Beiträge von Glockenton

    Für dieses Klavierkonzert höre ich nach wie vor am liebsten die Aufnahme mit Friedrich Gulda und Nikolaus Harnoncourt, wie oben in Beitrag 13 als YouTube-Film verlinkt.

    Da stimmt für mich alles, Tempi, Phrasierung, Artikulation, Dialog zwischen Klavier und Orchester, Alterierung zwischen Streichquartett und voller Orchesterbegleitung, klangliche Balance, Balance zwischen Lebendigkeit und Beherrschung, Emotion und Klassizismus....eben einfach alles. Ich möchte mich sogar zu der Behauptung versteigen, dass diese Mozart-Klavierkonzerte (auch das Doppelkonzert Eb-Dur mit Chick Corea) zu den besten Mozart-Aufnahmen Harnoncourts überhaupt gehört.

    Wenn es nur um Gulda geht, dann sehe ich es ähnlich, was auch damit zu tun hat, dass er sich hier offensichtlich nicht in die Aufnahmetechnik einmischen konnte. Konnte er dies bei anderen Aufnahmen tun, so hört man einen sehr direkten und f...-trockenen abgenommenen Klavierklang. Für meinen Geschmack wirkt ein Klavier auch im Zusammenhang mit der Raumakustik, zwar nicht so extrem wie bei Orgeln, aber es ist doch auch ziemlich wichtig, wenn man einen guten Raumklang.

    Doch auch bei dem Klavierkonzert, welches er zusammen mit Abbado aufnahm, wird der Flügel angenehm klingend abgebildet.


    Von etwaiger Kritik an diesem Konzert an sich lese ich hier zum ersten Mal. Sie ist für mich nicht nachvollziehbar, d.h. die angesprochenen Kritikpunkte sind mir nie aufgefallen, vielleicht auch, weil ich es oft mit Gulda/Harnoncourt hörte.

    Ich empfand das Konzert immer als besonders schön und von der Komposition her gelungen. Wenn es nicht so wirkt, dann kann es ggf. an der Ausführung liegen.



    LG:hello:

    Glockenton

    Höre gerade ein Klaviertrio von Clara Schumann mit Mutter, Ferrandez und Orkis, bzw. die Musik ist auf meinem PC "gelandet".

    Auf dem Album ist auch das Brahms-Doppelkonzert mit Manfred Honeck als Dirigent enthalten.

    Das habe ich jedoch noch nicht angehört - bin gespannt.


    Bis jetzt fand ich das Werk von Clara Schumann sehr schön!


    Vergleichsaufnahmen habe ich jetzt nicht im Ohr, aber das muss ja auch nicht immer sein.


    Zunächst einmal ist für mich die Klangqualität nicht diskutierbar. Wer mp3 und dergleichen anbietet, fällt für mich aus.

    Nur eine Streamingplattform, die mindestens wav ( CD-Qualität) oder mehr anbietet, findet mein Interesse, weshalb ich bei TIDAL gelandet bin.


    Dann habe ich ja aufgrund meiner Biografie sehr viele CDs. Ich glaube, es sind 8 große Umzugskartons, die nun in diesem letzten Dreieck des Dachgeschosses meiner Garage liegen (oben drüber ist mein Studio plus Kino-Audioraum). Das deutsche Wort für diesen Aufbewahrungsraum habe ich vergessen...

    Es hat bei mir sehr viel mit den Platzverhältnissen zu tun. Auch bei sonstigen Dokumenten versuche ich, möglichst alles was wichtig ist, in digitaler Form zu haben, d.h. wenn etwas im analogen Postkasten ankommt und ausnahmsweise wichtig ist, wird es mit dem Scanner digitalisiert und in der Cloud + auf einer eigenen Festplatte gesichert.

    Es spart einfach Platz, und ich habe nicht noch mehr Platz für sinnlos herumstehende Aktenordner. Bei Noten muss es anders sein: Da ich live nicht auf iPads etc. vertrauen möchte (schwierig mit dem Umblättern, man muss Grimassen machen, denn als Organist sind ja die Füße meistens beschäftigt), habe ich aktuell 14 große Leitz-Ordner die selbstgeschrieben Noten aus Cubase enthalten, welche ich für meine Arbeit benötige.


    Doch zurück zu den CDs: meine "Essentials" habe ich aus den Kartons herausgesucht. Es sind noch einige hundert CDs, die mir einfach zu wichtig sind, als dass ich sie nur auf der Festplatte verfügbar haben möchte.

    Den Rest habe ich "lossless" eingerippt. Diese CDs werden bei mir durch iTunes für Windows abgespielt.


    Da ich bei TIDAL das Premium-Abo habe, kann ich dort die Aufnahmen in neuerdings noch einmal angehobener Audioqualität streamen. Wenn sie mir jedoch so gut gefallen, dass ich die CDs kaufen würde, dann lade ich sie mir als FLAC-Dateien herunter. Sie sind dann auf einer externen Samsung USB-SSD und werden durch das Programm "Media-Monkey" abgespielt. Ich musste mich hinsichtlich des Taggings etc. am Anfang noch etwas hineinarbeiten, aber jetzt geht es schon gut. Der Download geschieht mit Hilfe des TunePat Tidal-Medial Downloaders. Er kostete etwas Geld, aber für dieses Geld habe ich mittlerweile alles in meinen "Besitz" auf der eigenen Festplatte bringen können, was mein Herz begehrte, z.B. auch den kompletten Solti-Ring.


    Die 5. Bruckners mit Wand BPO kaufte ich mir neulich dennoch als CD. Eigentlich war das wirtschaftlich gesehen recht idiotisch (hoher Preis), aber ich finde sie so gut, dass ich sie unbedingt haben will. Wahrscheinlich ist das der Sammlertrieb.

    Mein Sohn versteht z.B. nicht, weshalb ich mir überhaupt Aufnahmen herunterlade, wo ich diese doch streamen könne. Ich denke mir aber, dass es ja durchaus Phasen gibt, in denen der Internet-Provider Probleme hat.... und dann ist da jener Sammlertrieb.


    Eine der besten CD-Booklets findet man in Jos van Veldhovens Einspielung der h-moll-Messe Bachs (SACD). Braucht man jedes Booklet? Ich finde nicht, aber ich bin froh, dass mir dieses SACDs körperlich vorliegen.

    So weit ich weiß, gibt es für das Problem der nicht vorhandenen Booklets bisher keine digitale Lösung. Falls einer davon Kenntnis hat: nur heraus damit.


    Man braucht einen guten DAC um vom PC streamen zu können. Ich hatte einen, der auch in der Presse sehr gelobt wurde, verglich ihn dann aber mit den eingebauten guten DACs meines Marantz-CD-Spielers und meiner Marantz-Vorstufe. Für meine Martin Logan-Elektrostaten empfand ich den Marantz-Klang als angenehmer, also verkaufte ich den DAC und streame nun über die Marantz-Geräte. Es klingt in der Tat gut.


    Gruß:hello:

    Glockenton

    Es gibt ja diese Portamenti schon lange in der Belcanto-Tradition. Allerdings bleibt es für mich dabei, dass ich es so oder so einfach schrecklich finde, jedenfalls fast immer. Nun ist es ja so, dass ich diese Opern von Verdi, Donizetti usw. im Grundsatz meide, nicht nur wegen der Portamenti. Umso mehr mag ich dann wieder Wagner oder die deutsche Romantik aus dem ungefähr gleichen Zeitraum.

    Aber sollte man nun dieses Hin-und Hergleiten zwischen den Tönen z.B. bei Schubert, Schumann oder Brahms mit dem Hinweis anfangen, dass "die das ja um die Jahrhundertwende schließlich auch so gemacht haben" (sollen), dann wäre ich definitiv kein Kunde für solche Konzerte oder Aufnahmen.


    Die professionellen und in ihrem Fach jeweils sehr guten Sängerinnen, mit denen ich schon oft dieses vielfach unvermeidliche "Ave Maria" von Schubert live aufführte, haben sich dankenswerterweise jedweder Portamenti enthalten. Wenn man schon beim ersten Ton auf "Ave" den Ton von unten anschlenzt, um dann endlich und irgendwann auf der richtigen Tonhöhe anzukommen, dann zeigt das für mich eben einen Mangel an gutem Geschmack. Damit kaschiert bzw. umfunktioniert man seine Unfähigkeit, einen Ton von Anfang an richtig zu intonieren und erhebt es dann zum Stilmittel, mit oder ohne die argumentative Unterstützung von historischen Aufnahmen. Ich habe auch schon eine solche Sängerin erlebt, zum Glück nicht in einem Konzert für das ich verantwortlich war. Das wurde dann durch divenhaftes Auftreten, Pelzstola, Schmuck und vor allem mit viel Lächeln getarnt. Mein Ding ist das nicht.


    Wenn sich also unser Zeitgeschmack gegen solche Dinge geändert hat, dann doch zum Besseren, wie ich finde. Ich sage absolut nicht, dass die Musiker mit jeder Generation immer klüger, weiser und besser würden, also die neuesten Interpretationen sozusagen den alten überlegen wären, so wie der neue PC oder das neue Auto gegenüber den Vorgängergenerationen überlegen ist. Das ist in der Kunst ganz und gar nicht der Fall. Die Fünfte von Schubert hat z.B. nach Böhm mit den VPO niemand vergleichbar gut und schön gespielt - meiner sehr subjektiven Meinung nach. Aber auch der Umkehrschluss, dass man nur immer weiter in die Vergangenheit gehen müsse (am besten gleich zum Komponisten, der es ja schließlich am besten wissen müsse) um es "richtiger" zu machen, ist aus meiner Sicht falsch, was mir dieses Video eigentlich recht deutlich vorführt. Die Kunst des Improvisierens, Arrangierens und Komponierens hängt zwar schon mit der Kunst des Interpretierens zusammen, doch es sind am Ende doch zwei für sich stehende Welten. Wagner war so weit ich weiss einer der ersten Komponisten, der selbst nicht so wahnsinnig gut Klavier spielten konnte.


    Dass frühere Musiker mehr einheitlich waren, d.h. nicht nur die Sachen anderer Leute spielten, sehe ich in der Tat als eine ungute Entwicklung des 20. Jahrhunderts an. Bei den Kirchenmusikern ist es nicht so krass, weil die oft einfach gezwungen sind, aus einstimmigen Melodien eine ganze Musik zu machen oder in gewissen Phasen der Messe zu improvisieren. Vielleicht sollte man andererseits auch sehen, dass man im Leben nicht alles können kann...


    Summa summarum komme ich zu der Erkenntnis, dass man nicht im Grundsatz unterstellen sollte, wir befänden uns mit unserem historischen Abstand von vorn herein im Unrecht. Anders herum macht man heute durchaus nicht alles besser, als es die älteren Generationen vermochten. Die rhythmische Klarheit, etwa bei der 7. Beethovens unter Solti, habe ich in dieser Form bei heutigen mir bekannten Aufführungen nicht so überzeugend vorgefunden.


    Deswegen: ja, ich glaube schon, dass wir ziemlich rückwärtsgewandt sind, auch ich. Doch ich versuche trotzdem, mir die Offenheit für jüngere und noch lebende Interpreten zu erhalten. Es gibt z.B. einige Tracks auf der ersten Bach-CD mit Vikingur Olafsson, die ich für unerhört gut halte. Ich mag ihn ja ohnehin, weil er so unangepasst und eigenständig wirkt, nicht nur, weil er über eine so wahnsinnig gute Körperbeherrschung und Pianistik verfügt. Der Mann ist noch am Leben, und "alt" ist er auch nicht :thumbup:;)


    LG:hello:

    Glockenton

    Noch ein kurzer Kommentar zum Video: aus meiner Sicht fragt sich, ob man die Prämisse "so wie sie früher gemacht haben, ist es richtiger, und wir müssen das jetzt auch so machen" als gegeben ansehen sollte.

    Ich finde nicht.


    Ich fasse kurz zusammen: man spielte schneller, ziemlich viele Temposchwankungen, man war besonders nicht gut zusammen (sollte ggf. nicht so sein), man erlaubte sich inegalite, man sang mit sehr viel Portamento, mit weniger Vibrato, man spielte mit weniger Vibrato (dass man ohne Vibrato spielte, erzählt der gute Mann, aber auf der historischen Aufnahme höre ich dann eben doch Vibrato auf dem Streichinstrument) und nahm sich generell allerlei Freiheiten heraus.


    Wie finde ich das?


    Zu viele Temposchwankungen = eher furchtbar


    nicht gut zusammen = mag ich auch nicht, das muss der Kontext wirklich hergeben


    inegalite = finde ich grenzwertig, wenn man es im Barockkontext zu stark macht oder es dem Bach angedeihen lässt ( z.B. Orchestersuiten). Merkwürdig, wenn Harnoncourt es mit dem Orchester machte, gefiel es mir immer, weil es in inneres Leben hatte.


    Portamento = da wird meine Grenze überschritten, einfach nur geschmacklos


    weniger Vibrato Gesang = ja, man muss nicht mit der Stimme detonieren, aber vibratofrei klingt vielleicht für Josquin gut, nicht aber für Schumann oder Brahms.


    kein Vibrato Streicher = unnatürlich und sägend, man verzichtet auf ein herrliches Ausdrucksmittel (im Orchester: Klanggestaltung, Wärme)


    allerlei Freiheiten = bin ich nicht dagegen, aber mit Vorsicht anwenden, weniger ist oft mehr. Zudem muss das nachvollziehbar sein. Gutes Beispiel: "Bist du nicht...." aus der Johannes-Passion, Harnoncourt 2. Aufnahme: erst langsam dann Accelerando-Crescendo.


    Weiß der Komponist immer am besten, wie man das spielen sollte? Nein, davon gehe ich nicht aus.


    Ich kann mich an Situationen in Proben und Konzerten mit zwei Komponisten erinnern, bei denen die das selbst nicht so besonders gut spielten, während in einem Fall ein Kollege und im anderen Fall ich (sorry, klingt unbescheiden, war aber so, und der Komponist meinte es selber, wollte mich deswegen sogar auf seiner CD haben). Das lag, so glaube ich, nicht unbedingt daran, dass die ihr Instrument (einmal Flügel, dann wieder Orgel) nicht so gut beherrschten, sondern dass ein Werk nach der Veröffentlichung sozusagen ein Eigenleben führt. Es kann tatsächlich sein, dass ein Interpret aus dem inneren Zusammenhang der Musik das Werk nach eingehender Beschäftigung besser spielt, als der Komponist. Das Gegenteil kann natürlich auch sein!


    Hier in dem Video haben wir einen Fall, in dem man Grieg im Vergleich mit einem modernen Pianisten hört. Ganz ehrlich: für mich spielt der heutige Pianist diese Musik tatsächlich viel schöner und auch nachvollziehbarer. Nein, ich kann das schon mit der Aufnahmetechnik abstrahieren.

    Es kann durchaus sein, dass Grieg beim Spielen sehr stark seine eigene, innere Musikvorstellung hörte, weniger das, was wirklich auf dem Klavier "von außen" erklang. Das kann ich nur mutmaßen, kann mich auch irren. Grundsätzlich gilt: sich selbst zuhören zu können, ist eine ganz wichtige Eigenschaft, die man als Musiker ein Leben lang lernen und üben muss. Im Gegensatz zu früher haben wir heute die fantastische Möglichkeit, unser eigenes Spiel mit Hilfe moderner Technik in allen Feinheiten auf einer Aufnahme hören zu können. Das ist mir immer sehr lehrreich, und sicherlich nicht nur mir. Frühere Generationen hatten das ja bekanntlich nicht. Die Tatsache, dass wir über diese Aufnahmetechnik verfügen, hat wiederum Rückwirkungen auf die Art unseres Spielens. Zum Glück ist es bei Aufnahmen heute so, dass sich für mich die Aufnahme fast genauso anhört, wie sie sich beim Spielen anhörte ...fast, nicht genau so. Aber mit den Jahren wird es besser.


    Dass also das Frühere zwingend unser Maßstab sein müsse, sehe ich nicht so. Wirkliche Kunst entsteht immer wieder neu. Der Wille des Komponisten sollte kein Fetisch sein.


    Zwei andere Beispiele aus meinem kleinen Leben:

    Bis jetzt habe ich eigene Werke nur von Organisten gehört, die selbst nicht so besonders gut spielten. Man war froh, wenn man fehlerfrei durchkam.

    Es hatte mit dem, was ich mir vorstellte, nicht so viel zu tun. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ein hervorragender Musiker diese meine Noten möglicherweise noch schöner spielen, bzw. neue Dinge darin zum Vorschein bringen könnte, als ich es selbst könnte.

    Ich erzählte schon einmal an anderer Stelle im Forum, dass ich bei einer Beerdigung "auf die Schnelle" Noten für eine Cellistin schrieb. Sie arbeitet im Orchester Oslo Philharmonie (da wo Jansons früher war) und erkannte ohne irgendwelche Eintragungen in den Noten sofort Stil und Absichten, ja sie brachte gute und geschmackvolle Ideen ein, die mir neu waren. Es war eine beglückende Erfahrung, weil es so viel leichter ist mit Profis zu arbeiten.


    Nun will ich mich hier nicht mit den großen Namen der Komponisten in irgendeiner Form vergleichen. Ich gehe auch davon aus, dass die meisten von denen sehr gut spielen konnten (Wagner war übrigens kein besonders guter Pianist...)

    Aber ich finde schon, dass eine Aufführung eines Werks durch den Komponisten selbst nicht als sakrosankt angesehen werden sollte.

