Hier mit etwas pfingstmontäglicher Verspätung das nächste Musikstück:
Wir bewegen uns wieder in späteren zeitlichen und besetzungstechnisch größeren Sphären und begeben uns mit der 1. Sinfonie As-Dur, Op. 55 von Sir Edward Elgar nach England.
Entstanden 1907/1908 stammt das Werk aus einem Lebensabschnitt Elgars, in welchem dieser sich um sein 50. Lebensjahr mit der Komposition der Enigma-Variationen und dem "Dream of Gerontius" einen Namen gemacht hatte und den Titel eines Knight Bachelor innehatte. Eine Sinfonie fehlte Elgar noch, die schließich am 3. Dezember 1908 mit dem Hallé-Orchestra unter dem Widmungsträger Hans Richter uraufgeführt wurde.
Lobeshymnen wie "die größte Symphonie der Gegenwart, geschrieben vom größten lebenden Komponisten - und zwar nicht nur dieses Landes" (Richter) oder "ein Meisterwerk ersten Ranges" (Arthur Nikisch) sowie der Zuschreibung als beste bisher geschriebene britische Sinfonie standen und stehen dem Werk auch kritische Äußerungen, wie die einer Glorifizierung des Empire und seines Imperialismus oder seelenlosen Bombasts gegenüber. Und ja - Elgar lässt es hier orchestertechnisch richtig krachen, dass Beschreibungen wie "pompös", "(klang-)schwelgerisch", "bombastisch" oder gar "kitschig" nicht abwegig sind oder scheinen.
Die Musik:
Schon alleine das ohrwurmhafte Hauptthema des 1. Satzes, Andante nobilmente e semplice – Allegro, der "ideal call", wie Elgar es nannte, zeigt mit seinem für Elgar so typischen nobilmente und den Wiederholungen bis zum ff, dass solche Beschreibungen nicht fern liegen. Dass das der Einleitung folgende Allegro dann in einen harmonisch überraschenden Satzteil übergeht, macht hingegen auch deutlich, dass mehr in dieser Musik steckt als nur hohler Bombast. Obwohl das Hauptthema einige Minuten vor Satzende glorreich zurückkehrt und schon einen Teil der Finalcoda vorwegnimmt, beruhigt sich die Musik wieder und führt den Satz zu einem ruhigen Abschluss.
Der 2. Satz, Allegro molto, changiert zwischen rasanten Läufen, Marschabschnitten und pastoralen Szenen. Zum Satzende leitet Elgar wie in seinen Enigma-Variationen (dort von der 8. Variation "WN" zur berühmten 9. Variation "Nimrod") mit einem gehaltenen Streicherton in den 3. Satz, Adagio, über, welches oft brucknerhafte Züge trägt und sein Hauptthema aus den extrem verlangsamten und rhythmisch modifizierten Anfangsläufen des Scherzos übernimmt.
Der 4. Satz, Lento – Allegro, beginnt mit einer mysteriösen Einleitung, in der auch der "ideale Ruf" - das Hauptthema des 1. Satzes - wieder auftaucht. Im Allegro-Teil wird dann ein düsteres Marschthema eingeführt, das auch brutal-martialischen Charakter erhält, ebenso aber auch zu einer herzzerreißend schwelgerisch-träumerischen Variante durchgeführt wird. Zum Satzende erscheint dann der "ideale Ruf" in abschließender Form noch einmal, mit Tutti-Schlägen des Orchesters untermalt und die Sinfonie zum glorreichen Ende führend.
Aufnahmen:
Als Aufnahme kann ich nur dringendst zu Colin Davis und der Staatskapelle Dresden (1998, Profil/Hänssler) raten, schon alleine für den vollen, leuchtend-scheinenden Ton des Orchesters, den keine andere mir bekannte Aufnahme erreicht. Auch vermeidet Davis das Abgleiten ins Kitschige, während er gleichzeitig eine emotionale und kraftvolle Deutung abliefert. Insgesamt meine Lieblingsaufnahme des Werkes, auch hier auf Youtube zu finden:
Die Original-CD ist bei jpc nicht mehr erhältlich (allerdings auf dem Gebrauchtmarkt zu erhaschen), die Aufnahme ist jedoch auch im Rahmen zweier noch greifbarer Boxen zu erstehen, von denen ich zumindest die 6-CD-Box besitze und sehr empfehlen kann:



Weitere empfehlenswerte Aufnahmen sind mMn u.a. Elgars eigene (historisch, aber aus interpretationstechnischer Sicht enorm interessant), Boult (stereo), Solti und Sinopoli (etwas experimenteller aber sehr interessant).
Wer gerne die Noten mit dabeihat, dem sei Jeffrey Tates gute (mehr aber auch nicht) Aufnahme mit dem LSO auf Youtube ans Herz gelegt:
Und wer gerne Orchester und Dirigent beim Musizieren zuschaut, dem kann ich Lionel Bringuier mit dem WDR-Sinfonieorchester sehr empfehlen, der als Einspringer ohne große Elgar-Erfahrung ein mit Ausnahme eines unpassend stark verzögerten Übergangs zum letzten Stringendo fabelhaftes Live-Konzert mit teils ungewöhnlich schnellen (aber sinnvollen) Tempi gegeben hat - oder aber Andrew Manze mit der NDR Radiophilharmonie, eine etwas weniger feurige, aber dennoch sehr starke Version:
Nun aber viel Spaß beim Hören und Diskutieren 
Liebe Grüße
Amdir