Beiträge von Misha

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    Du nimmst es mir bitte nicht übel wenn ich sage, mit dem Wissen, was mich da erwarten würde, hätte es für mich nur eins gegeben - fluchtartig sofort das Haus verlassen.
    Mit Deinem Erlebnis ist es für mich aber schön zu konstatieren, wir haben beide Freude daran - Du, weil es Dir trotzdem gefallen hat und Du nicht verärgert bist und ich -
    weil es mir meine vor Kurzem erlebten Liberecer Rigoletto - Aufführungen nochmal veredelt.


    Herzlichst
    CHRISSY


    Warum sollte ich das übelnehmen? Das muss jeder halten, wie er mag. Interessant war es allemal. Im schlimmsten Fall kann ich ja die Augen zu machen ;) Allein die erwähnte Sängerin der Gilda war den Besuch wert, und Oper ist mir auch akustisch live eben immer lieber als von Konserve. Ich bin in den letzten Jahren übrigens nur einmal während der Vorstellung raus aus dem Thater. Das war in Leipzig, nachdem in Hamlet der Protagonist auf die Bühne gekackt hat.

    Ja man muss tatsächlich an Schizophrenie denken, wenn jemand so etwas sagt und dann selbst diesen Mist produziert. Hilsdorf hatte ja eine kurze lichte Phase und man glaubte schon, er sei weise geworden und - vielleicht - geheilt. Nun ist er wieder in die alte Krankheit verfallen. Er ist also zu keiner vernünftigen Einsicht gelangt. Traut er eigentlich noch seinen eigenen Worten? Ist das, was er jetzt macht nicht auch Überheblichkeit, Dummheit? Aber eines aus seinen Aussagen bewahrheitet sich immer noch und hoffentlich auch bei dieser Inszenierung: Diese Verunstaltungen bleiben - wie ich schon an anderer Stelle bemerkte - Eintagsfliegen, die sich nach kurzer Zeit in Luft auflösen, während sich die werkgerechten Inszenierungen über Jahre, eventuell über Jahrzehnte halten.


    Liebe Grüße (verbunden mit dem Wunsch nach - hoffentlich bald - besseren Zeiten für den Opernfreund)
    Gerhard


    Von Hilsdorf kenne ich nur den Nabucco, den ich in diesem Jahr in Leipzig gesehen habe; völlig missglückt und vor allen Dingen so banal, dass es mir keinen Bericht wert war.

    Meiner Mutter hat es gefallen. Nach meinem Eindruck auch dem weitaus größten Teil des Publikums; allerdings werden die Leute gewusst haben, was sie erwartet; ich hatte mich vorher nicht durch Kritiken usw. informiert, da ich gerne ohne (fremde und eigene) Vorurteile in die Oper gehe und aus dem genannten Grund eh keine Wahl hatte ;)




    Nach langer Zeit war ich mal wieder in der Oper meiner Heimatstadt. Meine hochbetagten Eltern leben dort noch und meine Mutter hatte sich gewünscht, wenn ich das nächste Mal zu Besuch komme, mal wieder auszugehen. Zum Ende der Spielzeit gab es am Samstag Rigoletto.


    Hier nun (kurzgefasst) meine Eindrücke:


    Musiziert und gesungen wird in Wuppertal gut.
    Das Orchester spielte durchaus temperamentvoll, wenn auch meiner Meinung nach gelegentlich etwas zu behäbig.


    Sangmin Jeon, der den Herzog singt, hat einen schönen, kräftigen Tenor mit guter Höhe. Allerdings ist meiner Meinung nach seine Stimme für den Herzog etwas zu unbeweglich, so dass der Sänger mehr auf “Durchschlagskraft“ als auf Eleganz setzen muss. Zudem ist ihm der letzte Ton bei „La Donna e mobile“ arg verrutscht, trotzdem erhielt (durchaus verdient) großen Applaus.


    Marco-Buhrmester sang einen eleganten Rigoletto, der aber meiner Meinung nach Mühe hätte, sich in einem größeren Haus akustisch durchzusetzen, dazu ist die Stimme zu „klein“.


    Wirklich herausragend war die Gilda von Ruslana Koval. Eine derartige Spitzenleistung in dieser Rolle habe ich bisher nur sehr selten gehört. Die Stimme wird leicht und elegant geführt, die Koloraturen sind brillant ohne jede Schärfe und werden mit einer Leichtigkeit gesungen, wie ich sie lange nicht mehr gehört habe. Neben der technischen Brillanz kommt eine große Palette an Ausdrucksmöglichkeiten und Färbung der Stimme hinzu. Außerdem ist die Sängerin sehr ansehnlich, was sicherlich heutzutage auch nicht schadet ;). Wirklich eine absolut herausragende Leistung. Ich denke dass die junge Dame eine große Zukunft vor sich hat, wenn sie keine Fehler macht und nicht im Getriebe des Opernbetriebs zerrieben wird. In Wuppertal wird sie jedenfalls sicherlich mehr nicht mehr lange bleiben.


    Auch die übrigen Rollen waren zumindest solide besetzt, ich will es mir ersparen, an Kleinigkeiten herum zu meckern. Für ein kleineres Stadtheater musikalisch und sängerisch ist sicher eine ausgezeichnete Leistung.


    Kommen wir nun zur Inszenierung:


    Wenn man das Opernhaus betritt, bekommt man (was für mich als Leipziger Operngänger sehr überraschend war) kostenlos ein Programm in die Hand gedrückt, dass man allerdings auch benötigt. Auf einer Seite heißt es „Wer ist Wer in Mantua?“ und dann folgt eine Liste aus der ich hier auszugsweise zitiere:
    Der Herzog von Mantua, Spitzenkandidat der Wahlsiegerpartei Mantua United;
    Monterone, Ciprano, Malrullo, Borsa Vorstandsmitglieder der Partei
    Sparafucile, ein Security Mitarbeiter
    Rigoletto, ein Talkmaster und Meinungsmacher im staatlichen Fernsehen
    Giovanna, Ärztin einer geschlossenen Psychiatrie.


    Wir befinden uns zu Beginn des Stückes auf der Wahlparty der genannten Partei.
    Der „Herzog“, also der Parteichef, ist sexbesessen und hat zudem (die Utensilien trägt er meist bei sich) eine Vorliebe für Sado-Maso spiele.
    Rigolettos Tochter ist Insassin einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt. Dort besucht sie der Vater, von dort wird sie entführt.