    Auch diese Genies waren Menschen, und man kann sicher davon ausgehen, dass sie ihre eigenen Sachen zu unterschiedlichen Angelegenheiten und Zeitpunkten durchaus unterschiedlich spielten. Das ist menschlich und auch gut so.


    LG:hello:

    Glockenton

    Das Thema Rückwärtsgewandtheit hat ja einen ernsten, wenn nicht gar tragikomischen Hintergrund:


    Man wächst mit bestimmten Interpreten auf, die einen begeistern und vor allem prägen können.

    Dann geht die Zeit schnell dahin, und irgendwann stellt man fest, dass ein nicht geringer Teil dieser Leute entweder verstorben oder bereits alt geworden ist. Die nächste Erkenntnis folgt dann auf dem Fuße, nämlich dass man selbst auch nicht jünger wurde.

    Es werden diesem Thema also bestimmte große Themen mitberührt, wie früher Sturm und Drang, Liebe, Vergänglichkeit, beginnende (männliche) Rechthaberei im Alter, Altersstarrsinn, Demenz, Tod und dann die letzten Dinge.

    "Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh..." - so beginnen die "ernsten Lieder" von Johannes Brahms, die ich sehr mag.


    Um also dieses durchaus ernste oder gar "verkrampfte" Thema mit etwas Heiterkeit aufzubrechen, wagte ich das womöglich aussichtslose Experiment, mit diesen auf das einsetzende Alter anspielende Veränderungen der Namen bekannter Musiker einen kleinen Scherz in die Runde zu werfen und einen durchaus selbstkritischen Beitrag zu verfassen. Ich erinnerte mich dabei auch an einen liebenswerten Klassikfreund, der - jetzt auch schon verstorben- mir immer sagte " dass musste von dem Disskau (wie er es aussprach) hören - das ist es!".


    Zwei weitere Figuren sind mir bekannt: einer ist ein pensionierter evangelischer Priester, der zweite ein pensionierter Professor für Theologie. Beide laufen mit gebeugten Rücken (einer mit Stock) umher, ihr Gesicht verrät, dass sie über das, was heute im Raum der Kirche geschieht, kritisch reflektieren, und sie scheinen ständig griesgrämig den Kopf zu schütteln: "...ne, ne.... das ist heute doch alles nichts mehr". Der zweite therapiert sich selbst, in dem er oft lange kritisch-komplizierte Beiträge auf gewissen Facebook-Seiten verfasst. Das hat schon etwas Tragisches, wobei deren Kritik am Hier und Jetzt durchaus auch sehr berechtigte Punkte hat.


    Wenn man Humor schon erklären muss, ist es " der Käs schon gegessen", wie der Siegerländer sagt.

    Den "Feuchtwängler" habe ich mir übrigens bei Loriot ausgeliehen. Er sprach bei der Feier zu "100 Jahre Berliner Philharmonisches Orchester" von "Bühler, Niklitz, Feuchtwängler und Hermann von Karajan". Er spielte dort auch einen fanatischen Klassikfreund, der vor dem Spiegel mit seiner Strickweste steht und zur LP dirigiert ( im Hintergrund spielten die echten Berliner Philharmoniker...). Sollte es nicht möglich sein, einmal ein wenig über sich selbst als Klassikhörer zu schmunzeln und zu reflektieren, dann schrammt man ggf. am Status "festgefahren" dichter entlang, als man es selbst einsehen möchte, aber das ist jetzt nur meine Einzelmeinung.


    Ich kann allen Furtwängler-Verehrern versichern, dass auch ich ein Bild von ihm in meinem Musikzimmer hängen habe. Kerzen zünde ich vor dem Bild allerdings nicht an.

    Hurwitz erwähnt oft, dass die Anhänger des Furtwängler-Stils sich mehr mit Jochums Interpretationen beschäftigen sollten. Der macht viele "Furtwänglereien", denkt Musik sehr ähnlich wie Furtwängler, allerdings mit wesentlich besserer Perfektion im Orchester und mit naturgemäß besserer Aufnahmetechnik. Doch das nur nebenbei...


    Gruß

    Glockenton

    Natürlich ist das Forum sehr rückwärtsgewandt, worüber ich mich einerseits ärgern kann um andererseits festzustellen, dass ich es auch bin ^^


    Im Grundsatz reden wir hier selten über Live-Übertragungen, sondern hauptsächlich über Tonkonserven. Deren Natur ist ja, dass sie Schallwellen aus der Vergangenheit nacherzeugen können, was früher ganz unmöglich war.

    Aber ich verstehe schon, worum es geht: kaum hast Du eine Aufnahme vorgestellt, die Dir gefällt, schon holen sie wieder ihre alten Schinken aus dem Lager:


    Feuchtwängler, Lerchen, Leonard Kieselstein, Zuricht, Mrawrotzky, Pottini, George Zackschnell, Machemongoli....oder so ähnlich, wie die da immer heißen.


    Neue Aufnahme Wagner Siegfried? Nö, wir haben ja den Solti!

    Die meisten von diesen Referenzen sind Aufnahmen von Leuten, die schon teilweise sehr lange tot sind. Das kann nerven und nimmt ja auch den heutigen Musikern irgendwie gewisse Chancen.


    Aber: es gab in der Vergangenheit Leute, die so außerordentlich gut waren, dass man die schlicht und ergreifend nicht ignorieren kann.


    Einige Beispiele, die naturgemäß meinen Geschmack wiedergeben:


    Bach, Goldberg Variationen, Glenn Gould, 2. Aufnahme. Hat es nicht vorher gegeben, wird es nie wieder geben. Der Mann war ein absolut einziges Phänomen.

    Bach geistliche Musik mit Herreweghe. Er lebt noch, aber ist vielleicht auch schon sagen wir in der Herbstphase angelangt...

    Händel mit CMW und Harnoncourt - es ist irgendwie so sehr eine eigene Welt, dass ich darauf nie verzichten kann und neue Aufnahmen es für mich dagegen schwer haben.


    Einige Beethoven-Symphonien unter Karajan, oder einiges von Wagner oder Bruckner mit ihm. Es ist mir unverzichtbar.


    Lieder der deutschen Romantik mit Dietrich Fischer-Dieskau! Es ist nach dem Hören seiner Aufnahmen oft nicht so leicht, sich noch andere CDs anzuhören. Aber ich höre schon gerne auch den "heutigen" Goerne, der zwar kein Fischer-Dieskau sein kann und will, dafür aber andere Qualitäten einbringen kann, die FiDi so nicht hatte, z.B. diese gewaltige volltönende Stimme, im tieferen Register.


    Lieder der deutschen Romantik mit Peter Schreier oder auch mit Edith Mathis. Diese Aufnahmen dieser zwei sehr eigenen Stimmen und Interpreten werden keineswegs obsolet mit der nächsten CD! Schreier ist nicht mehr unter uns, Mathis unterrichtet noch, glaube ich.


    Wiener Klassik und deutsche Romantik mit Brendel oder Uchida <3 Bei Uchida ist oftmals jeder Anschlag eine Kostbarkeit; was für eine Musikalität! Beide leben noch, aber Brendel ist in Pension und Uchida hat möglicherweise auch schon einen großen Teil ihrer Karriere hinter sich.


    Ja, selbstverständlich Gulda.... da brauche ich nicht viel zu sagen.


    Wagner mit Waltraud Meier und/oder mit Barenboim: beide leben zum Glück noch, aber Meier hat aufgehört und Barenboim muss auch schon kürzer treten...


    Böhm z.B. bei Schubert, vor allem der späte Böhm: so etwas gibt es heute nicht mehr, Wand war auch gut, aber der ist ja auch schon...


    Einiges von Bruckner mit Celibidache - warum, muss ich den Kennern nicht erklären.


    Und natürlich: Bruckner und Brahms mit Günter Wand. Er ist der Mann, der in letzter Zeit bei mir immer öfter die Nr. 1 beim vergleichenden Hören erreicht.


    Für mich wichtig: wird der Klang irgendwann aufnahmetechnisch "historisch", also mit anderen Worten schlecht, dann interessiert mich die Aufnahme irgendwann nicht mehr.


    Nun höre ich schon (z.B. auf YouTube oder TIDAL) auch das, was die aktuellen Musiker so machen, aber nun ja.. in dem von mir angedeuteten Repertoire finde ich einfach nicht so wahnsinnig häufig etwas, was mich derart vollständig überzeugen kann.

    Van Veldhoven hat sehr viel guten Bach gemacht, aber wie ich hörte, hat der auch schon aufgehört...

    Eschenbach schätze ich wirklich sehr ....ebenfalls Herbstphase. Aber sein Musizieren ist oft so beglückend.


    Die heutigen Chöre, ja, die sind heute meistens auf einem höheren Niveau als früher, behaupte ich jetzt einmal unvorsichtig.


    Wie ich also an mir selbst feststelle, sind die meisten meiner großen Favoriten entweder schon verstorben, pensioniert oder mehr oder weniger kurz davor.... ( vor der Pensionierung!)

    Klar habe ich einige aus heutiger Zeit, denen ich gerne zuhöre, aber viele sind dann eben doch schon Geschichte oder gehören zum reiferen Semester.


    Vielleicht kann man sich ja seine verbliebene Lebenszeit mit seinen Lieblingskomponisten und -Interpreten verschönern, ohne den Blick, bzw. das Ohr für etwas jüngere Künstler zu verlieren.


    Eine gewisse Offenheit, die versuche ich mir trotz aller Vorlieben zu erhalten, und ich hielte es für wünschenswert, dass ich mich damit hier in der Mehrheit befinde.

    So habe ich ja wenigstens versucht, bei dem Mozart-d-moll-Konzert mit Schoonderwoerd mit eben dieser Offenheit zuzuhören und habe dabei auch einiges entdecken können, was ich interessant und gar nicht so schlecht fand ;)


    Dass ich z.B. für mir bekannte Liederzyklen einen anderen Sänger wie Fischer-Dieskau auch einmal gerne hören kann, ist für mich schon ein Fortschritt, verglichen mit jungen Jahren, den ich bin mit seinen Platten und seiner Art, Musik und Inhalte zu denken, aufgewachsen.

    Es gibt aber bei mir auch Grenzen, bei denen es einfach nicht geht, z.B. jener Vibrato-Verbieter.


    Da kommt die grundsätzliche Frage auf: wie wichtig sind einem diese persönlichen "Bindungen" an bestimmte prägende Interpreten? Eigentlich eine Frage für einen eigenen Thread....


    LG:hello:

    Glockenton

    Erst durch den Thread habe ich nun Schoonderwoerds Interpretation dieses K 466 d-moll-Konzerts Mozarts kennengelernt:



    Mich hat überrascht, wie sehr doch das Coronavirus dem Klangerlebnis hier zu Gute kam. Durch die luftige Aufstellung der Musiker, durch das fehlende Publikum und vor allem durch die herrliche Kirchenakustik ( Basilika?) wird das kleine Ensemble klanglich wesentlich aufgewertet.

    Diese Art von einhüllendem Raumklang mag ich einfach sehr.

    Auch die Aufnahmetechnik ist unglaublich transparent und fängt diesen - gerade für historische Instrumente- m.E. doch sehr wichtigen "Mitmusiker" des Kirchenraums gut ein.

    Ob es in einem großen und wesentlich trockenerem Konzertsaal so gut klänge? Das glaube ich nicht. Aber es ist ja auch legitim, bei bestimmtem Instrumentarium den Raum als wesentlichen Faktor mit einzubeziehen, ähnlich wie bei Orgeln. Da im Hintergrund sieht man ja so eine schöne Orgel. Die würde ich gerne einmal hören...


    Auf meinem Beyerdynamics DT1770pro klang es schon sehr gut, aber auch auf den Martin Logan Electromotion ELS konnte mir das Klangbild sehr gefallen. Am allerbesten war es auf dem Stax L-300.

    Jetzt wollen manche sicherlich lieber etwas zu Mozart oder dem Instrument lesen, aber als passioniertem Audiophilem gestatte ich mir einmal diese Bemerkungen zum Klang der Aufnahme und zur Wiedergabe.

    Gerade bei diesem höhenreichen und obertonreichen alten Instrumenten profitiert man meiner Meinung nach sehr von einem hochwertigen Audio-Equipment. Stax ist ja für seinen etherisch-transparenten Klang bekannt, auch Martin Logan. Hier fühlte es sich so an, dass sich die Investitionen gelohnt haben.


    Zur Musik:

    Es gibt viele Elemente, die ich als "musikalisch" bewerte, z.B. beim Orchestervorspiel. Mich überzeugen die Blech- und Holzbläser, auch der Pauker ( er hupft ja so schön mit...um ein bekanntes Böhm-Zitat abzuwandeln)

    Wenn es um die Perfektion geht, so hat man sie hier noch lange nicht erreicht. Manchmal ist man auseinander, und zwischendurch wäre es ggf. hilfreich gewesen, noch einmal zu stimmen, übrigens nicht nur das Klavier. Vielleicht liegt es auch daran, dass man sich aufgrund des Corona-Abstands nicht so gut hören konnte. Ich nehme es fast an.


    Schoonderwoerd macht gerade am Anfang im agogischen Bereich Dinge, die durchaus als eine Kombination von romantischem Klavierspiel plus Dinge aus dem agogischen Baukasten der alten Musik genannt werden könnte.

    Was das expressive Potential der Klaviernoten Mozarts anbelangt, kann er mit diesem Instrument nicht so viel von den feineren Abstufungen realisieren.

    Der Klang des Instruments kann im Forte (und vor allem im Bass) plötzlich sehr obertonreich werden, wie ein Cembalo oder etwas in dieser Richtung. Über die Kantilenen haben wir ja schon des Öfteren diskutiert.

    Im zweiten Satz fällt mir auf, dass er damit einen weicheren Klang machen kann, allerdings dann offensichtlich gezwungen ist, recht einförmig in dieser p-Dynamik zu bleiben, ohne das "wilde Tier" im Instrument zu wecken. Das ist es, was ich meine: das expressive Potential der Noten Mozarts kann damit nicht in allen Nuancen realisiert werden.


    Das Orchester spielt musikalisch gesehen sympathisch und ansprechend. Man ist -wie gesagt- von einer Perfektion im Zusammenspiel mit dem Klavier und auch untereinander recht weit entfernt. Vielleicht ist das aber auch durchaus den originalen Zuständen näher, als wie wir es gerne hätten.

    Man muss zugestehen, dass der Klang des Hammerklaviers sich mit den alten Instrumenten gut mischt.

    Ein moderner Flügel mischt sich eigentlich nie wirklich mit dem Klang eines modernen Orchesters. Es sind zwei getrennte Elemente, wodurch man aber auch die Einzelnoten des Pianisten besser heraushören kann.

    Man sollte den Steinway auf keinen Fall mit mehr oder weniger originalen Orchesterinstrumenten kombinieren, weil das ein klanglicher Stilbruch wäre.


    Der letzte Satz überzeugt mich am wenigsten. Ich verstehe nicht so ganz, warum da immer diese störende Agogik im Klavier sein muss.


    Ich würde es besser finden, wenn man Violine 1 und 2 dreifach besetzt hätte, vielleicht zwei Violen und zwei Celli.

    Vor allem aber zöge ich so ein Instrument in diesem Zusammenhang vor, welches man in Bräutigams Aufnahmen hören kann, von mir aus auch jenes, das Bezoidenhout verwendet.


    Aber wenn man mit alten Instrumenten in dieser Akustik spielt, dann kann mir durchaus gefallen.

    "Alte Musik" ist ja selten für eine trockene Akustik geschrieben worden. Auch die alten Instrumente brauchen m.E. oft auch die Aura des großzügigen Nachklangs.


    LG:hello:

    Glockenton

    Du hast recht, lieber Glockenton! Ich kannte diese Interpretation von Robert Holl nicht, hab sie mir eben angehört und war - überwältigt.

    Weniger durch die Stimme, als vielmehr durch das, was Holl damit macht. Es ist eine hochgradig differenzierte Interpretation der Melodik, jede Phrase darin wird in ihrer spezifischen Gestalt unter deklamatorischer Hervorhebung der zugrundeliegenden lyrischen Aussage wiedergegeben. Wie er bei den Worten "Wie sturmestot die Särge schlummerten" die Stimme ins Pianissimo sinken und gleichsam zerbrechen lässt, da ergreift es einen regelrecht! Das habe ich noch nie so gehört.


    Übrigens, wenn ich mir das zu sagen erlauben darf:

    Deine Beiträge zum Forum lese ich mit Freude und großem Gewinn. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie allemal ausführlich angelegt sind und sich als gründlich durchdacht und in ihrem jeweiligen Sachbezug äußerst gehaltvoll erweisen.

    Das freut mich sehr zu hören, lieber Helmut, dass Dich eben diese Interpretation auch so überwältigen konnte!

    Ebenso danke ich für die guten Worte hinsichtlich meiner Beiträge - ich lese Deine Beiträge auch mit großem Gewinn; vor allem dann, wenn mir solche Lieder wie neulich "In der Fremde" oder "Auf dem Kirchhofe" spontan über den Lebensweg laufen, ja, mich geradezu gefangennehmen. Dann schaue ich nach, ob "er" wohl schon etwas zu diesem jeweiligen Lied geschrieben hat - und bis jetzt war das immer der Fall:)


    LG:hello:

    Glockenton

    Zufällig bin ich auf das Lied von Johannes Brahms "Auf dem Kirchhofe" gestoßen.

