Komponisten, was dessen Absicht war. Das Gesamtkunstwerk aus Bühne und Schauspiel etc. tut ein Übriges: der Intellekt des Publikums wird nicht in gelehrter Art Weise (wie mit einer Fuge) gefüttert, sondern die Emotionen der Leute werden mit direktem Zugang zum Unbewussten gekonnt gelenkt und maximiert ( heute funktioniert es eher seltener, weil immer weniger Leute überhaupt ein Gehör haben).

    Durch all das sah Hanslick die Tradition der europäischen Kulturmusik stark gefährdet, was ihn möglicherweise polemisch werden ließ. Wenn er, wohl durch seinen Intellekt seinen eigenen Gefühlen schon entfremdet, von "verrottetet Gefühlsästhetik" sprach, dann begab er sich damals auf das kellertiefe Niveau des ebenfalls Hoch-Intellektuellen Goethe, der Schuberts Vertonungen seiner Texte durchaus ablehnte und irgendwelchen anderen viertklassigen Komponisten tatsächlich aus ästhetischen Gründen den Vorzug gab.

    Im Fach Musikgeschichte hat uns unsere Professorin den "Erlkönig" in der von Goethe bevorzugten Fassung vorgespielt, danach die bekannte Vertonung Schuberts. Den Namen des anderen Komponisten habe ich jetzt vergessen, und das bedaure ich auch nicht. Es war ein harmloser, netter Singsang, der, im wahrsten Sinne des Wortes, im Rahmen, in der Form blieb.

    Wie konnte der Mann, der diesen mächtigen Text verfasste, nur so eine belanglose Vertonung bevorzugen, bei der alles in schöner langweiliger Ordnung vor sich hin dudelte?

    Ich nehme an, weil Goethe zwar nicht unmusikalisch war, aber das wahre Feuer der Musik nicht wirklich in ihm brannte. "Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen" hätte man dem guten Johann Wolfgang in diesem Fall zurufen müssen. Er konnte mit der - bei mir jedenfalls- immer wieder Betroffenheit und Gänsehaut auslösenden Musik Schuberts wohl wenig anfangen.


    Nun kannte ich auch einen älteren Freund ( schon verstorben) der beim Thema Bruckner-Symphonien auch gerne von der Erfassung der "Forrrrm" redete.

    Immerhin liebte er seinen Bruckner ( von dem ich noch gar nichts verstand) während es ja für einen Hanslick nicht gut genug war, dass Bruckner die alte Form der Symphonie durchaus zur Anwendung brachte. Aus der Sicht Hanslicks hat Bruckner wahrscheinlich die traditionsreiche symphonische Tradition mit wagnerischem Gift kontaminiert.

    Auch in Foren liest man immer wieder, dass man doch die Form bei Bruckner gut heraushören müsse. Gerne wird dann Günter Wand angeführt, der sich ja durchaus zum Ziel setzte, Bruckner als Symphoniker darzustellen, "ohne Weihrauch", wie er -leider- selbst auch sagte.

    Zum Glück hat Bruckner so komponiert, dass auch bei Wand noch genügend Weihrauch in der Luft schwebte, ob er es denn wollte oder nicht. Weihrauch duftet wunderbar, und wenn man mich fragt, was die wichtigsten Arbeiten sind, die ein Mann verrichten kann, dann sage ich: entweder die Gestik etwa eines Thielemann beim Bruckner-Dirigieren, oder die Ernsthaftigkeit eines Priesters, mit der z.B. in der Basilica of the National Shrine of the Immaculate conception, Washington D.C. während des Eingangschorals der Altar inzensiert ( beräuchert ) wird.

    Es scheinen sinnlose Tätigkeiten zu sein, die aber mit tiefstem Ernst und hochkonzentriert ausgeführt werden. Ich finde das wichtiger als Autos reparieren oder vertickern zu können.

    Hier transzendiert etwas, hier entsteht eine geheimnisvolle Verbindung zum nicht Profanen, zur mystischen, unsichtbaren Welt.


    Und die Sache mit der auch so bedeutsamen Form ist auch zweifelhaft: Bruckner benutzt rhythmische Motive, erst langsam, dann mit halb so großen Notenwerten. Die wiederholt er dann zuweilen sehr oft - ja wie oft eigentlich? Das hat zwar eine innere Symmetrie, wenn man sich die sich entwickelnden Blöcke anschaut, folgt aber mehr einer expressiven Gesetzmäßigkeit als der starren Sonatensatzform. In diesen Wiederholungen und Steigerungen liegt eine Urkraft. Man könnte an eine Gruppe Affen denken, die einen gewissen Laut austoßen. Dann fallen andere mit ein, dann wird es schneller und immer lauter. Man schaukelt sich hoch....bis es zu einem mehr oder weniger katastrophalen Ausbruch kommt. So etwas gibt es auch in der Natur, z.B. bei Vulkanen. Ja, auch der menschliche Sexualakt ist gar nicht so weit davon entfernt.


    Nun könnte man sagen, dass all dieses Archaische und Animalische doch alles Mögliche ausdrücke, bloß nicht Erhabenheit, gar Heiligkeit.

    Da muss ich mit der katholischen Lehre antworten: aus Gottes Sicht ist der Sexualakt ein sich gegenseitiges Hingeben von Mann und Frau. Der Mann sagt zur Frau: Mein Leib für Dich - und umgekehrt.

    Die Eucharistie ist dem tatsächlich auf eine mystische Weise wesensverwandt: Christus gibt sich voll und ganz seiner Braut (der Kirche) hin. Das geht soweit, dass der gläubige Katholik mit dem Empfang der Eucharistie Gott "ißt." "Dies ist mein Leib"...."Das ist mein Blut".