    Der Regisseur erklärt im Programmheft, dass es unmöglich sei, sich ernsthaft in die Originalgeschichte zu vertiefen, da der „Plot“ ihm Sorgen mache; er erfahre in unserer Zeit keine Glaubwürdigkeit mehr, da Handlung und Personen restlos im 19 Jahrhundert verhaftet seien und nicht mehr als lebendig empfunden werden. Es folgt dann eine weitere lange Erklärung, warum diese Art der Inszenierung gewählt wurde.


    Übrigens fehlt in dieser Inszenierung auch eines der klassischen Versatzstücke das Regietheaters, nämlich die Aktentasche nicht, in dieser trägt der als Schülerkarikatur verkleidete „Herzog/Parteichef“ seine Sado-Maso Utensilien bei seinem Besuch in der Klapsmühle, wenn er versucht, Gilda zu verführen.


    Nun könnte ich es mir einfach machen, und beifallheischend sagen, "Regietheater", "Werkverfälschung", also alles gr0oßer Mist.
    So einfach ist die Sache aber nicht. Das Ganze ist nämlich hervorragend umgesetzt.
    Die Personenregie ist exzellent; die Interaktion der Personen, und der schauspielerische Aspekt sind ganz hervorragend gelöst, so dass ich dem Spektakel wirklich fasziniert gefolgt bin.
    Übrigens hat es auch meiner Mutter (die immerhin schon auf die 90 zu geht) sehr gut gefallen.
    Das Ganze hat hohen Unterhaltungswert und ist, wenn man einmal von der handwerklichen Umsetzung ausgeht, hervorragendes, spannendes Theater.
    Auch die Idee ist ja nicht schlecht.
    Nur hat das ganze meiner Meinung nach mit der Vorlage überhaupt nichts mehr zu tun.
    Das ist ein anderes Stück zu Verdis Musik zu Rigoletto.
    Außerdem bin ich schon immer misstrauisch, wenn Regisseure meinen, im Programm ihre Inszenierung langatmig erklären zu müssen. Zum anderen, und das hat mich wirklich sehr gestört und ist entlarvend, wurde die deutsche "Übersetzung" (das Ganze wird in der Originalsprache gesungen) teilweise passend gemacht. Am italienischen gesungenen Libretto wurde zwar mE nichts geändert, aber die deutsche Übersetzung, die über das Bühnenportal projiziert wurde, war teilweise eine völlig andere als der italienischen Text und wurde regelrecht nach dem Motto hergestellt, „was nicht passt, wird passend gemacht“, wohl damit kein allzu krasser (lächerlicher?) Widerspruch zwischen Text und Aktion merkbar wird.
    Das ist meiner Meinung nach nun doch ein viel zu massiver Eingriff in die Substanz des Werkes. Da müsste aus Gründen der künstlerischen Redlichkeit im Spielplan stehen "frei nach und zur Musik von Verdis Rigoletto".


    Insgesamt trotzdem ein sehr anregender und vor allen Dingen musikalisch sehr schöner Theaterabend.
    Wen es interessiert: Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit ist geplant.


    Diese Scheibe kam heute aus GB an. Grundsätzlich kaufe ich keine Querschnitte, aber hier habe ich (wie unlängst auch bei der "Jüdin" mit Arroyo/Moffo/Tucker) eine Ausnahme gemacht, weil ich keine Gesamtaufnahme finden konnte.

    ....Der Herodes wird doch sonst immer von Charakter Tenören ( hoffe das ist die richtige Bezeichnung ) die zum Beispiel auch den Mime im Ring singen, gesungen.


    Oder, um es mal böse zu sagen (damit meine ich ausdrücklich nicht Herrn Weinius!), von abgesungenen Tenören zur Restruhmverwertung ;)

    Gewandhausorchester
    Musikalische Leitung Ulf Schirmer
    Inszenierung Aron Stiehl
    Bühne, Kostüm Rosalie
    Künstlerischer Mitarbeiter Rosalie Thomas Jürgens
    Dramaturgie Elisabeth Kühne


    Aus der Besetzung:
    Herodias Karin Lovelius
    Salome Elisabet Strid
    Page Sandra Maxheimer
    Herodes Michael Weinius
    Jochanaan Tuomas Pursio
    Narraboth Sergei Pisarev


    Hier also nun meine Eindrücke von der Premiere:
    Musikalisch ist die Salome ohne jeden Zweifel ein großer Gewinn für das Repertoire der Oper.Der Generalmusikdirektor der Leipziger Oper, Professor Schirmer, hat eine besondere Affinität zu Strauß und war ganz in seinem Element. Er betont das„Schwelgerische“, Monumentale der Musik und wählt eher langsame Tempi (1:40 liegt aber im guten Durchschnitt ;) ). Ein Herr neben mir hat wiederholt zu seiner Frau gesagt „das ist doch viel zu langsam“. Ich teile diese Auffassung nicht. Durch die langsamen Tempi kommt die dekadent schwüle Atmosphäre insbesondere in den gut zur Geltung und wer seinen Strauss so hören will, dass das Orchester „aus dem vollen schöpft“, also laut und weit ausladend, ist in Leipzig sicher richtig. Man kann aber nicht sagen, dass dabei die Details irgendwie untergehen würden, die Interpretation ght allenfalls etwas auf Kosten dramatischer Impulse in der Musik. Dem Gewandhausorchester liegt die Partitur hörbar, irgendwelche Patzer gab es nicht; am Schluss wurden der Dirigent und das Orchester zurecht bejubelt.


    Auch die Besetzung kann sich sowohl sehen als auch hören lassen. Elisabet Strid hat eine attraktive Bühnenerscheinung und spielt und singt die Salome sehr jugendlich, teilweise fast kindlich und die Männer manipulierend (was ihr ja bei Jochanaan nicht gelingt). Gelegentlich musste ich an Lulu denken.Die Stimme ist hell klar und ohne Schärfen, es fehlt vielleicht gelegentlich etwas an Durchschlagskraft, um sich gegen das Riesenorchester zu behaupten.
    Hatte ich vor Jahren noch nach der Premiere von Reingold bemängelte, dass Tuomas Pursio zu leichtgewichtig für den Wotan sei, ist er inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes stimmgewaltig. Er ist ohnehin eine Art Allzweckwaffe der Leipziger Oper in seinem Fach und sicher einer der wichtigsten Stützen des Ensembles. Eine gesanglich und darstellerisch herausragende Leistung.
    Die undankbare Rolle des Herodes wurde nach dem plötzlichen Tod von Endrik Wottrich voll Michael Weinius übernommen. Ich weiß nicht ob der gelegentlich sehr raue Sprechgesang ein Gestaltungsmittel oder ein Notbehelf war. Außerdem hat er darstellerisch gelegentlich „sehr dick aufgetragen“, was aber dem Regiekonzept geschuldet sein mag.
    Karin Lovelius hat die Rolle der Herodias bewältigt, blieb aber insgesamt eher blass, Was zum einen an der im Vergleich zur biblischen Vorlage (wo sie die Strippenzieherin ist) nicht ganz so wichtigen Rolle im Stück ebenso aber auch ander bereits erwähnten Regiekonzeption liegen mag.
    Besonders lobend erwähnen möchte ich noch Sergei Pisarev als Narraboth (dem einzigen potentiellen Sympathieträger im Stück) mit ausdrucksvollem schönen Tenor und Sandra Maxheimer die durch ihren schönen Gesang die kleine Rolle des Pagen aufwertete.