    Das Lied schaffte es bei mir, innerhalb von kurzer Zeit von Null auf 100 zu meinen Top-Favoriten aufzusteigen, eben so übrigens - Helmut Hofmann sei Dank- auch "In der Fremde" von Schumann (der hier eine Klavierbegleitung erfand, die schon fast so "lush" wie der spätere Brahms klingt) hier jedoch mit Fischer-Dieskau/Eschenbach.


    Doch zurück zu diesem Brahms:

    Meine Reaktion darauf ist: "ja, das ist genau ist es doch was ich hören möchte".

    Für eben diese Themen Tod, Grab, Vergänglichkeit und dergleichen "Heiteres" ist für meinen Geschmack Brahms "der" Komponist schlechthin.


    Ich verglich verschiedene Interpretationen, natürlich auch meinen All-Favoriten Dietrich Fischer-Dieskau, den ich hier natürlich auch hier sehr gut finde.


    Meine Lieblingsinterpretation für dieses Lied ist diesmal allerdings eine andere:



    MC02ODE0LmpwZWc.jpeg

    Robert Holl mit Andras Schiff, Decca


    Die Aufnahme finde ich bei JPC nicht, allerdings kann man sie auf TIDAL hören. Beim großen Fluss.de gibt es sie nur als mp3-download :rolleyes:


    Brahms Harmonik und Stimmführung ist einzigartig gut und eben genau das, was ich mir unter "Brahms" so vorstelle. Am Anfang steht Ab mit Terz C im Bass, dann Fm 5/6 mit C im Bass, später dann G7 über C im Bass. Dieses orgelpunktartige Technik mit eben jenen Akkorden (wahrscheinlich dann aber in anderer Tonart) verwendet er auch bei einem seiner bekannten Klavierstücke - komme jetzt leider nicht darauf.


    Das unglaubliche Stimmvolumen Holls, der hier auf der Höhe seiner Kunst war, wird mit einer sehr feinen Gestaltungskraft geschmackvoll kombiniert.

    Diese volltönende Bass-Stimme passt hervorragend zum ernsten Inhalt, der für mich so eine mir sehr naheliegende "Novemberstimmung" transportiert. Unglaublich schön, wie Holl hier bei "kaum zu lesen" das D aufblühen lässt. Das ist vollmusikalisch und geht unter die Haut.

    Andras Schiff spielt sehr gut - vielleicht hätte er bei der ersten Arpeggio-Figur ein kleines bisschen weniger das tiefe C anschlagen können. Der Flügel wird für meinen Geschmack etwas zu stark nach rechts abgebildet und könnte etwas voller/wärmer klingen, was aber eine Sache der Mikrofonierung und der Intonierung ist.


    Einen Vergleich mit anderen Aufnahmen, auch auf YouTube, hielt für mich dieses Decca-Einspielung des Lieds nicht nur aus, sondern es gefällt mir so tatsächlich am besten.


    Diesen Beitrag hätte ich eigentlich gerne in Helmut Hofmanns Thread gepostet, aber ich möchte da ungern die Systematik stören - er ist ja mittlerweile schon bei anderen Liedern...


    LG

    Glockenton

    Wie ich sehe, hatte Kalli zwar noch keine Gelegenheit zu antworten, aber ich möchte einmal kurz etwas zum ersten Satz mit diesem Mitschnitt hier sagen, vor allem im Vergleich mit meiner Referenzaufnahme Wand/BPO:



    Es gibt sehr viele gute Dinge zu hören. Der Orchesterklang ist herrlich dunkel und warm, es wird auf höchstem Niveau geschmackvoll und musikalisch gearbeitet. Rein vom Klanglichen her finde ich in diesem Fall den Klang des BRSO angenehmer als die WPO auf der Sony-Aufnahme.

    Im Vergleich zu Wand sind die einzelnen Tempi der Blöcke jeweils etwas anders, anfangs langsamer, dann gibt es auch wieder einen etwas schnelleren Abschnitt. Aber es entsteht auch bei Thielemann ein Narrativ, dem man gerne weiter zuhören möchte.

    Die Unisono-Arpeggien des Orchester am Anfang nach der Stelle mit den Bass-Pizzikato unter den orgelähnlichen Akkorden ( Vorhalte etc.) sind bei Thielemann etwas weniger klar, vor allem der zweite Aufgang. Man hört bei Wand die Einzelnoten besser heraus.

    Bei Thielemann klingen die Blechbläser etwas "goldener", d.h. sie gehen nicht so bald aus dem dynamischen Bereich heraus, ab dem das Blech anfängt, schärfer zu klingen.

    Die Unterschiede sind eigentlich nicht dramatisch. Man kann vielleicht generell sagen (es ist leichter, über Details zu reden), dass bei Wand etwas mehr Transparenz und Deutlichkeit vorherrscht, während die Einsätze etc. bei Thielemann etwas runder klingen, wenn sich darunter irgendjemand etwas vorstellen kann.


    Meine Lieblingsstelle mit der Inversion der Rollen ( die Basspizzikati des Anfangs liegen nun in der Flöte - überirdisch) überzeugt mich mehr bei Wand, weil er sie kürzer artikulieren läßt. Dass sie bei Thielemann im gestreckten Portato daherkommen, klingt mir nicht ganz plausibel.

    Das sind allerdings eher Kleinigkeiten über die man diskutieren kann.

    Im Großen und Ganzen ist diese Thielemann-Aufführung außerordentlich gut gelungen und käme in meine Spitzengruppe. Es gibt aus meiner Sicht kaum einen härteren Vergleich als den mit der Wand-Interpretation(en).


    Bisher hatte ich allerdings nur die Zeit, mir den ersten Satz vorzunehmen. Mehr ggf. später ;)

    Eines ist klar: für die Standardklatsche, die er bei Hurwitz immer für seinen Bruckner bekommt, gibt diese Aufführung nichts her. Sie ist schon sehr schön.


    Wer interessiert ist, kann ja zuhören...


    LG:hello:

    Glockenton

    Lieber Christian B.,


    ich habe heute morgen schon in diesen YouTube-Film hineingehört, allerdings aus Zeitgründen nur über die Lautsprecher des iPhones beim Frühstück.

    Es hat mich auch sehr interessiert.


    Ich hoffe, dass ich es in der Woche einmal ordentlich hören kann, aber ich ahne schon, was für mich so in etwa dabei herauskommt...


    Jetzt ist es dafür zu spät - habe den ganzen Tag Noten geschrieben, dann Essen gemacht, wieder Noten geschrieben... und jetzt um 23.27 Uhr kann ich nicht mehr.


    Bis dahin,


    LG:hello:

    Glockenton

    Aufgrund der Verisse in Rondo und sonstigen Blättern/Plattformen habe ich mir damals die Blue-rays mit den Beethoven-Symphonien aus Neugierde aus der Musikbibliothek der NMH in Oslo ausgeliehen. Ich gewann einen sehr gegenteiligen Eindruck. Da wurde auf höchstem Niveau, musikalisch und im Detail gut ausgearbeitet musiziert. Es dauerte nicht lange und die Blue-rays befanden sich in meinem Postkasten.


    Mir gefallen hierbei folgende Beethoven-Symphonien außerordentlich gut:


    1/2/4/6/8


    Bei der ersten und zweiten Symphonie gibt es einen edlen Klang plus eine sich durchaus auf der Höhe der Zeit befindene Phrasierung und Artikulation.

    Bei der Sechsten sieht man die idyllische Szenen mit den Ohren - das ist sehr selten. Diese Sechste steht für mich auf gleicher Stufe mit meiner Referenz, Giulini (Emi), auch wenn es natürlich anders klingt.

    Die Achte erfordert einen Sinn für den Humor in der Musik. Auch hier kann Thielemann mich sehr überzeugen (Karajan eigentlich nicht, Böhm auch nicht)


    Für die Eroica, die Fünfte und die Neunte bleibe ich bei Herbert von Karajan, für die Siebte finde ich den hier rhytmisch exakten Sir Georg Solti mit dem Chicago Symphony Orchestra am besten.


    Aber insgesamt gesehen, möchte ich diesen Beethoven-Zyklus nicht missen.


    Ebenfalls schön gelungen finde ich auch Wagners Götterdämmerung in dieser Einspielung:



    Man kann hier in sie hineinhören, allerdings in eindeutig schlechterer Klangqualität als bei der CD:



    Da es eine Live-Aufnahme aus Bayreuth ist, muss man sich nicht wundern, dass das Orchester etwas abgedämpfte, d.h. "gedeckelter" klingt, als wie man es z.B. von der klassischen Solti-Aufnahme her kennt. Als audiophil möchte ich diesen Mitschnitt nicht bezeichnen.

    Allerdings höre ich viel Positives.

    Ich kann mich auch der Ansicht anschließen, dass Thielemann viel von Ökonomie versteht, d.h. die Energien nicht gleich am Anfang verbrauchen.


    Seine eigentlich romantisch-pianistisch gedachten poco rit. und a tempo- Übergänge (oder verlängerte Generalpausen etc. ) finde ich dann gut, wenn sie Sinn machen, d.h. wenn man es nicht auch genauso gut (wenn nicht besser) ohne diese agogischen Dinge machen könnte.


    Es gibt eine Stelle im ersten Satz der Vierten von Bruckner, die er sehr "Thielemannisch" macht, hier mit den Berliner Philharmonikern. Am besten, man hört sich den ganzen Abschnitt an. Wem das zuviel ist, dann wenigstens ab 1.09, um des Zusammenhangs willen. Die Stelle befindet sich bei 1.21 bis 1.31.



    Durch diese agogische Maßnahme hört man den rhythmischen Reiz 2 gegen 3 noch deutlicher. Danach geht er wieder schön ins Tempo. Mir kann das gefallen.

    Klanglich finde ich diese Aufnahme sogar runder als die CD mit den heller klingenden Wiener Philharmonikern, die ansonsten von der gleichen Interpretation geprägt ist. Die Sony-Aufnahmen leider m.E. auch unter einer zu dicht abgenommenen Querflöte.

    Ich müsste die digitalconcerthall abonnieren, um die ganze Aufführung mit den Berlinern genießen zu können. Leider sind da naturgemäß auch viele Petrenko-Mitschnitte im Angebot. Ich verstehe nicht ganz, weshalb dieser Mann den Chefposten bekam. Der Klang ist immer stumpfer und weniger typisch BPO als bei Karajan, Abbado oder Rattle. Dazu kommt noch, dass er für mein Dafürhalten oft einen Tacken zu schnell dirigiert - mindestens, wenn nicht noch mehr.

    Sollte ich dennoch meine Geldbörse für dieses digitale Angebot öffnen, dann wäre z.B. diese Vierte von Bruckner mit Thielemann ein gutes Argument dafür, auch einige schöne Stellen beim Brahms Requiem, auch mit Thielemann.


    Ich sage nicht "alles unter Thielemann ist super", aber es gibt schon viele Aufführungen, die ihn als Schwergewicht in der heutigen Interpretationslandschaft ausweisen.

    Sehr schön finde ich z.B. auch immer, wie er das Vorspiel zum "Lohengrin" angeht.


    Diese außermusikalischen Dinge wie Scheitel oder die davon abgeleitete nicht politisch korrekte (also grüne) Gesinnung sind mir vollkommen egal. Es zählt, wie es klingt.

    Die Geigerin Lisa Batiashvili äußerte neulich, dass ein Musiker verpflichtet sei, sich in den politischen Diskurs einzumischen. Bei allem Respekt: ich interessiere mich z.B. für ihren Brahms (sehr schön, hier zusammen mit Thielemann), finde aber, dass ihre politischen Meinungen zum Thema Klima usw. nicht in irgendeiner Weise mehr Gewicht hätten, nur weil sie eine bekannte Geigerin ist.


    Aber gut, das hier ist auch eine schöne Brahms-CD:



    Ich mag es, ihm beim Dirigieren zuzusehen. Er macht es vollkommen anders, als man es uns in Oslo in Dirigierkursen beibringen wollte. Gegenüber den Mitstudenten habe ich ihn erwähnt (keiner kannte den, welche Aufnahme eines Werkes man sich zum Anhören wählt, war fast allen wurscht) aber nicht gegenüber dem hauptsächlich weiblichen Unterrichtspersonal. Denen war es wichtig, dass endlich auch Frauen als Dirigentinnen herausgehoben werden. Da wäre meine Begeisterung für diesen vermeintlich Konservativen, der dann auch noch unorthodoxe Bewegungen macht, wohl kaum auf Gegenliebe gestoßen. Gerade deswegen mochte ich ihn umso mehr, insbesondere in dieser Zeit.

    Manchmal serviert er z.B. den Streichern links die Einsätze wie ein Kellner - herrlich, ich mag das.

    Oder er beugt die Knie und macht kleine rhythmische Impulse mit beiden Händen, nur aus dem Handgelenk heraus. Ich verstehe auch, was er dann jeweils meint und kann von dieser Körpersprache nur lernen.

    Generell mag ich es, guten Dirigenten zuzusehen um zu verstehen, "wie die das machen". Bei Karajan kommt man da manchmal in den Bereich des Unerklärlichen....


    LG:hello:

    Glockenton

    "Wer würde der Interpretation des Pianisten auf diesem Instrument mangelnde Wahrhaftigkeit vorwerfen?"

    Ich. Und ich versuche das gleich weiter unten zu begründen.



    Robert Levin spielt die Wiederholungen wie Schoonderwoerd mit Veränderungen. So muss es sein. Die Kenner werden die Abweichungen sofort erkennen.

    Man erkennt jedenfalls deutlich, ab wann wir nicht mehr Mozart, sondern Levin hören. Die Frage dabei ist: will ich ausgerechnet bei Mozart (und nicht etwa bei Geminiani, Marcello oder Mr. Handel) und ausgerechnet auf einer sich beim erneuten Abspielen exakt wiederholenden Aufnahme hören, was für Diminutionsideen ein Robert Levin hat? Ist Mozarts Musik so wie Handel Adagio e staccato so komponiert, dass die Phantasie des Solisten herausgefordert wird?



    Bei Handel beantworte ich die Frage mit ja, bei Mozart mit nein. Im Gegensatz zu den meisten Barockkomponisten ( nicht Bach, nicht die französischen) haben Leute wie Haydn oder Mozart den ganz überwältigenden Anteil der zu spielenden Noten ausgeschrieben.

    Wenn man vor allem auf einer zwangsläufig festgelegten Aufnahme bei den Wiederholungen sich große Freiheiten erlaubt, dann bekommen die Veränderungen für den Hörer einen obligatorischen Charakter.

    So werden die Wiederholungen mit großer Freiheit ausgeschmückt, mit abgeänderten Details in der Melodie, der Begleitung und, je nach Anlass, der Harmonie, und sogar mit kurzen Interpolationen (zusätzliches Material, das zwischen den musikalischen Phrasen eingefügt wird)."

    Reharmonisieren und das Einfügen eigenen musikalischen Materials bei Mozart? Wenn der Improvisator W.A. Mozart das tatsächlich machte, dann wird es vermutlich auf dem Niveau des Komponisten Mozart gewesen sein. Wer sonst möchte von sich behaupten, dass er etwas schreiben oder gar improvisieren kann, was auf dem Niveau Mozarts wäre? Herbert Tachezi machte so etwas bei Handel, hat sogar eine schöne eigene Fuge an einer Stelle gespielt, an der Handel nur schrieb "hier eine Fuge auf der Orgel spielen". Es klingt tatsächlich nach Handel. Nun war Tachezi ja nicht nur Continuospieler und Solist im Concentus musicus Wien, sondern auch Professor für Komposition und Improvisation. Doch das nur nebenbei. Bei Handel klingt es überzeugend, weil sein Stil und seine Art zu Komponieren dazu auffordert. Bei Mozart jedoch möchte ich an solche Dinge doch mehr als ein dickes Fragezeichen setzen. Niemand kann auf Mozarts Niveau schreiben oder improvisieren.


    Muss das also sein? Nein, auf keinen Fall. Ich finde sogar: es sollte besser nicht sein. Man sollte vielmehr aufpassen, nicht in die Falle des Verschlimmbesserns zu tappen.


    Gäbe es diese Erscheinung nicht schon länger, könnte man darin glatt eine Parallele zu ähnlich fundamentalistischen Positionen im heutigen politischen Diskurs sehen.

    ...und in eben diese Richtung geht auch jene..... sagen wir doch einigermaßen erstaunliche Aussage, dass eine neue Aufnahme mit einer vermeintlich "korrekteren" Ausführung der Vorschläge die vorhergehenden Aufnahmen obsolet mache.


    Es geht den Interpreten der historisch informierten Aufführungspraxis wie wie jedem die Historie Untersuchenden nicht um Rechthaberei sondern das Erkunden der ursprünglichen Intentionen der Komponisten.

    Auch das bestreite ich.

    Wenn man sagt "so wie ihr das auf dem Steinway, Bösendorfer, Bechstein, Yamaha etc. gemacht habt oder macht, entspricht es garantiert nicht den ursprünglichen Intentionen des Komponisten; aber so wie wir es hier machen, vor allem was die Wahl der Instrumente anbelangt, kommen wir jeden Fall jenen Intentionen näher als ihr", dann ist das auf jeden Fall Rechthaberei. Man gesteht zwar scheinbar tolerant den "modernen" Interpretationen ihre Berechtigung im Sinne einer demokratischen Vielfalt zu, aber man sagt gleichzeitig, dass man es selbst doch zumindestens weniger falsch spiele, dichter an der "Wahrheit" wäre. Immerhin wären ja "die Fakten" eindeutig, wie z.B. der Fakt, dass Mozart den modernen Flügel ja nicht kennen konnte.


