Natürlich ist Beethoven ein Genie, und zwar das größte überhaupt in der ganzen Musikgeschichte. Dafür ist Bach überhaupt kein Genie, wenn überhaupt, dann ein handwerklich geschickter Akkordarbeiter. Punkt.
So, nach dieser polemischen Einführung nun ein paar Ausführungen:
Mozart - Das Genie?!?
Sicherlich war Mozart eine der überragendsten musikalischen Begabungen der Geschichte, sein Frühwerk ist für das Alter einfach konkurrenzlos gut, die Technik weit entwickelt usw.
Aber:
Der Eindruck, dass sich Mozart vieles einfach so aus dem Ärmel schüttelte, rührt meiner Meinung nach vor allem auch daher, dass so wenig Skizzen von ihm erhalten sind und etliche überlieferte Anekdoten von Kompositionen beim Kegeln etc. diesen Genie-Status noch zu untermauern scheinen.
Der "Star" unter den Würzburger Musikwissenschaftlern, Prof. Dr. Ullrich Konrad, dessen Forschungsschwerpunkt bei Mozart liegt, hat indessen etliche der erhaltenen Skizzen untersucht und kommt zu dem Schluß, dass hinter der scheinbaren Leichtigkeit und Perfektion Mozartscher Kompositionen harte Arbeit steckt. Dies belegen unter anderem Skizzen zu einem Kanon, den Mozart mit ein paar Freunden gerne gesungen hat, in denen Mozart in Partiturnotation etliche Varianten erprobt, wie es am besten funktioniert etc. Ein Artikel über diese Untersuchung erschien vor einiger Zeit im Bild der Wissenschaft (denke ich jedenfalls, dass es darin war.)
Wie schwierig es ist, die scheinbare mozartische Leichtigkeit in den Kompositionen zu erreichen, kann wohl jeder bezeugen, der das jemals versucht hat (Ulli?
)
Im übrigen stimmt es ja nicht, dass Beethoven und Brahms keine Wunderkindkarrieren gehabt hätten bzw. haben hätten können.
Es ist nur so, dass Beethoven in jungen Jahren vor allem als Klaviervirtuose auffiel und erst später als Komponist in Erscheinung trat, wenn seine ersten Kompositionsversuche auch schon sein Talent bezeugen. (Meines Wissens sind die Variationen über einen Marsch von Dressler das erste veröffentlichte Werk)
Brahms war ebenfalls ein pianistisches Wunderkind, der allerdings durch behutsamen Aufbau seitens seiner Kompositionslehrer und Klavierlehrer davor geschützt wurde, zu früh "verheizt" zu werden. Dadurch wurde ihm erst einmal ein solides Handwerkszeug vermittelt. Das Ergebnis ist beeindruckend, ich kenne keine Komposition von Brahms, die nicht handwerklich perfekt gemacht (und wunderschön) wäre.
Auch Bruckner, der als Spätentwickler gilt, hat im Alter von nur 18 Jahren unter anderem eine Messe in C-Dur geschrieben, die einfach ausnehmend gute Musik ist, alle Ansätze reifer Brucknerscher Musik in sich trägt und wirklich bezaubernd schön ist.
So, zurück zu Beethoven, und warum ich ihn für das größte Genie überhaupt halte:
Beethoven hat musikalisch den Weg bereitet für die komplette Musik des 19. Jahrhunderts und ins zwanzigste Jahrhundert hinein.
Beethoven hat um seine Werke gerungen, das ist wahr, aber was dabei herauskam ist unglaublich. Ein paar seiner Errungenschaften:
-Entwicklung der Sinfonie zur Charaktersinfonie, weg vom Gelegenheitscharakter früherer Sinfonik, jede Sinfonie als prägnantes, eigenständiges, einmaliges Kunstwerk
-Verlagerung des Schwerpunktes innnerhalb der Sinfonie vom Kopfsatz zum Finale, eine Tendenz, die in der Romantik weiter entwickelt wurde, siehe Mahler und Brahms
-Die Einführung des vokalen in die Sinfonik (jaja, ich weiß, eigentlich war das Peter von Winter, aber naja, der ist wohl mehr für Spezialisten), die viele spätere Sinfoniker von Mendelssohn bis Schostakowitsch beeinflusst hat
-In der 6. Sinfonie ist meiner Meinung nach schon die Keimzelle für die Sinfonische Dichtung der Romantik angelegt, das Ausbreiten von Gefühlen und Stimmungen wird hier erstmals eindeutig über die Verarbeitung thematischen Materials gestellt.
Allgemein hat Beethoven also mit seinen 9 Sinfonien ein Vermächtnis hinterlassen, um welches die späteren Sinfoniker nicht herumkamen, auf irgendeine Weise musste sich jeder Komponist mit diesen Werken auseinandersetzen und wurde gewissermassen davon auch geprägt.
Eine weitere wesentliche Entwicklung war die "Versinfonisierung des Solokonzertes", ein stärkeres Vermischen der beiden Gattungen, verstärkt ab dem dritten Klavierkonzert und im Violinkonzert zu beobachten, eine Entwicklung, die bei Brahms meiner Meinung nach einen Höhepunkt findet.
Die Entwicklungen, die sich in den letzten Klaviersonaten und Streichquartetten andeuten, deuten meiner Meinung nach bis ins 20. Jahrhundert voraus.
Nun ja, so viel erstmal dazu, ob man daraus ableiten kann, ob jemand die Kriterien für ein "Genie" erfüllt oder nicht, weiß ich nicht.
Im Endeffekt sind sehr viele Komponisten ja irgendwie genial, oder nicht?
Gruß, flo