Hallo,
ich stimme Wolfgang insofern zu, als dass ich bei meiner ersten Begegnung mit Simpson (wie oben erwähnt, es war die Elfte) auch vor allem an Carl Nielsen denken musste. Zum Thema Beethoven hat sich Wulf ja schon geäußert - ich persönlich finde, dass man einen gewissen beethovenesken Einschlag in Simpsons Musik nicht leugnen kann. Zum Beispiel gibt es zwischen Simpsons Zehnter und der Hammerklaviersonate ja nicht nur strukturelle, formale Paralellen, sondern sogar das Hauptthema des ersten Satzes nimmt offenbar Bezug auf Beethovens Opus 106. Was genau das Beethovensche dieser Musik ausmacht, ist für mich schwierig zu sagen. Ich müsste mich noch intensiver damit auseinandersetzen, um zu einer schlüssigen Antwort zu gelangen.
Ich halte den Hinweis auf Inspirationsquellen bei Simpsons Musik für sehr wichtig, denn es scheint mir so, als wäre Simpsons Musik ohne diesen Hintergrund überhaupt nicht denkbar. Sein Schaffen ist meiner Ansicht nach stark von der Beschäftigung mit "älterer" Musik geprägt, reflektiert diese, betrachtet einzelne markante Aspekte wie durch ein Prisma. Dass man dies nicht in jedem Falle sofort bemerkt, spricht eben dafür, dass Simpson eine eigenständige kreative Persönlichkeit war mit einem bemerkenswerten kompositorischen Profil, sodass die genannten Einflüsse letztlich wirklich integriert, in die Musik Simpsons eingeschmolzen werden und keine Fremdkörper aus anderen musikalischen Welten bleiben. Für mich ist das eine sehr "gebildete", kluge Musik.
Ich wüsste nicht, dass Simpson Zwölftontechnik im Schönberg'schen Sinne anwendet, z.B. ist der Hinweis auf die chromatische Skala zu Beginn der Neunten Sinfonie ja auch nicht im reihentechnischen Sinne zu verstehen. Simpson geht eben vom anfänglichen dis aus in Quartabständen die chromatische Skala in den Grundtönen durch, um beim erneuten Erreichen des "dis" zu einem ersten Höhepunkt zu gelangen. Das ist eine Art Evolution, die für Simpsons Musik sehr charakterisch ist - nach und nach setzen sich die Motivfragmente zu einem großen Komplex zusammen. Die umgekehrte Vorgehensweise findet man übrigens genau so - etwa am Schluss der Neunten Sinfonie. Manchmal verwendet Simpson auch Zwölftonakkorde, aber wie gesagt: davon, dass er sich an echter Reihentechnik orientiert, weiß ich nichts. Mir scheint die Handhabung seiner motivischen Partikel jedenfalls recht frei zu sein.
Speziell zu der Neunten Sinfonie: ich glaube nicht, dass die allgemeine Wertschätzung gerade dieser Sinfonie unbedingt etwas mit "Zahlenmystik" oder dergleichen zu tun hat. Ich möchte folgende Aspekte einmal herausstellen: zunächst ist diese Sinfonie ein für Simpson sehr charakteristisches Werk - die Grundzüge seiner Musik kann man hier sehr gut nachvollziehen - in Ansätzen habe ich das ja schon dargestellt. Zweitens ist die Sinfonie ein emotional ungemein ansprechendes Werk, etwa durch die beiden großen Klangballungen im ersten und letzten Satz und die finale Leere, "als starre man in die Weite des Weltalls" (so ähnlich wird es ja im Beiheft beschrieben). Wie ich bereits erwähnt habe, halte ich überhaupt diese kosmischen Assoziationen für sehr charakterisch für Simpsons Musik. Das geht übrigens wieder in die Richtung dessen, was ich mit "intelligenter Musik" meine - Musik, die vom geistigen Horizont ihres Schöpfers geprägt ist.