    Jetzt kann man die Pilatus-Frage stellen: Was ist Wahrheit?


    Die Antwort darauf steht nicht in einem für die Mozart-Zeit schon wieder veralteten Buch von C.P.E.Bach und die Wahrheit wird auch nicht durch einen Hammerflügel representiert.

    Meine Antwort auf die Frage: die Wahrheit steht in der Partitur Mozarts. Je mehr man in der Zeit zurückgeht, desto mehr stellen die Noten nur so eine Art Gerüst dar ( siehe Handel-Beispiel oben) - das weiß ich wohl. Aber bei einer Partitur Mozarts sind auf jeden Fall folgende Dinge garantiert enthalten: Melodie, Harmonie und Rhythmus, dazu einige Eintragungen zur Artikulation und zum Tempo. Wer Musik wirklich kann, sensibel ist und von mir aus auch über Kenntnisse zum Phrasieren etc. dieser Epoche verfügt, für den wird sich in etwa ein musikalisches Bild über die expressiven Intentionen des Komponisten ergeben.


    Es ist eine kleinliche Begrenzung von überaus begabten Musikern und Komponisten (wie Mozart) zu postulieren, dieser kannte ja nur das Hammerklavier und konnte dementsprechend nur in den Dimensionen und Begrenzungen dieses Instruments denken.

    Ich behaupte: ein Komponist wie Mozart dachte weniger "in Hammerklavier", sondern viel mehr in Musik. Er hat eine ganze Oper im Kopf fertigkomponiert, um sie dann später irgendwann aufzuschreiben, wie er es in einem Brief an seinen Vater einmal erwähnte.


    Die musikalische Intention eines Komponisten und damit auch Mozarts kommt zunächst einmal hierdurch zum Vorschein:


    Der melodisch-gestische Ausdruck entsteht durch das Hintereinandersetzen von Tönen (ist eigentlich von der Harmonie nicht wirklich zu trennen, weil eine Melodie sich ja auch im expressiven Charakter einer bestimmten Skala bewegt); der harmonische Ausdruck dadurch, dass man die Intervalle gegeneinander schwingen lässt und der rhytmische Ausdruck (= Bewegungen über einem Grundpuls) entsteht eben durch die verwendeten Rhythmen. All diese Elemente erzeugen im Musiker und im Hörer Emotionen und Bewegunen, sowohl innerlich als auch körperlich.

    Durch die Kombination dieser drei Elemente Melodie, Harmonie und Rhythmus entsteht Musik, vereinfachend gesagt.

    In einer Partitur stehen zu aller erst diese drei Elemente. Ich möchte das einmal als "abstrakte Musik" bezeichnen.

    Natürlich kann es sein, dass man beim Improvisieren/Spielen mit einem bestimmten Instrument auf bestimmte Ideen kommt, auf die man auf einem anderen Instrument nicht gekommen wäre. Das ändert aber nichts daran, dass es zunächst um eben diesen abstrakten musikalischen Ausdruck aus Melodie, Harmonie und Rhythmus geht. Der eigene, durchaus auch unvollkommene Gesang liegt dem Ursprung der musikalischen Idee m.E. am nächsten. Es hat einen Grund, warum vor allem Pianisten beim Interpretieren oder Improvisieren mehr oder weniger merkbar mitsingen/mitbrummen.


    Dann überlegt sich unser Komponist, mit welchen Vehikeln (=Instrumenten) man diese Ideen am effektivsten zum Hörer transportiert. Ein ganz bestimmter Instrumentenklang ist da keineswegs ein Fetisch, auch wenn es den musikhistorisch Informierten gar nicht so gefällt.


    Natürlich kann man von der Faktur her erkennen, ob etwas für eine Flöte, eine Violine oder ein Tasteninstrument geschrieben wurde. Hätte aber z.B. Bach gewisse Sätze aus seinen Cembalokonzerten (die höchstwahrscheinlich von verschollenen Konzerten für Oboe, Violine oder Violinen stammen...) nicht als Vorspiele für Kantaten mit konzertierender Orgel wiederverwendet, dann wäre der Aufschrei der radikalen HIP-Freunde wahrscheinlich groß, wenn jemand es heutzutage wagte, jene Musik auf der Orgel statt auf dem "richtigen" Cembalo zu spielen.

    Nun hat er es aber selbst so gemacht, weswegen der Aufschrei vermutlich ausbleibt.


    In Mozarts Klavierkonzerten erkennt man nun als Musiker zwei Dinge sehr deutlich:

    1. die Motive wandern dialogisch oft zwischen rechter Hand des Pianisten und gewissen Solisten des Orchesters hin und her, bzw. ein vollgriffiger Klaviersatz steht ahmt den Tutti-Satz des Orchesters ebenfalles dialogisch nach.

    2. die Melodien der rechten Hand erinnern den Pianisten oft an Opernsängerinnen, vor allem dann, wenn man Mozarts Opern kennt.


    Was erkennt man nun daraus? Mozart wünschte sich eine hohe kantable Qualität, die sich eben durch die kompositorische Struktur seiner Kantilenen geradezu zwingend ergibt. In seinen Konzerten werden diese Figuren, Melodien und Motive von singenden Instrumenten wie den Holzbläsern oder von Violinen übernommen. Es ist unwahrscheinlich, dass Mozart ein kurzes Peng oder Zang gegenüber einem feindifferenzierbaren Sustain eines modernen Instruments vorzöge, denn er hat seine Klaviermusik so geschrieben, dass sie nach geradezu nach cantabile ruft.


    Paul Bekker hat - sehr gut nachvollziehbar finde ich - in Bezug auf Beethoven die These vertreten, dass Beethovens Klangvorstellung so etwas wie ein Klangideal sei, sich also auf gar kein konkretes Instrument bezieht.

    Ja eben, genau so. Vielleicht hat jemand auf YouTube einmal gesehen, wie große Pianisten/Pianistinnen sich einen baugleichen Flügel z.B. bei Steinway aussuchen. Sie gehen von einem musikalischen Ideal aus und bewerten den konkreten Flügel danach, wie gut man damit dieses inmaterielle Ideal in die materielle Welt bringen kann. Wünsche ich mir eine weiche Begleitung in der linken Hand, zu der die rechte Hand eine schön singende Melodie zelebrieren kann (durchaus mit der Klangvorstellung Flöte, Sänger, Oboe....), dann suche ich mir eben jenes Instrument unter den an sich schon hervorragenden Steinways aus, mit dessen Hilfe ich diese musikalischen Vorstellung am natürlichsten realisieren kann. Je besser z.B. die Mechanik ist, desto leichter fällt es, bestimmte Differenzierungen, die man sich rein musikalisch vorstellt auch zu realisieren.


    Nun habe ich mir einmal das Allegro der Sonate Nr. 1 7 Bb-Dur, K 570 angehört, sowohl mit Levin, als auch mit Uchida und Pires. Wahrscheinlich werden alle zutiefst geschockt sein, dass mir Uchidas Version am besten gefällt, was auch etwas mit ihrer Musiker-Persönlichkeit zu tun hat.

    Aber halten wir uns an die Fakten, d.h. an das, was tatsächlich zu hören ist: Levin setzt häufiger mit eindeutig kleingliedrigeren Artikulationsabsichten ab. Gleich am Anfang verweilt er agogisch auf bestimmten Tönen länger zu Lasten der darauffolgenden Töne. Solche Dinge machte man im Barock vor allem auf dem Cembalo, aber auch etwas weniger stark auf der Orgel. Mit diesen Dingen, die Mozarts Musik m.E. schon nicht mehr in dieser Stärke braucht, versetzt er die Musik in die Vergangenheit vor Mozart.

    Man kann es mögen - ich mag es nicht.


    Dann kommen eben die Kantilenen und die Alberti-Begleitungen der linken Hand. Für mich klingt bei ihm die linke Hand zu laut, während die rechte eigentlich entlang der musikalischen Ideen ein besseres Kantabile aufweisen müsste. Das geht jedoch aufgrund der Begrenzungen des Instruments nicht. Ich füge gerne anerkennend hinzu, dass Levin sehr virtuos spielen kann, dass er musikalisch mehr überzeugt als Schoonderwoerd und auch sein Instrument wesentlich angenehmer klingt.

    Aber im Vergleich mit Uchida oder Pires haben diese Interpretationen für mich das Nachsehen. Wenn ich mir die musikalischen Ideen Mozarts anhöre, dann finde ich, dass Uchida und Pires diesen Intentionen tatsächlicher näher kommen.

    Zudem ist auch diese Sonate durchaus z.B. als Harmoniemusik vorstellbar, also für Holz-und Blechbläser plus einem Kontrabass.

    Ich höre das geradezu in dieser Besetzung, gerade am Anfang.


    Mir ist eine deutsche Filmkomponistin bekannt, die in Hollywood durchaus erfolgreich arbeitet. Sie fängt meistens mit einer Idee auf dem Klavier an.

    Dann überlegt sie sich, wie man diese Idee orchestrieren kann. Da gibt es dann für ein und dieselbe Klavieridee sehr unterschiedliche Stile der Orchestrierung.

    Ich erzähle es deshalb, weil ich finde, dass man als Interpret dieser Klaviermusik sich durchaus solche Dinge vorstellen kann, ja vorstellen sollte. Das schöne am modernen Klavier ist ja, dass es alles mögliche sein kann, dass man sich sehr viel vorstellen und es dann auch sehr differenziert umsetzen kann.


    Manchmal ist dann für meinen Geschmack sogar die "imaginäre" Klavierversion schöner als die von einem Komponisten später geschriebene Instrumentierung. Hier denke ich vor allem an Brahms f-moll für zwei Klavier (gibt es auf Drängeln von Clara Schumann in einer Version mit Klavier und Streichquartett) und die Haydn-Variationen (die Brahms später orchestrierte), auch für zwei Klaviere, jedenfalls wenn man sie mit den Kontarskys oder auch mit Matthies/Köhn kennt.


    Höre ich jedoch ein Hammerklavier, dann höre ich nur ein Hammerklavier. Es steht zwischen der Musik und dem Hörer, weil es meiner Ansicht nach noch kein ausgereiftes Instrument war.


    LG:hello:

    Glockenton

    Die Suche nach dem "Authentischen" ist eine Erscheinung unserer Zeit, und sie wird, davon bin ich überzeugt, anderen Erscheinungen Platz machen. Das "Ende der Geschichte" war noch nie das Ende...


    Die meisten Werke die hier ausserhalb des Mainstreams besprochen werden könnten ohne die heutige Aufnahmeindustrie nicht bestehen...

    Glücklicherweise haben wir die aber


    meine Antwort auf beide Aussagen: wie wahr :yes:



    LG:hello:

    Glockenton

    Mich nicht ;). Ich finde das Anfangstempo für ein Allegretto einfach viel zu schnell. Natürlich kann man nicht objektiv entscheiden, was "Allegretto" bedeutet, aber man sollte doch bei seiner Entscheidung eine Art abgestuftes System berücksichtigen, also z.B. überlegen, wie man den Satz spielen würde, wenn er "Allegro" überschrieben wäre, wie bei "Allegro con brio" usw.. "Allegretto" kann dann nicht wie tendentiell bei Andsnes das schnellstmögliche Tempo sein. Und auch die Proportionen zum abschließenden Presto stimmen dadurch nicht: Dessen Grundpuls geht in ganzen Takten, und dieser Puls ist bei Andsnes sogar langsamer als der halbtaktige Puls davor. Das "Presto" wirkt deshalb paradoxerweise langsamer als das Allegretto am Anfang.

    Ich kann Deine Überlegungen nachvollziehen und muss zugeben, dass bei mir das Thema der Temporelationen durch das direkte hin- und her-Vergleichen in den Hintergrund gedrängt wurde. Es ist eben gefährlich, etwas über Werke zu sagen, mit denen man nicht so lange gelebt hat, wie es bei mir z.B. mit nicht wenigen Werken Bachs der Fall ist.

    Auch durch den Übergang in Takt 165 bis 170 habe ich die Teile eher wie getrennte Stücke gehört. Jetzt wird mir deutlicher, warum Tate/Uchida es zunächst langsamer angehen.


    Doch die "drängende" breite Artikulation der Viertel Violine 1 Takt 9 mit Auftakt und ff. erscheint mir als gute Idee, die man vielleicht auch im langsameren Tempo versuchen kann, wobei man dann erst beim dritten und vierten Viertel anfinge, breiter zu werden, weil es im langsameren Tempo sonst zu merkwürdig klänge.

    "Klingt nach Harnoncourt" - dachte ich, beim Hören dieser Andsnes-CD Satz 3, speziell bei dieser Stelle.

    Einmal in die Harnoncourt/Lang Lang-Aufnahme hineingehört, und ich wurde eines Besseren belehrt. Er macht es da gar nicht in dieser Weise. Dafür artikuliert er die Achtel zweite Hälfte Takt 3 (und Parallelstellen) drei gebunden und eine gestoßen, ganz entlang der "alten Regeln": badelap pa pa, während Tate staccato spielen lässt.

    Ich würde da ggf. ein sehr enges Portato vorschlagen, wobei ich die dritte Note, hier ein C, nur ein ganz kleines bisschen kürzer als die anderen artikulieren würde. Das hat dann eine stärkere figurative Innenspannung, als wie es damals mit Tate gemacht wurde.

    Aber das müsste man probieren. Ich jedoch werde in die Situation eh nicht kommen... ^^



    auf Deine Beschreibung hin habe ich mir Andsnes in Ausschnitten zumindest angehört. Wie Du das charakterisierst und empfiehlst, genauso ist es. :) Nur genau damit habe ich dann doch ein gewisses Problem. Wie wunderbar romantisch klingt das - wie nicht anders zu erwarten ganz hervorragende - Cleveland Orchestra mit Mitsuko Uchida zu Beginn des langsamen Satzes. Bei Andsness dagegen bekommt man sozusagen "HIP soft" oder "HIP light", es wird so ein bisschen "barockisiert". Damit entsteht aber auch keine romantische Stimmung, die einen bei Uchida, Rubinstein/Wallenstein, Pires/Abbado oder Pollini so betören kann. Das "Andsnes-Problem" ist finde ich: Gerade weil die affektiven Härten des barock-rhetorischen Stils in geglätteter und gezähmter Form präsentiert werden, wirkt das um so mehr glatt geglättet, "gesoftet". Auch im ersten und letzten Satz - die sicher sehr klassisch kultiviert gespielt sind - erlebe ich diese Glätte, so dass ich mit dieser Aufnahme nie so richtig "warm werde", wie man so schön sagt. Da fehlt mir das "gewisse Etwas", was etwa ein Alexis Weissenberg in KV 271 bei aller Klassizität dann als "Plus" zu bieten hat mit seiner unerhörten lyrischen Feinsinnigkeit. :hello:

    Ich bin für jeden dankbar, der ein bisschen der Lebenszeit "opfert" um mitzuhören:), lieber Holger. Wie schon einmal erwähnte: wenn man sich über bestimme Merkmale einer Interpretation erst einmal einig ist, dann ist das ein seltener Gewinn. Normalerweise redet man aneinander vorbei, was ja auch seinen Reiz haben kann, nicht wahr...;) Wie man das dann für sich selbst bewertet, ist noch eine andere Sache. Es könnte jedoch sein, dass Dir die orchestralen Teile und überhaupt die ganze CD besser gefiele, wenn Du es nicht nur in kleinen Ausschnitten hören könntest.


    Nun weiß ja nicht, ob Du mehr auf sein Klavierspiel oder das Orchester gehört hast. Ich finde selbstverständlich, dass er super spielen und in jener Liga, in der die Luft dünn wird (genau wie in der Spitzenpolitik: die Todeszone 8) ) durchaus mitmischen kann.

    Hier finde ich aber vor allem das norwegische Orchester sehr interessant, merkwürdigerweise sogar eindeutig besser, als bei seiner neuen Einspielung mit dem Mahler Chamber Orchestra, ein Orchester, für das sich neuerdings Dame Mitsuko Uchida besonders engagiert, wenn ich mich nicht ganz irre.

    Deren "alte" Aufnahme mit Tate (mit sehr kleinen klanglichen und orchestralen Abstrichen auch die neue mit den Musikern aus Cleveland) bleibt für mich jedenfalls die Nr. 1 für dieses Konzert.


    Ihr Musizieren hat so etwas mit sich, dass auf mich wie ein Sog wirkt. Ich merke, dass es sich lohnt, hinzuhören.

    Sie kann da irgendwie bei mir eine Saite zum Schwingen bringen. Über das Thema, wie wichtig einem solche "Beziehungen" oder sagen wir besser "gefühlte Bindungen" zu ausgewählten Interpreten sind, könnte man ggf. einmal einen Thread starten, falls es den noch nicht gibt. Das könnte ja interessant sein, falls es außer mir noch andere Leute gäbe, die nahezu blind (oder taub...) CDs von Lieblingsdirigenten, Pianisten etc. bereit sind zu bestellen. In der heutigen Zeit mit dem Online-Zugriff muss der Abonnent ja nicht mehr vertrauen, sondern kann in voller Länge und möglicherweise in High-Res. seinen Eindruck gewinnen.

    Das gehörte dann aber hier nicht hin. Jedenfalls ist Uchida bei mir so ein Fall. Da bin ich erst einmal positiv voreingenommen....ach ja, was für eine wunderbare Pianistin :love:


    Es hält mich jedoch nicht davon ab, bei den Anderen gut hinzuhören! Man kann immer nur lernen.


