Wir bevorzugen eindeutig Jazz aus Europa, so kann uns das nicht passieren.
Hallo, liebe romeo&julia,
ich verstehe, was Ihr meint und da ist bestimmt auch etwas dran. Allerdings möchte ich keineswegs etwas gegen Amis "in general" gesagt haben. Ich habe überaus nette, geradezu reizende persönliche Begegnungen mit US-Staatsbürgern wie John Scofield, Pat Metheny, Steve Swallow, Randy Brecker, Rachel Z oder (ganz besonders!!!) Maria Schneider in den vergangenen 20 oder mehr Jahren gehabt. Maria Schneider grüßt mich sogar von der Bühne herunter, wenn sie mich irgendwo im Publikum sitzen sieht (so z.B. neulich bei "Jazz Baltica" in Salzau), nur weil ich mal mit ihr ein Bier im "Birdland" zusammen getrunken und mich dabei höchst angeregt mit ihr über Jazz unterhalten habe. John Scofield hat mich einmal über die Maßen beeindruckt, als ich ihn nach einem Konzert seines Trios in Essen zufällig später noch in der Fußgängerzone herumlaufen sah. Er hatte seinen Gitarrenkoffer wie einen Rucksack auf dem Rücken, wollte offenbar nach dem Konzert ein wenig die Stadt erkunden und ich sprach ihn an. Er sagte doch tatsächlich zu mir: "I know you! You're from Hamburg, right?" Und das in Essen, nicht etwa in Hamburg (wo es nicht schwer zu raten gewesen wäre, aus welcher Stadt ich komme). Zwar habe ich John Scofield schon was-weiß-ich-wie-oft gesehen, und das auch schon zu seinen absoluten Anfangszeiten (also als er noch bei enja unter Vertrag war - vor seiner Zeit bei Miles Davis). Wann immer er in Hamburg oder Umgebung ist, gehe ich hin, hole mir auch hin und wieder ein Autogramm. Aber ich erwarte nun beileibe nicht, dass er mich deswegen auf der Straße wiedererkennt. Aber so ist John nun mal: fanfreundlich und unkompliziert und einfach ein ganz, ganz toller Mensch.
Das genaue Gegenteil davon ist Paul Motian. Die hanseatische Zurückhaltung verbietet es mir, ihn mit einem Wort zu belegen, das eigentlich angemessen für ihn wäre (es fängt mit A an). Ich war mal nach einem Konzert von Joe Lovano, Bill Frisell und Paul Motian im Studio 10 des NDR im Künstlerzimmer - in welches ich nur deswegen geraten bin, weil Joe Lovano sich mit mir nett unterhielt. Und da er nun mal auf dem Weg in das Künstlerzimmer des Trios war und mit mir sprach, ging ich logischerweise einfach mit. Im Künstlerzimmer angekommen, sprach Joe Lovano freundlich weiter mit mir. Dann kam Paul Motian angeschossen, pflaumte mich an, ich solle sofort abhauen ("Get out of here!!! Immediately! Get off!!!"), und zwar in einer Weise, dass selbst Joe Lovano fassungslos war. Offenbar meinte er, ich sei in ein Revier eingedrungen, welches seines war. Dabei teilte er sich dieses Künstlerzimmer mit Frisell und Lovano, die gegen meine (ja auch nur kurze) Anwesenheit nichts einzuwenden hatten. Während Frisell und Lovano sich so verhielten, dass ich (kurz) bleiben darf, entschied Motian, ich sei ein Fremdkörper, ein Störenfried, ein zu entfernendes Subjekt. Und ordnete mir im Stile eines Militärs an, was ich zu tun habe. Das habe ich mir gemerkt.
So, das war jetzt ein wenig off topic. Zum Thema "Was hörst Du gerade jetzt?" kann ich eine CD anführen, von welcher ich es nicht geglaubt habe, dass es sie gibt. Es ist diese hier:
Die CD ist von 1973 und entstand unter Mitwirkung von John Scofield. Im Jahre 1973!!! Das war noch zu seinen Studentenzeiten in Berklee. Und schon möchte ich die Brücke schlagen zu meiner Diskussion mit moderato von heute nachmittag: zunächst einmal muss ich mich dahin gehend korrigieren, dass John Scofield nichtminderjährig war, als er 1974 gemeinsam mit Gerry Mulligan, Chet Baker und Bob James in der Carnegie Hall in New York City auftrat. Er ist am 26. Dezember 1951 geboren, war also bereits 22. Gleichwohl dachte ich immer, dass diese Mulligan/Baker-CD die allererste John Scofield-Aufnahme sei. Mein Bruder wettete mit mir, dass das nicht stimmt. Und gewann diese Wette: er schenkte mir nämlich zu Weihnachten besagte Gary Marks-CD, bei welcher John Scofield erst 21 war. Wie gut nun diese Gary Marks-CD ist, lassen wir mal dahingestellt (Scofield ist gitarristisch hoffnungslos unterfordert). Aber immerhin ist das wohl tatsächlich der früheste Scofield, den man hören kann. Und ich gebe zu: je öfter ich dieses Werk eines singer-songwriters höre (er erinnert mich stark an Nick Drake, aber auch an James Taylor, nur ist alles eben "jazziger" durch das Vibraphon von Dave Samuels, das Saxophon von Larry Schneider und das E-Piano von Michael Cochrane), umso besser gefällt es mir.
Ich verstehe übrigens langsam, was Du meinst, lieber moderato. Ich erzähle tatsächlich, wie Du gesagt hast, Geschichten zu meinen Jazz-CDs, die ich mit ihnen verbinde. Und ich könnte es nicht in vergleichbarer Weise zu meinen (sehr, sehr vielen) Klassik-CDs tun. Woran liegt das bloß?
Herzliche Grüße an Euch
Euer Swjatoslaw