    Zur Inszenierung:Manches ist ja sicher aufgrund der Fotos, der Trailer und aufgrund des Interviews mit dem Regisseur bekannt.
    Bei Bühnenbild und Kostümen handelte sich um die letzte Arbeit von „Rosalie“, die kurz vor der Premiere verstarb und der die Direktorin der Leipziger Oper vor Vorstellungsbeginn einige Worte und den Premierenabend widmete.
    Den Sängern kommt das Bühnenbild insoweit entgegen, als der untere Teil des Bühnenbildes, also die Terrasse, auf der sich die Handlung hauptsächlich abspielt, so mit Zeugs zugestellt ist, das relativ nah am Publikum, also an der Rampe, gesungen wird und sich die geforderten Bewegungen in Grenzen halten.
    Dem Hintergrund der Bühne bildet eine abstrakte Plastikelementedekoration (hier sagen Bilder mehr als Worte) an der verdeckt eine Treppe zur oberen Ebene hinauf führt, auf der am Anfang eine Art Stehparty der Eheleute Herodes stattfinden, von der sich zu Beginn des Stückes Salome dann entfernt und zu unteren Ebene begibt.
    Auf der oberen Ebene ist nicht viel zu erkennen, die untere Ebene ist ziemlich vollgestellt: Neben einigen nicht so richtig identifizierbaren Objekten gibt es dort einige Metallstühle, ein Autowrack mit geöffneter Motorhaube, in dem ein Springbrunnen vor sich hin plätschert(dessen Sinn hat sich mir bis zuletzt nicht erschlossen) und die Zisterne, deren Einfassung hoch und runter gefahren werden kann.
    Links oben im Hintergrund befindet sich(ich bin mir nicht ganz sicher ob das eventuell ein Monderstz sein sollte) einer Art Radarschüssel.
    Salome trägt neben einer Art weißen Federboa schwarze Leggings und eine Jacke mit Frackschössen. Die Soldaten sind mit Pistolen und Maschinenpistolen bewaffnet. Zunächst sieht es aus, als ob sie Fleck-Tarnanzug getragen. Bei näherem Hinsehen stellt sich dann aber heraus, dass die „ Flecken“Fotos von Personen sind, deren Augen mit schwarzen Binden verhüllt sind.
    Herodes und seine Frau sind in einen rosa Anzug beziehungsweise einen rosa Hosenanzug gekleidet, der bei Herodes zusätzlich noch mit einer Art „Zuhälter Protzkette“ um den Hals garniert ist. Ich nehme nicht an, dass das beabsichtigt war, aber Herodes erinnerte mich sofort an den verstorbenen Dirk Bach sowohl von seinem Aussehen und Agieren als auch von der Kostümierung her.


    Der heikel zu inszenierende Schleiertanz der Salome findet nur im Endteil als Tanz der Protagonistin statt. Nachdem sie sich hierzu bereit erklärt hat, lässt sie durch Personen, die Masken tragen, eine Art Pantomime aufführen, bei der es wohl darum geht, dass die Königin ihren Mann ermordet, und dann zwei Paare(jeweils ein König und ein kleines Mädchen) miteinander in einer Weise interagieren, während die Königin zuschaut, die man als Missbrauch des Kindes verstehen kann und vermutlich auch soll. Zum Schluss macht dann Salome selbst einige laszive Tanzbewegungen, währenddessen Herodes sich deutlich sichtbar immer weiter aufgeilt, letztendlich handgreiflich wird und dann Salome hinter einem Stapel Steine zieht, wo er dann zweifelsfrei Geschlechtsverkehr mit ihr vollzieht. Nach dem Vollzug erscheint er abgekämpft aber zufrieden, sie angewidert.
    Die Mutter, die ohnehin die ganze Zeit (ebenso wie Herodes) säuft und Pillen einwirft, bietet ihr zur Beruhigung ein Glas Alkohol an.


    Die Szenen, in denen es um Jochanaan angeht, sind näher an der Vorlage, er erscheint in der Tat aus der Zisterne(das ist mit dem Herauffahren aus dem Loch gut gelöst); er wird unten in der Zisterne enthauptet und das abgeschlagene Haupt tatsächlich voller Blut, mit dem sich Salome dann immer mehr besudelt, auf einem Silbertablett vom Henker heraufgereicht.
    Die Tötung Salomes erfolgt am Schluss von der bereits erwähnten Empore aus durch Erschießen mit den Pistolen der Soldaten.


    Nun möchte ich zunächst einmal feststellen, dass der Abend sehr unterhaltsam war. Unterhaltsam in dem Sinne, dass mich das Geschehen auf der Bühne wirklich gefesselt hat. Gefesselt obwohl es größtenteils widerwärtig war. Ich könnte fast sagen, dass es die Faszination des Perversen, Ekelhaften, Widerwärtigen war, der ich mich nicht entziehen konnte.
    Auch die Idee des Regisseurs, Salomes Perversion als Folge des sexuellen Missbrauchs durch Herodes zu erklären ist durchaus plausibel und eine interessante Deutung. Aus dieser Sicht ist die Inszenierung sicher weitgehend schlüssig. Auch die Umsetzung erfolgt gut, wenn man auch beanstanden kann, dass teilweise ein bisschen dick aufgetragen wurde.


    Und damit kommen wir zu den Einwänden:
    Ich konnte sogar noch akzeptieren, dass der Regisseur und sein Team uns hier keinen Bilderbuch Orient vorsetzen. Es besteht ja in diesem Fall auch die Gefahr, dass das Grausame an der Handlung durch zu viele optische Schönheit aufgewogen oder sogar zugedeckt wird. Das nach meiner Meinung hässliche Bühnenbild und die Hässlichkeit der Kostüme passen grundsätzlich zur Hässlichkeit dessen, was geschieht.