    Gruß:hello:

    Glockenton

    Aber natürlich ist es nicht die Absicht von Schoonderwoerd, eine Kammermusik-Transkription einer großen Symphonie zu erstellen, sondern er meint, das sei die authentische Symphonie, wie sie eigentlich erklingen soll. Da liegt das Problem. Die Ironie dabei ist, dass ich das letztlich nur deshalb mir gut anhören kann, weil ich das ganz anders höre - als Transkription eben - als Schoonderwoerld es eigentlich beabsichtigt. ^^

    So ist es, lieber Holger.

    Interessant ist ja auch, dass extreme HIP-Apologeten es genau anders herum sehen: wer Bach, Mozart, Beethoven, Schubert usw. auf dem Steinway hört, müsse dann auch wissen, dass das nur eine Bearbeitung sei, also im Grunde genommen schon in die Richtung der Orchesterbearbeitungen Stokowkis geht, der ja einige Bach-Orgelwerke für Orchester arrangierte.


    Den YouTube-Film über die Erstaufführung der Eroica kannte ich schon vorher, habe ihn aber gestern noch einmal angeschaut.

    Da spielt ja ein Orchester mit mehrfach besetzen Streichern. Bei allem unmusikalischen Beiwerk (der Beethoven-Schauspieler ist definitiv kein Musiker, und das Frauen-Beeindrucken mit Musik assoziere ich eigentlich mehr mit dem Salon und Chopin... :untertauch: ) fand ich es dennoch beeindruckend, dass spürbar wird, welch ein Einschnitt diese Symphonie und diese Klangsprache gewesen sein muss, nicht nur beim ersten Satz, sondern auch beim Trauermarsch. So etwas gab es vorher nicht und so schnell auch nicht danach. Ich habe mich gefragt, ob die damals Anwesenden jener Uraufführung den Gänsehaut erzeugenden Hauch des Genialen spüren konnten.


    Ich glaube, der Grund ist ein anderer: Furtwängler und Richter waren Musiker ihrer Zeit, nicht unserer. Und über die Musiker unserer Zeit wird dieselbe genauso hinweggehen wie über sie.

    Jein. Wir leben ja in der historisch bisher einmaligen Situation, dass wir über die westliche Musikgeschichte von der Gregorianik bis zur Moderne einen Überblick haben, also kulturell in Bezug auf die Musik weniger nur in unserer Zeit "stecken".

    Hinzu kommt dann noch, dass wir mittlerweile über einen die Lebenszeit eines Menschen überschreitenden Überblick über Tonkonserven verfügen. Viele Aufnahmen von Musikern, die schon längst verstorben sind liegen uns in ansprechender, oft auch in hervorragender Aufnahmetechnik vor. Durch riesige aufgefüllte CD-Regale, Streamingplattformen oder YouTube können wir online vergleichen.

    Hier beschäftigen wir uns ja mit der klassischen Musik. Sie heißt so, weil sie aufgrund ihrer Qualität den Zahn der Zeit überdauern konnte, behaupte ich einmal kühn.

    Gerade auch bei den Interpretationen der "alten Musik" ( hiermit meine ich jetzt ausnahmsweise alles, was nicht in den letzten drei Jahren entstand...) gab und gibt es modische Erscheinungen. Das Eine ist "in" und das Andere dann wieder "out".

    Der Mensch lernt von den Errungenschaften und "Fehlern" der "Oldschooler" (oder er meint jedenfalls, etwas gelernt zu haben, hat aber nicht viel verstanden) und macht dann wieder neue Fehler, oder kann mit neuen "Errungenschaften" beitragen.

    Aber es gibt auch bei den Interpretationen "Klassiker", die sich über die Jahre und Jahrzehnte halten und durchsetzen können. Ein Beispiel wäre Wagners Ring mit Solti. Ist über den die Zeit hinweggegangen? Ich meine nicht. Selbst der Klang ist top.


    Aber es gab im letzten Jahrhundert sehr substanzielle und notwendige Veränderung in der Aufführungspraxis der "Alten Musik" (jetzt meine ich damit Frühbarock, Barock ....) die musikalisch nicht nur anders klangen, weil man sich im Markt profilieren wollte, sondern weil diese aus der Musik selbst heraus überzeugen konnten, was viel mit einem erweiterten Verstehen beim Hören zu tun haben kann. Wenn man Anknüpfungspunkte für das eigene Musikverständnis findet, dann empfindet man auch stärker und favorisiert jene Interpretation, bei der das möglich wird.


    Andereseits haben die prominenten Vertreter der historisch orientierten Aufführungspraxis oft gesagt, man könne sich sicher sein, dass spätere Generationen den z.B. aktuellen Bachstil lächerlich finden und ablehnen werden.


    Noch in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Lautstärke: ich zweifle keine Sekunde daran, dass so ein Konzert mit Haselböck in Wien sich sehr mitreißend angefühlt und geklungen hat.

    Im Klangbild sozusagen "drin" zu sein, ist aus meiner Erfahrung sehr förderlich für ein starkes Musikerlebnis. Wenn man also in einem großen Musiksaal weit hinten sitzt, wird die gefühlte Lautstärke geringer sein, als wenn man relativ dicht einem vergleichsweise dünn besetzten Originalklang-Ensemble sitzt. Schon in jungen Jahren hörte ich gerne mit einem guten Kopfhörer (damals noch Jecklin Float), was sich bis heute nicht geändert hat ( Stax, Sennheiser, AKG, Beyerdynamics). Ich finde auch, dass der Mensch eine gewisse Lautstärke braucht, um innerlich mitgehen zu können.

    Die von mir damals als große Neuheit mit Begeisterung gehörten Leonhardt-Einspielungen der Bachschen Cembalokonzerte (nur mit jeweils einer Violine usw. ) hätte ich in der Bielefelder Oekterhalle wahrscheinlich nur in der ersten Reihe (oder besser gleich auf der Bühne) sitzend so unglaublich gut gefunden. Hört man jedoch mit einem guten Kopfhörer, dann sitzt man mitten in der Musik. Mir gefällt das sehr.


    Um auf Schoonderwoerd zurückzukommen: man kann sich die Frage stellen, in wie weit so ein -sagen wir extremes- HIP-Phänomen ohne die heutige Aufnahmeindustrie bestehen könnte. Optimal wäre es, die Konzerte so wie früher edle Barock- oder Rokokoschlösser zu verlegen. Das angepeilte erlauchte Publikum wäre dann eine vergleichsweise kleine Gruppe.

    In die Eroica unter Schoonderwoerd habe ich auch hineingehört. Man sieht ihn auf dem CD-Cover dirigieren - ist denn der Beruf des Dirigenten nicht erst viel später in der Musikwelt aufgetaucht? ;) Aber, geschenkt.

    Wollte ich die Musik mangels Notenmaterial transkribieren, wäre das sicher die beste Aufnahme. Es ist schon faszinierend, wie tief man in die Struktur der Partitur hineinhören kann, wozu auch eine gute Aufnahmetechnik beiträgt.

    Hier fehlt auch naturgemäß der irritierende Klang des von Schoonderwoerd verwendeten Hammerklaviers, doch rein musikalisch gesehen kann ich nicht finden, dass diese Interpretation es mit den bekannten Größen aufnehmen kann. Es bleibt irgendwie immer gesittet und unterhaltsam (Alfred mag so etwas ja), damit aber auch nahe an der Schwelle zur Langeweile. Da würde ich dann schon eher Gardiner oder auch Brüggen bevorzugen, wenn es denn die alten Instrumente sein sollen.


    LG:hello:

    Glockenton

    Vorhin, auf dem Weg nach Hause von der Chorprobe, hörte ich im norwegischen DAB-Klassikradio den 2. Satz dieses hier besprochenen Klavierkonzerts.

    Man begann mit solistischen Streichern, wirklich sehr schön musikalisch gespielt. Es klang nach HIP, aber nicht vibratolos, sehr transparent und beseelt, auch die Bläser machten einen wahnsinnig guten Eindruck auf mich.

    Ja Mensch - ist das denn der Schoonderwoerd? Tu ich dem guten Mann etwa Unrecht?

    Dann kommt das Klavier - es klingt sehr schön und singend. Ist das der Hammerflügel?! Klingt der so gut? Der Pianist ist ja ganz hervorragend - das kann doch nicht sein?!! Die zelebrieren da durchaus große Kunst!

    Ich musste so lange es noch lief anhalten und mit dem Mobiltelefon recherchieren, wer das denn wohl spielt.


    "Leider" war es nicht Schoonderwoerd ( sonst hätte ich hier die ganz große Asche- auf mein Haupt- Nummer fahren müssen) sondern Leif Ove Andsnes mit dem Norwegian Chamber Orchestra. Natürlich - NRK spielt ja meistens Andsnes!


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    Aber ich war doch ob der hohen Musikalität, der historisch informierten Artikulation, der Transparenz uvm. sehr positiv überrascht. Ich muss hinzufügen, dass über die Lautsprecheranlage des Autos meiner Frau der Klang des modernen Flügels etwas mehr in Richtung Hammerklavier tendiert...und ich aufgrund der aktuellen Schoonderwoerd-Diskussion eh voreingenommen war ;)


    Zu Hause angekommen, fand ich die Aufnahme auf TIDAL (übrigens schon wieder nicht bei JPC) und habe sie mir gerade vollständig mit dem DT1770pro angehört. Doch ja, die ist wirklich sehr zu empfehlen. An manchen längeren betonten Streichernoten hätten sie für meinen Geschmack etwas mehr vibrieren können. Aber gut, das sind sehr wenige Details. Dafür gibt es aber außerordentlich viele Stellen, bei denen mich die Holzbläser durchweg begeistern können! Die Flöte hat einen schönen Ton und vor allem das Fagott - o Mann, das Fagott!

    Da die Aufnahme und die Spielweise sehr transparent ist, kann man z.B. bei der Sequenz ab Takt 126 erster Satz sehr schön hören, was das Fagott da eigentlich für tolle Sachen macht. Es fügt sich jedoch in den runden und guten Gesamteindruck ein.


    Auch den letzten Satz mag ich in dieser Aufführung. Die Wahl der Tempi kann überzeugen, vor allem auch die zielgerichtete Artikulation der Tonwiederholungen, Violine 1 Takt 9 (nach dem Doppelstrich) wundert mich geradezu. Da hat doch einer was verstanden - sehr schön!


    Andsnes spielt einen wirklich ansprechenden Mozart. Sein Anschlag ist etwas heller und weniger "mystisch" als bei meiner Favoritin Mitsuko Uchida. Aber ich finde ihn hier besser, als mir die Pianisten bei so manchen (nicht allen) anderen Einspielungen vorkamen.

    Nun gut, die Alberti-Begleitung im Anfang Satz 1 spielt er legato, nur wenig Pedal und für meinen Geschmack etwas zu laut. Nach meinen Geschmack ist es besser, hier entweder die Zehenspitzen in der linken Hand auszufahren (Uchida) oder den weich- pulsierenden Teppich (Brendel). Doch im Verlauf des Konzerts geht es schon ziemlich gut, d.h. er spielt hier auf höchstem internationalen Niveau. Auch die Kadenz Satz 1 finde ich bei Uchida besser, warum siehe weiter oben - na gut.

    Aber dieses Andsnes-Einspielung hat einen großen Vorteil, nämlich im Bereich des Orchesters, wie ich finde.

    Die Streicher machen definitiv nicht den goldenen Klang der Wiener Philharmoniker, spielen aber durchaus nicht ohne Vibrato. So wie die Freiburger und dergleichen klingt es definitiv nicht - für mich eine positive Nachricht.

    Es ist sehr deutlich HIP-orientiert, aber doch gleichzeitig schön, ohne überflüssiges Zeigen-Wollen, ohne dieses "jetzt wollen wir hier mal einen Punkt machen", was ja die Balance bei Mozart erfahrungsgemäß eher kaputtmacht, als es einem lieb sein kann.


    Wer also HIP und Transparenz mag, gleichzeitig aber ein angenehmes Klangbild bevorzugt, sollte einmal in diese CD hineinhören. Eigentlich verabscheue ich, wenn "moderne" Orchester versuchen, wie ein Orchester mit Originalinstrumenten zu klingen. Aber hier.....nein, es ist tatsächlich sehr erfreulich.

    Sie wird gleich auf meiner Festplatte und dem Media Monkey landen. Ja, es ist schade, dass man die Booklets ( so weit ich weiß) nicht als PDF oder so bekommen kann.

    Aber es kann auch gut sein, dass ich mir eine CD dann doch noch kaufe, wenn sie mir Freude bereitet und unter die Kategorie "unverzichtbar" fällt.


    LG:hello:

    Glockenton

    "Ich vermute stark, dass 250 Jahre Hörgewohnheiten sich über diese Musik gelegt haben und Interpretationen, die auf historischen Fakten beruhen, daran gemessen werden." (moderato) Eine allgemein formulierte Vermutung ist keine persönliche Unterstellung.

    Lieber moderato,


    natürlich nicht. Grundsätzlich gehe ich erst einmal davon aus, dass wir hier nicht dumm genug sind, uns auf die niedere Ebene persönlicher Unterstellungen oder gar persönlicher Angriffe herabzulassen. Den Widerspruch gegen eine vertretene Meinung werte ich grundsätzlich und zunächst nur als "Infragestellung" eines Inhalts, den das "literarischen Ich" eines Diskussionsteilnehmers veröffentlichte.


    In Deiner Argumentation sehe ich einen Punkt, bei dem ich mich frage, ob das nicht ein Denkfehler sein könnte: "....Interpretationen, die auf historischen Fakten beruhen..."

    Das würde ja heißen, dass die "historischen Fakten" einen engen Rahmen vorgäben, innerhalb dessen man noch ein wenig Interpretation braucht, aber natürlich "entlang der üblichen aufführungspraktischen Regeln". Man kann also minimal noch etwas am Tempo machen ( es gibt ja auch die Ansicht, dass man z.B. bei Beethoven einfach nur das Metronom anschalten müsse etc.); und man kann ein bisschen an der Dynamik (wird durch die Partitur und die alten Regeln schon vorbestimmt) und an der Artikulation arbeiten ( auch hier geben die Partitur und die alten Regeln einen engen Rahmen vor). Viel mehr an Interpretation bräuchte man dann nicht, wenn man nur gut genug die Fakten recherchiert hätte. Hielten sich alle an die alten Regeln und würden alle Interpretationen auf historischen Fakten beruhen, dann könnte man aufnahmetechnische Unterschiede ausmachen, ansonsten klänge alles sehr ähnlich. Tatsächlich klingen Schoonderwoerds Aufnahmen auch in dieser Richtung. Hast du so ein Klavierkonzert in diesem Stil gehört, hast du damit irgendwie auch alle gehört.


    Und bis wohin ist es sinnvoll, so eine - wie ich finde- außermusikalische "auf Fakten beruhende" Denkweise überhaupt im Bereich der Musik anwenden?


    Ein Beispiel:

    Die Musik, die ich selbst schreibe, war und ist zunächst einmal für mich selbst gedacht. Ich brauchte z.B. alternative Orgelsätze für Choräle, Orgelstücke, die während der Kommunion gespielt wird oder sehr oft auch ein Präludium bzw. ein Postludium. Nun ist es schon vorgekommen, dass andere Organisten diese meine Musik spielten, weil ich z.B. als Teilnehmer einer Beerdigungsfeier nicht selbst an der Orgel sitzen konnte. Es klang dann immer sehr anders als das, was ich mir eigentlich vorstellte, und das Ergebnis war vor allem sehr abhängig von der Musikalität des Ausführenden, obwohl ich eigentlich meine, recht ordentlich und klar notiert zu haben (mit Cubase, nicht per Hand...)


    Aber ich machte auch andere, bessere Erfahrungen: für eine Beerdigung schrieb ich für eine Cellistin, die im Orchester "Oslo Philharmonie" arbeitet, einige Cellostimmen zur Orgel, in diesem Fall im barocken Stil. Wir hatten keine Zeit zum Proben, aber sie erkannte per sofort, was ich meinte, ohne dass ich Ausführungsanweisungen in die Noten schrieb, ja, ich möchte behaupten, sie übertraf sogar meine Erwartungen und Vorstellung dahingehend, wie man diese Gegenstimmen zum Cantus Firmus gut und schön spielen könne. Die Zusammenarbeit mit Profis kann so leicht und entspannend sein, verglichen mit dem täglichen Brot, dass der Kirchenmusiker meistens mit Amateuren arbeiten muss. Doch das nur nebenbei...

    Ein ähnliches Erlebnis hatte ich bei einer CD-Aufnahme, bei der auch wieder Musiker desselben guten Orchesters mitwirkten. Dort spielte ich auf dem Flügel, und der Flötist, mit dem ich aufgrund des engen Aufnahmeplans nicht ein Wort wechseln konnte, verstand sofort die Absicht und den Sinn meiner in den Noten nicht eingezeichneten "agogischen Maßnahmen" wie z.B. eine Hauptnote etwas länger zu Lasten der folgenden Noten zu spielen, um einen Betonung im Sinne einer bewegten Gestik zu erzielen. Wir waren da sofort zusammen, nicht nur handwerklich, sondern auch "vom Geiste" her.


