Beiträge von Basti


    Rúni Brattaberg (Ochs), Sara Hershkowitz (Sophie [Premierenbesetzung]), Steffi Lehmann (Leitmetzerin), Nadja Stefanoff (Octavian)




    Barbara Buffy (Annina), Christian-Andreas Engelhardt (Valzacchi), Rúni Brattaberg (Ochs)




    George Stevens (Faninal), Sara Hershkowitz (Sophie [Premierenbesetzung])




    Rúni Brattaberg (Ochs), Christian-Andreas Engelhardt (Valzacchi), Chor



    Die Zeit ist ein sonderbar' Ding“: „Der Rosenkavalier“ in Bremen (9. Oktober 2010)
    Tobias Kratzers Bremer Deutung von Strauss' beliebtester Oper ist begeisternd, zum Nachdenken anregend, nachvollziehbar und vor allem nie langweilig. Die musikalische Seite unterstützt das hohe Niveau.


    Dass sie das noch erleben dürfen: Am Ende bleibt die überdimensionale Uhr stehen, und Octavian und Sophie flüchten sich in den Bereich, den soeben Mohammed (fabelhaft in all seinen Facetten, die er in der Inszenierung durchmacht: Samba Gabbi) mit Absperrband umgeben hat – sie haben sich der Zeit entzogen. Die Uhr zieht sich wie ein roter Faden durch die Inszenierung: Im ersten und zweiten Akt, die in einem Kaufhaus um 1910 bzw. 1950 spielen, hängt sie riesig mittig über einer Treppe. Im dritten ist sie eine Digitaluhr geworden, mit der sogar angezeigt wird, dass vom Eintreffen des Polizeikommissars bis zum Auftritt der Marschallin die ganze Nacht vergeht (eine gar nicht mal abwegige Idee). Die von Einfällen schier überbordende Inszenierung erzählt man am besten chronologisch.
    Vor dem ersten Akt gehen ein Mann und eine Frau, gekleidet in aufwändige Gewänder der Kaiserzeit, an einem Schaufenster mit ausgestellten Hüten vorbei. Der kleine Kasten gleitet auseinander und gibt den Blick auf das Bühnenbild (Rainer Sellmaier) frei: Ein Kaufhaus um 1910 (eher 1914, die Marschallin liest beim Lever Zeitung, Schlagzeile: „Attentat in Sarajewo“). An einer Umkleidekabine vorn links hängt ein Spiegel, die Marschallin sieht hinein und ihr Spiegelbild wird zu Octavian. Beim Lever fährt die schräge Rückwand zur Seite, man sieht Schmuckstände, der Tierhändler kommt in Safarikleidung, ein Zeitungsjunge schwirrt umher, der Sänger steigt die Treppe hinab, Kunden bevölkern die Gänge. Beim Zeit-Monolog der Marschallin steigen nackte Frauen verschiedenster Statur aus der Uhr und die Treppe hinab, und die Marschallin betrachtet sie. Eine fabelhafte Symbolisierung!
    Bevor der zweite Akt beginnt, sieht man Sophie in dem Kasten stehen, der nun mit einem Fernseher und einem Tisch eingerichtet und durch einen Vorhang vom Rest der Bühne getrennt ist. Sie schaut Werbespots („Persil“, „Overstolz vom Rhein“, „Hoover“), die Überreichung der Rose findet an einem Tisch statt, über dem „Dein Heim – deine Welt“ steht. Wenn der Kasten verschwindet, besteht das Bühnenbild aus einem runden Regal mit Konservendosen und Plakaten im Hintergrund („Männer mögen Dr.-Oetker-Pudding“, „Bosch-Küchenmaschinen“, „Persil“), die später nach oben gleiten und die bekannte Treppe zeigen, die nun mit Fernsehern voll gestellt ist. Statt Ochs mit dem Degen zu stechen, zerdeppert Octavian (in Motorradjacke!) eine Porzellanfigur. Auch am Ende dieses Aktes steht ein großartiger Einfall: Sein Leiblied tanzt Ochs mit Annina, die hier als Sensenmann auftritt, und erleidet dabei fast einen Herzanfall – ein Tanz mit dem Tod, dem gesellschaftlichen Exitus, den Ochs bald erleiden wird!