    Aber:
    Herodes wird durch den rosa Anzug und sein Gehampel zur Witzfigur(übrigens verkommen auch die Juden zu Karikaturen), wenn auch zu einer brutalen.
    Dass es sich bei der Gesellschaft an seinem Hof um eine dekadente Bagage handelt, die den Sinn des Lebens (um mal einen bekannten Politiker zu zitieren) in „Saufen, Fressen, Vögeln“ sieht, muss man den Zuschauer nicht mit dem von mir bereits einmal erwähnten Holzhammer vermitteln.
    Auch dass zum Beispiel Herodias eine alkoholsüchtige Tabletten fressende Nymphomanin ist, kann man durchaus für plausibel halten;wie es auf der Bühne dargestellt wird, kommt aber sehr hart an den Rand von Klamotte.


    Sehr gelungen ist meiner Meinung nach die Darstellung des Jochanaan. Strauss hat ihn ja wohl mal als den Perversesten von allen bezeichnet und gerade in der heutigen Zeit, in der wir ja fast täglich Erfahrungen mit religiösen Eiferern machen, ist dies recht aktuell. Es wird deutlich, dass dieser Mann so verbohrt in seine Ideen (mit alleinseeligmachendem Absolutheitsanspruch), in seine Heilsvisionen und in seine Kategorien von Moral, Gut und Böse ist, dass er von der Realität um sich herum (insbesondere, wenn man die Idee des Regisseurs folgt, vom Martyrium der Salome) überhaupt nichts mehr mitgekriegt und das seine Reden von Sühne, Busse und Vergebung nichts weiter als die hohlen Phrasen eines verknöcherte Fanatikers ohne humanitäre Regungen sind.
    Gelungen.


    Mein Haupteinwände sind aber folgende:
    Die Idee des Regisseurs bei der Ursachenforschung für das Drama, dass sich abspielt mag plausibel sein. Nur ist das nicht das Stück, das er zu inszenieren hatte. Weder der Wortlaut des Librettos oder des Stücks von Wilde noch die historische Vorlage geben diese Missbrauchsgeschichte eher. Viel naheliegender wäre im historischen und kuturellen Zusammenhang eventuell eine Deutung gewesen, dass die Sicht auf eine junge Frau quasi als Eigentum, Gebrauchsgegenstand und sexuelle Verfügungsmasse möglicherweise den kulturellen und hierarchischen Traditionen, in denen das Stück spielt (und die ja leider immer noch aktuell sind), geschuldet ist. Hier wird eine moderne „westliche“ Deutung untergeschoben. Nun mag man einwenden, dass möglicherweise das Stück, das als Vorlage gedient hat, bereits von der Psychoanalyse und ihren Erkenntnissen beeinflusst war. Selbst wenn das so war: Im Stück selbst, also im Text, finden sich hierfür keine entsprechenden Anhaltspunkte für eine derartige Interpretation.


    Der gewichtigste Einwand ist aber, dass die Inszenierung gegen die Musik erfolgt.
    Salome ist nach meinem Empfinden in großen Teilen eine sehr sinnliche Musik, die zumindest für mich regelrecht die Atmosphäre einer heißen Nacht im Orient akustisch heraufbeschwört. Jeder, der schon einmal eine Nacht in der Wüste verbracht hat und den Himmel, den Mond über der Wüste gesehen hat, weiß, was ich meine. Diese Atmosphäre trifft der musikalische Todesfall von Strauss ganz genau.
    Unabhängig davon, ob der Regisseur meint, die Handlung in einer anderen Zeit ansiedeln zu müssen( wobei im vorliegenden Fall der Beweis für die Notwendigkeit aus den dargelegten Gründen auch beim Konzept der Inszenierung für mich nicht nachvollziehbar ist) muss ermeines Erachtens diesem sinnlichen, lasziven Ton der Musik von Strauss auch optisch Rechnung tragen.
    Und daran fehlt es in der Leipziger Inszenierung völlig: Die Szene entzaubert die Musik.


    Das Publikum war begeistert. Sänger, Orchester und auch das Team der Inszenierung erhielten tosenden Beifall.


    Ich hatte anschließend beim öffentlichen Premierenempfang noch einige interessante Diskussionen mit anderen Besuchern. Trotz meiner Kritik, die ich oben geäußert habe, war das keineswegs ein „verlorener“ Abend. Abgesehen von der ausgezeichneten musikalischen Realisierung war die Inszenierung zumindest an einem nachvollziehbaren Konzept orientiert und handwerklich sehr gut gemacht, auch wenn vieles nicht meine Zustimmung findet. Aber für mich hat es immer hohen Unterhaltungswert, auch wenn gut gemachtes Theater zum Widerspruch herausfordert. Sicher aber keine Inszenierung, die ich konservativen Opernfreunden empfehlen würde.


    Abschließend bitte ich ein weiteres Mal um Nachsicht für eventuell verbliebene Fehler im Text; da ich bekanntlich zu faul zum tippen längerer Texte bin, habe ich wieder die Spracherkennung benutzt.

    Lieber Gerhard,
    Deine Kritik geht, soweit sie grundsätzliche Fragen betrifft mE fehl: Oper ist bereits als Gattung nicht "realistisch", wo tragen Leute ihre Konflikte in der Realität singend aus? Und die Zombiegeschichte in der Walküre, Götter und Helden (um nur mal ein Beispiel zu nehmen) haben mit Realismus auch nichts zu tun. Gesicherte Erkenntnisse, wie es "in mythischer Zeit" aussah, gibt es mE nicht ;)


    Salome ist ja übrigens auch nicht "historisch". In der Bibel wird die Geschichte der Enthauptung des Täufers - mE in anderem Sinnzusammenhang - an zwei Stellen kurz erzählt, der Name taucht jedoch nicht auf. Bereits die Verarbeitung durch Wilde ist reine Phantasie des Autors, der nach meiner Erinnerung (ich lasse mich da gerne belehren) Agnostiker war.


    Zur Inszenierung äußere ich mich berichtend und wertend, wenn ich sie gesehen habe.

