Sinn und Aufgabe der Klassik für mich lässt sich von daher kaum in eine Formulierung zwängen, weil sich Kunst m.E. jeglichem generalisierenden Zugriff entzieht. Kaum glaube ich, ein Rezeptionsmuster bei mir festzustellen, belehrt mich schon die nächste musikalische Erfahrung eines Anderen (und Besseren). Belehrend, unterhaltend, herausfordernd, zum Genuss anstiftend - das kann alles irgendwie mal hinkommen und sein und sich auch gerne überlagern. Aber ich bin nicht derjenige, der Erwartungshaltungen der Kunst gegenüber pflegt - damit ginge eine in meinen Augen elementar bedeutsame Offenheit verloren, die eine echte Begegnung mit einem Kunstwerk als individuellem Gegenüber erst ermöglichen kann. Wenn ich vorher wissen möchte, was ich bekomme, kaufe ich Persil. Aber keine Konzertkarte.
Dass ich natürlich Musik im weitesten Sinne aus "Freude" höre, ist dennoch klar. Die Art der Freude kann dabei jedoch stärkstens divergieren. Manchmal ist es sicherlich der stark sinnlich geprägte Genuss, die Lust am vertrauten Terrain usw., zuweilen aber treibt es mich hin zu mir zunächst wenig Zugänglichem oder gar Befremdlichem. Auch Letzteres ist in jedem Fall eine Beschäftigung, die mit Lust zu tun hat: die Lust an der Auseinandersetzung mit Dingen, die eben nicht gleich wie Blümchen am Wegesrand aufzusammeln sind. Die Beschäftigung mit mir Widerständigem kann unfassbar bereichernd sein - diese Erfahrung habe ich gottseidank verinnerlicht.
Das alles ist nun noch nicht sehr spezifisch auf mein Verhältnis zur "Klassik" bezogen, denn es gilt weit darüber hinaus. Bei Klassik ist es tendenziell so, dass ich eher ganzheitliche Erfahrungen mache im Sinne eines integrativen, vielschichtigen Hörens: In den schönsten Momenten sind Bauch, Herz, Geist, Motorik und Rückenbehaarung gleichermaßen aktiviert, und es entsteht wirklich eine Situation gleichzeitiger Entäußerung sowie Verinnerlichung. Ich kann nicht anders, als es dermaßen paradox zu formulieren. Aber es entsteht eine ganz besonders intensive Verbindung zwischen (meiner) Innen- und (künstlerischer) Außenwelt, die sowohl etwas Ekstatisches als auch etwas Hochkonzentriertes bewirkt. In besonderen Augenblicken ist es so, als stünde das Musikstück plötzlich wie ein Ganzes und Lebendiges direkt vor (oder in) mir und die Trennung von Selbst und Welt höbe sich auf. Da muss sich aber nun niemand um mich Sorgen machen oder grundsätzlich an meiner Geistesverfassung zweifeln, ich komme leider meistens früher davon runter, als mir lieb ist.
Gegenbeispiel: Ich höre auch gerne mal Rockmusik. Die wirkt bei mir vor allem sinnlich und z.B. eher weniger den Geist ansprechend, also nicht so stark im Sinne eines integrativen Hörens. Wenn ich abgespannt/müde bin, knalle ich mir gerne was stark motorisch Wirkendes aufs Gehör. Ich käme dann aber nie auf die Idee, mir komplexe Polyphonie zuzuführen. Und auch keine Puccini-Oper.
Der ganze Kram, der mit bildungs-, großbürgerlichem oder sonstwie standesbewusstem Dünkel zu hat, interessiert mich null. Das finde ich persönlich einfach langweilig.