    Der dritte Akt spielt heute. Zunächst singt der Sänger (jetzt obdachlos) seine Arie zum Playback aus einem Radiorecorder, von Ochs und Leopold noch lächelnd beäugt, und Mohammed hängt „Alles-muss-raus“-Schilder auf. Wieder gleitet der Kasten auseinander, wir sehen ein schmuckloses Kaufhaus mit vier Säulen, in denen sich Umkleidekabinen befinden und besagter Digitaluhr. Im Hintergrund der Bühne liegen/stehen Schaufensterpuppen, das „mordsmäßig große“ Bett ist ein Sarg, in dem Ochs verständlicherweise nicht schlafen will. Zwischen ihm und Mariandel/Octavian läuft rein gar nichts, und als sich Ochs an einer der Puppen versuchen will, erwachen diese zum Leben („Da und da und da und da!“). Nachdem er sich wieder einigermaßen gefasst hat, spricht er „Leopold, wir gehen!“, doch im Gewühle der Menge (die hereinstürmt und den Laden plündert) trifft ihn der Schlag, und er bleibt tot liegen. Octavian und die Marschallin (die nun wirklich „die alte Frau“ geworden ist) legen Rosen nieder. In den letzten Takten fliegt ein Ball in den eingezäunten Bereich. Drei Kinder, zwei Jungen, ein Mädchen, laufen hinein, doch die Jungen lassen das Mädchen stehen. Aus einem Fenster oben grinst Valzacchi, der als Todesengel gekleidet ist: Es geht alles immer weiter...
    Unter der Leitung vom Markus Poschner spielten die Bremer Philharmoniker grundsolide, nicht mehr und nicht weniger. Nadja Stefanoff war ein wirklich hervorragender Octavian voll vokaler Brillanz, aber so großartig, wie sie in den Kritiken herüberkam, fand ich sie denn doch nicht. Der sympathische George Stevens veredelte den Faninal mit seinem dunklen Bariton und herrlich aufgedrehtem Spiel, und Hinako Yoshikawa als seine Tochter beeindruckte mit glasklarem Sopran und exzellenter Textverständlichkeit. Als Baron Ochs stand Rúni Brattaberg auf der Bühne. Er verfügt über einen gewaltigen Bass mit zwar manchmal geglucksten Höhen, aber dafür unfassbaren Tiefen. Man versteht, warum er in dieser Rolle schon Cover an der Met war, auch wenn er in einer Einheitslautstärke und fast ohne jeden Ausdruck singt. Doch darstellerisch macht er einiges wett. Von den exzellenten Sängern der Nebenrollen verdienen Randall Bills als Sänger, Barbara Buffy als Annina und Christian-Andreas Engelhardt besondere Erwähnung. Und endlich gibt es mal adelige Waisen, die wirklich schreien! Doch die beste Leistung des Abends brachte Carol Wilson als Marschallin mit faszinierender Textausdeutung und einer Präsenz, die nur mit dem englischen Wort „thrilling“ beschrieben werden kann.
    Die neue Bremer Deutung des „Rosenkavaliers“ hat das Zeug zum Klassiker, und man darf die Entwicklung des erst 30-jährigen Regisseurs gespannt verfolgen.