    Das Video zuvor war das Interview mit Frau Strid. M.E. teils seltsame Auffassung der Salome; ebenso irritierend die Einleitung aus dem off, der erste Satz der Oper ("Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!") sei eine Frage ....
    Hier nun der offizielle Trailer:

    Die "normale" Parkgebühr in allen Parkhäusern der Leipziger Innenstadt beträgt 2,00€ je angefangene Stunde . Also hast Du ein Schnäppchen gemacht ;) Du kannst ja 3 Stunden vorher ein- und bis 3 Stunden nachher ausfahren zu diesem Tarif.
    Heute wurde im MDR vermeldet, dass Leipzig -im Gegensatz zu München etwa - kein Innenstadtfahrverbot für alte Diesel plant.

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    Nehmen wir Anna Moffo gleich als Sonderfall - sie hat sich irgendwann mal nackt fotografieren lassen (die Bilder findet man noch heute im Internet) - und das hat ihrer Karriere sehr wohl geschadet.


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    In den prüden 50er/60er Jahren vielleicht und evtl. in den doppelt prüde-verlogenen USA. Heute wäre das vermutlich kein Aufreger mehr; mW haben sich zB schon etliche Sportlerinnen folgenlos (für ihre Werbeverträge) ablichten lassen. Problem dürfte eher sein, dass (trotz Photoshop) nur wenige Sängerinnen etwas gleichermaßen Ablichtenswertes vorzuweisen haben.


    Nach meinem Eindruck ist das Gegenteil der Fall. Zumindest was die Zahl der Neuerscheinungen anbelangt, ob nun als Mitschnitt oder aus dem Studio. Einbezogen werden müssen dabei auch die DVDs. Ich kann zwar nicht mit konkreten Zahlen aufwarten, wage aber die These, dass nach 2000 durchschnittlich gerechnet mehr konservierte Musik in neuen Aufnahmen auf den Markt gekommen ist als in den Jahren zuvor.


    Ich habe mich unklar ausgedrückt und mal wieder nur an mein Hauptinteresse gedacht: Operngesamtaufnahmen. Was da heute auf den Markt kommt, sind ja fast nur noch Mitschnitte von Konzerten oder Aufführungen. Sorgfältig produzierte Projekte gibt es fast nicht mehr.

    Nur mal zur Klarstellung: ich habe hier nicht meinen persönlichen Geschmack angesprochen, sondern versucht, einzuschätzen, wie die Chancen „am Markt“ wären.
    Ich selber bevorzuge auch größtenteils die von Dir genannten Sänger und ein Großteil der Gesamtaufnahmen, die ich besitze (wobei man natürlich konzediere muss, dass heute nicht mehr viel produziert wird) ist Jahrzehnte alt, aber ich glaube beispielsweise, dass ich die Ruhe in der Vergangenheit gegenüber Herrn Jonas Kaufmann am heutigen Massenmarkt nicht mehr behaupten könnten. Jetzt komme ich aber etwas weit vom Thema ab.

    ........wie wir mit den überlieferten Aufnahmen umgehen, ob wir sie schätzen, bewundern, akzeptieren oder ob wir sie als zum alten Eisen gehörig sehen.
    Das wird natürlich von jedem ein wenig anders gesehen werden und da auch nicht bei jeder Aufnahme gleich, so werden Caruso-Aufnahmen bis heute noch teilweise als Referenz gehandelt....


    mfg aus Wien
    Alfred


    Ich stelle mal die ketzerhafte These auf, dass Caruso heute nicht mehr so erfolgreich wäre. Gigli oderTauber vielleicht schon, aber auch da bin ich mir nicht sicher. Die Leute erwarten heute - auch mangels Geschmacksbildung durch langjähriges vergleichendes Hören - eine andere Art des Singens mit mehr vordergründig plakativer "Emotionaliät" (jedenfalls das, was sie dafür halten).
    Solti Ring: Damals hat man wohl versucht, mit den technischen Möglichkeiten auf der Klangbühne einen möglichst guten Ersatz für eine Opernaufführung zu schaffen. In Zeiten von Multimedia ist das obsolet. Ich glaube Opernfreunde (also die, die sich eine Gesamtaufnahme anhören), haben heute andere Erwartungen.

    Ich hoffe, dass das jetzt nicht das Thema verfehlt, aber bei den Beispielen fällt mir spontan Benno Kusche ein, der (Keilberth) als Beckmesser ein Paradebesipile für "outrieren" ist, andererseits aber gerade ob seiner derben, übertreibenden Art ein ausgesprochener Publikumslibling war (Zsupán, Ollendorf), kein Komödiant sondern ein Komiker und eben dadurch ein Publikumsfavorit (bei der Masse nicht den Gourmets ;) ), sogar im frühen TV.

    Ich will hier keine neue Dikussion über die verschiedenen Ring Aufnahmen anfangen, aber gerade die damals als "revolutionäre Klangbühne" ersonnenen Effekte bei Solti machen die Aufnahme für mich heutzutage altbacken. Witzig, dass Gergiev (zB mit seltsamen Halleffekten in der Erda Szene) anno 2013 ähnliche Ideen hatte. Ungeachtet der auch aufnahmehistorischen Meriten der Einspielung: Was ich bei Solti musikalisch (von der Besetzung war ich mit Ausnahme des Rheingold nie völlig überzeugt) früher als überwältigend, rauschhaft, temperamentvoll empfand - heute klingt es mir oft undifferenziert und effekthascherisch, manchmal geradezu lärmend.

    Ich kann sicher mit den Mozart Kennern nicht mitreden, aber als Opernfreund möchte ich, das Thema zu verfehlen riskierend, anmerken, dass mir die Interpretationender da Ponte Opern von Teodor Currentzis , die sich gerade in ihrer dramatischen Unruhe von älteren Einspielungen deutlich abheben, sehr gut gefallen.

    .....Wenn ich jetzt ein Regietheater-Pastor wäre, ließe sich eine tolle Hartz-IV-Story draus basteln. Vielleicht mache ich eine Serie draus, in der ein Pastor begeistert vom RT ist und das auf seine Arbeit in der Gemeinde überträgt. ..


    Eine schöne Paralelle: Solche Regiethetaerpastoren gibt es zumindest in der EKD haufenweise. Ein Grund warum ich mir keinen Kirchentag mehr antue; Peter Hahne hat nicht zu Unrecht den Kirchentag als „reinste Polit-Show“ bezeichnet. Ebenso wie Kunstwerke kann man auch biblische Texte als Vehikel für Ideologie missbrauchen.