    Warum erzähle ich das? Weil es Beispiele von vielen sind, in denen ohne Umwege in Musik entweder gut oder weniger gut mitgedacht, empfunden und ausgeführt wurde. Aus der Musik selbst ergeben sich bei entsprechenden Fähigkeiten und einem gereiften Geschmack bestimmte musikalische Entscheidungen, insbesondere dann, wenn es um die Expressivität geht. Es gibt da kein "faktisches" Fazit. Selbst meine eigenen Noten spiele ich jeden Tag anders. Wäre es anders, dann würde man die Musik auf das Faktische reduzieren, all das Transzendente, das Elegante, das Traurige, das Erhabene....das könnte man gleich vernachlässigen, denn man hat ja die Noten und die jeweiligen Fakten zu den ermittelten Aufführungsumständen.

    Wenn ich den Ausdruck "beruht auf Fakten" höre, dann hat das etwas von "so ist es, und nicht anders - das sind die Fakten, gewöhne dich daran". Diese Fakten wurden aber nicht musikalisch, sondern außermusikalisch "ermittelt".

    Ich kenne auch diese Meinung gegen das "Interpretieren" in der Musik an sich. Sigisvald Kuijken etwa findet, dass man Bach nur spielen müssen, nicht interpretieren. So klingt es auch: ein sehr kleiner dynamischer Umfang, mittlere Tempi, faktische Klarheit und Transparenz ....und sonst dann eher nichts. Die Musik an sich als nüchterne Darstellung des Faktischen.

    Auch Celibidache meinte (in seinem egomanischen Größenwahn, den er anderen, wie z.B. Karajan gerne vorwarf), dass er nicht interpretiere. Die Musik sei eine Landschaft, durch die man mit dem Zug hindurchführe. Sie wäre eben das, was sie ist, nicht das, was man interpretiert.

    Seine Ergebnisse indes kann man durchaus als genial-subjektiv bewerten, wie ich finde.


    Wenn das, was aus den Lautsprechern klingt oder im Konzert erlebt werden kann, nicht überzeugen sollte, hat dies mit unseren Hörgewohnheiten zu tun.

    Ja und nein. Ja, weil es natürlich ungewohnt klingt - ok, einverstanden.


    Nein, weil es musikalisch (aus der Musik heraus) einfach nicht überzeugend klingt. Hier geht es um mehr als um Gewohnheiten. Hier geht es um das, was die Musik tatsächlich sein möchte, sein kann. Sie besteht aus Melodien, Harmonien und Rhythmen, die in ihrer eigenen musiksprachlichen Welt einen jeweiligen Sinn ergeben können. Gute Musik kann in komprimierter Form nahezu alles zum Ausdruck bringen (Expressivität!) was es so im "normalen Leben" gibt, z.B: Enttäuschung, freudige Überraschung, Trost, Unterhaltung, Resignation, Entsetzen oder - wie manchmal bei Brahms- so ein Gefühl von "lush" wie die Amerikaner sagen, will sagen: aus der Perspektive eines gereiften Menschen, zieht das Leben vorbei. Vor sich hat er den Tod, hinter sich die wehmütigen Erinnerungen.....Das hat etwas von "ich bin der Welt abhanden gekommen..."

    Auch "schauderlich" im rechten Sinne kann eine gute Musik klingen, wie etwa bei Schuberts Winterreise.

    Die Schoonderwoerd-Darstellung auf dem Hammerflügel finde ich zwar auch schauerlich, aber nicht, weil mich da die Musik in diesen Gefühlszustand versetzen kann, sondern weil sein Spiel und vor allem sein Instrument so klingt.

    Ich bin kein Streaming-Experte, ich weiss daher nicht, ob die von Schoonderwoerd verfassten Bookletexte zur Verfügung stehen, wenn man die Musik herunterlädt. Weil ich Schoonderwoerds Aufnahmen in meiner Sammlung im CD-Format vorliegen, kann ich Schoonderwoerds Begründungen nachlesen, weshalb er und seine Mitmusiker so die Musik interpretieren, wie sie aus den Lautsprechern klingt. Die Argumente für die von ihm vertretene Aufführungspraxis überzeugen mich.

    Nein, die Booklets kann man z.B. auf TIDAL nicht digital einsehen.

    Selbst die beste verbale Argumentation über die Musik kann mich nicht überzeugen, wenn die Musik aus sich selbst heraus einfach nicht überzeugen kann. Und hier wieder die Klarstellung: Das hat sehr viel mehr etwas mit innermusikalischen Parametern zu tun, als mit "eingefahrenen Hörgewohnheiten".

    Dass heutzutage niemand die Furtwänglerische Aufführungspraxis der Matthäus-Passion mit dem Continuo-Flügel, Massenbesetzung, Sostenuto-Stil usw. oder die Bachsche Cembalomusik mit Karl Richters Ungetüm (welches man Cembalo nannte) wieder aufgreift, hat einen einfachen und plausiblen Grund: es klingt einfach musikalisch sehr sehr viel überzeugender, wenn man sich da etwa die entsprechenden Harnoncourt-Aufnahmen oder Leonhardts Cembalospiel anhört. Das sind es dann nicht Booklet-Texte oder sonstige Bücher, die dafür sorgten, dass sich ein anderer grundsätzlicher Ansatz bei der Barockinterpretation durchsetzte. Eben weil es musikalisch einfach nachvollziehbarer klingt, hat es sich durchgesetzt, sowohl bei Musikern als auch bei den Hörern. Am Ende waren die Meisten bereit, ihre "alten Hörgewohnheiten" zu Gunsten eines wesentlich überzeugenderen musikalischen Ansatzes abzulegen.


    Hier bei Schoonderwoerd ist das aber nicht so.


    Hier ein Text aus "Classical music", ins Deutsche übersetzt:


    "Die Ergebnisse sind sicherlich ‘anders’, aber mit der Neuheit, die von ‘authentischen’ Aufführungen verschwunden ist, sind Schoonderwoerds Ergebnisse bestenfalls erfrischend, wenn Sie die Meisterwerke in Röntgenform mögen: Die Knochenstruktur wird klar, Fleisch und Persönlichkeit indes fehlen. Nichts, was diese tapferen Musiker tun, widerspricht den Markierungen in den Partituren, aber selbst wenn sie einen Stakkato-Angriff ausführen, erreicht der Effekt die beängstigende Kraft eines kläffenden Chihuahuas.

    Drei Hörner sind in der Eroica-Symphonie erlaubt, zum Glück für das Trio des Scherzos; aber immer wieder geschieht es in diesem Album, dass die dünnen, kahlen Klangfarben darum kämpfen, irgendetwas von den Muskeln und vom Glanz dessen zu vermitteln, was in Beethovens geschriebenen Noten enthalten ist.

    Beethoven musste bei der Premiere der Symphonie die bescheidenen Kräfte/Umstände in Prince Lobkowitz’ privatem Konzertsaal ertragen. Aber wollte er es wirklich so haben, dass (sein Werk) zu (bescheidenen) Kammermusik zurechtgestutzt wird? Die Zuhörer werden sicherlich ihre eigene Antwort auf diese Frage finden, eine Frage, die Schoonderwoerd, plodderisch ( langsam, ohne Inspiration, ohne Imagination) und kurzsichtig, nie zu stellen scheint."

    Der Autor dieses Textes hat es in meinen Augen ganz gut zusammengefasst; die Passagen in Klammern sind meine Versuche, den englischen Text im Deutschen verständlich zu machen.


    Zudem vermisse ich eine gewisse klangliche Ausgewogenheit im "Orchester".

    Die Blech- und Holzbläser ergeben einen Sound im Sinne einer Harmonie-Musik, die dann noch von der Pauke und dem Streichquartett ergänzt, bzw. begleitet wird.

    Für diese Musik ist es sicher falsch, alles nur von einem satten Streicherklang her hören zu wollen, aber ist diese Kammermusik, diese Bläserensemble plus Streichquartett wirklich in der Lage zu vermitteln, was die Musik Beethovens enthält? Nur sehr reduziert, wie ich finde.


    ...aber das Ergebnis ist eindeutig: Keine einzige dieser Ausgaben trägt die Singular-Bezeichnungen. Schoonderwoerd beruft sich also zwar auf eine existierende Quelle, schreibt dieser aber in der Frage der Streicher-Besetzung eine Bedeutung zu, die sie nach übereinstimmender Meinung der musikphilologischen Fachleute einfach nicht hat. Das ist typisch für Musiker, die im Gegensatz zu "reinen" Herausgebern bei der Quellenbewertung immer auch schon die praktischen Konsequenzen im Kopf haben. Dagegen spricht auch nichts, wenn man es gewissermaßen als Inspirationsquelle für seine persönliche Darstellung nimmt, aber es ist einfach wissenschaftlich unhaltbar, einer solchen Entscheidung eine allgemeinverbindliche Begründung geben zu wollen. Dass Schoonderwoerd die Eroica mit solistischen Streichern besetzt, hat nur einen Grund: Er will es so.


    (Hervorhebung von mir)


    Das sehe ich tatsächlich auch genau so. Er hat sich dann eben doch seine Aufführungspraxis "zurechtargumentiert" oder argumentativ "passend gemacht".

    Meine Vermutung, warum er bzw. sein Label es so will: er hat sich damit im Markt eine Nische geschaffen. Das ist ja legitim, aber daraus dann so eine allgemeinverbindliche Aussage zu machen ( im Sinne von: so ist es faktisch richtig, ihr müsst nur eure tradierten Hörgewohnheiten ändern) schießt über das Ziel weit hinaus.


    Das Ziel des Improvisierens, Komponierens und Interpretierens (Nach-Erschaffung) von Musik hat in meinen Augen immer in irgendeiner Form einen human-expressiven Charakter. Man befindet sich in einem gewissen Seelenzustand (kann sehr verschieden sein) und möchte das durch Musik zum Ausdruck bringen und Andere, die diese Schallwellen hören können, in eben diesen Seelenzustand mit hineinnehmen. Bei Schubert etwa kann das erschreckend sein, weil er (das empfinde ich z.B. subjektiv bei der Unvollendeten aber auch bei D.960) persönlichen Kindheitstraumata eine musikalische Stimme gibt. Ja, eine steile These, aber ich will, wenn es die Zeit erlaubt, einmal bei D. 960 versuchen, aus den Noten heraus eine mögliche Begründung zu liefern.

    Bei diesem rekonstruktiven und "faktischen" Ansatz Schoonderwoerds kann man m.E. all diese Dinge gleich vergessen. "So ist die Musik, nicht anders, nicht mehr, nicht weniger - gewöhne dich daran und fertig". Das ist mir zu wenig, ja, ich finde es nicht musikalisch.


    Musik als "Klangsprache" ist mir suspekt, sie war dazu gedacht, die Leute zu unterhalten und zu erfreuen, nicht zu "erschüttern" etc etc und was dergleichen Ansprüche das sind.

    Keiner der adeligen Herren, für die im 18. und frühen 9. Jahrhunder Musik komponiert wurde, wollte erschüttert werden.

    Da argumentierst Du aber sehr asymmetrisch, weil Du jetzt eigentlich Boccherini meinst oder die eher lieblichen Kompositionen Haydn oder Mozarts, wie ich annehme.

    Beethovens Eroica will - so meine ich- durchaus erschüttern, nicht nur nett unterhalten.


    Die "Klangrede" an sich geht auf die Zeit des Früh- und Hochbarock zurück und wurde von Mattheson als in seinem Werk " Der vollkommene Capellmeister" als Begriff erklärt und geprägt.

    Hier gab es die musikalische Syntax, die der europäischen Sprache und der Rhetorik sehr ähnlich war: Einleitung, Hauptgedanken, Nebengedanken, Erörterung/Diskussion, Fazit, Schluss.

    Ein grammatikalischer Satz mit Artikeln, Hauptwörtern, Adjektiven etc. hat in Verbindung mit den körperlichen Bewegungen und Gesten eines Redners gewisse musikalische Entsprechungen, wie ein Auftakt oder die Figuren (Tongruppen).

    Die Emotionen wie Schmerz und nachlassender Schmerz werden z.B. durch die Harmonik beim Hörer erzeugt: Dissonanz und Auflösung.

    Entlang der natürlichen Dynamik des Lufstroms beim Ausatmen (Sänger) gibt es in der alten Musik eine Detaildynamik des Einzeltons, d.h. der dynamisch statische Einzelton war die Ausnahme, nicht die Regel.

    So wie die Zunge den Klangstrom beim Sprechen oder Singen von Vokalen wie a, e, u, o etc. moduliert und unterbricht, gibt es die reichhaltige Artikulation in der alten Musik, bei der man weite Intervalle eher stößt (Staccato, Portato) und enge Intervalle wie Sekunden eher bindet (Legato).


    Die Frage ist immer, wie man das alles ausführt. Wenn etwa Trevor Pinnock die Berliner Philharmoniker mit Mozart dirigiert und Frau Pires spielt, dann beachtet er durchaus auch diese Regeln. Es klingt dann aber doch sehr anders, als es etwa bei den Freiburgern der Fall ist, deren Mozart-Klavierkonzerte ich zwar überhaupt nicht mag, die ich aber von der Besetzung - nicht von der gewollten Ruppigkeit her- den Aufführungen Schoonderwoerds vorziehe.

    Bei der Artikulation ist es auch so: benutzt man sie, um eine Phrase verständlich zu machen, oder stellt man sie als Selbstwert derart heraus, dass es anfängt, unnatürlich und absurd zu klingen? Hier kommt der gute Geschmack ins Spiel, der sich eben im Laufe eines Lebens hoffentlich herausbildet.


    Nur die Tatsache an sich, dass Schoonderwoerd keine dynamischen Extreme im Sinne eines verstörenden "Bellens" im Stile des Herrn Jacobs spielt, macht seine Ergebnisse für mich noch nicht genießbar. Das Musik nicht erschrecken, sondern kultiviert-angenehm unterhalten soll, mag ja für Boccherini stimmen, nicht aber für den Anfang des 4. Satzes der 9. von Beethoven. Ich finde, diesen Unterschied sollte man nicht übersehen.

    Gleichzeitig bin ich auch der Meinung Günter Wands, Karajans, Karl Böhms und vieler anderer, dass ein guter Orchesterklang der Ausgangspunkt für große Kunst im Orchesterbereich sein sollte (durchaus analog zum Thema Klavierklang).

    Was nützt der beste Ausdruckswille, wenn die Geigen sich wie das Geräusch einer elektrisch Säge in die Gehörgänge quälen, weil sie z.B. unsauber intonieren oder nur eine Farbe, nämlich das fahle Non-Vibrato kennen?


    Das soll erst einmal genügen, muss wieder einmal zum Üben fahren....



    LG:hello:

    Glockenton

    Er ist ein Vertreter der historisch informierten Aufnahmepraxis.

    Hallo lieber moderato,


    das wage ich etwas und in gewisser Hinsicht zu bezweifeln. Die anderen "Informierten" machen es nicht so, sondern verwenden immerhin ein kleines Orcherster mit mehrfach besetzten Streichern. Es gibt auch bei Bach diese eine Violine/eine Gesangsstimme-Ansicht, die aber von den meisten Fachleuten/Musikern nicht geteilt und dementsprechend auch nicht praktiziert wird. Da gibt es auch in Holland Mischformen, so dass man Teile eines Chorsatzes von Solisten singen lässt, während man andere Stellen im Chortutti singt. Aber die reine Lehre der Kleinstbesetzung hört man hauptsächlich mit Kuijken ( der lässt sogar den 16`-Fuß Violon weg, so dass es noch dünner klingt) und dem "Erfinder" Rifkin, vielleicht auch noch bei John Butt. Ich habe nun etwas anderes zu tun, als irgendwelche wissenschaftlichen Quellen oder Sekundärtexte zu studieren - ok, geschenkt.

    Aber ich kann wohl hören, ob etwas überzeugend klingt, oder nicht.

    Harnoncourts erste Einspielung der Matthäuspassion auf Originalinstrumenten und in "historisch orientierter" Spielweise hat mich überzeugt, auch viele andere Sachen von ihm, die er mit dem Concentus musicus Wien veröffentlichte.

    Bei Bach haben sich ja die alten Instrumente, die sprechende Artikulation und Dynamik weltweit durchgesetzt. Das hat etwas damit zu tun, dass es tatsächlich musikalisch überzeugte. Ich kann mich noch erinnern, wie ich seine und Leonhardts Aufnahmen mit den bekannten Richter-Einspielungen verglich. Plötzlich konnte ich verstehen, was die Musik im wahrsten Sinne des Wortes zu "reden" hatte. Wäre Harnoncourt nicht so ein energetischer Vollblut-Musiker (und verkappter Romantiker...) gewesen, dann hätte man seine Initiativen wohl als "interessant" belächelt und wäre zur Tagesordnung übergegangen. Aber diese Art der Barockinterpretation setzte sich durch, weil es vielmehr musikalisch überzeugte, als die noch so gut geschriebenen Texte.

    Die OVVP (one voice per part)-Lehre setzte sich bei Bach kaum durch, es sei denn, dass man auf regionaler Ebene plötzlich auch "authentisch" war, weil man kein Geld für eine vollbesetzte Bachkantate aufbringen konnte.

    Ich kenne z.B. das Magnificat in dieser Besetzung: es wirkt einigermaßen lächerlich, wenn die Musik ein mächtiges Forte verlangt, und dort im Hausmusik-Stil vier Solisten sich abmühen, gegen die immerhin leiseren aber immer noch zu lauten alten Trompeten und Pauken anzukommen.

    Hört man sich z.B. die hervorragenden Einspielungen Harnoncourts der Concerti grossi Händels an, dann versteht man, dass man sich hier ein bedeutendes "Mehr" an Ausdrucksmitteln durch die äußeren Umstände wie Instrumente und alte Artikulation etc. schuf, dieses "Mehr" aber mit einer mitreißenden Vollmusikalität gestaltet wurde. Je später er dann in die Musikgeschichte ging, desto weniger zwingend waren seine Interpretationen.