    THEATER AM GOETHEPLATZ, BREMEN
    Richard Strauss: Der Rosenkavalier. Premiere am 26. September, besuchte Vorstellung am 9. Oktober 2010. Solisten: Carol Wilson (Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Rúni Brattaberg (Der Baron Ochs auf Lerchenau), Nadja Stefanoff (Octavian), George Stevens (Faninal), Hinako Yoshikawa (Sophie), Steffi Lehmann (Leitmetzerin), Christian-Andreas Engelhardt (Valzacchi), Barbara Buffy (Annina), Loren Lang (Ein Polizeikommissar), Bert Coumans (Der Haushofmeister bei der Marschallin), Randall Bills (Der Haushofmeister bei Faninal, Ein Sänger), Christian Hübner (Ein Notar), Martina Parkes, Sirin Kilic, Astrid Kunert (Drei adelige Waisen), Anne-Kathrin Auch (Eine Modistin), Robert Lichtenberger (Ein Tierhändler), Sangmin Jeon, Can Tufan, Wolfgang von Borries, Allan Parkes (Vier Lakaien der Feldmarschallin), Achim Rikus, Zoltán Melkovics, Johannes Scheffler, Daniel Wynarski (Vier Kellner), Daniel Ratchev (Ein Hausknecht), Samba Gabbi (Mohammed), Christian Adam (Leopold). Inszenierung: Tobias Kratzer, Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier, Licht: Christian Kemmetmüller, Chor und Kinderchor: Daniel Mayr, Dramaturgie: Hans-Georg Wegner. Musikalische Leitung: Markus Poschner.

    Glaubt man den Gerüchten, so hat Lucio Gallo sein Engagement als Telramund wegen Krankheit abgesagt. Als Ersatz werden Hans-Joachim Ketelsen und auch Simon Keenlyside gehandelt. Jener hat den Posa in München abgesagt - angeblich, weil er Gallo in Bayreuth covert. Dann würde jetzt Keenlyside den Telramund übernehmen. Weiß jemand mehr bzw. gibt es schon Offizielles?


    :hello:

    Mozart zum Schießen: „Le nozze di Figaro“ in München (14. Juli 2010)