    Ich frage mich nach der Lektüre dieses Fadens gerade, warum viele Regisseure meinen, dass es grundsätzlich ein Gewinn ist (für wen? warum?) wenn man Zeit und Ort der Handlung verfremdet, aktualisiert oder was auch immer. Ich lese zZT mal wieder Tolstoi und zwar "Der Tod des Iwan Iljitsch". Das Ganze spielt in einer andern Zeit, einer anderen Kultur, viele Verhaltensweisen der Akteure muten mir fremd an - und doch sind die behandelten Probleme, Konflikte zeitlos, und das Buch hat mir etwas zu sagen.
    Wäre es ein Gewinn, eine Neufassung zu schreiben, in der Handlungsort usw. in die Gegenwart verlegt werden ? Ich glaube nicht.
    Wenn man zB die "Butterfly" nimmt: Da geht es ja (unter vielem anderen) zB um skrupellose sexuelle Ausbeutung innerhalb eines Machtgefälles, Rassismus, Achtung/Missachtung anderer Kultur. Und ich glaube: Wer Ohren hat für Text und Musik, der wird das verstehen. Ist es ein Erkenntnisgewinn, wenn man die Handlung zB nach Bangkok anno 2017 verlegt?
    Im "Ring" geht es(unter vielem anderen) um das Verhältnis von Geld, Macht und Liebe, Schuld und Sühne? Gewinnt das Stück, wenn man es durch "Neufixierung" in einen konkreten historischen Rahmen (zB) irgendeine dem Regisseur besonders schlimm erscheinende Phase des Kapitalismus quasi einengt?
    Rosenkavalier (mit Strauß hab ich es nicht so). Was ich von dem Stück meine zu verstehen, sagen mir Text und Musik. Und ich denke, dass sich die Urheber etwas dabei gedacht haben, dass sie die Konflikte und Beziehungen auf einem historischen Hintergrund mit einer bestimmten Ästhetik der Bilder entwickeln, der ja übrigens auch nicht der ihre war. Wenn man meint, dass es ihnen gelungen ist, muss man es so spielen; wenn man anderer Ansicht ist, soll man die Finger davon lassen und etwas Anderes oder Eigenes inszenieren.
    Es ist ja schön, wenn ein Regisseur in einem Meisterwerk Deutungen aktueller Probleme erkennt - muss er aber dem Zuschauer seine Erkenntnis mit dem Holzhammer vermitteln?
    Verdient große Kunst nicht so viel Vertrauen, dass man sie dem Rezipienten auch ohne Eingriffe zur eigenen Deutung überlassen kann?

    Ich bin kein Dogmatiker.
    Für mich ist - da stimme ich Bertarido zu - entscheidend, ob mich ein Konzept überzeugt. Ich hielt zB den Ring in der Inszenierung von Kupfer, den ich in Bayreuth gesehen habe, für sehr gelungen (ob das aber im konsevativen Sinne werktreu war?)
    Ich sitze sicher nicht mit dem Libretto in der Hand in der Oper um zu schauen, ob im "Freischütz" auch alle Bäume an der vorgesehenen Stelle stehen. Wenn aber der gesungene Text mit den Aktionen der Beteiligten, Requisiten und Kulisse in groteskem Widerspruch stehen, halte ich das für eine Zumutung.
    Soweit es Text, Handlung vertragen, bin ich aber mit dem was ich - wenn es mich überzeugt - toleriere eher großzügig. Andererseits lasse ich mich auch gerne mal von einer märchenhaften Inszenierung faszinieren; unvergesslich sind für mich zB die Meistersinger in Düsseldorf aus den 80ern.
    Was mich heute oft stört sind phantasielose Inszenierungen, die auf eine vom Regisseur kraft eigener Wassersuppe dem Stück unterstellten Aussage zurechtgebogen werden und der oft plumpe pädagogische Anspruch dem Publikum gegenüber. Ich habe es schon erwähnt: Vom Elend der Welt und sozialen Missständen weiss ich vermutlich weitaus mehr aus täglichem Kontat mit den Niederungen und Abgründen der menschlichen Existenz als so mancher Regisseur, der populäre Werke als Vehikel seiner Weltanschauung missbraucht, da ihm sonst keiner zuhören würde.
    Außerdem ist es anmaßend, wenn ein Regisseur meint, dass zB Wagners Werke es nötig hätten in eine konkret nach des Regisseurs Gusto verortete zeitliche Kulisse hinein vergewaltigt zu werden, um dem Publikum die Aktualität ihrer Aussagen zu verdeutlichen.

    Ich weiß, dass der Faden "gestern" und nicht "demnächst" in der Oper heißt, wollte Euch aber das heute veröffentlichte Gespräch mit dem Regisseur Aaron Stiehl, dem Leipzig eine gelungene Butterfly zu verdanken hat, nicht vorenthalten.
    Im Interesse einer seriösen Diskussion schlage ich vor, mit Stellungnahmen zur Inszenierung bis zu Veröffentlichungen von mindestens Trailern der Inszenierung zu warten oder evtl. meinen Bericht über die Premiere, den ich zeitnah und "sine ira et studio" einstellen werde, abzuwarten. Karten sind übrigens noch verfügbar.






    Fabienne Conrad, Sopran – Prinzessin Marie de Gonzague
    Danae Kontora, Sopran – Marion Delorme
    Sandra Maxheimer, Mezzosopran – Ninon de LʼEnclos
    Mathias Vidal, Tenor – Marquis de Cinq-Mars
    Jeffery Krueger Tenor – De Montfort / Der polnische Botschafter (Tenor)
    Jonathan Michie, Bariton – Conseiller De Thou
    Sebastien Soules, Bariton – Vicomte de Fontrailles
    Mark Schnaible, Bassbariton – Pater Joseph
    Randall Jakobsh, Bassbariton – Der König von Frankreich


    Gewandhausorchester unter David Reiland
    Inszenierung Anthony Pilavachi
    Choreografie Ballett 2.Akt Julia Grunwald
    Bühne, Kostüm Markus Meyer
    Choreinstudierung Alessandro Zuppardo
    Dramaturgie Elisabeth Kühne


    Da das Stück auch im Tamino Opernführer noch nicht aufgeführt ist, hier zunächst eine kurze Inhaltsangabe in den Grundzügen aus dem Gedächtnis:


    Das Stück beginnt mit einer Feierlichkeit zu Ehren des jungen Marquis de Cinq-Mars, dessen Berufung an den Hof von König Ludwig XIII. unmittelbar bevorsteht. Das Land ist gespalten in Anhänger des Königs und Anhängers des allmächtigen Kardinals Richelieu. Auch unter den Feiernden besteht keine Einigkeit, wem der Marquis Loyalität schuldet. Eine Gruppe schwört ihn darauf ein, sich dem Kardinal anzuschließen die andere hingegen meint, er solle sich auf die Seite der Partei der Anhänger des Königs schlagen. Der Marquis erklärt, seine Loyalität werde beiden Mächtigen gleichermaßen gelten.


