Beiträge von salisburgensis

    Servus,


    ich sammle generell in die Breite, nicht nur aus Notwendigkeit, wie in meinem ersten Beitrag in diesem Faden erklärt, sondern vor allem aus Freude am Entdecken. Bei Dingen, die mich besonders ansprechen, gehe ich dann gezielt in die Tiefe. Aber nicht in Form von vielen Aufnahmen vom gleichen Stück, sondern ich möchte möglichst viele Facetten dessen was mich fasziniert hat kennenlernen.


    Ein Beispiel: irgendwann bin ich beim Breitenhören auf ein Orchesterwerk der Mannheimer Schule gestoßen. Ich weiß heute nicht mehr, welches das genau war. Ist auch egal. Ich war hin und weg von der Aufgewühltheit, Dramatik und Experimentierfreude dieses Stückes und wollte mehr davon hören. Also begann ich mich umzuschauen, stieß auf die "echten" Mannheimer Stamitz, Holzbauer, Filz, Richter, Cannabich. Nahm auch die "unechten" Mannheimer Wagenseil, Kraus, Beck usw. mit und liebe diesen Stil heute heiß und innig. Und meine Neugier ist noch nicht gestillt. Ich greife noch immer zu, wenn ich auf Aufnahmen von Musik dieser Herren stoße, vorausgesetzt, die Interpretation ist angemessen und versucht nicht, das Rauhe, Ungezügelte, Experimentelle dieser Musik glattzubügeln.



    Zitat

    Original von maticus
    Dass in die Tiefe gehen hat m. E. mehr mit Sammlerleidenschaft und Perfektionismus zu tun als mit Notwendigkeit oder musikalischem Mehrwert. Und ich spreche da aus eigener Erfahrung...



    Da ist was Wahres dran.


    Ich tun's dennoch leichten Herzens, weil unter vielem mit zweifelhaftem musikalischen Mehrwert doch immer wieder Glanzlichter aufscheinen. Und solche Entdeckungen entschädigen dann vollumfänglich.


    Ich habe mich bis heute mit ganz wenigen Ausnahmen von keiner auch noch so schlechten CD getrennt. Immer wenn kein Regalraum mehr frei ist, baue ich einfach ein weiteres Regal dazu. Probleme, die Regale in der Wohnung unterzubringen, hatte ich bisher keine, weil ich in den letzten Jahren recht häufig umziehen mußte und die neue Wohnung in der Regel größer war als die alte. :pfeif:



    herzliche Grüße,
    Thomas


    Der Wunderlich singt das gar nicht schlecht, aber das Continuo ist eine einzige Zumutung. So dröge und einfallslos gespielt, wie das ist. Kein Wunder, dass Barockmusik damals den Ruf hatte, nur mit Valium erträglich zu sein. Diese Aufnahme kann man trotz des guten Wunderlichs tatsächlich nur mit ein paar Beruhigungsmitteln im Blut ertragen...



    :hello:
    Thomas

    Zitat

    Original von Oolong
    ein wenig mehr starckes Gethön dürfte es manchmal schon sein. [...] Kannst Du denn eine etwas kraftvollere Besetzung empfehlen?


    Servus Stefan,
    starckes Gethön in Verbindung mit knabenfreiem Chor und auch noch als Gesamtaufnahme, da kommt eigentlich nur die Bernius-Aufnahme in Frage. Die Instrumente werden hier von der Musica Fiata vortrefflich tracktieret.


    Ein kleiner Schönheitsfehler: die Aufnahme ist nicht mehr lieferbar...





    herzliche Grüße,
    Thomas

    Servus,
    meine Wahl fällt bei zwei von dreien auf die gleichen Labels wie vor zwei Jahren. Begründungen siehe oben.


    lpha


    hrmonia mundi[/quote]


    Folgendes Label nominiere ich 2009 anstelle von Raumklang, meiner dritten Wahl von 2007:


    cpo


    cpo betreibt ein hervorragende Repertoirepolitik, scheut sich auch nicht vor weit Abseitigem egal welcher Epoche. Außerdem ist auch die Preisgestaltung sehr zu loben. Mit ein wenig Geduld kriegt man jede Aufnahme für deutlich unter 10€, und zwar ohne Veränderungen an Gestaltung und Ausstattung wie sonst in Wiederverwertungsserien üblich.



