Ich habe lange überlegt, ob ich mich am Thema Windgassen beteiligen soll. Wenn ich es nun doch tue, dann deshalb, weil ich die durchweg positive Euphorie, die diesem Sänger hier zuteil wird, absolut nicht teile und es geboten finde, auch einmal die negativen Aspekte seiner Stimme nachhaltig zu beleuchten. Ich bin überhaupt kein Windgassen-Fan, obwohl meine Tante mit ihm vor etlichen Jahrzehnten eine Otello-Aufnahme gemacht hat. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Windgassen war absolut kein Heldentenor. An solche phantastischen Größen wie beispielsweise Lauritz Melchior, Hans Hopf, Ludwig Suthaus, Ramòn Vinay, Günter Treptow, Jess Thomas, James King oder Spas Wenkoff, die alle über trefflich fokussiertes, fulminantes, baritonal timbriertes Stimmmaterial verfügten und wirklich echte Heldentenöre waren, reichte er nicht im Entferntesten heran. Windgassens Stimme war dünn und eher klein. Er sang überhaupt nicht im Körper. Die Töne gähnte er nicht an, wodurch sich kein vorbildlicher italienischer Stimmfluss einstellen konnte. Das disqualifizierte ihn gerade für den Otello, aber auch in den von ihm so oft gesungenen Wagner-Partien konnte er mich nie überzeugen. Dazu war sein Stimmorgan, wie gesagt, zu flach. Außerdem gefiel er sich darin, sich permanent auf den Konsonanten und Klingern auszuruhen, womit zwar eine hervorragende Textverständlichkeit einherging, was aber vom gesanglichen Standpunkt aus äußerst fraglich und eine Unsitte ohnegleichen war. Indes gibt es zwei Aufnahmen, in denen er von dieser seiner Sparmethode Abstand nahm: "Siegfried" und "Götterdämmerung" unter Georg Solti. Der geniale Maestro ließ sich diese fragwürdige Gesangsart nicht bieten und Gottlob Frick und Birgit Nilsson hatten einiges zu tun, um Windgassen diese Unart - zumindest für diese beiden Solti-Einspielungen - auszutreiben. Insgesamt blieb aber alles beim Alten. Nach den Solti-Aufnahmen kehrte Windgassen ganz schnell zu dieser seiner Unsitte zurück. Auf den erwähnten Aufnahmen ist zu konstatieren, dass Windgassen, der diese freie, offene Art des Singens, die viel mehr Kraft erfordert, nicht gewöhnt war, etwas angestrengt klingt. Wenn er auf diese Art und Weise alle seine zahlreichen Wagner-Abende bestritten hätte, wäre seine Stimme ganz schnell überfordert worden und kaputt gegangen. Daran habe ich keinen Zweifel. Windgassen war schon einer der am meisten überschätzten Sänger seiner Generation und heutige Sänger sollten sich an ihm kein Beispiel nehmen. Das könnte für sie gefährlich werden. So viel also zu den Gründen, warum ich Windgassen ablehne.
Herzliche Grüße
Lustein