    Seine heimliche Liebe gilt der Prinzessin Marie, bezüglich derer jedoch im Gespräch ist, sie aus diplomatischen Gründen entsprechend den Plänen des Kardinals mit dem polnischen König zu verheiraten. Er vertraut sich seinem Freund De Thou an. Nachdem dem Marquis mitgeteilt wurde, dass er sich für die unmittelbar bevorstehende Abreise nach Paris fertigmachen solle, ersucht er die Prinzessin um ein letztes Gespräch, indem wechselseitig Liebes- und Treueschwüre ausgetauscht werden.


    Der nächste Akt beginnt bereits einige Zeit nach der Ankunft des Marquis in Paris. Dieser ist zum Günstling des Königs aufgestiegen. Er sieht sich jedoch plötzlich mit der Situation konfrontiert, dass trotz der Genehmigung des Königs bezüglich seiner Verbindung mit der Prinzessin die Pläne des Kardinals zu Verheiratung der Frau mit dem polnischen Königs konkrete Gestalt annehmen und man ihm von ihm Verzicht verlangt. Hierdurch wird sein Hass gegen den Kardinal geweckt und er schlägt sich auf die Seite der Verschwörer, die planen, den Kardinal zu entmachten.
    Auf der Festivität zweier Kurtisanen (der erste Teil dieses Bildes treibt die Handlung nicht voran, sondern schildert den Ablauf des Festes mit einem groß angelegten Ballett) spitzt sich die Situation weiter zu, wobei die Verschwörer nicht bemerken, dass die Agenten des Kardinals sie die ganze Zeit über beobachten beziehungsweise belauschen. Man fast schließlich den Plan, da man sich dem Kardinal militärisch nicht gewachsen glaubt, ein Bündnis mit dem spanischen König einzugehen und dessen Truppen ins Land zu lassen, also Hochverrat zu begehen Vorhaltungen seines Freundes De Thou, der diesen Plan für verrückt und verräterisch hält stößt beim Marquis auf taube Ohren. Trotz dieser Uneinsichtigkeit beschwört De Thou mal seine Freundschaft mit dem Marquis. Die Pläne sind aber längst verraten.

    Der König ist mit dem polnischen Botschafter, der gekommen ist, um der Prinzessin Hand für den polnischen König zu erbitten, auf der Jagd. Am Rande dieser Jagd gibt es ein Gespräch mit dem Handlanger des Kardinals, Pater Josef, der sprichwörtlichen grauen Eminenz, der Marie erklärt, die Pläne sein aufgeflogen, ihr Geliebter verhaftet und zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung des Todesurteils könne sie nur dadurch abwenden, dass sie den polnischen König heirate. Widerstrebend stimmt Marie zu.


    Im Kerker glaubt sich der Marquis von Marie verraten und findet lediglich Trost im Gespräch mit seinem Freund De Thou, den dem Freundschaftsversprechen folgend, ihn auch in den Kerker begleitet hat. Auch ihn erwartet als Mitverschwörer das gleiche Schicksal.
    Die Prinzessin erscheint, die Liebenden schöpfen neue Hoffnung für die Flucht am nächsten Tag. Kurz darauf erscheint jedoch Pater Josef mit den Henkersknechten und erklärt, dass die Hinrichtung unmittelbar bevorstehe, der Fluchtplan ist vereiteltet. Der Marquis und De Thou werden zum Schafott geführt.



    Das Stück beruht auf einem zumindest seinerzeit sehr populären Roman von de Vigny. Das Libretto ist eng an die Handlung des Romans angelegt.
    Die Figur des Marquis ist historisch wie die Verschwörung, Quellen, die ich gelesen habe, sagen, dass auch die Liebesgeschichte mit der Prinzessin historisch sogar möglich aber nicht verbürgt ist.
    Die Inszenierung hält sich weitgehend an das Libretto. Eine Eigenmächtigkeit, die sich der Regisseur erlaubt hat, und die er in dem von dir verlinkten Interview auch erklärt ist, dass Richelieu als Figur während des ganzen Stückes (stumm) präsent ist.
    Als es ernst wird, trägt der eine Totenkopfmaske.


    Zur musikalischen Teil: Die Hauptrolle wird von Matthias Vidal gesungen, der die Rolle auch in der Einspielung unter dem Leipziger GMD Schirmer gesungen hat. Das Timbre der Stimme ist sicher Geschmackssache, ich habe mich erst daran gewöhnen müssen, hatte aber glücklicherweise die Einspielung zweimal gehört, bevor ich in die Vorstellung gegangen bin. Stimmtechnisch und vom Ausdruck her ist das alles tadellos. Ich denke auch, dass Vidal mit dem französischen Fach seine Domäne gefunden hat und würde ihn vom Stimmcharakter her am ehesten (solche Vergleiche sind natürlich immer mit Vorsicht zu genießen) mit Alfredo Kraus vergleichen. Für die Klasse fehlt ihm natürlich noch einiges, aber ich denke, da ist noch Potenzial drin.
    Auch die übrigen Rollen waren ausgezeichnet besetzt, Schwachpunkte konnte ich nicht ausmachen. Besonders gut gefallen hat mir übrigens auch Jakobsh in der relativ kleinen Rolle des Königs. Ganz hervorragend Michie, der für meine Begriffe noch etwas blass den Ottokar im Freischütz gesungen hatte, hier aber zur Hochform aufläuft und sowohl schauspielerisch als auch gesanglich die Rolle des De Thou . vorzüglich ausfüllt. Fabienne Conrad als Marie überzeugt mit einem kristallklaren Sopran ohne Schärfen, sauberen Höhen und ausdrucksstark im Spiel. Die Charakterrolle des Pater Josef wird wohl stimmlich also schauspielerisch von Mark Schnaible vorzüglich dargestellt, der sowohl darstellerisch als auch durch entsprechend differenziertes Singen diese Persönlichkeit, die letztendlich das personifizierte Böse darstellt (ein Flagellant aber auch Sadist), gut rüberbringt. Das Gewandhausorchester war bestens disponiert. Die Partitur wurde sehr durchsichtig realisiert und Wackler habe ich (bis auf einige in den Bläsern gegen Ende) auch keine gehört.