    © Bayerische Staatsoper


    Ich kann mit Fug und Recht behaupten, noch nie in der Oper so viel gelacht zu haben. Dieter Dorn[b]s Inszenierung von „Le nozze di Figaro“ bietet einem zahlreiche Anlässe dazu, lässt aber auch die psychologisch düsteren Momente nie aus den Augen. Einige Beispiele: In „Cosa sento? Tosto andate“ findet der Graf Cherubino unter einem Kleiderstapel. Im zweiten Akt liegt auf dem Stuhl bei der Gräfin ein Kleiderstapel – der Graf zieht den Degen und schlägt mit der flachen Seite darauf. Große Heiterkeit im Saal. Auch Don Curzios Stottern oder das Auftreten von Basilio, Marcellina und Bartolo sorgen für Angriffe auf die Lachmuskeln. Die Gags sind überwiegend ziemlich billig, aber werden mit soviel Gusto serviert, dass es einfach Spaß macht und man sich gern amüsiert. Ein „Figaro“, wie er sein sollte.
    Für die Opernfestspiele war diese Inszenierung vorbildlich geprobt worden, und was herauskam, war eine spritzige Ensembleleistung. Da hatte man trotz der namhaften Besetzung nie den Eindruck, dass die Gäste sich als Stars sahen und die Ensemblemitglieder ihr Ding machen ließen. Als Graf stand [B]Mariusz Kwiecien
    auf der Bühne. Zu seiner einwandfreien und mitreißenden vokalen Leistung mit seinem virilen Bariton kommt ein schier unglaubliches darstellerisches Talent. Der Mann war für drei Stunden tatsächlich Il Conte di Almaviva. Seine Bühnengattin Barbara Frittoli agierte eher zurückhaltend, zudem entwickelt sie ein äußerst starkes Vibrato, hat die Spitzentöne aber einigermaßen unter Kontrolle und kann mit ihrem runden Timbre punkten. Ich will niemanden besonders hervorheben, alle Mitwirkenden waren großartig, aber wenn ich es müsste, so würde ich doch Anna Bonitatibus nennen. Ihr Cherubino hatte alles, was man von der Figur erwartet: Das Getriebene, Rastlose, eine wunderbare Stimme und eine tolle, erfrischende Darstellung. Ideal. Anderes war auch nicht zu erwarten von Ildebrando D'Arcangelo, der sich nach etwas einförmigen Beginn fing und eine superbe Leistung als Figaro ablieferte. Susanna wurde von Camilla Tilling gegeben, und sie und D'Arcangelo ergänzten und befruchteten sich optimal. Als Bartolo konnte Donato Di Stefano seinen Buffocharakter wunderbar einsetzten. Weniger gefiel mir Heike Grötzinger als Marcellina, aber das fiel nicht weiter ins Gewicht. Dass ihre Arie gestrichen wurde, kam nicht nur mir, sondern auch ihr sehr entgegen, denn mit der hätte sie sich keinen Gefallen getan. Die Arie des Basilio hätte ich indes gern gehört oder vielmehr gesehen: Ulrich Reß sang zwar mit gequetschter Tongebung, spielte aber derart überzeugend, dass man das gern vergaß. Kevin Conners sang Don Curzio einwandfrei und sorgte mit „S-s-s-s-sua madre“ für einen der größten Lacher des Abends. Besondere Erwähnung verdient auch Alfred Kuhn als Antonio. Er hat schon gar keine Stimme mehr – aber wie er die und sein darstellerisches Talent einsetzt, bescherte ihm einige Bravi. Barbarina wurde mit schönem Sopran von Evgeniya Sotnikova gesungen, Gleiches gilt für die zwei Mädchen von Eveline Ertl und Ruth Irene Mayer.
    Die musikalische Leitung lag in den Händen von Juraj Valcuha. Er dirigierte grundsolide und umsichtig. Das war zwar kein Ausfall, andererseits aber auch entsetzlich fad.
    Es war also eine rundum zufriedenstellende Aufführung. Doch ein solches Benehmen der Leute um mich herum habe ich noch nicht erlebt. Im dritten Akt zog eine junge Frau vor mir die Schuhe aus und lehnte einen Fuß an die neben ihr aufragende Säule. Beim Applaus brüllte sie selbst für Barbarina „Wo-hoo!“ wie auf einem Popkonzert. Meine Nebendame baute ständig einen Kugelschreiber auseinander und wieder zusammen, blätterte im Programmbuch, um über die Handlung Bescheid zu wissen (darüber informiert man sich gefälligst vorher) und begann in „Tutto é tranquillo e placido“ mit ihrem Besetzungszettel zu wedeln. Als ich „St!“ machte, bemerkte sie das nicht einmal! Hätte sie noch länger gewedelt, ich hätte ihr das Ding aus der Hand gerissen und erst nach Ende der Vorstellung wiedergegeben. Beim Schlussapplaus jedoch rächte ich mich: Bereits während die Sänger noch vor den Vorhang traten, lugte das Ehepaar immer wieder, wann ich denn nun gehen würde. Ich machte aber keine Anstalten. Als die Frau mich ansprach: „Entschuldigung, könnten Sie uns wohl vorbei lassen?“ erwiderte ich: „Nö. Man geht, wenn die Künstler sich das letzte Mal verbeugt haben und das Licht wieder angeht und nicht irgendwann vorher. Und man raschelt auch nicht mittendrin mit seinem Besetzungszettel rum.“ Allein der Blick der Frau und ihres Gatten ließ mich die Trübung des Abends dann doch wieder vergessen.



    BAYERISCHE STAATSOPER MÜNCHEN
    Wolfgang Amadeus Mozart: Le nozze di Figaro. 13. Juli 2010.
    Solisten: Mariusz Kwiecien (Il Conte di Almaviva), Barbara Frittoli (La Contessa di Almaviva), Anna Bonitatibus (Cherubino), Ildebrando D'Arcangelo (Figaro), Camilla Tilling (Susanna), Donato Di Stefano (Bartolo), Heike Grötzinger (Marcellina), Ulrich Reß (Basilio), Kevin Conners (Don Curzio), Alfred Kuhn (Antonio), Evgeniya Sotnikova (Barbarina), Eveline Ertl, Ruth Irene Mayer (Zwei Mädchen). Inszenierung: Dieter Dorn, Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose, Dramaturgie: Hans-Joachim Ruckhäberle, Licht: Max Keller. Chöre: Andrés Maspero. Bayerisches Staatsorchester, Chor der Bayerischen Staatsoper, Musikalische Leitung: Juraj Valcuha.

