Ich war in der Vorstellung am letzten Samstag (18. April). Zunächst kurz die Liste der Verantwortlichen und Mitwirkenden:
Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Inszenierung: Barbara Frey
Bühne: Bettina Meyer
Kostüme: Bettina Walter
Chöre: Andrés Máspero
Die alte Buryja: Helga Dernesch
Laca Klemen: Stefan Margita
Stewa Buryja: Pavel Cernoch
Die Küsterin Buryja: Deborah Polaski
Jenufa: Eva-Maria Westbroek
Altgesell: Christian Rieger
Dorfrichter: Christoph Stephinger
Frau des Dorfrichters: Heike Grötzinger
Karolka: Lana Kos
Das war die erste Opernarbeit von Barbara Frey, einer renommierten Schauspielregisseurin und designierten Intendantin des Zürcher Schauspielhauses. Man erlebte beileibe keine unmusikalische Regie - schon am Anfang setzte Lacas Schnitzen am Peitschenstiel (mit dem verhängnisvollen Messer) ein Pendant zum Klopfen des Xylophons. Auch sonst hat Frey oft genau auf die Musik gehört. Trotzdem hat mich die Inszenierung durch eine gewisse Unentschiedenheit eher enttäuscht.
Überlegt, aber wenig beeindruckend das Bühnenbild von Bettina Meyer: eine stilisierte Felsenlandschaft signalisiert Natur, im Hintergrund drehen sich Windräder (statt der Mühle), Ambiente und Kostüme verweisen vorsichtig aktualisierend auf eine provinzielle postsozialistische Gegenwart. Im zweiten Akt wird auf die Felsen ein von vorne einsehbarer, sehr kleiner Innenraum gestellt, in dem sich das tragische Geschehen abspielt - naturalistisch ärmlich eingerichtet, mit Sperrholzmöbeln, kleinem Fernseher usw. Im dritten Akt fallen die Grenzen zwischen Außen- und Innenwelt: das Interieur ist zwar noch da, aber die Wände der Stube sind verschwunden.
Frey inszeniert überwiegend am Text entlang, durchweg professionell, aber mit anscheinend absichtlich begrenztem Gesten- und Bewegungsrepertoire. Man sieht überwiegend nach innen gekehrte Menschen, oft traurig oder verzweifelt dasitzend. Jenufa wirkt von Anfang an gezeichnet und wird von Akt zu Akt älter, gleicht sich immer mehr - auch in puncto Kleidung - der Küsterin an. Die oben vom Opernfreund erwähnte Ähnlichkeit der beiden zentralen Frauenfiguren hat wohl kaum etwas mit "Sängerinnen-Eitelkeit" zu tun, sondern war eine bewusste Entscheidung der Regie.
Oft wird "Jenufa" - entgegen der im Stück angelegten Dramaturgie - zu einem effektvollen Soloabend für die Darstellerin der Küsterin, ich erinnere mich noch an Aufführungen mit Anja Silja in Frankfurt. Dies wurde hier dezidiert vermieden, Deborah Polaski zeigte eine selbst beim Kindesmord sehr kontrollierte Küsterin, die allenfalls andeutungsweise aus der Rolle fiel - etwa wenn sie ihre Ziehtochter im zweiten Akt anschreit, ihr Kind sei tot. Ein nicht uninteressantes Konzept, aber theatralisch hat mich das alles nicht überzeugt: Die Grenzen zwischen der bewussten gestischen Zurückhaltung und der bloßen Konvention sind fließend, die enorme Tragik und Spannung des zweiten Akts erlebte man szenisch wie durch eine Milchglasscheibe, die Beziehungen zwischen den Personen bleiben unklar, die ganze komplexe Figurenkonstellation ist unterbeleuchtet (trotz Echoeffekten: Stewa wird im dritten Akt ähnlich zu Boden gefällt wie die Küsterin am Endes des zweiten Akts, der verkrampften Umarmung Jenufas und der Küsterin im zweiten Akt entspricht die innige vor dem Abgang der Küsterin im dritten Akt). Auch den leicht stilisiert choreographierten Chorszenen fehlte die Dringlichkeit.
Sängerisch war das eine ausgezeichnete, wenngleich nicht überragende Aufführung. Eva-Maria Westbroek meisterte ihre Partie in allen Lagen souverän, mir fehlte ein wenig das individuelle Timbre (das Elisabeth Söderström in der Mackerras-Einspielung so wunderbar hören lässt). Deborah Polaski hatte bei der Premiere, die ich im Radio gehört habe, keinen guten Tag, die Abnützungserscheinungen ihrer Stimme waren unüberhörbar. Am Samstag dagegen präsentierte sie sich in ausgezeichneter Verfassung: sie sang die Rolle ohne das hier häufig zu hörende veristische Schrei- und Stöhntheater, büßte deswegen aber nicht an Ausdruckskraft ein. Zweimal gelangen ihr sogar richtig beherrschte Piani in der Höhe. Für den erkrankten Joseph Kaiser war als Stewa Pavel Cernoch eingesprungen und machte seine Sache gut. Herausragend, sängerisch brillant und differenziert charakterisierend Stefan Margita als Laca. Sehr gut auch die Besetzung der Nebenrollen. Nur bei der 70jährigen Helga Dernesch fragte man sich, ob eine so verdiente Sängerin sich das noch antun muss. Auch bei einer kleineren Rolle sollte doch wenigstens ab und zu die richtige Tonhöhe getroffen werden.
Die Leistung des Abends lieferte zweifellos Kirill Petrenko mit dem blendend aufgelegten Orchester: natürlich in der Urfassung einschließlich der von Janacek gestrichenen Teile der Erzählung der Küsterin im ersten Akt. Das Dirigat war genau das Gegenteil von "lärmend" und "breiig" (Opernfreund im letzten Beitrag) - ungemein geschärft, rhythmisch präzise, hart und doch federnd im Klang, flexibel in den Tempi. Ich stelle es ohne weiteres über dasjenige von Mackerras bei der Decca-Einspielung - wenn man die letzten Takte des zweiten Akts vergleicht, hört man bei Mackerras ein mit viel Orchesterpedal versehenes, dröhnendes Pathos, bei Petrenko ein schnelles fiebriges Hämmern. Brillant der Paukist und - bei seinem großen Solo im zweiten Akt - der Konzertmeister. Ungeheuer spannend und bewegend die enorm langen Generalpausen, etwa nachdem Jenufa die Nachricht vom Tod ihres Kindes erfahren hat oder vor dem Schlussduett Jenufa-Laca. Wenn dieses musikalische Gestaltungsmittel eine szenische Entsprechung gefunden hätte, wäre es eine großartige Prouktion geworden. So fehlte leider Entscheidendes. Das konzentriert lauschende Publikum im fast ausverkauften Haus zeigte sich allerdings begeistert.
Wer einen visuellen und akustischen Eindruck bekommen möchte, kann sich hier (Foto- bzw. Videokamera rechts anklicken) oder hier per Fotogalerie, Video und "Opern-TV" informieren.
Viele Grüße
Bernd