Schlussendlich noch ein paar Worte zum Thema Pettersson und Co. Erstens muss ich sagen, dass ich persönlich wenig von Thesen wie "der letzte Sinfoniker" et al. halte - die Sinfonie an und für sich ist sicherlich eine der Musikgattungen, die mich besonders interessieren, und ich kenne wirklich etliche (sehr gute) Sinfonien auch nach Pettersson und Simpson. Von einer These à la "Die Sinfonie ist tot" kann meiner Ansicht nach einfach keine Rede sein.
Mir liegt der Vergleich Simpson - Pettersson allerdings auch ohne diesen Hintergrund schwer im Magen. Das hat mehrere Gründe: zum einen leuchtet es mir einfach nicht ein, warum ich mich im Sinne eines Vergleichs festlegen sollte auf einen Komponisten oder dergleichen - lieber versuche ich, einen Komponisten wie Simpson als bemerkenswerte Erscheinung wahrzunehmen und zu versuchen, seine Eigenheiten zu ergründen. Das gleiche mache ich auch mit Pettersson (dessen Sinfonien ich derzeit erkunde). Was mich an der Musik des 20. Jahrhunderts besonders fasziniert, ist eben die Vielfalt. Warum einen Favoriten benennen, wenn man so viele verschiedene Sachen hören kann, die alle ihren eigenen Reiz haben...
Ich glaube aber auch, dass Pettersson und Simpson ganz unterschiedlich an Musik herangehen, vielleicht zu unterschiedlich, um sie miteinander zu vergleichen. Zumindest im Falle von Pettersson bin ich vielleicht noch nicht hinreichend mit seiner Musik vertraut, aber es scheint mir doch etwas in die folgende Richtung zu gehen: Petterssons Musik handelt offensichtlich viel vom Leiden, ist wohl von seiner persönlichen Krankheit geprägt, spricht vielleicht sogar die Probleme der Menschheit an (ich meine, ein derartigen Zitat Petterssons im Hinterkopf zu haben).
Das ist aber nicht das, was Simpson motiviert: seine Musik geht von einer objektiveren Position aus, bewegt sich auf einer abstrakteren Ebene. Nicht der Mensch, sondern der Kosmos ist das Thema dieser Musik, könnte man wohl etwas plakativ formulieren. Man betrachte nur einmal die Sechste und Siebte Sinfonie: in der Sechsten setzt sich Simpson ja bekanntlich mit der Entstehung eines menschlichen Lebens auseinander - aber wie er das tut, mit der "DNA"-Musik, ist eben eine andere Ebene, als sich mit einem Menschen als emotionalem Wesen zu beschäftigen. Selbst der "optimistische" Schluss (in D-Dur) ist irgendwie vor allem eine Apotheose auf die elementare Energie, die Lebenskraft an und für sich, und kaum die Darstellung eines glücklichen Werdegangs oder dergleichen, wie ich finde. Thema ist nicht der Mensch in seinen Gefühlen und als Privatperson, sondern das elementare Leben.
Die Siebte Sinfonie ist viel dunkler und konfliktbeladener. Aber ist es nicht so, dass Simpson hier vor allem die Konflikte und Antagonismen an und für sich schildert und weniger die Probleme oder das Leiden des Menschen (wie es Pettersson vielleicht tut)? Ich denke, ein Trauermarsch wie in Petterssons Sechster Sinfonie wäre in Simpsons Musikverständnis einfach nicht möglich. Jemand schrieb mir einmal, Simpsons Musik sei "Architektur" - nun ja, auf jeden Fall (auch) ein Spiel mit Formen, mit Motiven und Ideen. Subjektives ist hier jedenfalls kaum von Belang. Deswegen tue ich mich auch schwer damit, Simpson als "optimistischen" Sinfoniker zu begreifen; ich glaube, das sind nicht die Kategorien, die diese Musik nun unbedingt begreifbar machen.
So weit meine Gedanken zu dieser Thematik! Schade, dass ich derzeit so wenig Zeit habe, eigentlich müsste ich ein paar Gedanken noch näher ausführen... Habe mich schon kurz gefasst, ist aber doch alles ziemlich umfänglich geworden.
Viele Grüße
Holger