    Gib mir einen Ort: „Dialogues de Carmélites“ an der Bayerischen Staatsoper München (13. Juli 2010)



    Solisten, Chor, Susan Gritton (Blanche de la Force)


    © Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl


    Dass man das noch erleben darf: Eine spannende Oper, leidenschaftliche Sänger und eine brillante Inszenierung fügen sich so zusammen, dass man das Opernhaus völlig erschlagen verlässt.


    Eines vorweg: Ich kannte die Oper bisher nicht. Ich dachte mir aber, mit einer Schülerkarte für 10€ nicht viel falsch machen zu können. So kann man sich täuschen: Ich habe nicht nur nichts falsch gemacht, sondern lag ganz und gar richtig.
    Poulencs 1957 uraufgeführte Oper ist zu meinem Erstaunen ganz und gar frei von irgendwelchem „Krrks – fiedel – kreisch – kratz“, das viele noch immer als Merkmal moderner Musik im Hinterkopf haben. Die Musik ist höchst melodisch, wenn auch über weite Strecken im Konversationston komponiert. Und obwohl ich so gar nichts mit sakralen Dingen am Hut habe, faszinierte mich Poulencs psychologisch so feinfühliges Werk ganz und gar.
    Das lag nicht zuletzt an der Inszenierung von Dimitri Tcherniakov, der auch selbst das Bühnenbild entwarf (Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky, Dramaturgie: Andrea Schönhofer).
    In der ersten Szene sehen wir – gar nichts. Zunächst gehen Menschen in Alltagskleidung über die Bühne, nehmen sich in die Arme, rempeln einander an etc. - wie auf einem belebten Platz. Hernach geht das Licht aus und wir blicken auf die leere, riesige Bühne der Staatsoper. Nur etwas Rauch schwebt über der Szene. Das lässt Zeit für detaillierte Porträts der Figuren. Bald kommt das Kloster der Karmeliterinnen auf den Zuschauer zugefahren. Es handelt sich um eine Art Holzverschlag (es ist ein wenig schwer zu erklären, das Bild oben sollte helfen), bei dem die Öffnungen mit Gaze bespannt sind. In dieser Kulisse spielen sich nun ca. 90% des weiteren Abends ab. Dass das, wie in einem früheren Bericht des Tamino Klassikforum erwähnt, die Sicht behindern würde, kann ich nicht bestätigen, und dass mal ein Sänger schlecht zu sehen ist, weil er hinter einer Säule steht, liegt in der Natur der Sache und ist wohl von manchen Plätzen mal mehr und mal weniger extrem. Und wie man darauf kommen kann, es handle sich bei den Karmeliterinnen in Tcherniakovs Deutung um russische Bauersfrauen, ist mir auch ein Rätsel. Warum müssen etwas kärgliche Kleider ein unbedingter Ausweis für russische Bäuerinnen sein? Die Inszenierung steckt voller Details und beeindruckender Bilder (z.B. die Szene, in der Blanche und Constance den Boden wischen – klingt blöd, ist aber so – und vor allem der Tod der Madame de Croissy, der echte Gänsehaut erzeugt). Am Ende haben sich die Karmeliterinnen in ihrem Verschlag verschanzt und einige Gasflaschen geöffnet. Blanche rettet sie, es gibt eine gewaltige Explosion, und die Oper ist zu Ende. Das weicht zwar stark vom Libretto ab, ist aber derart spannend und bewegend, dass es diese Abweichung rechtfertigt.
    Was diese Produktion in der Seele, im Kopf des (aufgeschlossenen!) Zuschauers auslöst, ist nur schwer zu beschreiben. Ich jedenfalls war so benommen, dass ich die 1,6km von der Oper zurück zu meinem Hotel zu Fuß ging.
    Gesungen wurde nicht nur ordentlich, sondern überragend. Solch großartige Sängerdarsteller sind wohl selten zu erleben. Alain Vernhes gab mit schönen Bariton den Marquis de la Force, Bernard Richter war sein ungemein lyrisch timbrierter und schauspielerisch engagierter Bühnensohn. Blanche wurde von Susan Gritton verkörpert, und auch wenn ihre Stimme zeitweise nicht in allen Lagen sauber ansprach, machte sie das durch ihr Spiel doch mehr als Wert. Highlight des Abends (schon für ihre Sterbeszene lohnte sich das Eintrittsgeld) war die 66-jährige Felicity Palmer als Madame de Croissy. Ihre Stimme ist nicht sehr schön, aber unheimlich ausdrucksvoll, und wie sie ächzt, vom Bett fällt, Blanche umklammert und endlich ihr Leben austaucht, das ist eine Opernerfahrung, die man nicht missen will und anderen nur gönnen und wünschen kann. Soile Isokoski gab mit wunderbarem Gesang und wohltuend sanftem Spiel die Madame Lidoine, und auch Susanne Resmark als Mère Marie wusste zu gefallen, auch wenn ihr Gesang nicht immer einwandfrei war. Ihr etwas fülliges Äußeres kommt der Rolle ganz und gar entgegen. Mit wunderschön ziseliertem Sopran war Hélène Guilmette eine berührende Constance, und auch von den anderen Mitwirkenden kamen durchweg gute Beiträge.
    Dirigent der Aufführung war Kent Nagano. Da ich diese komplexe Musik zum ersten mal hörte, traue ich mich nicht, über seine Leitung zu urteilen. Mir hat's gefallen und mich veranlasst, mich mehr mit der modernen Oper zu beschäftigen. Eins bleibt jedoch erwähnenswert: Wohl als Reaktion auf seinen angekündigten Rückzug erhielt er schon beim Tritt in den Orchestergraben nahezu beängstigende Ovationen.
    Großer Jubel für alle Beteiligten nach der bewegenden Vorstellung. Seit ich gelesen habe, dass die Premierenserie für eine DVD aufgezeichnet wurde, fiebere ich dem Tag entgegen, an dem ich diese großartige Produktion auch noch einmal zu Hause erleben kann.