    Von den Billigheimern Brilliant und Naxos halte ich nichts. Mit beiden habe ich in der Vergangenheit überwiegend schlechte Erfahrungen gemacht. Das ist hauptsächlich Masse statt Klasse. Da helfen auch keine Schleuderpreise.



    herzliche Grüße,
    Thomas



    Servus,
    es hat eine Weile gedauert, bis diese Scheibe den Eingang in meine Sammlung gefunden hat. Da es aber momentan eine Chandos-Aktion bei jpc gibt, in der auch diese CD günstig zu haben ist...


    Ich kann BBB nur teilweise zustimmen. Zuerst die Zustimmung: ausdrucksmäßig ist das wirklich top! An diese Intensität (bezogen auf die Vokalwerke) kommen die anderen Aufnahmen nicht heran. Und auch die Cembalostücke sind wunderbar gespielt.


    Aaaaaber, den von BBB gelobten Stephen Varcoe habe ich noch nie so schlecht gehört. Erstens zeigt er ein paar unüberhörbare technische Schwächen, zweitens hat er gelegentlich Probleme mit der richtigen Tonhöhe und drittens benutzt er sein Vibrato nicht als Ausdrucksmittel sondern als Dauergewackel. Wie letzteres besser zu machen wäre, führt auf dieser CD Paul Agnew sehr eindrucksvoll vor.


    Weiters empfinde ich den teilweise recht starken englischen Akzent der Sänger als störend; schuldig im Sinne der Anklage sind vor allem Susan Gritton und Paul Agnew.


    Fazit: Haupterzeuger des starken Ausdruckes der Vokalwerke sind für mich die Instrumentalisten vom Purcell Quartett und deren Gäste. Die Sänger bleiben teilweise weit dahinter zurück.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    "Les Amours de Ragonde", Spieldauer rund 50 Minuten, gilt als erste französische Komische Oper.


    Den Spaß, den diese Oper macht, kann man schon am Coverbildchen der Minkowski-Aufnahme erahnen. Es zeigt die herzallerliebste Jungfer Ragonde:




    :D

    Servus,


    eine Aufnahme Correttescher Musik, die mir sehr gut gefällt, ist diese:




    Michel Corrette: Messe pour le tems de Noel


    Olivier Vernet (Orgel)
    Ensemble "...in Ore mel..."



    Hauptsächlich ist das Orgelmusik - eigentlich nicht so mein Fall. Aber diese CD fasziniert mich. Es hat aber nicht sofort gefunkt. Das ist eine jener Scheiben, die sich langsam und unbemerkt anschleichen, sich dann aber umso tiefer ins Gemüt graben...



    :hello:
    Thomas

    Servus,


    irgendwann um die erste Jahrtausendwende herum ist wohl ein Kleriker auf die Idee gekommen, das biblische Geschehen nicht nur singenderweis darzustellen, sondern auch szenisch. Den Anfang machten wahrscheinlich kleinere Szenen aus dem Passions- und Ostergeschehen. Diese Idee fand offenbar viele Freunde, denn bald wuchs sich das zu veritablen Bühnenwerken aus und wurde nicht nur in der Karwoche veranstaltet sondern auch zu anderen hohen Feiertagen. Instrumente kamen hinzu, die Kirche wurde zur Bühne.


    Und das Wachstum ging weiter; der Kirchenraum reichte nicht mehr aus und die ganze Stadt wurde zur Bühne. Prozessionen wurden wesentlicher Bestandteil vieler dieser Kirchenopern, die gelegentlich auch mehrere Tage andauern konnte. Dabei hielten dann auch säkulare Bestandteile Einzug, der Kern aber blieb ein sakraler.


