Absolut für mich die bedeutendste Musikerpersönlichkeit der letzten Jahrzehnte.
Was immer er in die Hand nimmt, ist in jeder Note durchdacht, folgt dem Autograph und ist Musik und keine Tonreihung.
Was immer ich von ihm höre (und da sind auch Komponisten dabei, die ich sonst eigentlich nicht mag, so ist Schumann nicht mein Ding), ist spannend, musikalisch verständlich (!) und bietet einen großen Bogen.
Klar, er eckt bei einigen Schönklänglern und "Aberbachspieltmansoundnichtso"-Verfechtern noch immer an. Weil er eben nicht Brahms-Ausgaben heranzieht und diese abspult, sondern weil er an die Wurzeln geht. Das ist das, was ihn von vielen anderen Dirigenten so abhebt, die eben nachmachen, was ihnen seit Jahrzehnten - eigentlich seit der Liszt-Zeit - vorgemacht wird.
Es ist sein Verdienst, daß er die Alte Musik wirklich ins Repertoire und aus der Rolle der bloßen Zutat ("Händel zum Einspielen") geholt hat. Daß Musik so besetzt wird (ich meine primär die Stärke und Anordnung), wie der Komponist sie besetzt hat - weg von Vierfachbesetzung und Grandiosklang. Daß Bachs Passionen nicht notgedrungen zur Karzeit in der Kirche gespielt werden und endlose und viel zu viele Arien haben, sondern daß sie packende Dramen sind, in denen aufgezeigt wird, daß Massenhysterie, Beeinflussung der Massen, Aufwiegelung, Gewalt, Brutalität, Lüge immer noch genau so existieren wie vor 2.000 Jahren (und davor).
Es ist sein Verdienst, daß Mozart nicht mehr der süßelnde Rokoko-Komponist ist und Haydn sein Vasall, das ist der mit der Abschieds-Symphonie und den Jahreszeiten. Daß Telemann keine Musik "zum Essen", sondern "zwischen den Gängen" geschrieben hat und überhaupt nicht langweilig ist.
Mozarts diesjährigen "Figaro" in Salzburg halte ich für eine Glanzleistung. Nicht weil H. es dirigiert hat. Sondern weil da von der ersten bis zur letzten Note Spannung herrschte. Ich bin kein deklarierter Opernfan, und schon gar nicht sehe ich mir Opern normalerweise im TV an (ich habe kein Breitwand-TV); eigentlich wollte ich mir die Aufführung gar nicht anschauen, ein Freund hat sie mitgeschnitten. Aber dann saß ich davor, und es war wie eine Tragikomödie mit Betonung auf "Tragi-" - einfach toll. Ich bin sonst auch schon gar nicht der Freund moderner Inszenierungen, mit Arbeitsanzügen und Leitern in Barockopern usw. Aber hier paßte es, weil es alles auf die Musik konzentrierte und die Dramatik in dem nur scheinbar lustigen Stück hervorhob.
Herzlichst
tuonela