    BAYERISCHE STAATSOPER MÜNCHEN
    Francis Poulenc: Dialogues de Carmélites. Premiere am 28. März, besuchte Vorstellung am 13. Juli 2010. Solisten: Alain Vernhes (Marquis de la Force), Susan Gritton (Blanche de la Force), Bernard Richter (Chevalier de la Force), Felicity Palmer (Madame de Croissy), Soile Isokoski (Madamie Lidoine), Susanne Resmark (Mère Marie), Hélène Guilmette (Soeur Constance), Heike Grötzinger (Mère Jeanne), Anaik Morel (Soeur Mathilde), Kevin Conners (L'aumônier), Ulrich Reß (1er commissaire), John Chest (2éme commissaire), Christian Rieger (L'officier), Levente Molnár (Le geólier), Rüdiger Trebes (Thierry), Tobias Neumann (Monsier Javelinot). Inszenierung und Bühnenbild: Dimitri Tcherniakov, Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky. Chöre: Andrés Maspero. Bayerisches Staatsorchester, Chor der Bayerischen Staatsoper, Musikalische Leitung: Kent Nagano.

    Nun ist auch der zweite Akt rum und ich weiß noch immer noch nicht so recht, was ich von der Aufführung halten soll. Koenigs Dirigat ist prima.
    Jetzt bin ich gespannt, wie sich Terfel im dritten Akt schlägt - dort liegen die richtigen Bewährungsproben, an denen sich zeigt, wie er sich den Abend eingeteilt hat.


    Die folgende Pause dauert etwa 60 Minuten, gegen 21 Uhr geht es dann weiter.

    Seit einigen Augenblicken läuft die konzertante Aufführung der "Meistersinger" in der Londoner Royal Albert Hall. Mitgehört werden kann hier.