    Waren diese liturgischen Dramen anfangs noch in lateinischer Sprache gehalten, so begann man im 13. Jh. auch volkssprachliche Teile einzubauen. Wenig später gab es schon komplette Spiele in der Sprache des Volkes.


    Mit der Reformation begann der Niedergang dieser Gattung. In einigen erzkatholischen Regionen konnte sie sich jedoch teilweise bis heute halten, z.B. das Passionsspiel in Oberammergau. Und auch in einigen protestantischen Regionen ist es noch heute verbreitet, am Heiligabend ein Krippenspiel aufzuführen.


    Speziell in Italien wurde das Genre weiterentwickelt. Es kam ein Prozess in Gang, in dem sich sakrale und säkulare Spektakel deutlich trennten und an dessen Ende Oratorium bzw. Oper standen.



    Kommen wir nun zu ein paar Beispielen. Ein besonders prächtiges – und auch oft auf CD eingespieltes – geistliches Spiel ist der Ludus Danielis. Es gehört zu den Weihnachtsspielen und erstand wohl im späten 12. / frühen 13. Jahrhundert an der Kathedrale zu Beauvais. Das Danielsspiel hebt sich von anderen liturgischen Dramen dadurch ab, dass kaum einer der Texte noch auf die ursprüngliche Musik gesungen, sondern fast alles neu komponiert wurde.


    Die Handlung ist schnell erzählt: Der König Belshazzar entweiht in einem Saufgelage die heiligen Gefäße. Daraufhin erscheinen an der Wand rätselhafte Schriftzeichen, die aber niemand als der Prophet Daniel zu deuten vermag: die Zeichen sagen den Tod Belshazzars voraus. Bald darauf wird Belshazzars Reich durch den Mederkönig Darius erobert und Belshazzar kommt tatsächlich ums Leben. Daniel steigt zum obersten Ratgeber Darius’ auf, was viel Neid und Missgunst unter den anderen Ratgebern erzeugt. Sie intrigieren gegen Daniel, und es folgt die Szene in der Löwengrube. Daniel wird von Engel gerettet und schließlich weissagt er das Kommen des Messias.



    Ludus Danielis


    The Dufay Collective
    William Lyons




    Ein Spiel, welches auf das 14. Jahrhundert zurückgeht und bis heute gegeben wird, ist das Mysterienspiel im südost-spanischen Elche. Inhalt dieses Spiels sind Tod, Himmelfahrt und Krönung der Jungfrau Maria. Die UNESCO hat es 2001 sogar in die Liste der Meisterwerke menschlichen Kulturguts aufgenommen.


    Zwar gibt es hier keine erhaltenen (Noten-)Aufzeichnungen aus der Entstehungszeit, dafür aber mehrere sehr ausführliche Aufführungsanweisungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert.


    Es ist ein zweitägiges Spektakel und wird noch immer am Fest Mariä Himmelfahrt aufgeführt und gefeiert.




    El Misteri d'Elx


    La Capella Reial de Catalunya
    Jordi Savall




    herzliche Grüße,
    Thomas

    Servus,
    lange hat dieser Thread geschlafen, mit einem zarten Kuß möchte ich ihn erwecken.


    Wie eingangs geschildert, ist die Gambe im Laufe des 18.Jh. mehr und mehr von der Bildfläche verschwunden. Wenn man folgende Aufnahme hört, fragt man sich allerdings, warum:


    .


    Franz Xaver Hammer: Sonaten für Viola da Gamba


    Simone Eckert, Gambe
    Hamburger Ratsmusik



    Wie zu sehen, gibt's die Scheibe in zwei Ausführungen. Der Inhalt ist aber identisch.