    Darüber hat auch Ratzinger Erhellendes geschrieben....


    Diese hochheilige Vereinigungsmystik bestätigt mir, was ich schon seit vielen Jahren empfand, nämlich dass die musikalischen Neuerungen Wagners -im Tristan-Vorspiel herrlich introduziert und im Parsifal vollständig implementiert- durchaus geeignet waren und sind, religiöse Dinge zum Ausdruck zu bringen. Der Bruckner hat das jedenfalls erkannt und sein inneres Sehnen, diese Dinge zum Ausdruck bringen zu wollen, in seiner Klangwelt realisiert.


    Die Betrachtung der Gefühlswirkungen gehört nicht in die Ästhetik, sondern in die Psychologie, sagt Hanslick.


    Es mag herausfordernd sein, dem intellektuell entgegenzuhalten. Doch klingt es so, als wenn mit mir etwas nicht stimme, weil ich einen gewissen Akkord (z.B. fis-moll über Dis) als ambivalent und mystisch empfinde, weshalb ich ggf. die Hilfe eines Psychologen bräuchte, weil ich meiner nüchternen ästhetischen Beurteilungskraft beraubt zu sein scheine.

    Ein paar Takte aus Bruckners oder Wagners Musik sollten aber reichen, solche Betrachtungen als unsinnig beiseite zu legen.

    Jeder Musiker will Emotionen vielfältigster Art ausdrücken. Wenn Musik - nach Hanslick- an sich keine Emotionen ausdrücken kann, dann fragt man sich, warum dann die Komponisten in ihrer grassierenden Verirrung immer und immer wieder "expressivo" in die Noten geschrieben haben.

    "Ich falle gerade innerlich zusammen, meine Hoffnungslosigkeit erdrückt mich" - wenn einer das in Tönen ausdrücken konnte, dann war es wohl Schubert.

    Und das erhebende Gefühl, eine hehre Götterburg zu betrachten, dort oben, auf dem Berge (Wälder befinden sich darunter...) - wer konnte diese Noblesse, dieses Edle, Hehre, ja Heilige besser in Tönen zum Ausdruck bringen als Wagner, eben mit dem herrlichen Blechbläsermotiv aus dem Rheingold?


    Nun müssen wir aufpassen, dass wir hier nicht zu sehr in allgemeine Betrachtungen abschweifen.


    Ich beziehe mich also auf das grimmige Scherzo der 9. von Bruckner.

    Anfangs hört man leise in den Bläsern einen bedrohlich klingenden Cis-Moll- Quint-Sext-Akkord. Erst erscheint er in einem Anapäst-Rhythmus, dann bleibt er liegen. Über dem liegenden Akkord hört man nun Akkordbrechungen von oben nach unten, durch die hohen Streicher im Pizzikato vorgetragen. Die tiefen Streicher antworten darauf in umgekehrter Arpeggiorichtung.

    Das Spielchen wird auf eine neue Ebene gehoben, nach oben transponiert, dann kommen noch ein paar Takte mit Achtelfiguren, danach ein sich wiederholendes Motiv aus zwei Tönen bestehend, welches wie ein Zweierpaar klingt, aber eigentlich hemiolisch aus dem 3/4-Takt entsteht. Eine kurze Pause, und dann bricht auf einem Bb7 4# mit Terz D im Bass im Forte-Fortissimo die Hölle los.


    Das wäre eine kurze Formanalyse, aber was höre/empfinde ich da? Der gefährliche Moll-Quint-Sextakkord im Anapäst-Rhythmus setzt die Szene für das dräuende Gefühl eines nahenden Unheils. Wie vor einem Gewitter wirkt das tropfende Pizzikato als Vorboten von Schlimmeren. Durch das Hochtransponieren der Szene ( im wagnerschen Stil) wird das Gefühl der Gefährlichkeit verstärkt. Man ahnt, dass hier etwas kommt, was nicht aufzuhalten ist. Bei den Legato-Achtelnoten könnte man an anschwellende Bäche denken, darüber warnende Rufe von Vögeln.

    Dann kommt die Katastrophe doch schneller als erwartet - wahrscheinlich hat Bruckner schon den Klimawandel und das Ahrtal vorausgesehen.

    Erst stampft das Orchester brutal und unisono auf dem D, dann kommt dieser Bb7 4# mit Terz D im Bass, der sich nach klassischer Lehre eigentlich nett und sittsam nach Eb-Dur auflösen müsste. Macht er aber nicht!

    Die Stelle klingt mir gar nach einer Vorabschattung von Heavy-Metal-Musik für ein Orchester.

    Aus religiöser Sicht könnte man an drohende Zornschalen aus der Offenbarung denken, die dann ein Engel schneller als vorher geahnt ausgießt. Man kann also bei der Stelle an ein Gewitter, aber auch an das Gericht Gottes denken, was bei einer Bruckner-Symphonie vielleicht gar nicht so abwegig wäre.

    Gerade diese Stelle wird in ihrer rohen Naturgewalt in meinen Ohren in der Aufführung mit Karajan und den Wiener Philharmonikern ( DVD/ YouTube-Film, siehe oben) am "besten", d.h. Horror auslösend, gespielt. Später, mit den Berlinern, ( s.o.) ist das dem alten Dirigenten nicht mehr so geglückt - warum auch immer.


    Ich möchte im Grundsatz noch einmal betonen, dass ich aufgrund vieler wunderbarer Hörerfahrungen die Bruckner-Arbeit Günter Wands sehr schätze und liebe, nicht dass das jemand falsch versteht. Gerade hörte ich mit ihm die 4. und die 5. Bruckners - wunderbare Hörerfahrungen. Wer sich ernsthaft für Bruckner interessiert, kommt an Wand nicht vorbei.



    Gruß:hello:

    Glockenton