    Die Inszenierung ist im Stil einer opulenten Ausstattungsoper gehalten und sicher ein Schmankerl für Freunde üppiger Bühnenbilder und Kostüme. Das Titelbild dieses Beitrags gibt einen guten Eindruck davon, ebenso die Fotos, die ich ihm „romantische Inszenierungen“ Faden veröffentlicht habe.
    Der Regisseur hat in einem Interview erklärt, zwar einerseits die Epoche, also das 17. Jahrhundert einigermaßen authentisch abbilden zu wollen, andererseits aber darauf hingewiesen, dass er sich bei Details, zum Beispiel der Haar- und Barttracht auch Freiheiten genommen hat, aus anderen Epochen zu zitieren. Zum Stilbruch wird das aber zu keinem Zeitpunkt. Hätte er es nicht gesagt, hätte ich es wohl nicht einmal gemerkt. Ob man dergleichen opulenter Ausstattungsoper mag, ist sicher Geschmackssache. Ich habe es genossen, mal wieder in Leipzig „richtig üppige“ Kulissen, Kostüme und so weiter zu sehen. Das ist halt etwas fürs Auge, zumal die Handlung eigentlich im Grunde genommen recht dürftig ist. Es ist in gewisser Weise eine französische Variante von „Tosca“. Außerdem hat die sehr lange Szene bei den beiden Kurtisanen, in der das Ballett aufgeführt wird und in der es längere galante Spielereien und Vorträge gibt, absolut keine Funktion, bezüglich des Vorantreiben der Handlung, sodass diese nur deswegen nicht langweilig wird, weil zum einen gut gesungen wird und zum anderen vieles „fürs Auge“ dabei ist, an dem man sich erfreuen kann.


    Die Personenführung ist in Ordnung, allerdings noch mal muss darauf hingewiesen werden, dass die Vorlage auch nicht viel hergibt. Psychologische Differenzierungen der Charaktere, die im Libretto doch sehr plakativ gezeichnet sind, sind einfach nicht vorhanden, und da gibt es für den Regisseur nichts zu verdeutlichen. Wie gesagt, ich hatte meinen Spaß an der schönen geschmackvollen Ausstattung, wenn es auch manchmal des guten etwas zu viel ist, aber da ging es mir, wie es mir auch bei barocken Bauwerken und anderen barocken Kunsterzeugnissen geht: manchmal habe ich das Gefühl, dass einen auch befällt, wenn man zu viele Süßigkeiten, die eigentlich durchaus wohlschmeckend sind, zu sich genommen hat. Dieser Eindruck mag aber eben auch daran liegen, dass die Szene (auf der Festivität der beiden Kurtisanen) eigentlich viel zu lang ist und die Oper möglicherweise an dieser Stelle sogar eine Kürzung vertragen könnte.



    Lohnt es sich nach Leipzig zu fahren?
    Da Opern in einer solch oppulentenen Inszenierung was Kostüme und Bühnenbild angeht, inzwischen in Deutschland sehr selten sind, mit Sicherheit, wenn man dies nicht grundsätzlich ablehnt. Zum anderen wird das meiner Meinung nach sehr schwache Libretto durch die hervorragende Realisierung in szenischer und musikalischer Hinsicht deutlich aufgewertet. Es wurde sehr sorgfältig gearbeitet; das Ensemble singt sogar Französisch und kein Bühnenesperanto.
    Musikalisch gibt es von Gounod sicherlich besseres. Die Höhepunkte der Oper sind neben der Ouvertüre die Kavatine der Marie aus dem 1. Akt (Nuit risplendissante), die man gelegentlich auch im Konzert hört, sowie das Quartett König/Marie/Pater/Botschafter, das mich wirklich ausgesprochen beeindruckt hat.
    Eine Freiheit hat sich der Regisseur heraus genommen: der Kardinal (der eigentlich im Libretto nicht vorkommt) ist quasi omnipräsent, wenn auch als stumme Rolle und tritt gegen Ende mit einer Totenmaske auf )hier wird man mE dem historischen Richelieu nicht gerecht, aber das ist ein anderes Thema). Hier wird noch einmal deutlich, dass er der eigentliche Strippenzieher ist. Auch die homoerotisch geprägte Zuneigung des Königs zum Marquis (die wohl historisch ist) wird einem etwas mit dem Holzhammer vermittelt. Ansonsten alles sehr nett, sehr gefällig, viele Ohrwürmer aber sicher musikalisch kein Geniestreich. Die größte Schwäche des Stücks ist aber meiner Meinung nach das Libretto. Die Personen bleiben doch sehr plakativ. Außerdem ist in meinen Augen Cinq-Mars (anders als Cavaradossi, der ein ähnliches Schicksal erleidet) kein wirklicher Held. Anfangs versucht er noch, sich aus dem Konflikt dadurch herausreden, dass er verspricht, es allen recht zu machen und seine Teilnahme an der Verschwörung ist nicht irgendwelchen später gewonnenen Überzeugungen (Cavaradossi ist Überzeugungstäter) geschuldet sondern allein der persönlichen Kränkung durch die Verweigerung der Ehe mit seiner Geliebten. Seine Schlussarie aber im Kerker ist deswegen meiner Meinung nach auch vor allen Dingen Ausdruck seines Selbstmitleids. Ein schwacher Charakter, ein selbstverliebter Schönling. Auch die Marie bleibt relativ blass, sie jammert viel, aber eine psychologische Zeichnung der Figur kann ich nicht erkennen. Die setzt sich übrigens in der Musik zu den beiden Figuren fort, auch dort klingt in der Musik nichts an, was über das hinausgeht, was das Libretto hergibt. Wenn man nach einem Helden in der Oper sucht, ist es De Thou. Dieser geht wider besseres Wissen aus Freundschaft mit seinem Freund, den er vergeblich zu warnen versucht, in den Untergang und hat wirklich Ideale und Format.


    Opernkulinariker, die eine sehr schöne Inszenierung im Stil einer großen Ausstattungsoper auf exzellentem musikalischen und sängerischen Niveau erleben wollen, werden die genananten Schwächen verschmerzen und sollten nach LE fahren.


    Das Publikum war begeistert, Sänger, Orchester und das Regieteam erhielten den verdienten tosenden Beifall, der erst durch das Absenken des Vorhangs beendet wurde.


    CD Tip:


    Ich bitte um Nachsicht für Fehler im Text: meine Spracherkennung lernt noch ;)