    Franz Xaver Hammer (1741-1817), der letzte Gambist, macht dem normalerweise mit diesem Titel in Verbindung genannten Carl Friedrich Abel (1723-1787) selbigen streitig. Aufgrund seines 30 Jahre späteren Todes zweifellos zurecht. :D


    Hammers Musik ist keineswegs anachronistisch wie man meinen könnte, nur schrieb er eben für ein eigentlich schon ausgestorbenes Instrument. Er war eine Zeit lang Kollege Haydns in Esterhazy und komponierte ganz im Stil seiner Zeit. Also Wiener Klassik, angereichert mit vielen volkstümlich anmutenden Elementen. Das Erstaunlichste daran ist: es funktioniert ganz ausgezeichnet. Die Gambe fügt dem Empfindsam-Seichten die diesem Instrument eigene Melancholie hinzu. Ich finde, das passt wunderbar zusammen.




    herzliche Grüße,
    Thomas

    Servus,
    nach dem gewisse Mitglieder dieses Forums Jubelarien auf die Cardin-Aufnahmen gesungen haben, hab ich mir gedacht, ich bestell' dann mal... :D


    Zitat

    Original von Hildebrandt
    Die zwölf CDs von Michel Cardin kosten zusammen 180 €.
    Porto, Verpackung, Steuern sind bereits enthalten.


    Das geht prima über die Internetpräsenz von M.Cardin. Die Abwicklung ging äußerst zügig und der Kontakt zum Lautenisten ist sehr angenehm und freundlich.


    Das Label SNE, bei dem die CDs erschienen, gibt's nicht mehr - was die Nicht-Verfügbarkeit der CD bei den Händlern und die Fantasiepreise auf dem Gebrauchtmarkt erklärt. Die bis zum Firmenende von SNE nicht verkauften CDs sind damals in den Besitz vom M.Cardin übergegangen. Seitdem gibt's also die Aufnahmen nur noch direkt beim Erzeuger. Leider sind inzwischen Vol. 5 und 7 ausverkauft, aber Cardin weiß eine Lösung dafür...


    Nun aber zur Musicke: die Herren Hildebrandt und miguel54 haben nicht zuviel versprochen. Diese Aufnahmen sind einsame Spitze! Das ist das Beste, was ich bisher auf der Laute gehört habe. Cardin hat die einmalige Fähigkeit, seine Laute singen zu lassen. Das lebt und atmet, das ist Klangrausch, und von einer Sinnlichkeit, die man der Laute kaum zutraut. Cardin findet immer das richtige Mittel zum Ausdruck und das richtige Maß dazu. Kurz: ich bin absolut begeistert! :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Es ist wirklich ein Jammer, dass diese Ausnahmeaufnahmen vom Markt verschwunden sind. Hoffentlich ändert sich das irgendwann. Cardin hat mir berichtet, dass er auf der Suche nach einem Label ist, das seine Aufnahmen wieder veröffentlicht. Bis jetzt ist er aber mit keinem Interessenten einig geworden. Äußerst wünschenswert wären auch Neueinspielungen durch Cardin - da wären z.B. einige Weiß-Stücke, die er noch nicht aufgenommen hat...


    herzliche Grüße,
    Thomas

    Servus nochmal,
    Zwischenzeitlich habe ich Kuijkens Aufnahme auf dem Violoncello da Spalla auch kennenlernen dürfen.


    Ich bin nun nicht der Cellosuitenguru und höre diese Stücke auch nicht allzu oft. Es ist mir dennoch schwer gefallen, mich auf den Klang des Schultercellos einzuhören. Für mich klingt es mehr nach Bratsche, vor allem in tieferen Regionen. Mir fehlt da schon etwas das körperhafte, voluminöse eines "richtigen" Cellos. Im Vergleich zu einer Aufnahme mit Barockcello (bei mir Hidemi Suzuki) fällt auch der ziemlich raue und ungehobelte Klang des Instrumentes auf. Interessant ist es aber allemal...


    Kuijkens Interpretation hat mich eher enttäuscht. Gelegentlich drängte sich mir der Eindruck auf, da spiele einer, der zwar die Stücke technisch beherrscht, aber sonst nix zu sagen hat. Mir fehlen da größere Bögen und Zusammenhänge, das ist mir alles zu gleichförmig. Gleichwohl gibt's aber auch Ausnahmen von der Tristesse, wie beispielsweise die Bourrée aus der 3. Suite. Das ist schön leichtfüßig-tänzerisch gespielt.




