"The day's grown old; the fainting sun
Has but a little way to run,
And yet his steeds with all his skill,
Scarce lug the chariot down the hill..."
Es lange Zeit gedauert bis ich mich mit Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streichorchester einigermaßen anfreunden konnte. Ich empfand diese Musik als zu deprimierend, woran besonders die beiden mittleren Sätze Elegy und Dirge nicht ganz schuldlos waren. Denn Britten konfrontiert darin den Zuhörer schonungslos und direkt mit den Themen Vergänglichkeit und Tod. Andererseits ist es eine wunderschöne, genial ersonnene Musik, die selbst eingefleischte Skeptiker in Bezug auf die Klänge des 20. Jahrhunderts für sich einnehmen dürfte. Auch ich habe nach mehrfachem Wiederhören zwischenzeitlich die Qualität und die Schönheit dieses Werks kennen und schätzen gelernt.
Britten schrieb diese Serenade im Jahr 1943 für den Tenor Peter Pears und den Hornisten Dennis Brain. Das Werk setzt sich aus sechs Liedern nach Texten englischer Dichter zusammen. Umrahmt wird es von einem unbegleiteten Prolog und einem Epilog des Solohorns, wobei der Epilog nichts anderes als eine Reprise des Prologs ist.
"...The shadows now so long do grow,
That brambles like tall cedars show;
Mole hills seem mountains, and the ant
Appears a monstrous elephant..."
Das erste Lied Pastoral (Text von Charles Cotton, 1630-1687) malt die Stimmung eines Abends auf dem Lande. Es ist eine recht schlichte Komposition; auf mich wirkt sie heiter und sehr zärtlich und ruft Bilder einer anmutigen Landschaft in den satten Farben des Abendlichts hervor. Das Orchester hält sich hier noch zurück. Es lässt den beiden Solisten den Vortritt und beschränkt sich auf warme Streicherakkorde.
Etwas mehr Bewegung kommt im Nocturne (Text von Alfred Lord Tennyson, 1809-1892) auf, das für mich ebenfalls die musikalische Darstellung einer nächtlichen Landschaft ist. Die Streichinstrumente sollen mit ihren quirligen Motiven wohl die Seen und Wasserfälle imitieren:
"...the long night shakes across the lakes,
And the wild cataract leaps in glory..."
Sehr schön komponiert hat hier Britten die Übergänge von Bewegung und Stillstand, sowie die immer zu Beginn der einzelnen Strophen wiederkehrenden Impulse, die erneut die Musik zum Fließen bringen:
"...Blow, bugle, blow, set the wild echoes flying,
Bugle, blow; answer echoes, answer, dying,
dying, dying..."
Mit dem nächsten Lied Elegy (Text von William Blake, 1757-1827) ist es mit dieser heiteren und gelösten Stimmung zunächst einmal vorbei.
"O Rose, thou are sick!"
Das abwärts gerichtete Sekundmotiv und die von den Streichern gespielten Synkopen lassen bereits in den ersten Takten keinen Zweifel, dass es für die Rose keine Hoffnung mehr gibt. Während Elegy noch vom Vergehen handelt, befasst sich das darauf folgende Dirge (Text: Anonym,15. Jahrhundert) bereits mit dem Tod:
"This ae nighte, this ae nighte, Every nighte and alle,
Fire and fleete and candle-lighte,
And Christe receive thy saule..."
Unerbittlich wiederholt der Tenor die kurze Melodie. Die Streicher beginnen zaghaft - zunächst nur die Bässe - den Gesang kommentierend zu begleiten. Der Kontrapunkt erweckt den Eindruck als würde das Orchester gegen die Botschaft rebellieren. Der Tenor lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Sänger und Orchester scheinen sich gegenseitig hochzuschaukeln. Auch das Horn bemüht sich, Einspruch zu erheben, vergeblich. Zum Ende des Liedes hat das Orchester seinen Kontrapunkt und seinen Protest aufgegeben, als hätte es sich nunmehr mit dem Schicksal abgefunden.
Glücklicherweise zeigt sich Benjamin Britten gnädig mit uns und erlöst uns im folgenden Hymn (Text von Ben Jonson, 1572-1637) von der morbiden Stimmung. Heitere und lebhafte Jagdtöne erklingen in diesem fast volksliedhaft anmutenden Lied:
"Queen and huntress, chaste and fair,
Now the sun is laid to sleep,
Seated in thy silver chair,
State in wonted manner keep:
Hesperus entreats the light,
Goddes excellently bright..."
(Da ich trotz bayerischen humanistischen Abiturs nicht mehr so sattelfest in der griechischen Mythologie bin, wäre ich hier für jede Hilfe zum Verständnis des Textes dankbar.)
Unterdessen ist es Nacht geworden. Im abschließenden Sonett (Text von John Keats, 1795-1821) wird der Schlaf besungen:
"...O soothest Sleep! If so it please thee, close
In midst of this thine hymm my willing eyes..."
Britten schenkt uns zum Schluss ein wahrhaft inniges, eindringliches und im wahrsten Sinne des Wortes "traumhaftes" Musikstück. Das Horn schweigt. Der Tenor wird allein von den Streichern diskret begleitet. Was für eine Lyrik:
"...Save me from curious Conscience, that still lords
Its strenght for darkness, burrowing like a mole;
Turn the key deftly in the oiled wards,
And seal the hushed Casket of my soul."
Unsichtbar hinter der Bühne spielt der Hornist den Epilog.
Wie wird der Morgen sein?