    Im Juni gab Bryn Terfel sein Debüt als Hans Sachs, Grund genug, heute einen Live-Bericht zu dieser Aufführung zu schreiben, in der er ebenfalls auf der Bühne steht. Die Besetzung:


    Bryn Terfel: Hans Sachs
    Raymond Very: Walther von Stolzing
    Amanda Roocroft: Eva
    Christopher Purves: Sixtus Beckmesser
    Andrew Tortise: David
    Anna Burford: Magdalene
    David Soar: Ein Nachtwächter
    Brindley Sherratt: Veit Pogner
    Simon Thorpe: Fritz Kothner
    David Stout: Konrad Nachtigall
    Paul Hodges: Hans Schwarz
    Rhys Meirion: Balthasar Zorn
    Andrew Rees: Ulrich Eißlinger
    Stephen Rooke: Augustin Moser
    Arwel Huw Morgan: Hans Foltz
    Geraint Dodd: Kunz Vogelgesang
    Owen Webb: Hermann Ortel


    Chor und Orchester der Welsh National Opera
    Musikalische Leitung: Lothar Koenigs


    Ich werde in der ersten Zeit der Aufführung nur sporadisch kommentieren können, da ich noch einen Reisebericht zu meinem München-Trip und Besprechungen zu "Dialogues de Carmélites" und "Le nozze di Figaro" an der Bayerischen Staatsoper schreiben muss. Aber auch Kommentare anderer Nutzer sind natürlich sehr erwünscht und willkommen ;)


    :hello:

    Oh ja, das wird er. Siepi besaß die vielleicht schönste (Bass-) Stimme aller Zeiten, und obwohl ich ihn erst relativ spät für mich entdeckt habe, habe ich mich in dieses Timbre, dieses Darstellen ohne billige Effekte verliebt. Für mich ist es, als sei ein guter Freund gestorben. Das wird wohl vielen so gehen. Nach dem Lesen der Todesnachricht hörte ich eine Platte von ihm, und da, es half nichts, weinte ich leise. Ich werde ihn nie vergessen. Danke, Cesare.

    Am 13.7. gehe ich evtl. in "Dialogues de Carmelites". Nagano dirigiert. Mal sehen, ob das Publikum irgendwelche Bekundungen gibt...


    Mag sein, dass ihr Münchner das besser beurteilen könnt, wie Nagano gesamt zu sehen ist, aber seine Dirigate von "Don Giovanni" und "Lohengrin" konnten mich nicht überzeugen. Vielleicht ist er ja live besser.


    :hello:

    Zitat

    Original von WotanCB aus "Opernaufführung als Übertragungen per Rundfunk oder Fernsehen"
    Leider ist meine Aufnahme vom Rheingold gescheitert. Real Player hat Mist übertragen. Hat jemand das Rheingold aus Mailand aufgezeichnet?


    Mittlerweile ist das komplette "Rheingold" aus Mailand auch bei YouTube zu finden - und zwar nicht nur akustisch, sondern als Fernsehaufzeichnung! Ich war so frei, eine Playlist zu erstellen:


    "Das Rheingold" - Teatro alla Scala 2010


    Was ich bisher gesehen habe, überzeugt mich musikalisch, aber szenisch... laaangweilig :faint:!


    Viel Spaß trotzdem ;) - und eine Diskussion wäre ja auch nett...


    :hello:

    Was soll ich als Grund anführen?


    :hello:


    Ich finde deinen Beitrag übrigens immer noch unangemessen. Die Todesnachricht kannst du wohl kaum übersehen haben (wenn doch, entschuldige bitte), und da wäre eine kleine, meinetwegen zusätzliche Kondolenz angebracht gewesen.

    Oh nein. Das ist furchtbar. Eine der schönsten Stimmen aller Zeiten ist für immer verstummt. Es passiert mir nicht oft, dass ich beim Tode geschätzter Künstler mit den Tränen kämpfen muss, aber hier...


    Als Giovanni wird er auch die Engel verführen. ;(