    Johann Sebastian Bach: Cellosuiten BWV 1007-1012
    Sigiswald Kujiken, Violoncello da Spalla (Schulter-Cello)



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von flotan


    Hier ist eine Liste der von Stradivari gebauten Celli (höchstwahrscheinlich unvollständig):


    "http://www.cozio.com/Luthier.aspx?id=17&iid=3"



    Danke, flotan, für den aufschlussreichen link. Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil... :D



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Servus,


    Naive schmeißt die oben schon gezeigten Vivaldiopern als Würfel auf den Markt. Nummer eins ist soeben erschienen, 27CDs@180€ bei jpc:



    Atenaide RV 702b (Federico M. Sardelli / 2007)
    Griselda RV 718 (Jean-Christophe Spinosi / 2005)
    Tito Manlio RV 738 (Ottavio Dantone / 2004)
    Orlando Furioso RV 728 (Jean-Christophe Spinosi / 2004)
    Il Farnace RV 711 (Jordi Savall / 2001)
    Orlando finto Pazzo RV 727 (Alessando de Marchi / 2004)
    Juditha Triumphans RV 644 (Alessandro de Marchi / 2000)
    La Verita in Cimento RV 739 (Jean-Christophe Spinosi / 2001)
    L'Olimpiade RV 725 (Rinaldo Alessandrini / 2001)



    Wer's braucht... :rolleyes:



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von salisburgensis
    Details kann ich heute Abend nachschauen.


    Im booklet zur CD steht zum Instrument lediglich, dass Rattay ein Instrument von Antonio Stradivari, 1699 in Cremona gebaut, spielt. Laut der Liste der von A.Stradivari gebauten Instrumente, die u.a. bei Wikipedia verfügbar ist, gibt es jedoch kein 1699 gebautes Cello. Wahrscheinlich handelt es sich um das ein Jahr früher entstandene Cello, das heute der Deutsche Bank Stiftung gehört.


    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von zatopek
    Leider fehlen mir Informationen, auf welchem Instrument er spielt. Ich würde auf ein modernes Cello tippen. Es hat einen sehr vollen, weichen Klang, nicht so nervig, wie z.B. manchmal das von J. Berger.


    Servus Bernd,
    Rattay spielt die Suiten auf einem Stradivarius-Cello, welches freilich durch entsprechende Umbauten "modernisiert" sein dürfte. Details kann ich heute Abend nachschauen.


    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Die Beteiligung daran hat sich zwar nach der ursprünglichen Euphorie, von der sch manche sogar bedrängt fühlten, auf einem eher niedrigen Niveau eingependelt [...]


    Diese allzu menschliche Erfahrung haben wir bisher mit jedem Großprojekt gemacht. Nur wenn's ein Zugpferd gibt, das sich über einen längeren Zeitraum stark engagiert und eine breite Basis schafft, hat das Projekt Chancen auf ein langes wenn auch meist karges Leben. Die Geschwindigkeit am Anfang ist dabei egal. Zwei gegensätzliche Beispiele: MarcCologne hat ein ganzes Jahr lang kontinuierlich das Bachkantatenforum aufgebaut. TMOO hat - genährt gleich von Mehreren - nur wenige Monate gebraucht, um aus den Windeln zu kommen. Darum macht eine Anfangsbeschränkung - inhaltlich wie mengenmäßig - in meinen Augen wenig Sinn.


    Gemein ist allen Projekten auch, dass, nach anfänglicher allgemeiner Euphorie, und zwar genau dann, wenn der Arbeitsalltag einsetzt, sich die Beitragsfrequenz auf niedrigem aber relativ konstanten Niveau einpegelt.


    Zitat

    [...] dort ein bis drei Muster einzustellen, an deren Form man sich halten sollte, und dann die Themenwahl den Beteiligten zu überlassen?