    Mozart und Beethoven so zu spielen, scheint eigentlich musikalisch noch absurder zu wirken. Man wartet nur darauf, dass die 9. Symphonie herauskommt, dann mit 8 Sängern ( sonst müssten die mit "Freude" auf sich selbst ein Echo singen...) , 4 Streichern und dergleichen.

    In ähnlicher Form ginge es ja mit Wagners Ring...

    Aber wir wollen versuchen, etwas sachlicher zu sein.

    Singende Kantilenen, die bei Mozart m.E. dringend nötig sind, kann man auf so einem "Ding" nicht wirklich singend spielen. Wenn Brendel die Melodie hervorhebt und mit den Alberti-Achteln der linken Hand einen weichen pulsierenden Teppich legt, dann geht das eben nur mit einem hervorragenden Flügel, der all diese Feinheiten umsetzen kann, so wie ein Sportwagen die kleinsten Bewegungen des Gaspedals willig umsetzen kann.

    Zudem wirkt Schoonderwoerd auf mich nicht wirklich wie ein Musiker, der eine verheißungsvolle Karriere auf dem modernen Flügel machen könnte, weil er so unglaublich musikalisch spielt. Gut, er bekommt alles fehlerfrei hin - ok. Aber wo ist denn die Wahrheit der großen Musik bei ihm?


    Sein Spiel beruht auf Fakten. Die Erkenntnissen, die er durch sie gewinnt, führen zu spannenden Einspielungen. Sie regen auf oder regen an.

    Das sind dann m.E. eher seine Fakten. Man kann sich vieles zurecht-argumentieren. Die zitierte Aussage klingt so, als ob man behaupten könnte: der Mann hat zweifelsfrei einfach recht, denn er ist ja schließlich ein Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis.

    Was aber ist mit den anderen HIP-Vertretern, wie z.B. Levin und Gardiner? Sind die dann etwa weniger gut "informiert"? Und was ist mit den "normalen" Pianisten/innen wie Lewis oder Pires - sind die alle uninformiert, haben also direkt gesagt "keine Ahnung"?

    Hier bin ich mir sicher, dass es nicht jene Musiker sind, die sich auf dem berühmten Holzweg befinden, sondern der Herr Schoondervoert. Diese Leute haben sogar sehr viel Ahnung von Mozart, Beethoven oder Schubert, vor allem von Musik.

    Sie verstehen es, aus dem Notentext eine bewegende und anrührende Musik zu machen, Erschütterung hervorzurufen, den künstlerischen Kern, die Aussage hinter dem bloßen Notentext nonverbal ( eben musikalisch) zu vermitteln.

    Das gilt auch für solche Orchester und Dirigenten wie Scottish Chamber Orchester, English Chamber Orchestra und Leuten wie z.B. Mackerras oder Abbado.

    Diese Aufführungen sind es, die bewegen und anregen können.

    Bei den Schoonderwoerd-Aufnahmen kommt bei mir jedenfalls sehr schnell Langeweile auf. Ein Klavierkonzert klingt so absurd und gleichzeitig so Hausmusik-banal wie das andere.

    Ich behaupte: während es bei Harnoncourts oder von mir aus auch Hogwoods Barock-Pioniertaten wirklich gute Gründe für das "sehr Andere" gab und gibt, hat sich hier der Wunsch nach dem "Absetzen" in grotesker Form verselbsttändigt. Die wahnsinnig sorgfältig recherchierten Gründe (die implizieren, dass man es selbst richtig, all die anderen es aber falsch machen) könnte man dann auch als geschickt vorgeschobenes Marketing sehen. Den originalen Sound gibt es nur bei uns...


    So ähnlich war es ja schon früher im HIP-Bereich: noch heftigere, kurze sf-Akzente, abgedreht schnelle Tempi oder ein absolutes Vibrato-Verbot (historisch sehr uninformiert, btw.) Die neueste Einspielung war eine Zeit lang noch irrer als die vorhergehende, die man dann auf ebay wieder loswerden konnte. Es ist heute wohl nicht mehr nur so, nehme ich an.

    Solche "ruppigen" Dinge hat Schoonderwoerd allerdings gar nicht nötig (wie Alfred immer richtig bemerkt), denn sein Konzept ist derart absurd, dass selbst der pensionierte Vibrato-Verbieter aus Stuttgart dagegen noch reichlich "konservativ" wirkt. Von Frans Brüggen, der mit Andreas Staier ein Mozart-Klavierkonzert mit normalen Orchester und dem Steinway aufführte, fange ich da besser gar nicht an. Bei dieser Gelegenheit viel mir übrigens auf, dass Staier in jener Konstellation seinen "Hausvorteil" des HIP-Spezielisten nicht so wie sonst ausspielen konnte ( nun gut, er hat Continuo gespielt, was er noch aus MAK-Zeiten kann, dann die vorhersehbaren Triller von oben), denn da gibt es dann andere Namen, die in Sachen pianistische Virtuosität usw. auf diesem Instrument ihm eben doch voraus sind.


    Auch hörerseitig möchte ich freundlich die Unterstellung zurückweisen, dass ich in alten Hörgewohnheiten gefangen wäre, es an Offenheit für Neues missen lasse, aus eingefahrenen Spuren nicht herauskomme. Ja, für das Hören der Barockmusik schadet es nicht, wenn man musikalisch auch als Hörer so ein bisschen historisch informiert ist, also die Syntax der Klangrede mit ihren Gesten und Figuren verstehen kann. Das ist gar nicht so schwer.

    Wenn etwas also musikalisch überzeugt, bin ich sehr dafür. Bei Bach kann es ein komplett unhistorischer Glenn Gould, ein ebenso historisch "inkorrekter" Alfred Brendel sein, der mich begeistern kann. Aber auch Gustav Leonhardt hat musikalisch und klanglich sehr überzeugende Sachen von Bach auf dem historisch richtigem Cembalo gespielt. Ich habe mir von ihm fast alles gekauft...

    Eines ist klar: es hat garantiert bei Bach anders geklungen, aber all diese Musiker können durch ihre Musikalität und ein in sich überzeugendes Konzept überzeugen. Das ist es, worauf es imho wirklich am Ende des Tages ankommt.

    Davon höre ich bei Schoonderwoerd einfach zu wenig.

    Bei der Wiener Klassik beginnt der (Barock-) Vorteil der alten Instrumente aus meiner Sicht langsam abzunehmen. Eine Gran Partita ( Herreweghe) klingt damit sehr gut, kann aber auch sehr schön auf heutigen Instrumenten gespielt werden. Es kommt dann viel mehr auf den Musiker an, als auf die Instrumente.

    Die alten Blasinstrumente haben aber keine expressiven Nachteile gegenüber den neuen. Beim Hammerklavier hingegen ist es sehr anders.


    In geradezu tragischer Form wird das auch bei Schoonderwoerds Einspielung der "Winterreise" Schuberts deutlich. Die Akzente haben es Irritierendes an sich. Im Piano klingt es noch nach drahtigem Alt-Klavier, im Forte wird dann ein metallischer Klang erzeugt, der an eine fatale Mischung aus Hackbrett, Western-Piano und Cembalo erinnern könnte. Der Klang des Instruments wirkt in der Tat störend, wenn man sich auf die Musik Schuberts einlassen will. Hierin ist der Unterschied zum Bach mit dem Leonhardt-Consort oder dem damaligen Concentus musicus Wien: die Erfahrung der künstlerischen Wahrheit einer guten Komposition wurde besser ermöglicht. Man dachte sehr schnell nicht mehr über Instrumente und dergleichen nach.

    Hier wird es eher verunmöglicht. Man höre sich nur die ersten beiden Tracks an....wenn man es denn schafft.

    Der Sänger singt saubere Töne, wie bei einer Alte-Musik-Aufführung. Für Schubert reicht das aber nicht. Mammel/Fischer-Dieskau oder Schoonderwoerd/Brendel. Im Vergleich kommt man auf sehr ähnliche Ergebnisse. Bei den einen hört man richtige Töne, ohne dass diese Leute die Musik an sich selbst und an uns Hörer wirklich heranlassen. Bei Fischer-Dieskau/Brendel hört man ganz große Kunst. Ich kann es nicht oft hören, weil es mich zu sehr betroffen macht.

    Diese "historische" Schubert-CD berührt irgendwie überhaupt nicht. Gänsehaut, erschaudern, tiefe Betroffenheit? Fehlanzeige, bei mir jedenfalls nicht.

    Aber bitte, manche mögen es wohl.


    Das kann ja gerne jeder nachhören, ob an meinen scheinbar polemischen Worten tatsächlich etwas dran ist oder nicht. Der Vorteil eines Streaming-Abos ist ja, dass man nicht kaufen muss, um seine Hörerfahrungen zu sammeln.


    LG:hello:

    Glockenton

    Falls sich noch einer erinnert oder es überhaupt noch jemanden interessiert:

    In Beitrag 131 bin ich zu Christian Zacharias und Lausanne gefragt worden.


    Nein, die Aufnahmen kenne ich nicht.

    Das Klavierkonzert Nr. 17 kenne ich jedoch mit ihm und dem Radio Sinfonieorchester Stuttgart und der Leitung von Sir Neville Marriner.


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    Diese Aufnahme habe ich ein wenig mit meiner Favoriten-CD Uchida/Tate verglichen.


    Zum Orchester: beide Orchester spielen einen angenehmen und schön klingenden Mozart. Die Unterschiede sind im subtilen Bereich, sind also nicht dramatisch. Unter Marriner klingt es auch in den leisen Abschnitten mehr energetisch nach vorne drängend, während das Orchester bei Tate dort etwas mehr zurückgeht und auf mich dann "poetischer" im Ausdruck wirkt.

    Besser finde ich bei Tate, dass die Violen aufgrund einer anderen Sitzordnung mehr von rechts kommen, wodurch die Echowirkung/die Imitation des enthusiastische-dreifache Septsprungs nach oben ( erst Bässe, dann Violinen 1 dann Bratschen) in Takt 25 ff. besser herauskommt.

    Durch die weichere Tongebung der Streicher des English Chamber Orchestras klingt in Takt 58ff. der im piano zu spielende Gis-vermindert-Akkord über dem in Achteln pulsierenden Orgelpunkt G und der darauffolgende D7-über G etwas mystischer, vielleich etwas "romantischer" , jedoch im positiven Sinne.

    Diese Idee wiederholt sich ab Takt 61, nur das in Takt 62 eine absteigende Bläserfigur hinzukommt, mit der Flöte im Sopran. Wenn man einmal diese Phrase auf dem Klavier nur mit der Flötenstimme und den Bässen spielt, dann fällt einem auf, wie fremdartig und irgendwie dissonant es klingt. Wieder einmal unglaublich genial von Mozart geschrieben!

    Dem Hörer werden solche Dinge untergeschoben, ohne dass es ihm platt ins Bewusstsein gedrückt wird. So etwas mag ich!

    Bei Marriner klingt diese Stelle verhältnismäßig "normal", während die Flöte bei Tate leiser beginnt, um dann nach unten in die Chromatik des Phrasenendes regelrecht zu "fallen", so wie sich einer langsam in ein weiches Kissen fallen lässt.

    Auch das klingt dann bei Tate mystisch-romantischer. Ich finde, dass der Dirigent hier sehr fein auf die Zwischentöne der Partitur hörte, und ich mag es so.


    Zacharias hat den aufnahmetechnischen Nachteil, dass man die Mikrofone für mein Dafürhalten ein bisschen zu dicht am Flügel positioniert hat. Alleine dadurch klingt alles, was aus dem Flügel kommt etwas lauter.

    Hinzukommt, dass er tatsächlich auch im Durchschnitt etwas lauter spielt. Das Geheimnisvolle, Sensible und Kostbare, was ich bei Uchida vernehmen kann, geht bei ihm in dieser für mich etwas rustikaleren "Klarheit" und Direktheit dann verloren.

    Es empfiehlt sich, z.B. kurz vor der Kadenz des ersten Satzes einzusteigen und beide Einspielungen zu vergleichen. Ich finde Uchida sensibler, feiner, poetischer....musikalischer. Das könnte ich jetzt taktweise besprechen, aber ich denke es reicht schon, wenn ich das hier einmal etwas generell sage.

    Nun ist es nicht so, dass Zacharias unmusikalisch und richtiggehend grob spielt. Es sind feine Nuancen. Man kann auch einen sehr schönen Mozart in der Zacharias/Marriner-Aufnahme hören. Beides sind hervorragende Musiker, und auch diese Aufnahme höre ich sehr viel lieber als so manche andere. Ich glaube schon, dass sie noch in meiner "Spitzengruppe" wäre, habe jetzt aber aus Zeitgründen nur den Vergleich mit Uchida/Tate durchgeführt.

    Am Ende bleibe ich dann bei meiner Bevorzugung von Uchida/Tate.


    Übrigens ist der für mich "bessere" Klavierklang auch ein Unterschied zu Uchidas späterer Einspielung, denn dort musste man offensichtlich wegen ihres Dirigierens den Deckel des Flügels demontieren. Damit klingt das Instrument direkter, für mich dadurch aber auch etwas weniger schön. Mit gutem Equipment ( bei mir Stax L300, oder auch Beyerdynamics DT1990pro/1770pro, Sennheiser HD800, Martin Logan Electromotion ELS) hört man es, sonst wahrscheinlich nicht.

    Wenn sich eine musikalische Einheit zwischen Dirigent und Solist ergibt, wäre das für mich ein weiterer Grund, weswegen ich am Ende doch diese Konstellation als tendenziell vorteilhafter (gegenüber der Leitung vom Klavier aus) einschätze. Aber es kommt immer auf den Einzelfall an.


    Gruß:hello:

    Glockenton

    ...und bin darin durch Glockentons Bemerkung in seinem #38 bestärkt worden:

    Nun habe ich endlich heute mein Versprechen wahr gemacht und mir die Aufnahme, die seit ungefähr 10 Jahren einen Dornröschenschlaf in meinem Schrank geführt hat, aufgelegt. Ich kann zusammengefaßt nur sagen, daß die Höreindrücke von Glockenton sich mit den meinen fast vollkommen decken.

    Ich hoffe nur, die angeregte Diskussion, ob man auch ´mal sehr gerne ein Wannenbad ohne Wasser nähme, bzw. ob vom Kosakenzipfel nur die Hälfte oder schon mehr als die Hälfte verspeist wurde, nicht zu sehr zu stören 8-)^^


    Doch nun zu den Interpretationen der Klavierkonzerte Mozarts...(hüstel)


    Lieber nemorino,


    ich freue mich, dass sich Deine Höreindrücke mit den meinen decken.

    Na, wenigstens einer ! :pfeif:- das finde ich doch sehr schön:)


    Ich habe es jetzt mehrfach gehört und verglichen, und ich kann nur wiederholen, dass ich nach wie vor von Uchida/Tate am stärksten überzeugt bin.


    Heute morgen hörte ich wieder einmal Dave Hurwitz zum Thema "die beste Gesamteinspielung der Klavierkonzerte Mozarts" auf YouTube.

    Ich mache das öfter, denn wenn ich aus gewissen Gründen früh aufgewacht bin, noch schlafen will, aber Einschlafprobleme habe, dann lasse ich ihn gerne leise über das Mobiltelefon reden. Bis jetzt hat er mich immer in den verdienten Schlaf reden können. So lange ich aber noch auf war, bekam ich mit, dass seine Nr. 2 Uchida/Tate ist. Diese Aufnahmen sieht er ganz leicht vor den neuen Aufnahmen Uchidas mit dem Cleveland Orchestra, die jedoch ebenfalls sehr gut wären. Hier bin ich einig.

    Seine Nummer 1 (wie gesagt, Gesamteinspielung) ist dann Andras Schiff mit Sandor Vegh. Hier bin ich nicht einig, obwohl ich die auch habe und in der Spitzengruppe der weltweit verfügbaren Aufnahmen sehe.

    Es fehlen mir aber gewisse Dinge, die ich bei Uchida/Tate nun einmal erleben kann. Das auszuführen wäre langwierig und schwer, vor allem, wenn man generell sprechen, also sozusagen mit der Drohne über den Gesamteinspielungen schweben soll, um da irgendwie zutreffende Aussagen zu treffen. Zudem gibt es ja auch das Phänomen, dass ein Musiker/ eine Musikerin einen mit ihrem "Ton" irgendwie auf eine Art und Weise ansprechen kann, dass das eine innere Saite mitschwingt. Warum das so ist, kann man nur bis zu einem bestimmten Punkt versuchen, analytisch zu erklären. Vielleicht kann ich davon noch etwas "in Musik" denken, aber dazu trockene Buchstaben zu finden, kommt mir tatsächlich schwierig vor.


    Wer es mag, dass da unterschwellig etwas Berührendes mitschwingt, wird ggf. auch an dem Klavierspiel Pires`gefallen finden.


    So gibt es also mit Hurwitz und uns beiden schon ganze drei Personen, die Uchida/Tate in der Spitzengruppe der ersten 2 oder 3 Einspielungen sieht bzw. hören ;)


    Meine (Gesamt)Liste sähe so aus, auch für das hier besprochene Konzert:


    1. Uchida/Tate

    2. Uchida/Uchida

    3. Brendel/Mackerras (wobei Mackerras orchestral noch etwas feiner arbeiten konnte, als Uchida in Cleveland vom Klavier aus)

    4. Brendel/Marriner (das Andante aus K 467 finde ich hier am besten)

    5. Pires/Abbado ( sehr demütig-uneitel, lyrisch-schwingend in den längeren Bögen der Pianopassagen und "anständig" gespielt, mit einem unterliegenden ernst-traurigen "Ton")

    6. Schiff/Vegh


    Nr. 2 und Nr. 3 liegen für mich sehr eng beieinander. Ich muss auch hinzufügen, dass davon nicht alles Gesamteinspielungen sind.