    Bloß nicht formalisieren! Wir sind doch hier keine Behörde und füllen stupide Formblätter zur Beurteilung von Aufnahmen aus (mal abgesehen von TMOO).


    Zitat

    Was ich allerdings mindestens für den Anfang anregen würde, wäre eine Ausklammerung von Opern, weil es dafür schon die TMOO-Threads gibt [...]


    Ersten, wie du selbst schon schreibst, wird dort nur ausnahmsweise vergleichen. Und Zweitens meine ich, dass ein paar in die Tastatur gehackte Zahlen wohl kaum Rezension genannt werden können.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von ThomasBernhard
    Habt Ihr Wünsche fürs Mendelssohn-Jahr?


    Je eine Monsterbox bei Brilliant, DG, EMI und den anderen üblichen Verdächtigen...? In welcher Besetzung?


    Gibt es werke zu propagieren, die noch im Dornröschenschlaf schlummern?


    Mein größter Wunsch für's Mendelssohn-Jahr: Carus möge alle 10 Teile der kürzlich abgeschlossenen Gesamtaufnahme der geistlichen Vokalmusiken mit Frieder Bernius' Stuttgarter Kammerchor zusammenpacken und zum Mengenrabattpreis auf den Markt werfen.


    Da wäre dann alles drin; neben evergreens wie dem Elias gibt's reichlich Werke, deren Entdeckung sehr lohnt.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Die Zeitangabe aus Händels Zeit halte ich ebenfalls für unzuverlässig, da es zig Fassungen des Messiah gibt und wir nicht wissen, welche Arie vielleicht mal weggelassen wurde. Oder ob mit "etwa 2 Stunden" nicht ebensogut 2h 15 min gemeint gewesen sein kann.


    Zur Genauigkeit der Zeitabschätzung des damaligen Ohrenzeugen kann natürlich nur spekuliert werden. Nicht spekulativ ist jedoch, welche Fassung er gehört hat: es war eine Aufführung im Foundling Hospital im Jahre 1753.



    Zitat


    Meinem Eindruck nach ist bei einigen schnellen Tempi heutiger HIP-Musiker oft schon die Grenze des vernünftig Spiel/Singbaren erreicht.


    Das meine ich auch, und ich bin froh, dass sich eben nicht sklavisch an den Überlieferungen orientiert wird. Ein Beispiel, das ja immer gern für Hochgeschwindigkeitsmusik herangezogen wird, ist der schnelle Schlußsatz vom 3.Brandenburgischen in der Goebelsche Aufnahme. Trotz des unglaublichen Tempos spielen die das hochpräzise und mit traumwandlerischer Sicherheit. Wirklich schön ist das meines Erachtens nicht mehr, aber höchst beeindruckend. Goebel meinte einmal in seiner typischen Art dazu, dass sie das so gemacht haben, einfach weil sie es konnten.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Meiner Ansicht nach widerspricht ein solcher Interpretationsansatz so ziemlich allen Eigenarten des 17. und 18. Jahrhundert, wo alles ziemlich überladen, geziert und langatmig war....


    Das läßt sich auch ganz leicht als falsch entlarven, wenn man Überlieferungen zu Tempi und Dauer von Aufführungen in besagter Zeit nachschlägt. So ist von Aufführungen des Messias durch Händel selbst eine Dauer von 2 Stunden überliefert. Aktuelle HIP-Aufnahmen, die normalerweise unverdächtig bezüglich schleppender Tempi sind, benötigen in der Regel 140 Minuten, also 20 Minuten mehr als Händel selbst. Lediglich Minkowski kommt in die Nähe von Händels Dauer.


    Vom alten Bach ist ebenfalls überliefert, dass er für gewöhnlich seine Tempi sehr flott nahm.


    Zitat

    Zitat aus Forkels Bach-Biographie
    Bey der Ausführung seiner eigenen Stücke nahm er das Tempo gewöhnlich sehr lebhaft, wußte aber außer dieser Lebhaftigkeit noch so viele Mannigfaltigkeit in seinen Vortrag zu bringen, daß jedes Stück unter seiner Hand gleichsam wie eine Rede sprach.



    Und sein Sohn Carl Philipp Emanuel hielt es ebenso:


    Zitat

    Zitat aus CPE's Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen
    Einige Personen spielen zu klebricht, als wenn sie Leim zwischen den Fingern hätten.


    J.J. Quantz hat in seinem Werk Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen ziemlich konkrete Angaben darüber gemacht, wie schnell man bei jeweiligen Tempobezeichnungen zu spielen hätte. Heutige Aufnahmen brauchen in der Regel deutlich länger.


    Es gibt noch ein ganze Reihe weiterer derartiger Beispiele, die allesamt in die gleiche Richtung gehen. Es ist also in der Tat so, dass im 17./18. Jh. schneller musiziert wurde, als das bei heutigem HIP der Fall ist. So gesehen sind Aufnahmen von Christie, Jacobs, Gardiner et al. überladen und langatmig...



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Servus Glockenton,


    Zitat

    Original von Glockenton
    Manchmal erfreue ich mich mehr am viel körperhafteren, viel mehr gestikulierenden Tonfall Harnoncourts, zu anderen Zeiten gefällt mir das grössere Ebenmass der Herren Suzuki oder Herreweghe mehr...
    Kann sich hier jemand dazu entsprechend äussern?


    Ich meine mich zu erinnern, von Harnoncourt sinngemäß gelesen zu haben, dass er die Mittel der Klangrede bewußt übertrieben angewandt hat, um die Hörer mit der Nase (bzw. Ohren) auf diese Dinge zu stoßen. Die Klangrede war ja irgendwann in der Musikgeschichte verloren gegangen. Harnoncourt wollte eine neue Basis für das Verständnis der Klagrede legen.


    Dass dabei das Ebenmaß, wie du schreibst, gelegentlich zurücktreten muß, dürfte einleuchtend sein. Sicher betreibt er das heute bei Weitem nicht mehr so überdeutlich wie vor 30 Jahren, aber man merkt noch immer wo er herkommt.


    Herreweghe und Suzuki sind eine Generation jünger als Harnoncourt und damit Profiteure der H'schen Basis. So konnten sie es sich leisten, einen Schritt weiter zu gehen und Klangrede mit eben jenem Ebenmaß zu verbinden.


    Und das Pendel bewegt sich noch immer weiter in Richtung Schönklang. Vor allem die jüngeren Ensembles aus dem französischen Sprachraum wie La Chappelle Rhenane oder Akademia sind das beste Beispiel dafür.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Servus,


    mir scheint es nötig, ein paar Dinge auseinander zu nehmen, die der Themenersteller unzulässigerweise vermengt hat.


    Zum Ersten wäre da die Einordnung von Spielweise und Klangästhetik von HIPpen Musikern/Orchestern generell unter Benutzung von Reinhardt Goebels Musica Antiqua Köln als Paradebeispiel. Zwar pflegte dieses Ensemble tatsächlich einen aggressiven Ton, der gerade in den Streichern auch schonmal kratzig werden konnte, jedoch gibt und gab es kaum ein anderes Ensemble, was dazu vergleichbar gewesen wäre - der frühe Harnoncourt wäre vielleicht noch zu nennen. Die Klangästhetik von Musica Antiqua Köln ist eine Ausnahme gewesen! Weder Les Arts florissants, weder Les Talens lyriques, weder Les Amis de Philippe, weder das Freiburger Barockorchester, weder die Akademie für Alte Musik Berlin, weder das Ensemble Alte Musik Dresden, weder die schon genannten englischen Orchester einschließlich das Gardiners, weder Savall mit seinen Ensembles, weder das Ensemble Tafelmusik, weder das Ricercar Consort, weder Ars Antiqua Austria, weder Le Concert Spirituel, weder Armonico tributo Austria, weder Sonatori De La Gioiosa Marca, weder La Petit Bande noch das Orchestra at the Age of Enlightenment - um nur ein paar zu nennen, diese kleine Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen - haben einen auch nur annähernd so aggressiven Ton wie Musica Antiqua Köln.