    Gulda/Harnoncourt mit dem Krönungskonzert und dem Nr. 23 sind für mich eh irgendwie außer Konkurrenz, ebenso das Doppelkonzert Eb-Dur mit Gulda/Corea/Harnoncourt.


    Weiterhin viel Hörfreude :)


    LG:hello:

    Glockenton

    Diese Aufnahme habe ich mir soeben leidend durchgehört.

    Was ist positiv?

    Das gewollt Ruppige ist nicht vorhanden und die erste Geige spielt einige schöne Töne, immerhin mit Ausdrucksvibrato.


    Ansonsten?

    Ich wüsste nicht, wo ich anfangen soll.

    Wenn ich alle Punkte erläutern und begründen sollte, von denen ich überzeugt bin, dass sie so nicht gut sind, dann wäre das ein Tamino-Beitrag mit der Länge einer Doktorarbeit - mindestens.

    Ehrlich gesagt, dazu habe ich keine Lust. Hier muss ich tatsächlich sagen: ich gebe auf.


    Anschließend kam dann noch das Konzert Nr. 11 in F-Dur, aber es war mehr oder weniger egal, weil es eh nach diesem privaten Hauskonzert garniert mit den Klängen aus einem "Klimperkasten" tönt. Gerade der Bereich der linken Hand klingt etwas nach Cembalo, während man rechts einen Sound vernimmt, der mich.....ich weiß gar nicht, woran erinnert.....machen die in der bayrischen Volksmusik nicht solche Sachen mit einem Hackbrett?

    Es gibt auf YouTube Videos der Musikschule Behamberg-Ernsthofen-Haidershofen. Da gibt es fatale Ähnlichkeiten..., gerne bei Google suchen.


    Wo war nun der große Unterschied vom F-Dur-Konzert zum vorausgehenden Konzert? Viel ist es nicht. Als ich noch in der evangelischen Kirche spielen musste, gab es solche Gruppen die sich " Mannsmusik" oder "Brødremusikken" nannten. Ab und zu kamen die in die Kirchen und wollten da ihre Sache machen. Sie trugen gesanglich laienhaft und sehr laut solche Erweckungslieder der 50erJahre mit Akkordion, Gitarre, Mandoline und einem Klong-Klong Klavier vor, meistens drei Akkorde, nie moll. Hast du ein erst so ein Lied gehört, hast du alle gehört.


    Wirklich nicht derart musikalisch unterirdisch, aber dennoch ähnlich ist es hier: Aus großer Kunst wird etwas Belangloses gemacht. Rekonstruiert und dekonstruiert klingt es, reduziert auf eine notenmäßige Wiedererkennbarkeit, und selbst die wird durch eigenwillige Ausführungen von Vorhalten, Ornamenten etc. noch in Frage gestellt. Aber es stört tatsächlich nicht. Sollte man ein Buch lesen, dann könnte man es leise im Hintergrund laufen lassen.

    Man könnte auch noch andere Konzerte in dieser Art hören ( habe auch das nächste Konzert angespielt), aber ganz ehrlich: ich bin eh unter Zeitdruck, also blieb es bei einigen Minuten.

    Der einmal gefundene Stil wird konsequent durchgezogen. Es klingt mehr oder weniger einschläfernd gleich. Tief bewegt, zu tränend gerührt, erschüttert, beglückt.....sollte man dies in diesen Aufnahmen suchen, dann viel Spaß bei der Suche...


    Kaffeehausmusik auf allerhöchstem Niveau klingt immer sehr gut, wenn sie dafür gemacht wurde, wie z.B. die Gesellschaftsmusik für das Cafe Zimmerman in Leipzig. Deswegen hat mich die Leonhardt-Einspielung der Bachschen Cembalokonzerte (vielfach immer noch unerreicht, imho) damals wie ein Blitz getroffen. Es war so viel ausdrucksstärker, überzeugender und in so vielen Bereichen (auch klanglich) besser als die Cembalokonzerte, die ich in der Ausführung mit Karl Richter kannte und - trotz allem- durchaus sehr liebte. Doch hier ist es anders. Bachs Musik verlangt nach Leonhardts Cembali und z.B. dem Klang des Leonhardt-Consorts (Marie Leonhardt spielte übrigens mit schönem expressiven Vibrato, btw.)


    Hier ist es aber nicht so. Warum? Dazu müsste man ausholen. Ein trockener Beweis im Sinne einer musikwissenschaftlichen Arbeit kann das nicht leisten.

    Bei Mozart werden andere Ausdrucks- und Wirkungs-Ebenen angesprochen, die ihren Schatten in die Romantik vorauswerfen. Das zu Verbalisieren ist gar nicht so einfach. Gewisse HIP-Freunde wollen uns ja auch weismachen, dass es die Romantik, die wir als solche kennen, so nie gab. Alles soll nach den Abkömmlingen der Barockorchester geklungen haben. Aber das nur am Rande...

    Harnoncourt, der ja die "Bewegung" mit Leben erfüllte, war Zeit seines Lebens eigentlich immer ein Erz-Romantiker und meinte auch, dass Mozart der erste der Romantiker gewesen sei.

    Obwohl seine Aussage so wahrscheinlich zu einseitig ist, scheint mir dennoch etwas Wahres daran zu sein - aber egal. Ich möchte hier nicht ein neues Fass aufmachen.

    Eines ist jedenfalls klar: diese Schondervoort-Aufnahmen entromantisieren Mozarts Musik, und zwar gründlichst. Auch das Klassizistische im Sinne Krips oder Böhms ist hier vollständig weg.

    Was ist denn noch überhaupt da? Der "reine" Mozart, in "entschlackter" Gestalt, in der mitführenden Direktheit zutiefst ergreifend? Nein, leider nicht.


    Wenn es so wäre, dass es das ist, was Mozart vorschwebte, dann müsste man ja sagen, dass wir im 20. und 21. Jahrhundert erst diejenigen sind, die mit unseren Interpretationen, Flügeln und Kammerorchestern aus diesen belanglosen Noten großartige Musik entstehen lassen.

    Und genau das glaube ich nicht.

    Man könnte es interessehalber in der Besetzung wie mit dem Freiburger Barockorchester spielen, aber von der Tongebung, Dynamik und Artikulation her ohne dieses nervig gewollt-Hippige.

    Ich denke da gerade an Herreweghes Einspielung von Mozarts Gran Partita. Da fehlt jenes "so, jetzt machen wir das mal anders", kein Gesäge dort und kein Rumms hier. Der Klang der alten Instrumente klingt warm und die Klangprofile verschmelzen im Tutti ideal.

    Würde man ein solches Experiment wagen, dann wäre man gar nicht so weit weg von dem, was Pianisten/Pianistinnen des 20. und 21. Jahrhunderts mit Kammerorchestern im "normalen" Musikbetrieb so taten.


    Hier noch ein Video zu Beethovens Klavierkonzerten mit Schoonderwoerd.

    Ja, was hat denn der Beethoven hier mit Mozart zu tun?

    So wie hier gespielt wird, kann man auch Beethoven reduzieren. Dann klingt es wieder ähnlich.


    Unser Lieblings-Brrrrruckner-Besprecher hat sich zudem noch nicht um Schoonderwoerds plays Mozart gekümmert.


    Der gute Dave drückt sich weniger diplomatisch aus als ich, das kann auch schon einmal unterhaltend sein:




    LG:hello:

    Glockenton

    Es ist ja erfreulich, dass mein Beitrag Nr. 19 das Gespräch über dieses schöne Konzert wieder in Gang gebracht hat.


    Die Beiträge habe ich gelesen, ebenso die geposteten Musikbeispiele gehört.


    Die Aufnahmetechnik bei Bezuidenhout und dem Freiburger Barockorchester finde ich soweit tadellos. Es ist vom technischen Recording her gesehen ein gut gemachtes Kunstprodukt. Sogar das Hammerklavier klingt etwas stereofon, was man ja gut von Pop- und Jazz-Produktonen kennt.

    Interessant ist, dass hier die tiefen Töne mehr von rechts und die hohen von links kommen, also spiegelverkehrt zum Erlebnis des Hammerklavierspielers. Aber ok, das passt dann wieder zur üblichen Orchesteraufstellung.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass es live so nicht klingen würde. In so einem Rokokosaal, gefüllt mit der damals edlen Gesellschaft wird es einigemaßen ausgewogen geklungen haben. In der Carnegie-Hall etc. sollte man dann wohl besser bereit sein, das Geld für die erste Reihe auch auszugeben - nehme ich an.


    Vom Musikalischen her würde ich mir das Geld indes sparen. Nicht das Bezuidenhout oder das Orchester schlecht spielen. Aber ich meine, dass man es - vor allem im Orchester- mit den alten Instrumenten auch anders spielen könnte, aber das will man ja nicht.

    Das Gestische wird z.B. in den Violinen deutlich herausgearbeitet - wie in der Barockmusik, wo es m.E. unverzichtbar ist. Die Frage ist, wie deutlich man es machen sollte. Das könnte man in einer Probenarbeit besprechen. Hier wird es schwierig, denn hier sind wir ja auf Buchstaben beschränkt und müssen deshalb eher so im Dronenstil über der musikalischen Landschaft herumfliegen und verhältnismäßig unscharfe und generelle Aussagen machen.

    Den mehr als sparsamen Vibratoeinsatz sehe ich als unhistorisch an, schlimmer noch, als leider unmusikalisch. Man beraubt sich der Möglichkeit einer weichen Klangfarbe im Tutti, und vor allem fällt so das sehr humane Ausdruckspotential, welches das Vibrato bieten kann.

    Das fällt mir auch im zweiten Satz auf.


    Der Klang des Hammerklaviers passt zum Orchester, was erst einmal positiv ist. Ich mag es nicht, wenn ein modernes Symphonieorchester durch billigen Vibratoverzicht und Barocktrompeten/Pauken in moderner Stimmung versucht, sich dem Klang der alten Instrumente anzunähern.

    Schlimm finde ich es dann, wenn man es mit dem modernen Steinway kombiniert. Das passt für mich jedenfalls nicht zusammen.

    Ob man nun den kurzen und obertonreichen ("drahtigen") Hammerklavierklang mag, ist eine andere Sache. Ich finde es ja musikalischer, wenn ein Piano eine längere Ausklingphase hat und insgesamt runder klingt. Auch für Mozart finde ich das gut, weil seine rechte Hand mich oft an eine Opernsängerin erinnert. Das ist mir selbst einmal beim Nr. 23 aufgefallen, welches ich einmal mit einem Orchester spielen durfte.

    Ja, es gibt das Sprechende und die Klangrede in Mozarts Musik. Aber es gibt auch dieses Cantabile, das singende, der menschlichen Stimme nachempfundene Instrumentalspiel. Mit einer alten Oboe oder einer Barockvioline wäre es möglich, wenn man das will, selbst wenn Barockbögen den zurückfedernden "Glockenton" unterstützen. So wie ich es annehme, gibt es aber hinsichtlich des Cantabile sozusagen bauliche Grenzen beim alten Hammerklavier. Nur nebenbei: wenn man auf dem Steinway etc. versucht, durch einen steinigen Anschlag diesen historischen Klang nachzuahmen, dann ist für mich die Grenze erreicht, an dem ich es nur noch furchtbar finde.

    Doch die hier vorliegende Einspielung finde ich nicht furchtbar, auch nicht unmusikalisch. Aber so richtig schön im Sinne eines berückenden, verzaubernden Mozarterlebnisses ist es für mich nicht. Auch lyrisch-poetische Qualitäten oder das "Lächeln mit der Träne im Auge" wird man hier eher nicht finden.


    Zu Serkin/Abbado:


    Tja, man hört in der Tat das fortgeschrittene Alter. Für mich hat das Konzert einen durchaus jugendlich-frischen Charakter, so dass es mir wie der milde Rückblick auf das Thema Jugend aus der Sicht des weisen alten Mannes vorkommt. Teilweise wird er immer langsamer, und ich dachte " wie will der Abbado das jetzt mit dem Orchester wieder einfangen" ? Naja, die sind ja eigentlich von ihrer Fähigkeit des Hörens ein riesiges Kammermusikensemble, so dass das schon klappte. Ein gewisses Nachlassen in der virtuosen Spieltechnik deutet Serkin geschickt als poetische Altersweisheit um - hätte ich auch so gemacht ^^

    Es ist auch richtig, dass Abbado das Beste aus der Situation macht :thumbup:

    Insgesamt finde ich aber, dass es dem doch durchaus viel Begeisterung versprühenden Charakter des Werkes nicht mehr wirklich entsprechen kann. Respekt muss man davor haben, selbstverständlich!


    Zu Maria Joao Pires/Kazuki Yamada:


    Das Orchester - mit jungen Menschen besetzt- spielt sehr angenehm. Je länger ich es höre, desto besser find ich es. Alles was das Freiburger Barockorchester klangrednerisch und historsch informiert gestisch herausstellen möchte, machen sie auch, aber es klingt weniger gewollt, sondern ganz natürlich.

    Dynamik und Artikulation? Passt! Für mich machen die alles richtig - sehr schön. Man sollte sich das einmal genau anhören. Wer sagt " wieso, ist doch nichts Besonderes" hat dem Orchester und dem Dirigenten nicht wirklich zugehört. Ich bin sehr positiv überrascht und beeindruck von denen. Das "Orchestre Philharmonique de Monte Carlo" unter der Leitung von Kazuki Yamada - da habe ich im Leben noch nichts von gehört. Aber diese Aufführung ist perfekt gespielt, mit musikalischem Leben, sehr stilsicher und gleichzeitig klangschön.

    Die Gesamtinterpretation orientiert sich an den gereiften Vorstellungen der gereiften Pianistin. Ich kenne sie auch als jemand, der sich viel und ertragreich mit Mozart beschäftigt hat.

    Es ist in der Tat eine sehr andere Interpretation als die Mitsuko Uchidas mit Tate.

    Hier hören wir einen etwas schwergewichtigeren, nachdenklichen, irgendwie schon an Schubert "gemahnenden" Mozart. Es singt sehr schön, hat schwermütige, aber nicht sentimentale Untertöne.

    Es ist wohl so, dass in Mozarts Musik sowohl das Energetische der Jugend als auch das unterschwellige Bewusstsein für die Sterblichkeit im reiferen Alter mitschwingen kann.

    Sehr gut finde ich diesen Ansatz natürlich für den 2. Satz.

    Der 3. Satz fängt bei 22.39 an.

    Es ist eine anrührende Interpretation. Nachdem Maria Joao Pires ihren ersten Teil fertiggespielt hat und das Orchester einsetzt, ist ihr Mienenspiel interessant. Ernst, konzentriert und nachdenklich. "Früher habe ich es anders gespielt" dachte sie vielleicht - vielleicht auch nicht.

    Die damals noch in der Blüte der Jugend sprühende Mitsuko Uchida brennt an gleicher Stelle ein Feuerwerk ab ( bei 22.33) ohne Schönheit und Eleganz vermissen zu lassen. Ich finde beides sehr gut und legitim. Es regt mich dazu an, über das Leben, die Jugend und das reife Alter nachzudenken.

    Übrigens spielt die heutige Mitsuko Uchida ( die müsste doch auch über 70 sein?) auch anders als damals. Manchmal Live-Abstriche in der Top-Virtuosität (wie ich las) werden dann durch andere Qualitäten ausgeglichen.


    Gulda/Böhm:


    Richtig gut und klassizistisch. Beide werden ihrem Rang als Top-Interpreten ihrer Zeit für Mozarts Musik gerecht. Auch der Klang ist noch gut zu hören.

    Bei Gulda wird nicht der kleinste Trillerton verhudelt. Unglaublicher Pianist! Und die "aberwitzige" Kombination von doch eigentlich sehr weit auseinanderliegenden Persönlichkeiten (Gulda/Böhm) geht im Raum der Musik in vollständige Übereinstimmung auf.

    Sehr gut. Man versteht sich musikalisch, so unterschiedlich man als Mensch auch sein mag.


    Ich habe noch drei sehr schöne K271-CDs, auf die ich dann später bei Gelegenheit eingehen werde.

    Jetzt muss ich üben...


    Bis dahin: viel Spaß beim Nachhören :)


    LG:hello:

    Glockenton

    Mach das ruhig einmal, lieber Holger, wenn es Deine Zeit erlaubt. Es lohnt sich, dieses Musizieren zu erleben.

    Man hört nicht nur, sondern sieht auch diese konzentrierte Verinnerlichung bei ihr, diese Hochsensible und Hochmusikalische im ganzen Wesen ihres musikalischen Seins. Da sehe ich eine vollkommene Hingabe an die Musik.

    Ich meine auch zu verstehen, was sie jeweils meint, wenn ich in ihr Gesicht beim Klavierspielen schaue. Das Gute bei einer Weltklassepianistin ist ja auch, dass sie nicht nur richtig entlang der Musik empfinden, sondern es in der konkreten Situation auch effektiv und beherrscht "rüberbringen" kann.


    Ob das CD ein Mitschnitt des YouTube-Konzerts ist, weiß ich jetzt nicht. Ich nehme an, eher nicht.


    LG:hello:

    Glockenton