    Dieses Beispiel des Themenerstellers taugt also nicht zur Unterfütterung seiner These. Im Gegenteil, es läßt die These in sich zusammenstürzen. Dass es gleichwohl Unterschiede im Klang gibt, hat Michael sehr schön dargelegt. Und ich finde seine Umschreibung "knackiger" pass ganz ausgezeichnet. Das hat aber nullkommanix mit den Analogien zu tun, die der Themenersteller so mühsam versucht herzustellen.



    Zweitens muß meines Erachtens klar benannt werden - und vielfach ist das schon angeklungen - um welche Musik bzw. Musik aus welcher Epoche wir uns hier eigentlich streiten. Es dürfte nur wenige Gegenstimmen geben wenn ich behaupte, dass Musik, die älter als 250 Jahre ist, durch HIP eindeutig gewinnt. Streitpunkt ist doch eher alles was jünger ist. Man sollte also ganz explizit von Mozart in HIP, Beethoven in HIP, Mendelssohn in HIP, Bruckner in HIP usw. sprechen anstatt alles über einen Kamm zu scheren.



    Zitat

    Original von Ulrica
    In einer Aufführung des WO in meiner Gegend konnte ich mich von dieser Wirkung überzeugen. Trotzdem veranlasste mich ein ziemlich nervige Knebelung der Solo - Gesangsstimmen (im Fall einer der Stimmen, die ich anderweitig kenne, weiß ich, dass dies so war) froh zu sein, dass ich nur im ersten Teil dort war. Warum diese Auffassung bezüglich des Gesangs immer noch so sein muss (entgegen Harnoncourts Aussage), ist mir unverständlich und dies ist einer der großen Kritikpunkte.


    Das ist nicht ein Problem von HIP, sondern das der Sänger, die Aufträge annehmen, die nicht zu ihren stimmlichen Gegebenheiten passen. Wenn ein sonst Evangelisten singender Sänger bei Wagner zum Siechfried wird, schimpft doch auch keiner auf die Art und Weise, wie man da zu singen hat, sondern es heißt nur lapidar, dass der Sänger hat sich schlicht an der Rolle verhoben hat.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Wenn bei diesem Thread etwas herauskommen soll, dann bitte ein ehrliches Bild der HIP, kein weltanschaulich verzerrtes. Dann bitte Einsicht in die Grenzen der herkömmlichen Praxis und deren zeitliche Gebundenheit. Das bedeutet weder, daß die romantisierende Wiedergabe falsch, noch das die HIP die einzig legitime ist.


    Konstruktive Kritik an HIP ist erwünscht und zulässig, setzt aber voraus, daß der Gegenstand der Kritik nicht grotesk verzerrt und an einem irrealen Wunschbild gemessen wird. Sie ist unmöglich, wenn der musikalische Ausgangspunkt de facto als einzig richtiger und nicht als einer unter mehreren möglichen angenommen wird, weil man dann Gefahr läuft, nur nach einer Rechtfertigung für sein eigene Position zu suchen statt sich mit den Problemen auseinanderzusetzen.


    Danke!!!! :jubel: :jubel: :jubel:

    Servus,


    auf folgender CD ist zwar nur ein einziges Stück von William Byrd drauf, aber allein deswegen hat sich für mich der Kauf schon gelohnt:



    Taverner & Tudor Music II: Musik von Fayrfax, Taverner, White, Byrd und Tallis


    Ars Nova Copenhagen
    Paul Hillier



    Wenn Byrd nicht runde 400 Jahre älter wäre, könnte man nämlich auf die Idee kommen, dass er sein Christe qui lux es et dies bei Arvo Pärt abgelauscht hätte.



    herzliche Grüße,
    Thomas